Handball
Handball
Kempa gilt als bester Handballer seiner Zeit - besonders aufgrund seines Spielwitz und seiner Vielseitigkeit.
Auch als Trainer ist Kempa erfolgreich und gewinnt zahlreiche nationale und internationale Titel. Er entwickelt sich zum Pionier des Handballs und wird dafür u.a. mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Der Name Bernhard Kempa und die Sportart Handball sind seit Jahrzehnten eng verbunden. „Monsieur Handball“, wie er schon in den Fünfzigerjahren genannt wird und wie auch der Titel seiner 2007 erschienenen Biografie lautet, wird im Mai 2011 als lebende Legende seiner Sportart in die „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen. Der neunzigjährige ehemalige Oberstudienrat lässt auch bei der Medienpräsentation am Nachmittag und bei der Feierstunde am Abend des 20. Mai 2011 zur Aufnahme in die „Hall of Fame“ in Berlin all das erkennen, was ihn als Vorbild für Generationen von Sportlern, nicht nur im Handball übrigens, stets ausgezeichnet hat: Haltung, Bescheidenheit, Freundlichkeit, aber auch Stolz und Selbstbewusstsein. „Auch mit 90 immer noch frisch drauf...“, wie es ein Journalist in Anspielung auf Kempas Verein Frisch Auf Göppingen etwas salopp, aber sehr zutreffend formuliert.
Wie so viele andere erfolgreiche deutsche Sportler wird Bernhard Kempa in Oberschlesien geboren – im November 1920 in Oppeln, der historischen Metropole der Region. Die Stadt an der Oder ist eine Handballhochburg, wobei Handball in den Dreißigerjahren ein „Wurf- und Laufspiel auf dem großen Feld“ (wie beim Fußball) ist und auch mit elf Spielern je Mannschaft bestritten wird. Allerdings haben die Eltern von Bernhard Kempa und seinen vier Brüdern und zwei Schwestern keinerlei Verständnis für Sport, der die Kinder ja nur von Schule und Kirche ablenkt. So spielen die zwei älteren Brüder Georg und Richard heimlich in der Mannschaft des Postsportvereins Oppeln mit, während die drei jüngeren Gerhard, Achim und Bernhard als Zuschauer mitfiebern. Erst als Kollegen dem überraschten Vater zu den sportlich so erfolgreichen Söhnen gratulieren, kann im Alter von 15 Jahren auch die Handball-Karriere von Bernhard Kempa beginnen, dem zwei Jahre später der Sprung in die 1. Mannschaft des PSV Oppeln und danach auch in eine schlesische Auswahlmannschaft gelingt.
Der Krieg unterbricht die Handballträume der Kempa-Brüder. Bernhard überlebt den Russland-Feldzug 1941/42. Als der Krieg 1945 endet, ist er gerade in München als Soldat entlassen worden. Die Brüder Georg und Richard kehren nicht aus dem Krieg zurück. Als Erntehelfer bei einem Bauern in Aubing bei München schlägt Bernhard Kempa sich durch. Beim örtlichen Fußballverein spielte er als Torwart mit, was ja wenigstens etwas mit Handball zu tun hat. Es folgt der Kontakt zur Handballabteilung von 1860 München, wo er bald das Training leitet und mit seinem Team ein Jahr später südbayerischer Meister wird. Zugleich beginnt ein zweijähriges Sportstudium in München-Steingaden. Und außerdem kümmert sich Bernhard Kempa im Alter von 26 Jahren engagiert darum, die Familie wieder zusammenzubringen. Während die Eltern und eine Schwester in Oppeln leben, zieht Bernhard Kempa mit den Brüdern Achim und Gerhard sowie Schwester Anni nach Göppingen. Vereinsvertreter von Frisch Auf Göppingen haben das Talent der Handballspieler erkannt und ihnen einen großen Raum im Obergeschoss des Clubhauses zum Ausbau als Wohnung für alle vier angeboten. Es ist – im Jahre 1947 – die Geburtsstunde eines bedeutenden Abschnitts deutscher Handballgeschichte. Nach dem Tod von Vater Kempa 1949 in Oppeln kommen ein Jahr später auch Mutter Kempa und Schwester Teresa nach Göppingen.
Für Frisch Auf Göppingen und seinen Spielertrainer Bernhard Kempa, seit 1948 Sportlehrer an der Wirtschaftsoberschule Göppingen, beginnt der Aufstieg zur Handballhochburg in Württemberg – vom Meistertitel im „Ländle“ über die süddeutsche Meisterschaft bis zur deutschen Meisterschaft 1954 – auf dem Großfeld, aber auch schon in der Halle, wo Mitte der Fünfzigerjahre die Entwicklung des Handballs moderner Prägung mit sieben Spielern auf dem wesentlich kleineren Hallenfeld startet.
Als Mittdreißiger ist Bernhard Kempa einer der letzten ganz Großen im Feldhandball und einer der ersten Großen im Hallenhandball. Er gilt damals als bester und vielseitigster Handballspieler der Welt. Er wird 1952 und 1955 mit der deutschen Nationalmannschaft Weltmeister auf dem Feld, 1954 WM-Zweiter in der Halle. Beim WM-Sieg 1952 ist er Torschützenkönig. In 31 Länderspielen erzielt der Rückraumspieler 131 Tore.
