Ski Alpin
Ski Alpin
1969 startet Christian Neureuther erstmals im Alpinen Skiweltcup. Seinen ersten Weltcupsieg feiert er 1973.
Nach seinem Karriereende 1981 setzt sich Neureuther für soziale Zwecke ein. So ist er u.a. Vizepräsident und Gründungsmitglied (1993) des Eagles Charity Golfclub.
Es gibt in Deutschland zweifelsohne Sportlerinnen und Sportler, die waren und sind erfolgreicher als Christian Neureuther. Wesentlich erfolgreicher. Mit einer ist er verheiratet: Rosi Mittermaier, „Gold Rosi“, zweimal Gold und einmal Silber bei den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck. Einer ist sein Sohn: Felix Neureuther, er hat mehr Weltcup-Rennen gewonnen als der Herr Papa und außerdem ein paar Medaillen.
Christian Neureuther hat keine Medaille gewonnen, und „für einen Sportler“, sagt er, „ist das der größte Makel“. Er gibt gerne zu, dass er deshalb selten bis gar nicht als eigenständige Person wahrgenommen wird. Er ist dann eben „der Mann von der Rosi“, die er voller Glückseligkeit als „das Wichtigste und Wertvollste“ bezeichnet, das „mir der Sport gegeben hat“. Oder er ist „der Vater vom Felix“. Und das, gibt er zu, „ist nicht so einfach“. Es ist nicht einfach – und vor allem: Es wird Christian Neureuther nicht gerecht.
Mancher wird vielleicht wissen, dass er mal ein erfolgreicher Ski-Rennläufer war, der immerhin die Slaloms in Wengen und in Kitzbühel gewonnen hat, was in anderen Ländern reicht, um den Status einer Legende zu erlangen. Bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen aber, da hatte er seine Nerven nicht im Griff. „Ich bin sensibel“, sagt er. Das ist nicht förderlich, wenn Kaltschnäuzigkeit gefragt ist. Deshalb: keine Medaillen. Makel. Makel?
Später, nach seiner Karriere, ist Christian Neureuther weiter im Fernsehen aufgetaucht: eine Zeit lang als Schiedsrichter bei der einst enorm populären Quiz-Sendung „Dalli Dalli“, beinahe drei Jahrzehnte als Experte bei Ski-Übertragungen oder als Testimonial in Werbespots für eine Margerine, in denen er einer Gruppe von Wanderern voranschritt - kaum verwunderlich, an der Seite seiner Rosi. Wer Christian Neureuther jenseits dieser Pfade begegnet, der könnte, ja, der muss sogar zu der Erkenntnis kommen: Dieser „Mann von ...“, dieser „Vater von ...“, dieser „wer war das noch gleich?“ hat es mehr als verdient, in der ersten Reihe zu stehen. Denn wenn es ihm nicht um die Menschen geht, die ihm alles bedeuten, geht es für Christian Neureuther im Allgemeinen und auch im Besonderen: um Sport. Sport könnte sein zweiter Vorname sein.
Christian Neureuther ist ein Kämpfer. Mit Leidenschaft, mit Herzblut engagiert er sich für all das Gute, für das Sport steht, für all die Werte, die „mal da waren“, und dass er „waren“ sagt, sagen muss, das bereitet ihm beinahe körperliche Schmerzen. „Wir dürfen“, fleht er, „den Sport nicht kaputt machen“, zugleich aber dämmert ihm: „Vielleicht haben wir ihn schon kaputt gemacht.“ Er kämpft auch gegen dieses „vielleicht“.
Werte. Welche Werte? „Das Wichtigste“, sagt Christian Neureuther, sei doch, „dass wir bei den Kindern die Freude an der Bewegung schaffen“ - egal welcher Art. Alles andere komme danach von ganz alleine. „Im Sport lernst Du die Regeln des Lebens kennen, du lernst Zusammenhalt, Fairness, Toleranz, aber auch, Dir Ziele zu setzen und zu kämpfen. Es gibt keine bessere Schule als den Sport.“ Nichts fördere die Persönlichkeitsentwicklung so wie der Sport. Für all jene, die es nicht wissen: Christian Neureuther lebt diese Werte, und seine Rosi und er ticken und sprechen ähnlich, wenn es darum geht, wie viel Gutes Sport bewirken kann – und wie „katastrophal“ doch diese anhaltende Entwicklung ist, dass es vielen, die einen Verband leiten, sei es national oder international, nicht mehr um den Sport und die Sportlerinnen und Sportler geht, erst recht nicht um die Kinder, „sondern nur ums eigene Ego“.
