Rudern
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Besondere Biografie
Hans Lenk wurde stellvertretend für den Bereich „Besondere Biografie im Einsatz für die Werte des Sports“ in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen.
Hervorzuheben ist zunächst die sportliche Laufbahn von Hans Albert Lenk, dem Schüler des „Ruderprofessors“ Karl Adam: Deutscher Meister, Europameister, Olympiasieger, Weltmeister-Trainer, der auch danach die olympischen Ideen in nationalen und internationalen Sportverbänden sowie in einer Sportphilosophie vertreten hat, die ihn häufig auch nach Original-Olympia auf akademischen Pfaden führte. Da ist der Mann des Vielfachstudiums Mathematik, Philosophie, Soziologie, Psychologie, Sportwissenschaft, Kybernetik mit einem Doktor und zwei Habilitationen. Das alles ist kein Dilettantismus, sondern umfassende und vielgestaltige Sachkunde und Reflexionskunst auf vielen Gebieten, immer perspektivisch geordnet und umsichtig zusammengeführt.
Hans Lenk ist der Mann der globalen Weite und des für viele verständlichen Wortes, der überall eingeladen und gehört wurde. Es ist nicht möglich, der Zahl seiner Gastprofessuren auf fast allen Kontinenten, seiner internationalen philosophischen und kulturellen Leitungsämter und Präsidentschaften, zuletzt auch das höchste akademische Welt-Philosophenamt (2005 bis 2008), sowie seiner Ehrendoktorate von Köln über Argentinien, Ungarn, mehrfach in Russland, seiner darüber hinaus gehenden nationalen – zuletzt das Große Verdienstkreuz des Bundespräsidenten 2005 – und internationalen Ehrungen gerecht zu werden. Von Preisen höchst differenter, aber stets höchst ehrenvoller Art überschüttet, von fünf zusätzlichen Ehrenprofessuren nicht erdrückt oder gebremst, hat er immer wieder aufs Neue angefangen, unerschöpft, zugleich unerschöpflich.
Hans Lenk, der Sportler und Sportphilosoph, steht auch für die philosophische Rehabilitierung der praktischen Klugheit. Er veröffentlichte unermüdlich zur Erkenntnistheorie, zur Sprach-, Moral- und Sozialphilosophie sowie zu Technik- und Wissenschaftsphilosophie. Er wird weltweit übersetzt und gelesen. Immer wieder befördert er nachdenklich die konkrete Humanität, die Fähigkeiten des Menschen zur kreativen Eigenleistung, die mehrschichtige Verantwortung als Eigenverantwortung, Mitverantwortung und Institutionen-Verantwortung. Es ist schwer, von Verantwortung im sozial- und moralphilosophischen Kontext zu sprechen, ohne ihn zu zitieren. Was er sagt, ist klug. Das kann man nicht von jedem Philosophen sagen. Er hat die Balance, das Gleichgewicht einer Weisheit, die nicht die Distanz, sondern die schwierige Nähe zu Problemen sucht, um dort mit umsichtigen Vorzugsregeln statt mit moralischen Keulen zu helfen. Leitspruch: „In dubio pro humanitate concreta“ (Im Zweifel für die konkrete Humanität, Praxisnahes Philosophieren, 1999). Was heißt das genau? Eine seiner Formulierungen lautet: „Jeder Mensch ist wichtig“. Oder wie es in einer alten Laudatio in Form eines Schüttelreimes heißt: „Des Selbstdenkers Lenk gedenk ich – und rat jedem: denk gelenkig“ (zitiert in Psychologie heute 2010).
Er ist ein Vorbild einer praktischen Philosophie, die ihre Verantwortung vor neuen Herausforderungen eines weltweiten Molochs, des Verbundsystems von Wissenschaft, Technik und Ökonomie, insbesondere der Ellenbogengesellschaft und des abstrakten, nicht auf Leistung, sondern auf (Finanz-)Spekulation beruhenden Erfolges, nicht scheut und sich ihnen nicht in die dünne Luft der Abstraktion entzieht, sondern mitten im Getümmel der Entsolidarisierung ihre kritische Stimme erhebt. So ist dies auch im Bereich des Sportes.
Der Stern des Ratzeburger Ruderers ist olympisch vergoldet und leuchtet nun im Gedächtnis an die römische Olympiade schon 50 Jahre. Der erfolgreiche Leistungssportler, der ebenso erfolgreiche Trainer, der sich dem Funktionärswesen im Sport nur kurz anschloss, ist nicht nur ein Weltstar der praktischen Philosophie geworden, sondern darüber hinaus eine moralische Institution, die man seit Jahrzehnten auch als „Frühwarnsystem“ angesichts der ansteigenden Verformung der von ihm vorgelebten und von ihm unnachsichtig behaupteten Sportideale wie konkrete Humanität, kreative Leistung und Fairness bezeichnen kann. Mindestens 20 Bücher hat er zum Sport und zur Sportethik geschrieben, auch darin von unübersehbarer Präsenz. Er ist „moderner Klassiker der Sportwissenschaft“ (so Courts-Meinberg, Klassiker der Sportwissenschaft, 2005).
