Ski Nordisch
Ski Nordisch
1960 gewinnt Georg Thoma als erster Mitteleuropäer olympisches Gold in der Nordischen Kombination. Damit durchbricht er die bis dato andauernde Dominanz der Skandinavier.
Auch am legendären Holmenkollen gelingt ihm dieses Kunststück. Hier feiert Thoma gar drei Siege in Folge.
Die große Stärke des Kombinierers ist das Skispringen. Thoma ist hier so dominant, dass er sogar das Neujahrsspringen der Vierschanzentournee der Spezialspringer gewinnt.
Bei seinen zweiten Olympischen Spielen (1964 in Innsbruck) holt Thoma mit Bronze seine zweite olympische Medaille.
1966 beendet er seine Karriere schließlich auf dem Höhepunkt. In Oslo wird er Weltmeister in der Nordischen Kombination - in seinem Heimatort Hinterzarten wird er dafür gefeiert.
Er wäre auch so glücklich gewesen: einen Hof bewirtschaften, Holz fällen. „Ich habe sehr gern gemacht, was ich gelernt habe“, sagte er. Vielleicht hätte er in der Skischule des Vaters gearbeitet. Aber Georg Thoma hatte ein außergewöhnliches Talent – auf Ski. Und so wurde er Wettkämpfer, wurde Sieger – Olympiasieger. Und eine Berühmtheit weit über seine Heimat hinaus. Die Menschen, Urlauber im Schwarzwald, Skisport-Anhänger, Neugierige, kamen zu seinem Haus, wollten ihn sehen, ein Autogramm, ein Foto, sogar anfassen, Hände schütteln. Wäschekörbeweise kam Post, kaum noch zu bewältigen. Manchmal, so erzählte er später, habe er sich gefühlt wie jener Dr. Kimble auf der Flucht, der Mann aus der Fernsehserie. Denn Georg Thoma wollte diesen Rummel nicht und versuchte, ihm so oft wie möglich zu entgehen. „Denn ich habe nie geglaubt, dass ich etwas Besonderes bin“, sagte er. „Jeder Mensch, der für irgendetwas bekannt wird, hat seine Qualitäten, ob das im Sport ist oder anderswo.“ Und überhaupt: „Es gibt so viele Menschen, die niemand kennt, die genauso bewundernswert sind in ihrem Bereich.“
Die Bescheidenheit, beinahe Schüchternheit auch noch im Alter, wurde in der Kindheit angelegt. In einer Kindheit, die geprägt war von langen Wintern, von Verzicht, von harter Arbeit. Und vom Glück, im Schwarzwald aufzuwachsen, in der Natur, im Schnee. Eine Kindheit, in der noch kein Platz war für den Traum vom Erfolg oder gar von einer großen Karriere. In der aber schon früh der Sport eine große Rolle spielte, der ihn schließlich daran hinderte, weiter Holzfäller zu sein und weiter die Landwirtschaft zu betreiben.
Als er zehn Jahre alt war, hatte Georg, eines von sieben Kindern der Thomas, das Elternhaus verlassen müssen. Er war als Hütejunge auf den alten Wunderlehof zu Ernst Schwörer und dessen Mutter gekommen. Schwörer, Landwirt, Holzfäller und im Schwarzwald einer der besten Athleten in der Nordischen Kombination, wurde das Vorbild. Die Schanze, die Schwörer hinter dem Hof gebaut hatte, und der tägliche Schulweg von zwölf Kilometern morgens und zwölf Kilometern mittags – im Winter natürlich auf Langlaufski – wurden zu Trainingsstätten. „Schulweg und Sport waren eins“, erzählte Thoma, Schülerwettkämpfe waren die Höhepunkte im Winter-Alltag.
Der Beste zu sein war die Motivation – oder ganz konkret dieses eine Paar Skistiefel: funkelnagelneue, lederne Markenstiefel. Im Schaufenster des kleinen Fotogeschäfts in Hinterzarten standen sie, und der Junge konnte sich nicht satt sehen daran. Solche Skistiefel zu besitzen, nicht in alten, ausgelatschten Schuhen antreten zu müssen – was für eine wunderbare Vorstellung für Georg Thoma. „Die Stiefel muss ich haben.“ Der Gedanke ließ ihn nicht los, stachelte seinen Ehrgeiz an – und raubte ihm den Schlaf, den er vor dem Wettkampf so nötig gebraucht hätte. Er verlor das Rennen am nächsten Tag, die Skistiefel als Siegespreis gingen an einen jungen Mann aus Furtwangen – den Namen hat Georg Thoma nie vergessen.
Aber er wurde bald der Beste, gewann Schülermeisterschaften, sieben Siege bei deutschen Jugendtitelkämpfen. Mit dem Erfolg kamen die Fragen. Und so saß der sechzehnjährige Junge auf einer Holzbank am Kachelofen, die Hände brav in den Schoß gelegt, die Wangen gerötet vom Rennen – vielleicht auch ein wenig von der Aufregung: Gerade war Georg Thoma auf der Schwäbischen Alb deutscher Jugendmeister in der Kombination geworden, als er Rede und Antwort stehen sollte. „Skifahren halt“, antwortete er einem Reporter leise auf die Frage, was er denn überhaupt so mache. „Skifahren und Holz fällen.“
Skifahren wurde immer wichtiger, und irgendwann ließ sich die Arbeit auf dem Hof und im Wald nicht mehr mit dem Leistungssport vereinbaren. Die Gesellschaft verlangte Sicherheiten, Papiere. Thoma ging zur Post. Er wurde Briefträger, „auch, weil ich da versichert war“. Ein schönes Klischee wurde wahr: Der Hütebub, der sich seine Ski-Ausrüstung auch mit dem Verkauf von selbst gesammelten Pilzen und Beeren zusammengespart hatte, der Briefträger, der seine Arbeit im Winter als Training verstand, der Goldmedaillengewinner von Squaw Valley – vor ihm hatten, mit Ausnahme des Finnen Heikki Hasu 1948, nur Norweger gesiegt.