Christian Neureuther kann stundenlang darüber diskutieren, was er im Sport für richtig hält und was seiner Meinung nach falsch läuft. Und wer ihm zuhört, der stellt fest, dass er über den Sport und dessen Bedeutung für die Menschen, für die Gesellschaft spricht, als bewege ihn das Schicksal eines Familienmitglieds. „Ich lag auch oft falsch“, gesteht er, aber nie war und ist ihm abzusprechen, dass er das Beste will. Für die Sache. Für den Sport. Nicht für sich. So eine Einstellung wirkt naiv, zu idealistisch, wie aus der Zeit gefallen. Woher kommt sie? „Es kommt aus der Familie“, sagt Christian Neureuther. Dort seien „Werte und Engagements immer hochgehalten“ worden. Das hat abgefärbt, keine Frage. Entscheidend war auch, dass ihn die Eltern haben machen lassen. Neureuthers Vater war Arzt, also nahm auch der Sohn ein Medizinstudium auf – beendet hat er es nie. „Ich konnte ja nur im Sommer studieren“, erklärt er, „obwohl: Ich habe auch im Sommer nie studiert.“
Christian Neureuther wollte immer nur eines: Skifahren. „Ich hatte Gott sei Dank Eltern, die Verständnis hatten für ihren Buben: Sie haben mich das doch machen lassen.“ Er hat diese Erfahrungen übertragen auf die eigenen Kinder, er sähe sie gerne übertragen auf alle Kinder: „Das Entscheidende ist nicht, dass wir uns in den Kindern verwirklichen, sondern dass wir erkennen, wo unsere Kinder Talent haben, um sie genau dort zu fördern.“ Er selbst hat es mit seinem Talent dreimal zu Olympischen Spielen geschafft. 1976 und 1980 belegte er den fünften Rang, dazwischen den sechsten bei den Weltmeisterschaften 1978 im heimischen Garmisch-Partenkirchen. Er gehörte jahrelang zur Weltspitze im Slalom, gewann sechs Weltcup-Rennen, war zweimal Zweiter im Gesamtweltcup, aber der ganz große Erfolg, der blieb ihm versagt.
Naja, sagt er, „ehrlich gesagt, ist das manchmal schon eine Belastung“, dass er keine Medaille gewonnen habe, da frage er sich dann, warum er das nicht geschafft habe. Gut genug war er ja. Er gibt aber auch zu, dass er, von mangelnder Nervenstärke mal abgesehen, „mein Leben“, vor allem sein Sportlerleben, „manchmal vielleicht doch ein wenig zu locker genommen habe, um mir auch noch das Letztmögliche holen zu können“. Das ist heute ganz anders. Wenn Christian Neureuther heute etwas macht, dann aber richtig. Immer mit Leidenschaft. Immer mit Herzblut. Er hat sich ins Zeug gelegt für die Ski-WM 2011 in Garmisch-Partenkirchen und selbstverständlich auch für die Olympischen Spiele, die 2018 oder 2022 in München und damit auch in seiner Heimat hätten stattfinden können. Hätten stattfinden müssen, wenn es nach ihm, nach Christian Neureuther gegangen wäre.
Dass es ihm nicht gelungen ist, die Menschen für eine Bewerbung für 2022 zu begeistern, dass das Bürgerbegehren auch in seiner Heimat negativ ausfiel, „das war für uns, für die Familie, für mich, der da extrem sensibel ist, eine richtige Niederlage, da bin ich heute noch nicht raus“, sagt er. Er habe damals nicht verstanden, ergänzt Christian Neureuther, „warum die Leute, warum die Basis“ dagegen war. Heute ist ihm bewusst, dass „wir den Sport schon so kaputtgemacht haben, dass sich die Basis gar nicht mehr mit dem Spitzensport identifizieren will, dass wir deswegen in Deutschland keine Olympiabewerbung mehr durchbringen, weil sich der Mann auf der Straße nicht mehr mit dem abfinden will, was da oben passiert“. Über dieses „da oben“, das ist zu spüren, kann sich Christian Neureuther prima echauffieren. Konnte er schon immer. Er sagt es nicht, aber er denkt womöglich: Wären sie doch nur alle so wie ich. Zumindest ein bisschen. „Wenn du das Herzblut für den Sport nicht hast, dann kannst du die Menschen nicht erreichen, du kannst die Menschen nicht betrügen. Die Basis weiß genau, was abgeht.“ Wenn es um Sport geht, um Breitensport, um Spitzensport, um Olympische Spiele, dann, das klingt durch, müssen die Entscheidungsträger dieses Herzblut zeigen – sonst wird das nichts.
