Karl Adam

Rudern

  • Name Karl Adam
  • Sportart Rudern
  • Geboren am 2. Mai 1912 in Hagen/Westfalen
  • Todestag 18. Juni 1976 in Bad Salzuflen
  • Aufnahme Hall of Fame 2008
  • Rubrik 60er Jahre

Erfolgreichster Rudertrainer der Welt

* Diese Biografie wird aktuell wegen neuer, zeithistorischer Erkenntnisse von Expert:innen im historischen Kontext eingeordnet. Hierzu erfolgt anschließend eine entsprechende Kommunikation.

mehr lesen

„Ruderprofessor“ Karl Adam machte Ratzeburg und Rudern zum Synonym und verfestigte mit dem „Deutschlandachter“ die Weltgeltung der deutschen Rudertradition. Von ihm betreute Boote gewannen drei olympische Medaillen, davon zwei goldene im Achter, zwei Welt- und fünf Europameisterschaften, insgesamt 29 Medaillen bei Großereignissen.

Dass Adam, der nie selbst aktiv gerudert war, die Weltspitze in diesem Sport eroberte, begründet sich in seinen genialen Ideen, die den Rudersport in den 50er und 60er Jahren revolutionierten. Er führte ein spezielles Krafttraining ein, übernahm aus der Leichtathletik das Intervalltraining, regulierte Schlagzahlen und -rhythmus und verbesserte auch das Rudergerät, indem er neue Riemen und Ruderblätter für eine bessere Hebelwirkung konstruierte. Seine neuen Trainingsmethoden kamen auch anderen Sportarten zugute, seine Erkenntnisse gab er bereitwillig weiter, als Dozent war Adam weltweit gefragt. 

Unter anderem seine Tätigkeit ab 1939 als Dozent an einer Eliteschule des Nationalsozialismus ist ein Grund, warum Karl Adams Biografie aktuell von einer sporthistorischen Expertengruppe überprüft wird.

Karl Adam

Rudern

Größte Erfolge

  • Trainer des Achters bei den Olympiasiegen 1960 und 1968
  • 29 Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften

Auszeichnungen

  • Bundesverdienstkreuz
  • Ehrendoktor TH Karlsruhe (1972)
  • Ehrenbürger Ratzeburg
  • Goldenes Band der Sportpresse (1960)

Biografie - Der Schöpfer des Deutschland-Achters

Der Papst schickte den deutschen Ruderern, so schien es jedenfalls, einen Glückwunsch. Als der deutsche Achter am 3. September 1960 auf dem idyllischen Albaner See mit zwei Längen Vorsprung zu olympischem Gold geflogen war, läuteten von Ferne die Glocken von Castel Gandolfo, dem Sommersitz des Heiligen Vaters. Womöglich ein Zufall. Aber eine tiefe Zäsur in der Geschichte des Ruderns war dieser Tag ganz gewiss. Hatte die Mannschaft um Schlagmann Hans Lenk vor 20.000 Fans doch die seit 1920 bestehende Dominanz der USA gebrochen.

mehr lesen

Verantwortlich für den sagenhaften Aufstieg des deutschen Ruderns – auch der Vierer und der Zweier (jeweils mit Steuermann) gewannen Gold in Rom – war vor allem ein Mann, der, meist im Hintergrund sitzend, mit Sonnenbrille und Schiebermütze die Szenerie beobachtete: Karl Adam, ein Oberstudienrat aus Ratzeburg, der in kürzester Zeit mit neuen Methoden die Sportart revolutioniert hatte. „Adam hat einem neuen Ruder-Zeitalter die Tür aufgestoßen“, jubelte nach Rom die Süddeutsche Zeitung. „Von Euch können wir alle lernen“, staunte Stewart McKenzie, der australische Skuller, nach der Siegerehrung im Gewimmel am Bootshaus 9.

Begonnen hatte der märchenhafte Aufstieg Adams, der am 2. Mai 1912 in Hagen-Vorhalle geboren wurde, 1948 im lauenburgischen Ratzeburg. Dort beauftragte der Schuldirektor den Lehrer, die Ruderriege der Lauenburgischen Gelehrtenschule zu betreuen, die bis zu diesem Zeitpunkt, wie Adam berichtete, nur durch hohen Bierkonsum und nächtlichen Radau aufgefallen war. „Jedesmal, wenn ich diese Episode erzählen muss, ist mir ein wenig unbehaglich zumute: So wahr sie ist, so lügenhaft klingt sie“, erzählte Adam von den Anfängen.

