Kristina Richter

Handball

  • Name Kristina Richter
  • Sportart Handball
  • Geboren am 24. Oktober 1946 in Zwickau
  • Aufnahme Hall of Fame 2016
  • Rubrik 70er Jahre

Die beste Handballerin ihrer Zeit

In den 1970er Jahren galt Kristina Richter (geb. Hochmuth) in der Fachwelt als beste Handballspielerin der Welt. Die Rückraumspezialistin vom Berliner TSC gewann dreimal die Weltmeisterschaft, zwei Olympiamedaillen und drei Europapokal-Wettbewerbe.

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In der Jugend für Zwickau aktiv, kam Kristina Richter 1965 zum Berliner TSC. Ihr Länderspieldebüt in der DDR-Auswahl gab sie 1966. Ihre größten Erfolge im Nationalteam waren die WM-Titel in den Jahren 1971, 1975 und 1978. Bei den Olympischen Spielen 1976 in Montreal gewann sie mit der ostdeutschen Mannschaft Silber hinter der Sowjetunion, 1980 in Moskau folgte zum Karriereende Olympia-Bronze. Eine besondere Ehre war der Einmarsch als Fahnenträgerin des DDR-Teams bei der Moskauer Eröffnungsfeier. In 235 Länderspielen erzielte Kristina Richter 880 Tore. Mit ihrem Verein gewann sie neben vier DDR-Meisterschaften 1978 den Europapokal der Landesmeister (heute Champions League) sowie 1977 und 1979 den Europapokal der Pokalsieger. Nach Ende der aktiven Laufbahn betreute sie bis 2014 Nachwuchsmannschaften beim Berliner TSC – dem Verein, dem sie damit seit 50 Jahren die Treue hält.

Kristina Richter

Handball

Größte Erfolge

  • Dreimal Weltmeisterin (1971, 1975 und 1978)
  • Olympia-Silber 1976
  • Olympia-Bronze 1980
  • Siegerin Europapokal der Landesmeister 1978
  • Siegerin Europapokal der Pokalsieger 1977 und 1979
  • Viermal DDR-Meisterin (1974, 1977, 1979 und 1980)
     

Auszeichnungen

  • Fahnenträgerin der DDR bei den Olympischen Spielen 1980
  • DDR-Handballerin des Jahres 1980
  • Vaterländischer Verdienstorden in Silber und Bronze
  • Mitglied Ältestenrat Berliner TSC

Biografie

Krümel und Karlchen sind nur ein ganz kleiner Vorwand. Und Mitspracherecht hätten die beiden Katzen ohnehin nicht. Denn weite Reisen in den Urlaub lehnt Kristina Richter ab. „Warum sollen wir wegfahren?“, fragt sie und zeigt in das üppige Grün der Umgebung. „Wir haben doch alles hier, was man zur Erholung braucht: Ruhe, Landschaft, die Seen nicht weit weg“, zählt sie auf und nennt noch einen weiteren wichtigen Grund, die eigene Scholle zu bevorzugen: „Wir waren in unserem Leben so oft unterwegs. Da merkt man mit der Zeit, wie schön es zu Hause ist.“

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Zu Hause ist seit fast zwei Jahrzehnten der Flecken Summt, ein 700-Seelen-Örtchen an der nördlichen Stadtgrenze zu Berlin. Auf einem ruhigen Grundstück, direkt neben der geerbten Scholle von Dagomar Richter, baute sich die Familie nach überstandenen besitzrechtlichen Querelen im Schlepptau der deutschen Vereinigung die Bleibe, die erst zur neuen Heimat und mittlerweile zum Ruhesitz geworden ist. „Ich muss nicht verreisen. Ich gehe viel und gern spazieren, irgendwo durchs Grüne, um den See, Hauptsache in der Natur“, erzählt Kristina Richter über ihren Drang nach frischer Luft, nachdem sie ein Sportlerleben lang vorwiegend trockene Hallenluft atmen musste.

Das war allerdings die eigene Entscheidung, denn als Leichtathletin hätte die gebürtige Sächsin den freien Himmel viel öfter über sich haben können. Die Schülerin galt in Zwickau als großes Talent im Mehrkampf, zu dem sie jedoch auch, wie damals üblich, durch einen Zufall gekommen war. Als Elfjährige schaute sie auf dem Sportplatz einer Gruppe beim Hochsprung zu. Die Mädchen rissen im seinerzeit üblichen Scherenstil permanent die Latte. „Dann versuch´s doch, aber du kommst gerantiert auch nicht drüber“, neckte der Sportlehrer die verdatterte Viertklässlerin. Tina nahm einen kurzen Anlauf und landete ohne Lattenberührung auf dem Sandhügel.

