Ingrid Mickler-Becker

Leichtathletik

  • Name Ingrid Mickler-Becker
  • Sportart Leichtathletik
  • Geboren am 26. September 1942 in Geseke, Westfalen
  • Aufnahme Hall of Fame 2006
  • Rubrik 70er Jahre

Deutschlands vielseitigste Leichtathletin

Zwei Olympiasiege, zwei EM-Titel, je ein Welt- und Europarekord sowie 13 deutsche Rekorde in verschiedenen Disziplinen sind Ausdruck des vielfältigen Bewegungstalents der Leichtathletin Ingrid Mickler-Becker. 1968 gewann sie in Mexiko-Stadt Olympiagold im Fünfkampf, vier Jahre später in München siegte sie in Weltrekordzeit mit der deutschen Sprintstaffel.

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Weiterer Höhepunkt in ihrer Karriere waren die Europameisterschaften 1971 in Helsinki, wo Ingrid Mickler-Becker jeweils Gold im Weitsprung und mit der 4 x 100-Meter-Staffel sowie Silber im 100-Meter-Sprint gewann. Mit der damaligen Weitsprung- Siegweite von 6,76 Meter hätte die elfmalige Deutsche Meisterin noch 35 Jahre später EM-Bronze gewonnen.

Schon 1960 war sie mit 17 Jahren als jüngste Athletin der gesamtdeutschen Mannschaft bei den Olympischen Spielen in Rom im Hochsprung am Start (Platz neun).

1964 verpasste sie in Tokio als Weitsprung-Vierte mit 6,40 Meter nur um einen Zentimeter eine Medaille. Nach der sportlichen Karriere engagierte sich Ingrid Mickler-Becker ehrenamtlich in Führungspositionen für den Sport. Lange Jahre war sie Präsidiumsmitglied im Landessportbund Rheinland-Pfalz und persönliches Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee. Im Gutachterausschuss der Sporthilfe wachte sie von 1987 bis 2009 über die Förderung deutscher Athleten. Beruflich brachte sie es bis zur Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Jugend, Familie und Sport.

Ingrid Mickler-Becker

Leichtathletik

Größte Erfolge

  • Olympia-Gold 1968 im Fünfkampf
  • Olympia-Gold 1972 mit der 4 x 100-Meter-Staffel
  • Doppel-Europameisterin 1971 im Weitsprung und mit der
    4 x 100-Meter-Staffel
  • Elf deutsche Meistertitel im Hochsprung, Weitsprung, Fünfkampf und 100-Meter-Sprint

Auszeichnungen

  • Goldene Sportpyramide (2005)
  • Sportlerin des Jahres 1968 und 1971
  • Persönliches Mitglied im Nationalen Olympischen Komitee (1977 bis 2006)
  • Rudolf-Harbig-Preis des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (1969)

Biografie

Ingrid Mickler-Becker ist eine der herausragenden deutschen (Leicht-) Athletinnen. Sie hat ihre Erfolge als virtuose Spezialistin, aber auch als vielseitige Könnerin errungen. Und das gilt nicht nur für die sportlichen Fähigkeiten, sondern auch für die beruflichen und ehrenamtlichen Leistungen der zweifachen Olympiasiegerin, zweifachen Europameisterin und elfmaligen Deutschen Meisterin. Zu Recht ist sie deshalb im Jahr 2005 mit der renommierten „Goldenen Sportpyramide“ der Stiftung Deutsche Sporthilfe ausgezeichnet worden.

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Der Aufstieg auf den Olymp ist der kleinen Ingrid nicht an der Wiege gesungen worden. Das Kriegskind vom Jahrgang 1942 hat ihren Vater, der an der Front fiel, als sie zwei Jahre alt war, nicht bewusst kennen gelernt. So schwierig auch die Umstände der Nachkriegsjahre waren, schwärmt sie doch von einer glücklichen Kindheit. Eine entscheidende Rolle für ihre jungen Jahre und in den Auswirkungen für ihr gesamtes Leben hat ihr Großvater gespielt. Der angesehene Anwalt und Notar schuf den gutbürgerlichen Rahmen, in dem seine Enkeltochter wohlbehütet aufwuchs. Und er nahm auch in der persönlichen Zuwendung den Platz des Vaters ein.

Die entscheidende Prägung für ihre nie versiegende Sportbegeisterung erhielt sie im Turnverein 1862 ihrer westfälischen Heimatstadt Geseke. Auch hier half der Großvater, dass die Zehnjährige überhaupt zum Turnen gehen durfte. Denn der Mutter war es schon ein Dorn im Auge, dass der Wildfang mit den beiden Brüdern und Freunden Fußball spielte. Sie fürchtete auch von der Turnerei einen wenig mädchenhaften Einfluss auf ihre Tochter. Doch nach gutem Zureden stimmte sie schließlich zu. „Ich hab das geliebt, dieses Turnen an den Geräten. Und wenn mittwochs die Turnstunde vorbei war, freute ich mich schon auf das nächste Mal“, erinnert sich Ingrid Mickler-Becker. Und sie wäre bestimmt eine gute Kunstturnerin geworden. Aber dass sie bis zu 1,77 Meter Körpergröße hoch wuchs, war für das Geräteturnen nicht gerade förderlich.