Der Auftrag, betonte er, habe ihn keineswegs begeistert. Schließlich hatte er keine Ahnung vom Rudern. Er war Boxer gewesen – 1937 war er in Paris, bei allerdings nur drei Teilnehmern, Studenten-Weltmeister im Schwergewicht geworden. Aber als die Schule die ersten Skiffs anschaffte, ging Adam das Training mit der Nüchternheit eines Physik- und Mathematik-Lehrers an. Er kopierte das Intervalltraining, das Woldemar Gerschler in Freiburg für die Leichtathleten verfeinert hatte und das im Hamburger Frauenrudern bereits erprobt worden war. Und er ließ seine Schüler, was seinerzeit noch unüblich war, auch im Winter trainieren. 

„Die Riege begann mit Skifftraining, Intervalltraining und Krafttraining und mit der Scheibenhantel zu experimentieren“, berichtete er 1966. „Erste Erfolge im Schülerrudern stellten sich bald ein.“ Zudem stellte Adam jedes technische Detail auf den Prüfstand. So ersann er, die bisher schlanken Ruderblätter kürzer und breiter zu gestalten, was den Drehwiderstand des Ruders verringerte und die Antriebskraft des Bootes erhöhte – die Szene verspottete sie zunächst als „Schaufeln“. Zudem entwickelte er eine Form der „Gangschaltung“ für den Ausleger: Durch verstellbare Drehpunkte waren nun verschiedene Übersetzungen möglich.

Um Startrecht bei Regatten zu erlangen, gründete er 1953 den Ratzeburger Ruderclub – und seine Schützlinge feierten bald große Erfolge. Als Klaus von Fersen 1955 im Einer und im Zweier ohne Steuermann (mit Manfred Rulffs) die Deutsche Meisterschaft gewann, betrachtete die Elite des deutschen Ruderns das noch als Zufall. Aber als Rulffs und Walter Schröder 1957 im Zweier ohne erneut einen Meistertitel holten und 1958 der Vierer ohne Steuermann Deutscher Meister und sogar Europameister wurde, war vom „Ratzeburger Wunder“ die Rede.

Tatsächlich war das Tempo dieses Aufstiegs atemberaubend. Den Vierer hatte das Land Schleswig-Holstein dem Club erst 1957 zur Verfügung gestellt. Und auch der Achter, den Adam gemeinsam mit Trainer Karl Wiepke aus dem Kieler Club Ditmarsia erst im Frühjahr 1958 zusammengestellt hatte, schlug wie ein Blitz in die Ruderszene ein. Diesem Boot gelang auf Anhieb 1958 die Deutsche Meisterschaft, wiederholte diesen Sieg 1959 – und begründete kurz darauf den Mythos vom „Deutschland-Achter“.

Renngemeinschaften aus verschiedenen Vereinen zu bilden, war neu. Der „Ratze-Kieler“-Achter, der aus fünf Jugendlichen, zwei Erwachsenen und dem Rückkehrer Walter Schröder bestand, führte die Konkurrenz bei der Europameisterschaft 1959 in Mâcon förmlich vor. Die Zeit von 5:51,71 Minuten über die 2.000 Meter-Distanz war zuvor noch nie gerudert worden. Nicht nur die „Mâcon-Blätter“, wie sie nun hießen, lösten die bisherigen Gewissheiten des Leistungsruderns in Luft auf. Auch das Kampfgewicht der Bootsbesatzung (73 Kilogramm im Schnitt) war außergewöhnlich niedrig. Es war die überragende Technik, die 1959 dem Adam-Achter über drei Längen Vorsprung ermöglichte.

Zu den Prinzipien Adams gehörte, alle Achterkandidaten zunächst im Einer trainieren zu lassen. „Im Einer kannst du dich nicht verstecken“, sagte sein Schützling Schröder, es fördere Balance und Rhythmusgefühl. Wenn der Trainer die Crews zusammenstellte, flossen stets auch sozialpsychologische Faktoren wie Cliquenbildungen und Gruppendynamiken mit ein. „Die Struktur der Leistung ist auf allen Gebieten gleich“, hieß ein Leitsatz Adams. Für ihn war der Sport ein Symbol für das Leben und das Denken.

Anders als seine Vorgänger propagierte Adam das, was er „demokratischen Führungsstil“ nannte. Er ließ seinen Schützlingen also viele Freiheiten und setzte auf intrinsische Motivation. Inwiefern dies eine Konsequenz seiner eigenen Biografie war, muss offenbleiben. Jedenfalls war Adam, der 1931 nach dem Abitur in Münster sein Studium aufgenommen hatte, in der NS-Zeit kein Widerstandskämpfer. Als die gesamte Studentenschaft dort 1933 in die SA überführt wurde, protestierte er nicht. Später erzählte er Schülern wie Lenk, er sei so schnell wie möglich (Dezember 1934) in das Nationalsozialistische Fliegerkorps (NSFK) übergetreten, um der SA zu entkommen.