Den kurzen Ausflug in die Leichtathletik beendete aber vor dem möglichen Höhenflug ihr 17 Jahre älterer Bruder Karl, der als Lehrer nach den Schulstunden eine Handballmannschaft betreute und oft vor dem Problem stand, sein Team vollzählig in die Halle zu schicken. Also musste Tina, obwohl viel jünger als die anderen, aushelfen. Und das machte nicht nur Spaß, sondern sie zeigte Talent. „Ich konnte sowieso nie stillsitzen, musste immer rumtoben, habe auf dem Hof mit den Jungs Fußball oder Fangen gespielt“, schildert sie die Kindheit, in der ihr erwachsener Bruder ebenso selten Zeit für sie hatte wie die in der eigenen Zwickauer Fleischerei beschäftigten Eltern.

Das Handballspielen machte so viel Spaß, dass sich die kleine Kristina Hochmuth der heimatlichen Betriebssportgemeinschaft „Aktivist Karl Marx“ anschloss. Der Beginn des Pädagogik-Studiums in Leipzig brachte dann einige Wirren, so dass die beste deutsche Handballerin aller Zeiten nicht in Sachsen blieb, sondern als Berlinerin in die sportlichen Annalen einging. Die Frauenmannschaft des SC DHfK wurde just in diesem Sommer 1965 aufgelöst, und das Vorspielen beim benachbarten SC Leipzig brachte den wohl größten Irrtum von Peter Kretzschmar zutage. Er schickte die später geniale Rückraum-Regisseurin mit der Bemerkung nach Hause, sie könne ja nur geradeauslaufen und nicht richtig Handballspielen.

Dieser Fauxpas ist ausgeräumt, auch wenn es ein paar Jahre dauern sollte. „Wir hatten irgendwann nach einer Feier mit der Nationalmannschaft mal was getrunken, und da hat mir Pit gestanden, dass er sich über sein früheres Fehlurteil sehr geärgert hat“, erklärt Kristina Richter die Friedenspfeife mit dem ersten deutschen Handballer noch vor Heiner Brand, der sowohl als Spieler wie als Trainer Weltmeister wurde.

Doch vereint war das Duo Kretzschmar/Richter nur in der Nationalmannschaft, die die Weltspitze beherrschte, dreimal den Weltmeistertitel gewann sowie Silber und Bronze bei Olympischen Spielen. Nach der Abweisung durch Peter Kretzschmar wurde nämlich Trainerkollege Kurt Lauckner hellhörig und lockt Tina an die Spree. Deshalb waren der Nationaltrainer und sie in ihren Vereinen Gegner, und mit dem TSC Berlin machte Kristina Richter dem dominierenden SC Leipzig viermal den Titel streitig und gewann zweimal den Europapokal. In 235 Länderspielen, eine für die damalige Zeit unglaubliche Zahl, erzielte sie fast 900 Tore. „Die Zahl wird immer mal anders angegeben. Ein Handballer kann ja selbst nicht darüber Buch führen, aber ein paar mehr als 880 sind es bestimmt gewesen“, erklärt die Frau, deren schönstes sportliches Erlebnis trotz vieler Erinnerungen an spannende Weltmeisterschaften jedoch nicht direkt auf dem Handballparkett stattfand.

1980 durfte Kristina Richter in Moskau als erste deutsche Mannschaftssportlerin überhaupt zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele die Fahne der DDR ins Stadion tragen. „Ich konnte das erst nicht fassen. Wirklich ich? Das war Wahnsinn. Aber überhaupt: Olympische Spiele sind was ganz Einmaliges“, schwört sie heute noch auf die Wettbewerbe unter den fünf Ringen. „Da siehst du die ganze Vielfalt des Sports, triffst im olympischen Dorf Leute, die du nur aus dem Fernsehen kennst und rätselst manchmal, wer das ist. Also, Olympia ist wirklich das Größte“, legt sie auch dreieinhalb Jahrzehnte nach ihren zweiten Spielen immer noch kategorisch fest.

Nicht nur, weil Olympia und die Ehre als Fahnenträger so außergewöhnlich schön waren, beendete Kristina Richter mit der Bronzemedaille von Moskau ihre internationale Laufbahn. Doch als Nachwuchs-Trainerin ihres Stammvereins TSC zog es sie immer wieder zum Ball. Und so kostete es wenig Überzeugungskraft, Tina 1986 zu einem Comeback beim aufstrebenden Verein SV Berliner Verkehrsbetriebe zu überreden. „Es hat einfach noch zu viel Spaß gemacht. Und ehrlich: Der Ball lockte noch unheimlich“, gesteht sie im Rückblick. Und so kam es, dass die dreimalige Weltmeisterin noch 1992 in der 1. Bundesliga spielte und dabei fünf Jahre älter war als ihr damals aktueller Trainer bei BVB.