Ihr leichtathletisches Talent fiel bei Bergfesten der Turner auf. 1959 holte sie gleich bei ihren ersten Jugendmeisterschaften den Titel im 100-Meter-Lauf. Ein Jahr später wurde sie Deutsche Meisterin im Hochsprung. Dank eines Missverständnisses stellte sie dabei einen deutschen Rekord auf. Sie meinte, als Siegeshöhe 1,67 Meter übersprungen zu haben. Doch gegen ihren Willen war die Latte auf 1,68 Meter gelegt worden. Das bedeutete eine neue Bestleistung. Mit ihrer Begabung und Unbefangenheit schaffte sie damit überraschend den Sprung in die gesamtdeutsche Olympiamannschaft. Für ihren Start in Rom 1960 erhielt die Siebzehnjährige als jüngstes Mitglied des Teams eine Ausnahmegenehmigung und wurde Olympianeunte. „Ich war hingerissen von dem bunten Treiben im Olympischen Dorf. Und sogar während meines Hochsprung-Wettbewerbs fotografierte ich alles, was sich um mich herum bewegte.“

Vier Jahre später in Tokio wurde sie im Weitsprung Vierte, ein Zentimeter an der Bronzemedaille vorbei. Für Mexiko 1968 war ihr Ehrgeiz geweckt. „Ich sagte mir, wenn ich mit so wenig Training Vierte geworden bin, dann kann ich auch Olympiasiegerin im Weitsprung werden.“ Doch Montezumas Rache, eine bekanntermaßen heftige Magen-Darminfektion, machte ihre Träume zunichte. Während des Hochsprungs im Fünfkampf, auf den sie sich nun als zweite Chance konzentrierte, prasselte tropischer Regen vom mexikanischen Himmel herab. Während ihre Konkurrentinnen auf der rutschigen Anlage hinter ihren Möglichkeiten zurück blieben, erzielte Ingrid Becker mit 1,71 Meter persönliche Bestleistung und machte mit einem deutschen Rekord im abschließenden 200-Meter-Lauf (23,5 Sekunden) ihren Olympiasieg perfekt. Nach ihrer Rückkehr feierten sie 20.000 Menschen stürmisch in ihrer Heimatstadt, die nur 13.000 Einwohner hatte. Bei allem Stolz auf ihre Ingrid halfen die Geseker ihr aber auch, dass sie nicht die Bodenhaftung verlor.

In Helsinki 1971 wurde die Westfälin Europameisterin mit der Sprintstaffel und im Weitsprung. Das trug ihr im gleichen Jahr zum zweiten Mal nach 1968 die Wahl zur „Sportlerin des Jahres“ ein. Es schien nur eine Frage der Zeit, dass sie als erste Frau der Welt die 7-Meter-Marke überspringen würde. Einmal glückte ihr sogar ein Satz auf ungefähr 7,20 Meter. Doch ein übereifriger Helfer löschte zu früh mit dem Rechen den Abdruck im Sand. Bei den Olympischen Spielen von München 1972 platzte ihr Traum, Olympiasiegerin im Weitsprung zu werden. Die Favoritin scheiterte in der Qualifikation des Weitsprungs. Der Grund: Vertrackte Rückenbeschwerden hatten sie im Training zurückgeworfen. Und doch wurde die schlaksige Athletin auch bei den „Heimspielen“ Olympiasiegerin. In dem denkwürdigen Staffelrennen, in dem Heide Rosendahl als Schlussläuferin dem Endspurt von Renate Stecher, der zweifachen Goldmedaillen-Gewinnerin aus der DDR, standhielt, hatte Ingrid Mickler-Becker auf der langen Gegengeraden den Grundstein zum Erfolg gelegt. Doch das Geiseldrama ließ bei ihr nicht die rechte Freude aufkommen. „Nach dem Rennen habe ich die Spikes ausgezogen und wusste: Das war’s dann.“

Der Leistungssport war im Amateurzeitalter, in dem die Athleten ausschließlich Spesen für Fahrten zu Training und Wettkampf erhielten, nur das zweite Programm neben Ausbildung und Beruf. Ingrid Mickler-Becker arbeitete als Verwaltungsangestellte bei der Stadt Geseke. „Ohne den Sport hätte ich mir gesagt: Ich studiere nicht und bleibe lieber in Geseke. Ich habe durch den Sport die Welt kennen gelernt und meinen Horizont ungeahnt erweitert.“ Statt sich selbstzufrieden in der Behaglichkeit der Provinz einzurichten, holte sie das Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg nach. Professor Berno Wischmann lockte sie 1968 zum USC und zur Universität nach Mainz. Ihr Studium Sport, Pädagogik, Soziologie und Psychologie schloss sie zwischen 1973 und 1975 mit drei Diplomen sowie einem Vordiplom ab und wurde für den besten Studienabschluss mit dem Kultusministerpreis ausgezeichnet. Die frisch gebackene Lehrerin unterrichtete „mit Freude“ dreizehn Jahre lang an einem Mainzer Gymnasium Sport und Sozialkunde. Zusätzlich war sie in der Schullaufbahnberatung tätig.

