Kanu
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Bereits in jungen Jahren feiert Birgit Fischer große Erfolge. 1980 gewinnt sie ihre erste Goldmedaille bei Olympischen Spielen.
Nachdem Fischer 1984 vom Olympia-Boykott betroffen war, gewann sie 1988 gleich zwei Goldmedaillen. Vier Jahre später folgt der nächste Olympiasieg in Barcelona (Foto).
Fischer siegt bei jeder (!) ihrer Olympia-Teilnahmen von 1980 bis 2004 mindestens einmal - damit ist sie Deutschlands erfolgreichste Olympionikin.
Dem Journalisten macht sie es nicht leicht, „die Fischer“. Was soll man über sie schreiben, den personifizierten Rekord? Der Superlative fast exzessiv verbraucht hat in einer Laufbahn, die 1979 mit dem ersten Weltmeistertitel 17-jährig begann und erst 2008 – acht Olympiasiege und 27 WM-Goldmedaillen später – mit dem sportlichen Karriereabschied endete. Erfolgreichste deutsche Olympionikin, diese Referenz wird Birgit Fischer so schnell keiner nehmen, auch wenn sie nun nicht mehr den Schlag angibt auf den Regattastrecken der Welt. Birgit Fischer ist im besten Wortsinne das, was man heute „tough“ nennt. Für dieses englische Adjektiv gibt es im Deutschen durchaus unterschiedliche Übersetzungen. Die meisten treffen absolut zu für die Kanu-Jahrhundertsportlerin.
Nicht immer ist sie – in der DDR und dann auch in der Bundesrepublik – gut mit dem Grundsatz gefahren, erstmal quer zu denken, um dann schnurstracks geradeaus zu marschieren. Sie mag keine Retusche, sie will es pur. Immer und überall. Im Sport, im Beruf, in der Liebe, im Alltag. Birgit Fischer war stets eine mit Echtheitszertifikat. Nicht makel- und fehlerlos, eben kein Kunstprodukt. Auch das macht sie zur Ausnahmeathletin. Vermutlich umso mehr, je länger sie nicht mehr die anderen „Mädchen“ im Kielwasser hinter sich her zieht. Ihre Laufbahn ist außergewöhnlich, vielleicht einmalig. 14 Mal trug sie bei insgesamt sechs Olympischen Spielen ihr Boot zu Wasser. In einem einzigen Rennen blieb sie ohne Medaille – 1996 im Einer als Vierte. Sie ist Deutschlands erfolgreichste Olympionikin, obwohl sie 1984 wegen des Boykotts der DDR als Favoritin auf drei Goldene nicht in Los Angeles starten durfte.
Mehrfach hat sie ihre Laufbahn unterbrochen, zweimal sogar beendet, um sich dann später zu korrigieren. 1986 wurde Sohn Ole geboren, im Jahr darauf fehlte Fischer bei der WM in Duisburg und die erfolgsverwöhnte DDR blieb prompt ohne Frauen-Titel. Nach Olympia 1988 folgte der sportliche Abschied Nummer eins. Die Geburt von Ulla 1989 bot den geeigneten Vorwand, dem durchreglementierten Spitzensport Ade zu sagen. Der Spaßfaktor war weg. „Ich hatte schlichtweg keinen Bock mehr“, so Birgit Fischer. Dann kam die Wende. Für die Frau aus dem Potsdamer Armeesportklub, die ihre Majorsuniform der NVA als Sportinstrukteurin nicht oft tragen musste, veränderte sich das ganze Koordinatensystem ihres Lebens. Das Kardiogramm dieser Jahre hat extreme Ausschläge. Nach oben, nach unten. „Wichtig ist aber, was man daraus macht. Verloren hat nur der, der aufgibt“, sagte sie. Und probierte sich immer wieder neu aus. Machte den Abschluss als Diplomsportlehrerin, absolvierte diverse Praktika in Agenturen und beim Fernsehen, war Geschäftsführerin beim Landeskanuverband, Werbeberaterin, schließlich Nachwuchs-Bundestrainerin. 1999 begann sie noch einmal, trotz intensiver Vorbereitung auf die Olympischen Spiele von Athen, ein zweijähriges Fernstudium zur Sport- und Touristikmanagerin, um dann, 2004, endlich Chefin der eigenen Ein-Frau-Firma „KanuFisch“ zu werden.
Wem dieser Lebensgang unstet erscheinen mag, dem kann seine Folgerichtigkeit entgegen gehalten werden. „Ich brauche keine Ruhe. Ruhe bedeutet für mich Stillstand. Reisen und neugierig die Fremde erobern, immer etwas Neues entdecken, das ist meine Welt. Ich kann vom frühen Morgen bis zum späten Abend in Aktion sein“, ließ sie schon mehr als zwei Jahrzehnten ihre Umwelt wissen. Birgit Fischer hat sprichwörtlich Hummeln im Hintern. Erbgut ihrer Eltern, die vorlebten, dass es nicht vorwärts geht, wenn man selbigen nicht hoch bekommt. Vater Karl-Heinz, 1996 verstorben, war Elektromonteur in Schichtarbeit und ihr erster Kanu-Übungsleiter bei Stahl Brandenburg. Die Mutter hat mit vier Kindern noch ein Studium zur Pharmazieingenieurin gemacht. Der Wassersport war immer dabei, in Birgit Fischers Leben. Sie ist praktisch im Kanu aufgewachsen. Hat im Faltboot gesessen, ehe sie laufen konnte. Mit sechs Jahren fing sie im Verein an, mit sieben bestritt sie das erste Rennen – und kenterte. Wenn die Sonne scheint, ist Training wie Urlaub, sagt „die Fischer“, deren Name ein Alleinstellungsmerkmal geworden ist, bei dem jeder weiß, von wem man redet.
