Armin Hary

Leichtathletik

  • Name Armin Hary
  • Sportart Leichtathletik
  • Geboren am 22. März 1937 in Gersweiler bei Saarbrücken
  • Aufnahme Hall of Fame 2011
  • Rubrik 60er Jahre

Erster Sprinter in 10,0

Armin Hary lief als erster Mensch die 100 Meter in 10,0 Sekunden. Im Züricher Letzigrund gelang ihm am 21. Juni 1960 die Sensation: Nach einem angeblichen Fehlstart legte er 35 Minuten später im Wiederholungslauf die 100 Meter erneut in der neuen Weltrekordzeit zurück – und das auf einer Aschenbahn. Zweieinhalb Monate später gewann der Doppel-Europameister von 1958 auch Gold bei den Olympischen Spielen in Rom über die 100-Meter-Strecke (10,2 Sekunden) sowie in neuer Weltrekordzeit in der Sprintstaffel mit Bernd Cullmann, Walter Mahlendorf und Martin Lauer (39,5 Sekunden). Die zuerst ins Ziel gekommene US-amerikanische Staffel war wegen eines Wechselfehlers disqualifiziert worden.

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Armin Harys sportliche Laufbahn währte nicht lange: Nach einer Knieverletzung bei einem Autounfall sowie einem Streit mit Funktionären samt nachfolgender Sperre durch den Deutschen Leichtathletik-Verband beendete er im Mai 1961 seine Karriere.

2004 gründete Armin Hary eine Initiative zur Förderung jugendlicher Sporttalente (AHA-F), die bundesweit auf kommunaler Ebene lokale Sportvereine und Unternehmen zusammenbringt, um aus den einzelnen Kommunen je drei Sporttalente aus sozial schwacher Umgebung zu fördern.

Armin Hary

Leichtathletik

Größte Erfolge

  • Olympia-Gold 1960 über 100 Meter und mit der 4 x 100-Meter-Staffel
  • Europameister 1958 über 100 Meter und mit der 4 x 100-Meter-Staffel
     

Auszeichnungen

  • Bundesverdienstkreuz (2008)
  • Sportler des Jahrhunderts im Saarland (2000)
  • Wahl zu Deutschlands Läufer des Jahrhunderts (1999, Sportmagazin Kicker)
  • Silbernes Lorbeerblatt (1958, 1960)
  • Goldenes Band der Sportpresse (1960)

Biografie

Seine Epoche mag der Vergangenheit angehören – abgeschlossen ist sie nicht. In Deutschland hat Armin Hary keinen Nachfolger gefunden. Der „Läufer des Jahrhunderts“, von den Sportjournalisten im Jahre 2000 dazu gewählt, bleibt eine einmalige Erscheinung – der Öffentlichkeit auf seltsame Art und Weise fremd, inzwischen fast schon mythisch fern. Richtig verstanden wurde er nie, seine Leistungen umgab lange der Hauch des Zweifels. Und das in der gnadenlos unbestechlichen Leichtathletik, geeicht auf Zentimeter und Zehntel.

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Nie richtig akzeptiert, geschweige denn gewürdigt wurde auch seine Überlegenheit. Als überforderte sie sein Publikum. Sie reichte, ihn mit Jesse Owens zu vergleichen, und sie führt gelegentlich heute noch dazu, ihn als Usain Bolt seiner Zeit einzustufen; sie reichte indes nie, ihn zum Maßstab zu erheben, an dem selbst Owens wie Bolt gemessen werden. Es langte nicht einmal dazu, dass Manfred Germar an ihm gemessen wurde. Germar war der Liebling seiner Zeit; er blieb im Sprint – getreu deutscher Anhänglichkeit – das Maß der Dinge, Hary der fremdelnde Emporkömmling, der sich „was traute“: Germar zu schlagen, die Funktionäre in ihre Schranken zu verweisen, sich – und das in den biederen 50er Jahren – eine ungenormte Lebensführung zu genehmigen, vor allen aber, sich für nichts und vor niemandem zu rechtfertigen.

