Ski Nordisch
Ski Nordisch
1998 gelingt Sven Hannawald sein erster internationaler Erfolg: In Innsbruck springt er im Rahmen der Vierschanzentournee auf Rang zwei, in Bischofshofen gewinnt er.
Bei den Olympischen Spielen in Nagano gewinnt Hannawald mit dem deutschen Team Silber im Mannschaftsspringen.
Der erste große Triumph im Einzel: 2000 wird Sven Hannawald Skiflug-Weltmeister. Ein Titel, den er sich 2002 erneut sichern wird.
Der Grand-Slam: 2001/02 schafft Hannawald, was noch keinem Skispringer vor ihm gelungen ist. Er gewinnt alle vier Springen der Vierschanzentournee.
Entsprechend geht Hannawald als Favorit in die Wettbewerbe der Olympischen Spiele in Salt Lake City. Nach Silber von der Normalschanze liegt er auf der Großschanze in Führung. Im zweiten Durchgang stürzt er und verpasst die Medaillen.
Eine Goldmedaille gewinnt er dennoch: Mit Martin Schmitt, Stephan Hocke und Michael Uhrmann gewinnt er den Teamwettbewerb.
Es gibt diese besonderen Ereignisse, an die man sich auch noch viele Jahre später erinnern wird. Und man bringt Bilder damit in Verbindung. Der 6. Januar 2002 ist so ein Tag. Sven Hannawald hat gerade das Springen auf der Paul-Ausserleitner-Schanze in Bischofshofen gewonnen. Als erstem Skispringer ist ihm - ausgerechnet bei der 50. Austragung der Vierschanzentournee - gelungen, bei allen vier Wettbewerben Erster zu werden. Im Auslauf läuft sein Trainer Reinhard Heß auf ihn zu, zieht seine Kappe und verneigt sich vor einem großen Athleten. Nichts verdeutlicht mehr, dass Sven Hannawald in diesem Moment zur Legende des Skispringens geworden war.
Legendär wurden auch seine Rituale während dieser zehn außergewöhnlichen Tage, in denen in Deutschland eine Wintermärchen-Stimmung aufkeimte. Sven Hannawald auf allen Kanälen - im Fernsehen, im Radio, auf den Titelseiten aller Zeitungen, bei den Gesprächen im Freundes- und Kollegenkreis. Der Skispringer selbst versuchte dabei ruhig zu bleiben. Stereotyp antwortete er auf Fragen nach seinem Erfolgsrezept: „Ich mach einfach mein Zeug." Und grundsätzlich verzichtete er bei allen vier Springen auf die Qualifikation, so dass er immer mit der Startnummer 50 springen durfte. Seine Glücksnummer.
Später hat Sven Hannawald gesagt, dass er den abschließenden Wettbewerb in Bischofshofen wie in Trance erlebt habe. Er sei ganz langsam, Schritt für Schritt, die Stufen zum Anlauf hochgegangen, „nichts denken, nur noch meinen Sprung passieren lassen". Dann habe er kämpfen müssen, weil die Bedingungen mit einem Meter Rückenwind pro Sekunde schwierig waren. Doch er meisterte auch diese Schwierigkeit mit Bravour. Als er im Auslauf seine Ski abschnallte, leuchtete wieder die 1 auf der Anzeigetafel auf. Der „Grand-Slam“ war perfekt.
„Vier Schanzen, vier Springen, vier Siege - als Erster in der Geschichte habe ich das mit Abstand wichtigste Sportereignis eines Skispringers gewonnen", beschrieb er seine Leistung und zog einen großen Vergleich: „So muss es dem ersten Mann auf dem Mond gegangen sein." Hannawald nennt es seinen größten Erfolg. „Ich habe die Tournee schon immer an Nummer eins vor Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften gesetzt", sagte er nach dem Abschluss seiner Karriere.
Er hat alles erreicht. Wenige Wochen nach seinem Sieg bei der Vierschanzentournee wurde er in Salt Lake City auch Olympiasieger mit der Mannschaft. Gemeinsam mit Martin Schmitt, seinem Trainingspartner am Stützpunkt in Hinterzarten, hatte Hannawald Ende der 1990er Jahre das Skispringen verändert. Die beiden sprachen durch ihre Erfolge - Schmitt wurde vierfacher Weltmeister und gewann zweimal den Gesamt-Weltcup, Hannawald wurde zweimal Skiflug-Weltmeister - neue Fans an. Junge Mädchen kamen zum Skispringen, kreischten an den Schanzen und hielten selbstgemalte Plakate mit Aufschriften wie „Hanni - ich will ein Kind von Dir!" hoch. Skispringer waren nicht mehr nur einfach Sportler, sondern umjubelt wie Popstars. Aus dem simplen Sprunglauf war ein Event geworden.