Der olympische Traum hatte 1956 begonnen, als der achtzehnjährige Georg Thoma als Mitglied des Jugendlagers die Wettbewerbe von Cortina d’Ampezzo erlebte. Vier Jahre später – die Nordische Kombination war noch ein langwieriges Rechenspiel – war Thoma mit Startnummer 15, lange vor den Favoriten, ins Ziel von Squaw Valley gekommen. Er verschwendete nicht einmal einen Gedanken daran, dass er gewonnen haben könnte. Karl Ritter von Halt, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der Bundesrepublik, musste ihn Stunden später im Olympischen Dorf abholen zur Siegerehrung – und Thoma dachte immer noch, das müsse ein Irrtum sein. Der Weltmeistertitel, sechs Jahre danach am Holmenkollen von Oslo gewonnen, war – wie schon die olympische Bronzemedaille 1964 – die endgültige Bestätigung für einen herausragenden Athleten. „Der Weltmeistertitel war mein schönster Sieg“, sagte er, „schwer erkämpfte Siege sind die schönsten, und der war am schwersten erkämpft.“
Sein Talent in erster Linie hatte Thoma den Weg geebnet. „Am Anfang, auch noch beim Olympiasieg, waren es sicher 80 Prozent.“ Weder die Skandinavier noch die Russen hatten in Squaw Valley eine Chance gegen ihn, schon gar nicht die Athleten aus dem Osten Deutschlands, die mit ihm in der gesamtdeutschen Mannschaft angetreten waren. Thoma war es fast peinlich, geradezu erschrocken sei er, die Landsleute zu besiegen. „Wir waren eine gesamtdeutsche Mannschaft, und die DDR-Sportler taten mir manchmal sogar leid.“ Viel Kommunikation war nicht möglich, aber Thoma wusste: Ihr Auftrag war, „erst die westdeutschen Sportler zu schlagen vor allen anderen - und ich war ihnen ja immer im Weg“.
Mitgefühl und menschliche Wärme sind Georg Thoma geblieben – die Entwicklung vom schüchternen Jungen zum Fernsehkommentator, der 1987 sogar für seine TV-Arbeit bei den Nordischen Skiweltmeisterschaften ausgezeichnet wurde, dagegen war verblüffend. „Ohne den Sport hätte ich sie sicher nicht genommen“, sagte er im Rückblick. Auf den vielen Empfängen zu Hause und im ganzen Land, bei Einladungen und Ehrungen wie der zum Sportler des Jahres 1960 musste er einen guten Eindruck hinterlassen. Thoma wurde lockerer, bemühte sich um Hochdeutsch – den Schwarzwälder Dialekt allerdings konnte er nie verleugnen. Warum auch? Die Heimat war ihm wichtig. Er konnte sich nie vorstellen, sie auf Dauer zu verlassen. Seine Wurzeln hatte er hier, seine Freunde, seine Familie. In seinem Haus etwas außerhalb von Hinterzarten versuchte er den Fremden zu entgehen, die auch Jahrzehnte nach den Triumphen ein Stück vom Gold erhaschen wollten – zu seinem großen Erstaunen. Dabei wusste Thoma sehr wohl, dass der Schwarzwald vom Tourismus lebt. Sein Beitrag war nicht zuletzt das Skimuseum, das er in Hinterzarten mit Hilfe der Gemeinde aufgebaut hatte. Bei Führungen war er in seinem Element, denn Skigeschichte war seine Leidenschaft. Brennend, so sagte er, habe ihn stets interessiert, wie der Skilauf den Strom der Urlauber im Schwarzwald so richtig in Gang gebracht hatte.
Die Nordische Kombination, einst der wichtigste Wettkampf des nordischen Skisports, verlangt Begabung in zwei Sportarten. Thoma war überragender Skispringer, besiegte wieder und wieder die Spezialisten. Thoma war aber auch ein ausdauernder, zäher Läufer, der bis zuletzt um jede Sekunde kämpfte. Er arbeitete hart an sich und erlebte bittere Niederlagen. Im Rückblick blieben nur gute Erinnerungen. Niemals spürte er einen bitteren Nachgeschmack, in einer Zeit Sportler gewesen zu sein, in der das große Geld noch nicht zu verdienen war. Es sei die schönere Zeit gewesen, fand Thoma, ohne Zwänge von Sponsoren und Medien, verpflichtet nur dem Verband, dem Veranstalter – und sich selbst. „Wir waren vogelfrei.“ Das zählte für einen, der gerne Holzfäller und Landwirt gewesen wäre – und doch Olympiasieger war.
Christiane Moravetz, Mai 2011
Literatur zu Georg Thoma:
Jauch, Gerd: Georg Thoma. Vom Hütejungen zum Skikönig. Freiburg im Breisgau 1990
Gustl Berauer: Georg Thoma. Frankfurt/M. 1961