1988 ließ sie sich für zwei Jahre vom Schuldienst befreien, ging mit ihrem Mann Friedel, einem Jugendfreund aus Geseke, mit dem sie seit 1969 verheiratet ist, und ihrem damals zehnjährigen Sohn Philipp in die USA. Dort studierte sie noch einmal vier Semester Familiensoziologie an der University of Michigan. „Das war ein Traum, ich hätte am liebsten immer weiter studiert.“ In dieser Zeit wurde die ganze Familie vom Golfbazillus befallen. Mittlerweile hat die frühere Leichtathletin, ohne von einem Pro geschult worden zu sein, ihr Handicap auf 9,5 verbessert. Auch dieses Hobby sieht sie locker: „Mit Sport hat das nichts zu tun. Das ist ein lockerer Spaziergang. Aber durch die Spielidee hat Golf einen hohen Aufforderungscharakter.“

Nach ihrer Rückkehr aus den USA wurde Ingrid Mickler-Becker 1990 zur Staatssekretärin im rheinland-pfälzischen Ministerium für Familie, Sport und Soziales berufen. Ein Aufstieg, der für eine Athletin oder einen Athleten beispiellos war. Die Beamten staunten über ihre Sachkompetenz und fahndeten nach einem Einflüsterer im Ministerium. „Den gab’s aber nicht. Was nicht bekannt war: Ich hatte zehn Jahre Verwaltungserfahrung auf dem Buckel, und ich konnte Haushaltspläne lesen.“ Eine wertvolle Fähigkeit.

Neben Beruf, Familie und Sport hat stets ehrenamtliches Engagement ihren Lebensweg begleitet. Sie brauchte sich nicht um Funktionen zu bewerben, sie fielen ihr einfach zu. 1969 bei der Europameisterschaft machte sie als Athletenvertreterin in einer Spitz-auf-Knopf-Situation schmerzliche Erfahrungen. Auf Betreiben der DDR war der ehemals ostdeutsche Weltrekordläufer Jürgen May vom Start ausgeschlossen worden. Die bundesdeutsche Mannschaft solidarisierte sich mit ihm und verzichtete, mit Ausnahme der Staffeln als Geste gegenüber den Gastgebern, auf einen Start. Wie sich zeigte, war der Boykott unter falschen Voraussetzungen zustande gekommen. „Wir sind gegen die Mauern der Funktionäre gerannt.“ Die hatten sich auf mündliche Zusagen verlassen, dass May starten dürfe, anstatt das Regelwerk zu studieren.

„Ich habe immer gepredigt: ‚Frauen dürfen nicht den Fehler machen wie Männer und zu viele Ämter annehmen.’ Als wir nach Amerika gegangen sind, habe ich erschrocken festgestellt, dass ich siebzehn Ämter hatte.“ Nicht zuletzt setzte sich die Vorzeige-Sportlerin für Frauen im Sport und außerhalb davon ein. Konsequent fuhr sie ihre ehrenamtlichen Tätigkeiten herunter. Bis zur Fusion von Deutschem Sportbund und Nationalem Olympischen Komitee (NOK) war sie persönliches Mitglied des NOK und galt auch als Kandidatin für die Nachfolge Willi Daumes auf dem Präsidentenstuhl. Die langjährige Arbeit im Gutachterausschuss der Sporthilfe zu Gunsten der Athleten lag ihr besonders am Herzen. Und in alter Anhänglichkeit tut sie als Vorsitzende des Fördervereins eine Menge für ihren alten Verein LG Geseke.

„Ich bin froh, dass ich zu meiner Zeit Sport getrieben habe. Ich könnte nie als Hauptberuf Sport treiben, ohne Berufsausbildung, ohne Studium, mit täglichem Training, täglicher Behandlung durch Physiotherapeuten, mit genauen Trainings- und Essensfahrplänen. Das würde mich todunglücklich machen.“ In der Rückschau weiß sie, was der Sport ihr gegeben hat. Und so kann Ingrid Mickler-Becker frohen Herzens sagen: „Ich bin dankbar für ein tolles Leben.“

Steffen Haffner, April 2006

Literatur zu Ingrid Mickler-Becker:

Karl Adolf Scherer: 100 Jahre Olympische Spiele. Dortmund 1995


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