Mit 16 startete sie erstmals bei DDR-Meisterschaften der Leistungsklasse. Ein Jahr später war sie Weltmeisterin, ein weiteres darauf mit 18 Jahren und 158 Tagen nach dem Einer-Sieg in Moskau jüngste Kanu-Olympiasiegerin aller Zeiten. Als sie in Athen 2004 den deutschen Kajak-Vierer mit einem furiosen Endspurt-Stakkato zu Gold trieb, ergänzte sie ihre Statistik um den nächsten Superlativ: Mit 42 Jahren und 186 Tagen war sie nun auch älteste Kanu-Goldgewinnerin aller Zeiten! Dazwischen liegen 54 Medaillen bei Olympia, WM und EM. Nicht auszudenken, Birgit Fischer wäre ohne Unterbrechung – 1986, 1988 bis 1991 und noch einmal drei Jahre nach Sydney 2000 hat sie pausiert – durchgepaddelt. DOSB-Präsident Thomas Bach machte sie nach Athen zum Vorbild für die in vielen Disziplinen schwächelnden deutschen Athleten: „Da braucht es mehr Birgit-Fischer-Mentalität: Willen und Anspruch.“ Der einstige Bundestrainer Josef Capousek nannte sie ein Phänomen, „Birgit, das Paddel, das Boot und das Wasser sind eins.“
Wenn Birgit Fischer über das Paddeln redet, spürt man Leidenschaft, Wärme, Begeisterung. Gepaart mit Zielstrebigkeit und Ehrgeiz ergab das Erfolg. Den Sportplatz Natur möchte sie gegen kein noch so gestyltes Studio tauschen. Eingesperrt in Stadien oder enge Hallen, nein, danke! Paddeln, behauptet sie, das atmet man, fühlt man, genießt man. Unverfälscht, hautnah, intensiv. Und hängt suggestiv die Frage an: „Oder haben Sie schon mal einen Sonnenauf- oder -untergang in einer Sporthalle erlebt?“ Birgit Fischer mag Sonnenaufgänge. Am liebsten über dem heimischen Beetzsee. „Schaue ich aus meinem Fenster auf das Wasser, zieht es mich magisch an.“
Die Faszination des Urelements. Wasser steht auch im Zentrum von „KanuFisch“, dem Unternehmen der Selfmadefrau. Birgit Fischer hält Vorträge, bietet Mentaltraining für Manager und Paddel-Erlebnistouren für jedermann an, betreibt einen Bootsverleih. Sie sei jemand, der gut sein will, wenn er antritt, hat sie gesagt. Der seine Grenzen finden will. Nicht nur im Paddeln. Als sie 12 Jahre alt war, hat sie auf die Innenseite ihres Ledergürtels ein Motto geschrieben, dem sie die Treue gehalten hat: Liebe dein Leben ständig! Sie kennt keine Langeweile, liebt Herausforderungen. Verhaltensforscher würden sie als „Alpha-Tier“ beschreiben. Jene Gattung starker Persönlichkeiten, die Führung nicht lautstark reklamieren, sondern sie tatsächlich übernehmen. Von Birgit Fischer gehen Kraft und Energie aus. Sie hat sportlich Maßstäbe gesetzt, in zwei unterschiedlichen Systemen. „Ohne mein Comeback nach der Wende wäre ich, mit meinen damals 16 Weltmeister-Titeln und drei Olympiasiegen, wie so viele der herausragenden DDR-Athleten wohl heute vergessen“, merkt sie kritisch an.
Wider alle sportlichen Wirkungsgesetze fing sie Dezember 1991, mit fast 30 Jahren, wieder an – „Sportler im Sozialismus war ich lange genug, jetzt wollte ich mal sehen, wie das in der Marktwirtschaft funktioniert.“ 1992 gewann sie in Barcelona im besten Rennen ihrer Karriere olympisches Gold im Einer. Erst anderthalb Jahrzehnte, 14 Weltmeistertitel und vier Olympiasiege später war dann endgültig Schluss. Ein paar Monate vor Peking und wenige Tage vor ihrem 46. Geburtstag erklärte Birgit Fischer ihren Rücktritt vom Wettkampfsport. „Der Kopf hat über Lust und Leidenschaft gesiegt“, sagte sie. Was freilich nur halbwahr ist, denn „die Fischer“ tut nichts ohne Leidenschaft.
Und sie wäre nicht Birgit Fischer mit Echtheitszertifikat, wenn sie sich nicht auch weiterhin einmischen würde. Was sie ärgert, ist das Palavern darüber, wie unsportlich unsere Kinder sind, ohne dass wirklich etwas wirksam dagegen getan wird. Sie engagiert sich für „Keine Macht den Drogen“ und für den Naturschutzbund. Und wann immer Zeit bleibt, heißt es auch in Zukunft: Ab ins Boot, der Sonne entgegen. „Wer das Paddel nach der Karriere in die Ecke schmeißt, ist kein richtiger Kanute. Den waschechten Kanuten juckt es an jeder Pfütze.“
Klaus Weise, Mai 2008
Literatur zu Birgit Fischer:
Birgit Fischer: Mein Weg zum Gold. In 303 Tagen zum olympischen Triumph. Bielefeld 2006