Aber im Sport, auch im deutschen, sagt, glaubt, bedauert Christian Neureuther, „haben wir zu wenig Menschen, die mit Herzblut dabei sind“. Einer wie er muss das in höchstem Maße als frustrierend empfinden. Und es klingt tatsächlich frustriert, wenn er feststellt, dass der Sport mittlerweile auch ein Spiegel für all das Schlechte ist, das auf dieser Welt zu finden ist, „und im Sport vielleicht noch extremer als anderswo“. Das schmerzt. Aber Christian Neureuther, der schon als 16-Jähriger gegen wichtige Leute im Deutschen Skiverband aufbegehrte, wenn sie seiner Meinung nach mehr an sich dachten als an den Sport und die, die ihn ausüben, dieser Christian Neureuther wäre nicht Christian Neureuther, gäbe er den Kampf um den Sport einfach auf. Er ahnt, dass er gegen Windmühlen kämpft, aber er betont mit einem zuversichtlichen Lächeln: „Ich bin ein Steher.“
Er tut, was er kann, um seine Botschaft unters Volk zu bringen. Gemeinsam mit seiner Rosi hat er Nordic Walking in Deutschland populär gemacht, allen ist er vorausmarschiert. Ja, er hat gut dabei verdient, keine Frage, und warum auch nicht? Aber, und das ist das Entscheidende: Er hat Menschen dazu gebracht, sich zu bewegen, auch jene, die geglaubt haben, sie würden auf der Couch alt werden, weil es keinen Sport für sie gibt. Zugleich hilft Christian Neureuther seinem Sohn Felix, der als Botschafter von „fit4future“, einer Initiative der Cleven-Stiftung, Kinder an Schulen buchstäblich in Bewegung bringen will. Die Idee, das Ziel – es bleibt gleich. Sport, bekräftigt Christian Neureuther, helfe bei der Persönlichkeitsentwicklung, fördere die Gesundheit, sei elementarer Bestandteil und wertvolles Gut einer funktionierenden Gesellschaft. Zugleich ist Christian Neureuther deshalb ein entschiedener Befürworter von Spitzensport und eben auch Olympischen Spielen. „Wir müssen über den Sport dafür sorgen, dass wir in der Gesellschaft alle mitnehmen, auch über Integration, über Inklusion“, betont er, fordert jedoch auch: „Mit dem gleichen Engagement müssen wir unsere Eliten fördern, das ist genauso wichtig für eine Gesellschaft.“ Denn: Die Kinder, um die es ja zunächst geht, brauchen Vorbilder, brauchen Ziele.
Auch Christian Neureuther ist ein Vorbild. Wohl deshalb hat er von der Jury 16 Jahre nach seiner Frau im Juli 2017 die Goldene Sportpyramide verliehen bekommen. Überraschend sei das, gesteht Rosi Mittermaier. Ja, sie hat ein wenig widerwillig mit abgestimmt, sie hat dann aber auch für ihren Mann votiert. „So eine Ehrung“, sagt sie mit hörbarem Stolz, „ist doch auch eine Bestätigung“, und sie glaubt: „Die Zeit ist reif für Menschen, die sich so einbringen.“ Christian Neureuther findet, es sei eine „mutige Entscheidung“, dass er auch ohne Medaillen ausgezeichnet wurde mit der Sportpyramide. Rosi Mittermaier entgegnet: „Eine Medaille ist doch kein Kriterium für einen Menschen, der Werte hat.“
Thomas Häberlein, Juli 2017
Literatur:
Rosi Mittermaier/Christian Neureuther: Nordic Walking. Droemer Knaur-Verlag. 2004.
Rosi Mittermaier/Christian Neureuther: Neuer Schwung für alle – Für alle, die die Freude am Skifahren (wieder) entdecken wollen. 1. Auflage. Nymphenburger-Verlag, München 2008.
Rosi Mittermaier/Christian Neureuther/Bernd Wolfarth: Die Heilkraft des Sports – mit Spaß und Freude mehr Gesundheit. Nymphenburger-Verlag, 2008.