Hans Lenk ist der Warner, der ein Frühwarnsystem für zweideutige Entwicklungen des Sportes förderte. Einer, der leider nur zu oft und zu leicht Recht behält. Schon am 23. März 1995 stellt die Frankfurter Allgemeine Zeitung heraus: „Verblüffend ist die ‚Trefferquote’ seiner frühen Warnungen vor Irrwegen, die aber schließlich doch den sportlichen Kurs bestimmten.“ Oder die Frankfurter Rundschau zum gleichen Tag, anlässlich seines 60. Geburtstages: „Der Querdenker machte sich in den Führungscrews des Sports nicht beliebt, weil er Wahrheiten aussprach, die wehtaten (und tun).“ Er schüttet aber dabei nicht das Kind mit dem Bade aus. Das muss man voraus schicken, wenn man einige seiner vernichtend klingenden Bemerkungen zustimmend zitiert.
So schrieb er 1988 in der Stuttgarter Zeitung (10. März 1988): „Im Zeitalter der Telekratie ist Olympias Weiterleben garantiert, (aber) als effektiv kommerzialisierter Artistenzirkus mit weltweiter Allpräsenz und Höchstpreisen garantierendem Nachfrageboom“ (Sportarchiv 2005). Er hat 2007 ein Buch über „Dopium fürs Volk?“ geschrieben; er ist weit davon entfernt, Doping und andere Gefahren bloß als ein innersportliches Phänomen und als eine bloß innersportliche Angelegenheit zu betrachten. Doping steht im Kontext von allgemeiner Medikalisierung, Kommerzialisierung und Reduktion auf Werbewelten und Event-Welten durch entsprechende Mediatisierung. Hans Lenk dazu bissig: „Wirb und werde!“
Und Hans Lenk fragte: „Hat der Einzelathlet überhaupt eine Chance, sich als Person und Rollenträger dem Zugzwang und der Verführung der telekommerziellen Ansprüche zu entziehen?“ Oder er äußerte in einem Interview von 1998 (DSB Presse 3. Januar 1998): „Die öffentliche Überbewertung des Sieges um fast jeden Preis, also das System selbst verstärkt die Zwickmühle des Athleten. Zumal es eine weit verbreitete Einstellung in der Gesellschaft gibt, dass nahezu jedes Mittel zur Erfolgssteigerung recht sei.“ Hans Lenk versteht Systemkritik zugleich als Mentalitätskritik: Wir haben das System, das wir wollen und verdienen.
Schon ist die auch im Sport sichtbare Krise der Werte oder die Vorbildkrise eine Krise, die in allen Bereichen der Gesellschaft von sich reden macht. Wie der interviewte Sportler oder die interviewte Sportlerin oft nur noch als domestiziertes Sprachrohr oder als Sprechblase der Systemzwänge erscheinen kann, so reden die Funktionäre in Sport und Gesellschaft meist das angesichts von übergreifenden Zwängen Erwartbare.
Hans Lenk, der vom Sport ohnehin nicht lassen kann, so wenig wie der biblische Jakob von dem Engel, mit dem er kämpft und den er ohne dessen Segen nicht loslässt, sagt keineswegs, der Sport sei ein krankes Wesen, er zeigt vielmehr, dass er von einer allgemeinen Krankheit befallen ist. Er spricht aber weiterhin „von einer humanen Basis des Spitzensportes“. Schon früh hatte er sich auf dieser Basis für unangemeldete Dopingkontrollen eingesetzt und er mahnt bis heute auf diesem Gebiet noch mehr Professionalität an, ohne sich der Illusion der völligen Beherrschbarkeit dieser Krankheit hinzugeben. Er ist ein Warner und kein Träumer.
Sein Hauptpunkt ist die Humanisierung des Leistungsbegriffes, die zum Gut Sport ursprünglich ebenso hinzugehört wie die schöpferische Erfassung und universale Ausbreitung des Fairness-Begriffes, der sich im Gewand der Gerechtigkeit als Tauglichkeitsmaßstab politischer Institutionen auf die gesamte Sozialethik ausgedehnt hat. Leistungsbereitschaft und Leistungsfreude als gesamtmenschliche Phänomene gehören in ein Bündnis der schöpferischen Ausdrucksformen des Menschen, unter anderem in ein Bündnis mit Kunst und Erziehung. Er sagte vor kurzem: „Eine Hauptaufgabe innerhalb einer neu zu entwickelnden ‚olympischen Philosophie’ wäre erfüllt, wenn man eine philosophische und psychologisch fundierte Anthropologie des Leistungshandelns und der leistenden Persönlichkeit erstellen könnte.“ Hans Lenk trägt selbst dazu bei – mit seinem Plädoyer für das von ihm erstmals erstellte Konzept der Eigenhandlung, Eigenleistung, Eigenmotivierung und Eigenverantwortung am Beispiel des Sportes und mit dem Leitbild des „mündigen Athleten“, das er geprägt hat. „Leben, Lieben, Leisten“ ist ein von ihm jüngst vorgeschlagener Wahlspruch. Er ergänzt ihn freilich um die Gelassenheit im Leisten, um die innere Distanz, um die menschengerechte Zielsetzung und um das diesem Ziel entsprechende Umfeld.
Dietmar Mieth
Auszug aus der Rede anlässlich der Verleihung des Ethikpreises des Deutschen Olympischen Sportbundes am 5. Mai 2010 in Berlin.
Literatur von Hans Lenk:
Hans Lenks Publikationsliste umfasst mehr als 120 Bücher, drei davon sind:
Hans Lenk: Ratzeburger Goldwasser - vom Lago Albano bis Lambarene: Ein philosophierender Olympiasieger erinnert sich. Bochum, Freiburg 2013.
Hans Lenk: Sport von Kopf bis Fuß(ball). Berlin, Münster 2010
Hans Lenk: Goldachter: 50 Jahre Olympiasieg. Berlin, Münster 2010