Mit Bernhard Kempa als Spieler, Spielertrainer und Trainer wird Frisch Auf Göppingen zwischen 1954 und 1970 insgesamt neunmal Deutscher Meister (zweimal auf dem Feld, siebenmal in der Halle) und avanciert in dieser Zeit zur erfolgreichsten deutschen Mannschaft (unter anderem als erster deutscher Verein Europacupsieger 1960). Der Begriff „Kempa-Buben“ wird zu einem Synonym des Teams von Frisch Auf Göppingen.
Aber nicht die Tore, die Siege, die Titel sind das Entscheidende, was den unsterblichen Ruf des Handballästheten, -künstlers und -zauberers begründet. Es ist seine intelligente Spielweise, seine technische Vielseitigkeit, sein unnachahmliches Ballgefühl, sein taktisches Verständnis, sein unbändiger Spielwitz und nicht zuletzt seine Fähigkeit, Gegenspieler wie ein Magnet anzuziehen und dann den Ball einem freien Mannschaftskameraden zuzuspielen.
Mit einer ganz besonderen Art des Zuspiels geht er in alle Lehrbücher des Handballs bis in die heutige Zeit ein – dem sogenannten Kempa-Trick, ein Begriff wie etwa der Gienger-Salto am Reck oder der Fosbury-Flop der Hochspringer. Der 1954 erstmals ausgeführte Spielzug findet auch heute noch die Bewunderung des Handballpublikums in aller Welt. Bernhard Kempa schätzt, dass er den „Trick“ schon viele tausendmal erklären musste – Spielern, Trainern, Journalisten, Handballfans. Dabei lässt sich der „Kempa-Trick“ mit einem Satz darstellen: Spieler A passt einen Ball so in den Torraum, dass Spieler B den Ball im Sprung fangen und noch im Sprung aufs Tor werfen kann. Natürlich kann Spieler B den Ball im Sprung auch einem weiteren Mitspieler, der in den Torraum springt, zupassen, was dann eine Art „doppelter Kempa-Trick“ ist. Wenn der Pass gut gespielt wird und der annehmende Spieler zum richtigen Zeitpunkt abgesprungen ist, den Ball unter Kontrolle kommt und noch rechtzeitig im Flug aufs Tor werfen kann, bleibt den Verteidigern und dem Torwart praktisch nur noch die Rolle hilfloser Zuschauer.
Aber es würde Bernhard Kempa als „Monsieur Handball“ überhaupt nicht gerecht werden, seine Verdienste um die Entwicklung des Handballs auf solche „Tricks“, von denen er noch einige weitere auf Lager hat, zu reduzieren. Bezeichnender ist das, was 1957 in der französischen Sportzeitung „L’Équipe“ zu lesen ist: „Wir haben im Nationalen Sportinstitut in Paris schon viele Lehrgänge in verschiedensten Sportarten erlebt. Aber niemals sahen wir ein solches Phänomen wie ‚Monsieur Handball’. Bernhard Kempa ist wirklich die allererste Welt-Autorität im Handballsport. Jedes Mal, wenn er etwas erklärte oder eine Demonstration gab, herrschte eine Stille, wie man sie sonst nur in der Kirche gewöhnt ist. Dabei spricht Kempa gar nicht französisch. Aber seine Gesten sind so klar, dass der Dolmetscher leichte Arbeit hatte. Und wenn Kempa von der Rolle des Vortragenden in die Rolle des aktiven Spielers wechselte, ging ein Raunen durch die Halle.“
Bernhard Kempa festigt seinen Ruf als „Handball-Professor“ bei Einladungen zu Vorträgen, Seminaren und Lehrgängen in zahlreichen Ländern. Er erhält zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem auch die höchste deutsche Sportauszeichnung „Silbernes Lorbeerblatt“. Tore, Titel, Tricks – damit ist das Handballphänomen Bernhard Kempa aber immer noch nicht komplett. Denn auch für Wirtschaftszeitungen wie „Handelsblatt“ wird er 2002 ein Thema: „Kempa erlaubt Uhlsport, seinen Namen für eine neue Handball-Marke zu nutzen.“ Uhlsport-Chef Thomas Keppler: „Wir mussten gar nicht lange fragen.“ Denn Bernhard Kempa bezeichnet es als eine weitere Ehre, die ihm zuteil wird, dass Handballstars von heute seinen Namen als Markenzeichen auf den Trikots tragen. Der Einstieg in den Handball-Markt ist für das Balinger Unternehmen voll gelungen. Mit dem Namen Kempa kann man im Handball nicht viel falsch machen.
Aber Handball in all seinen Facetten ist dem Sportler Bernhard Kempa noch nicht genug. Denn als Mittvierziger beginnt er eine zweite sportliche Karriere – als Tennisspieler. Auch im Umgang mit dem Racket und dem kleinen Filzball besticht Bernhard Kempa durch sein unvergleichliches Ballgefühl und sein Spielverständnis. In den Seniorenklassen des nationalen und internationalen Tennissports sammelt Bernhard Kempa Titel als Dutzendware: 47 deutsche Meistertitel im Einzel, Doppel und Mixed, 34 europäische Titel – und einmal wird er sogar Weltmeister im Doppel. 1997 wählt ihn der Europäische Tennis-Verband zum „Spieler des Jahres“. Und so ist Bernhard Kempa gleich in zwei Sportarten zum Vorbild geworden – was ihm in dieser Form wohl niemand so schnell nachmachen wird.
Rolf Heggen, Mai 2011
Literatur zu Bernhard Kempa:
T. Kießling, M. Tilp, M. Schmiederer: Monsieur Handball: Bernhard Kempa. Die spannende Geschichte der Handball-Legende. Kirchheim 2007
B. Kempa: Ball ist Trumpf. Vaihingen/Enz 2000