Ein Unbotmäßiger, dieser Saarländer, ein Außenseiter im Zeitalter des deutschen Wirtschaftswunders, da man gemeinsam in die Hände spuckte, dem sich erst mit seinem letzten Großauftritt als „Triumphator von Rom“ der Eintritt in die Mitte der Gesellschaft öffnete. Mit seinem allerletzten, zugleich größten Lauf in der Staffel, einem schier atemlosen Rennen, gewann er nicht nur die zweite Goldmedaille, sondern rannte damit gleichzeitig eine Phalanx von Vorurteilen über den Haufen, er sei unkameradschaftlich, egoistisch und nie wirklich an der Staffel interessiert gewesen. Dieser wie von allen Nöten befreite Sprint vor aller Welt im Fernsehen war es, der die Menschen endlich mitriss. Dennoch ist er immer irgendwie der Schattenmann geblieben – er trat zu früh zurück –, allerdings einer, an dem man fortan nicht mehr vorbei kam.

Weltberühmt (oder berüchtigt, je nachdem, auf welcher Seite Harys man damals stand) hatten ihn seine „10,0“ am 21. Juni 1960 in Zürich gemacht. Wie üblich gingen sie nicht ohne das für Hary typische Drama über die Bühne, das man stets ihm anlastete. Andererseits zwang man ihm dadurch immer neue Superlative ab. Das Misstrauen, das ihm ständig entgegen schlug, stachelte ihn eher an – allerdings sein Leben lang. So musste er diese 10,0 dreimal laufen – das erste Mal 1958 in Friedrichshafen –, ehe sie einmal anerkannt wurden. Hary hatte diese 10,0 abrufbereit in den Beinen wie die Callas das Hohe C in der Kehle. Er lieferte mindestens ein halbes Dutzend 10,2-Läufe unter widrigsten Bedingungen ab, die bei besserem Wetter gern 10,0 wert gewesen wären – ganz abgesehen davon, dass Hary eigentlich immer nur auf Sieg lief, so überlegen, wie er war. Zürich war die große Ausnahme; da wollte er es wissen.

Herausgekommen als Weltrekord ist dann – ironischerweise – nicht sein bester Lauf. Der erste, der annullierte, war eine volle Zehntel schneller. So sonnt sich Zürich in dem Ruhm, den ersten 10,0-Lauf der Welt gemanagt zu haben; es hätte aber bei etwas mehr Gottvertrauen sogar der erste 9,9-Lauf sein können. 43 Jahre nach Zürich, im Jahr 2003, gab ein Kampfrichter gegenüber Armin Hary zu, er habe seinerzeit sogar 9,8 gestoppt, es aber nicht gewagt, diese Zeit im Kreis seiner Kollegen publik zu machen. Hary war es egal. Er wollte nur den Weltrekord und den hatte er, wenn auch wie immer bei ihm erst nach wochenlangem Streit und schlaflosen Nächten. Abgesehen davon, erscheinen ihm bis heute 10,0 „schon von der Zahl her reiner, ästhetischer, eingängiger“.

Es war ein spätes historisches Glück, dass Longines und Omega, Weltunternehmen in Sachen Schweizer Präzision, die Läufe 20 Jahre danach noch mal unter die Lupe nahmen – mit modernsten Methoden. Untergegangen in der weltweiten Aufregung um diese Läufe war, dass beide Sprints parallel zur Handzeitnahme zusätzlich inoffiziell „elektrisch“, wie es noch hieß, mitgestoppt wurden (wie übrigens schon das Sprint-Finale 1932 bei den Olympischen Spielen von Los Angeles). Der erste Lauf, der annullierte, wurde mit 10,16 Sekunden gemessen, der zweite mit 10,25 (sie galten, wiewohl inoffiziell gestoppt, unter elektronischen Bedingungen bis 1971 offiziell als Deutscher Rekord). Abzüglich der 24 Hundertstel – inzwischen als durchschnittliche Abweichung von Handzeitnahmen anerkannt – entsprechen 10,16 also 9,9 und 10,25 glatten 10,0 – ein Kompliment für die Zeitnehmer dieses Laufes; keins aber für das Kampfgericht insgesamt. Den ersten Lauf abzuwürgen, war nämlich falsch, als auch Omega wie 1960 schon der Starter an Harys Reaktion keinen Fehler entdecken konnte.