Nach einer Hilfstätigkeit im Institut für Leibesübungen in Münster (1933-1937) und dem Referendariat wechselte Adam indes im Juni 1939 als Lehrer für Physik, Mathematik und Sport auf die Nationalpolitische Erziehungsanstalt in Bensberg, also auf eine jener Eliteschulen, die den nationalsozialistischen Nachwuchs heranzüchten sollten. In diesen Napolas waren in der Regel nur überzeugte Nationalsozialisten tätig. Am 10. November 1939 beantragte Adam seine Mitgliedschaft in der NSDAP (Aufnahme: 1. Januar 1940).

Auch gab Adam als Religion „gottgläubig“ an, was einen Kirchenaustritt in der NS-Zeit dokumentierte und die Geschichtswissenschaft heute als ideologische Nähe zum Nationalsozialismus einstuft. Adam, der 1944 in der Normandie schwer verwundet worden war, nach dem Krieg in Wilster/Holstein landete und sich als Meiereiarbeiter, Torfstecher und Holzfäller durchschlug, wurde dennoch am 12. November 1947 im Spruchkammerverfahren als „Entlastet“ eingestuft – so dass er fortan in Ratzeburg als Lehrer arbeiten durfte.

Dem olympischen Triumph 1960 auf dem Albaner See folgten, stets in anderen Besetzungen, weitere grandiose Erfolge im Achter, so die WM-Siege 1962 und 1966 sowie das Olympia-Silber 1964 in Tokio. Auch vier weitere EM-Titel (1963, 1964, 1965, 1967) sammelte er mit dem Flaggschiff des Deutschen Ruder-Verbandes. Insgesamt siegten seine Boote 29 Mal bei Großereignissen. Die totale Überlegenheit des Achters aber ging allmählich verloren, weil Adam sein Herrschaftswissen gern teilte. Weltweit berichtete er in Vorträgen über seine Methoden. 

Sein Erfolgsgeheimnis sei schlicht, schrieb er 1966. Erstens sei das Trainingsrevier in Ratzeburg herausragend. Und zweitens: „In dem Augenblick, in dem der Ratzeburger Aufstieg begann, waren die Trainingsmethoden der Ruderer hinter denen anderer Sportarten weit zurückgeblieben. Diese Situation wurde in Ratzeburg konsequent und ohne Rücksicht auf ‚Tradition‘ ausgenutzt. Der Vorsprung, der sich daraus ergab, ist inzwischen verloren gegangen.“

Doch Adams letzter großer Triumph als Trainer, der Olympiasieg 1968 in Mexico-City, wurde ebenfalls erst durch eine innovative Vorbereitung möglich: Adam ordnete an, große Teile des Trainings auf dem Silvretta-See zu absolvieren, um die Höhe von Mexico zu simulieren. Ungeklärt ist, ob auch unlautere Mittel im Spiel waren. Als im westdeutschen Leistungssport eine Dopingdebatte entbrannte, vertrat Adam, wie erst 2012 bekannt wurde, in internen Debatten die Ansicht, jeder Athlet müsse selbst entscheiden, ob er Steroide einnehme oder nicht.

Nach Mexico-City trat Adam zurück – und kehrte 1972 noch einmal wieder, als die Erfolge ausblieben. Von einem Schicksalsschlag getroffen (seine Tochter starb mit 19 Jahren an Krebs), verschlechterte sich seine Gesundheit ab 1973 indes zusehends, so dass er im Februar 1976 die Leitung der Ratzeburger Ruderakademie abgab. Nur vier Monate später, am 18. Juni 1976, starb Adam im Alter von 64 Jahren in Bad Salzuflen während eines Kuraufenthalts. Sein Schüler Hans Lenk würdigte den Ruder-Professor später als großen „Trainingsmethodiker, Leistungsphilosophen und Allround-Pädagogen“. Auf jeden Fall hat der Tüftler und Autodidakt Adam tiefe Spuren hinterlassen und Rudergeschichte geschrieben. 

Erik Eggers, Dezember 2024

 

Quellen und Literatur zu Karl Adam:

Bundesarchiv: BArch_R_9361-IX_KARTEI_100419 (NSDAP-Mitgliederkartei)

Landesarchiv Schleswig, HA 115 LASH Abt. 460.14, Nr. 164 (Spruchkammer-Akten)

Karl Adam: Leistungssport – Sinn und Unsinn. München 1975.

Karl Adam: Leistungssport als Denkmodell. Schriften aus dem Nachlass. München 1978.

Dirk Andresen, Timo Reinke: Karl Adam – Der Vater des Deutschland-Achters. Ratzeburg 2012.

Hans Lenk: Leistung als Lebenssymbol: Karl Adams Leistungsphilosophie. In: Rudersport 96 (1978), S. 1202 f.

Helmut Sohre: Das Große Buch vom Sport. Stuttgart 1966.


Weitere Mitglieder der Hall of Fame

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Lenk

Mehr

Gustav Schäfer

Mehr

Dr. Thomas Lange

Mehr