Plötzlich fand auch das Privat-Fernsehen Skispringen attraktiv. „Skispringen sind Events, die jeder gesehen haben will und über die am nächsten Tag die ganze Nation spricht", sagte der damalige RTL-Chefredakteur Hans Mahr. Also kaufte er für seinen Sender die Fernsehrechte, inszenierte die Springen völlig neu. Im Mittelpunkt standen die deutschen Springer Hannawald und Schmitt. Quoten von 60 Prozent Marktanteil waren keine Seltenheit. Bis zu 13 Millionen Zuschauer vor den Bildschirmen bedeuteten Fußball-Niveau.
Sven Hannawald stammt aus einfachen Verhältnissen. Am 9. November 1974 wurde er in Erlabrunn im Erzgebirge in derselben Klinik geboren, in der auch die Skispringer Jens Weißflog und Richard Freitag das Licht der Welt erblickten. In der Nachbarstadt Johanngeorgenstadt wuchs er auf. Mit sieben Jahren nahm er an seinem ersten Skispringen teil. Im Alter von zwölf Jahren wechselte er in die Kinder- und Jugendsportschule nach Klingenthal. Und als dann seine Eltern und seine sechs Jahre jüngere Schwester Jeanette 1991 nach der Wende in den Westen zogen, ging er in Furtwangen auf das dortige Skiinternat. Nach der Mittleren Reife absolvierte er eine Ausbildung zum Kommunikationselektroniker. Im Trainingszentrum Hinterzarten übte er regelmäßig mit Nachwuchstrainer Wolfgang Steiert.
Während Martin Schmitt als Typ, der von seiner Athletik lebte, über einen längeren Zeitraum Sprünge auf höchstem Niveau abliefern konnte, gelang dies Sven Hannawald nicht. Das war ihm auch bewusst. Entsprechend agierte er. „Auf Saisonhöhepunkte wie Weltmeisterschaften oder die Tournee hinzuarbeiten, funktioniert sehr gut", sagte er damals, „eine ganze Saison aber auf absolutem Topniveau ist schon eher schwierig für meinen Körper." Er konnte sich mehr auf sein Fluggefühl verlassen. Je größer die Schanzen, desto lieber und besser. Gemeinsam mit seinem Coach Steiert versuchte er, an allen Stellschrauben zu drehen. Beim Material wie auch beim Körpergewicht. „Skispringen ist für mich immer ein Grenzgang, für den ich meine Limits voll ausreizen muss", sagte er. Doch gerade beim Gewicht überschritt er die Grenze. Oder genauer gesagt: Er unterbot das Limit. Ohne körperliche Substanz litt auch seine sportliche Form.
Als die großen Erfolge ausblieben, kippte die Euphorie, die Sven Hannawald zuvor durch seine Triumphe ausgelöst hatte, schnell. In den Schlagzeilen wurden Worte wie „Gummiadler" oder „Geier Sturzflug" verwendet. Dies schmerzte den sensiblen Springer ungemein. Dabei verkrampfte er immer mehr. „Ich hatte mich in einer Welt befunden, die nur aus mir und meinem perfekten Sprung bestand", gestand er. Im April 2004 gab sein Management bekannt, dass Hannawald am Burn-out-Syndrom leide. Nach erfolgreicher Behandlung gab er im folgenden Jahr beim Sommer-Grand-Prix in Hinterzarten seinen Rücktritt bekannt, weil er sich den Strapazen des Profisports nicht mehr aussetzen wollte. Stattdessen unternahm er Ausflüge zum Fußball und Motorsport.
Lange hat der Skispringer eine adäquate Tätigkeit nach seiner Sportkarriere gesucht. Gemeinsam mit einem Partner betreibt er inzwischen eine Agentur, die Unternehmen in betrieblicher Gesundheitsvorsorge berät. Hannawald hält dabei auch Referate, wie man mit Leistungsdruck umgehen kann. Im Winter bildet er mit seinem langjährigen Trainingspartner und Konkurrenten Martin Schmitt wieder ein eingespieltes Gespann - als Experte-Duo bei Eurosport beim Skispringen.
Ende Dezember steigt jedes Jahr bei Sven Hannawald die Anspannung. Kann einer seiner Nachfolger alle vier Springen der Tournee gewinnen? Doch was auch kommen mag - ein Bild wird ewig in Erinnerung bleiben: wie sich Trainer Reinhard Heß vor dem Skispringer Sven Hannawald verbeugt. Es ist so einmalig wie die Leistung.
Klaus-Eckhard Jost, Mai 2017
Literatur zu Sven Hannawald:
Biografie: "Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben", ZS-Verlag, 2013.