Es war auch nicht unbedingt nur der „Hary-Start“, der die Welt ständig in Zweifel stürzte – es war seine ungeheure Beschleunigung, die Kraft in den Oberschenkeln („die Kraft eines Ochsen“, wie Germar es nannte), die Hary der Konkurrenz davonfliegen ließ, wiewohl sein Reaktionsvermögen nach Versuchen bei Professor Reindell in der Freiburger Universitätsklinik ebenfalls extraordinär kurz gewesen sein muss. Siegen ließ ihn aber seine Antrittsstärke plus seine Nerven aus Stahl. Was der römische Endlauf bewies, wo Hary den Startblock als Vorletzter verließ, eben aus Angst vor den ihm ewig aufgebürdeten Fehlstarts. Und doch lag er auch hier bei 35 Metern gut anderthalb Meter vorne. Diese „Kraft eines Ochsen“ hatte er sich durch knallhartes Gewichtstraining mit Schlusssprüngen diagonal durch die Hallen von Leverkusen bis ins kalifornische Bakersfield erworben – dorthin war er 1959, „fertig mit den Funktionären“, geflüchtet –, als die deutschen Kugelstoßer wie Hermann Lingnau sich über Hanteltraining noch totlachten.

Er war der perfekte Athlet, schon seit 1958 unter Bert Sumsers kameradschaftlicher Mithilfe. Sein Leben war auf Sport schon abgestellt, als Asse wie Germar oder Martin Lauer noch ernsthaft studierten. Zum Vollprofi mit dem Einkommen von heute reichte es trotzdem nicht. Wohl aber zu allen Gipfeln im Sprint. Dass Germar ihm 9,8 zugetraut hätte, ihn im Gespräch mit dem Autor sogar in die Nähe von 9,7 (auf Asche, wohlgemerkt) gerückt hat – für Hary alles nur Nebensache. Er trat nach Ablauf einer lachhaften Spesen-Sperre wegen 70 Mark kühl kalkuliert am 1. Mai 1961 zurück – jetzt zum Entsetzen der Funktionäre, die natürlich weiter auf Medaillen wie Rekorde von ihm gebaut hatten.

Hary lebt heute – akzeptiert und angekommen – mit seiner Familie samt Hund, Katze und Riesengarten in Bayern. Der Mann vom Jahrgang `37, der sein sportliches Genie für seinen Aufstieg aus kleinen Verhältnissen nutzte, engagiert sich seit Jahren für talentierte Kinder aus sozial benachteiligten Schichten – in der von ihm gegründeten Armin-Hary-Förderung.

Als Sprinter war er im wahrsten Sinne des Wortes ein Bahnbrecher. Nicht nur sein Pech, aber seins ganz besonders, war es, seine Leistung in der Steinzeit von Kommunikation und PR erbracht zu haben. Armin Hary heute – als Sprint-Olympiasieger? Der Boulevard müsste neue Großbuchstaben erfinden. Sein Lauf hatte etwas von der Leichtigkeit eines heiteren Gedankens; völlig anders, als wenn Usain Bolt die Gerade herunternagelt.

Diese Kunststoffbahnen wie aus „Samt und Seide“ sind es, die es ihm angetan haben: „Einmal darauf gelaufen – das wäre es gewesen.“ Unüberhörbar der Seufzer über die verpasste Chance – wie auch dieser: „Viermal ganz oben gestanden (in Stockholm und Rom), doch die Nationalhymne nie gehört.“ Sie war in der gesamtdeutschen Mannschaft jener Tage nicht durchzusetzen.

Die Würdigungen kommen jetzt: 2009 erhielt er das Bundesverdienstkreuz, im Sommer 2011 ehrte Quierschied seinen berühmtesten Sohn mit der „Armin-Hary-Straße“.

Knut Teske, Mai 2011

Literatur zu Armin Hary:

Armin Hary: Mein Gold für Deutschland. Eine personalisierte Zeitgeschichte von Armin Hary. Adlhausen 2014
Der Reinerlös des Buchverkaufs kommt über die Armin-Hary-Förderung banachteiligten Kindern und jugendlichen Sporttalenten zwischen 4 und 12 Jahren zugute: www.mein-gold-fuer-deutschland.de

Knut Teske: Läufer des Jahrhunderts. Die atemberaubende Karriere des Armin Hary. Göttingen 2007


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