Mit dem in jener Saison knapp verpassten Klassenerhalt in der Beletage verabschiedete sich die Berliner Ikone jedoch endgültig vom Punktspielbetrieb. Es folgte erneut eine Zeit der Ungewissheit, Kristina Richter pendelte zwischen Trainerjob und einer ABM-Stelle als Übungsleiterin beim chronisch finanziell klammen TSC. Auch mit der später begonnenen Anstellung als Lehrerin in der Gemeinde Glienicke führte sie ihre handballerische Aufbauarbeit bei dem zwischen zweiter und dritter Liga pendelnden Traditionsverein fort und ist deswegen besonders traurig, dass die Zusammenarbeit im Dezember 2013 durch den Club auf brüske und sportlich unfaire Art beendet wurde. „Ich war seitdem nicht mehr in der Halle und habe mir auch erst im April in Altlandsberg wieder ein Spiel des TSC angeschaut“, gibt das Ehrenmitglied des Vereins zu.

Die zahlreichen Stunden Sportkonsum vor dem Fernseher heben den heutigen Handball in den Augen von Kristina Richter zwar von dem in ihrer aktiven Zeit ab, aber nicht zum Positiven. „Klar, es ist alles umheimlich schnell geworden. Deswegen stehen die Schiedsrichter oft in der Kritik, Außenwürfe sind meistens abgestanden und Schritte werden kaum noch geahndet. Aber das Spielerische ist völlig verlorengegangen, und das Geschehen mutiert zur Kraftfrage.“ Taktisch spielen alle Mannschaften das Gleiche, was in ihren Augen eine Ursache hat: „Die Spieler kennen doch kaum noch Vereinstreue. Wo mehr Geld gezahlt wird, da gehen die besten von ihnen hin, und die Clubs verpflichten ständig neue Ausländer. Also studieren alle Teams die gleichen Varianten ein, um die Integration der Profis in die immer neu zusammengewürfelten Mannschaften zu erleichtern.“

Diese Ansicht beschränkt sich vorwiegend auf den Männer-Handball, da die Nationalmannschaft der Frauen wie deren Spiele der Bundesliga scheinbar von einem Fernsehboykott betroffen sind. Deswegen betrachtet sie die Punktspiele der Männer aus dem Blickwinkel der Trainerin und kommt zu dem vernichtenden Urteil: „Bis auf Ljubomir Vranjes in Flensburg, der sich da ganz klar heraushebt, hat taktisch kaum einer richtig was auf dem Kasten, spielen auch die Spitzenteams im Angriff ihren Einheitsbrei“, sagt sie, schließt aber Bundestrainer Dagur Sigurdsson nach seiner Vorstellung bei der Europameisterschaft in Polen nicht in dieses Urteil ein. „Er hatte sicher eine Menge Glück. Aber taktisch war er auf jede Partie ausgezeichnet vorbereitet. Das muss die Mannschaft nun aber bestätigen.“

Den Fernseh-Konsum ihrer Sportart bewältigt die Exweltmeisterin meistens mit Ehemann Dagomar, den sie 1972 in Berlin geheiratet hat. „Der ist noch verrückter als ich“, sagt sie leise lachend und meint damit das Nicht-loslassen-Können vom Sport. Während die Handballerin sich seit fast drei Jahren auf die Passivität beschränkt, betreut der langjährige Radsporttrainer auch als 78-Jähriger noch eine Handvoll Jugendlicher in Berlin. Das sei heutzutage viel schwerer, weil sich die Eltern dauernd einmischen und erklären, wie ihr Filius schneller in die Spitze vorstoßen würde.

„Das habe ich beim Handball nun hinter mir“, sagt Kristina Richter und meint das mittlerweile durchaus ehrlich. Auch wenn Sohn Sascha mit Familie und der fünfjährigen Enkelin Franziska aus dem Thüringischen nach Meinung von Oma und Opa zu selten zu Besuch kommt und auch Tochter Angela mit Lehrerberuf in Tangerhütte und der eigenen Familie ausgefüllt ist: „Ich habe immer zu tun. Das Haus ist groß und der Garten soll ja auch ordentlich aussehen. Das Unkraut wächst schneller als alles andere“, schildert sie. Sie kann jetzt viel Lesen und sich auch mal auf ein Wochenende freuen, das früher mit Punktspielen und Videostudium ausgefüllt war. Und wenn Dagomar bei einem Versandhaus Blumenpflanzen bestellt, dann muss Kristina die in die Erde bringen, während er zu seinen Radsportlern fährt. Wo soll da noch Zeit sein, um in Urlaub zu fahren?

Hans-Christian Moritz, Juli 2016


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