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Rennrodeln
Rennrodeln
1992 gewinnt Georg Hackl in Albertville seine erste olympische Goldmedaille (Foto: picture alliance).
Bereits zwei Jahre später kann er diesen Titel mit Gold in Lillehammer erfolgreich verteidigen (Foto: picture alliance).
1998 gelingt ihm in Nagano schließlich der Hattrick aus drei aufeinander folgenden Olympiasiegen (Foto: picture alliance).
2002 verpasst Hackl seinen vierten Olympiasieg mit Silber hinter seinem italienischen Konkurrenten Armin Zöggeler knapp. Dennoch wird ihm als Fahnenträger der deutschen Mannschaft bei der Abschlussfeier eine große Ehre zuteil (Foto: picture alliance).
Noch im selben Jahr wird er Trainer des Bob- und Schlittenverband für Deutschland und steht den deutschen Rodlern um Felix Loch mit Rat und Tat zur Seite (Foto: picture alliance).
Seinem Ruf als perfektionistischer Tüftler wird Hackl auch als Trainer gerecht (Foto: picture alliance).
Doch auch abseits seiner eigentlichen Bühne weiß Hackl zu überzeugen - so z.B. als Seriensieger bei Stefan Raabs Wok-WM (Foto: picture alliance).
Seit 2012 ist Hackl außerdem als Trachtendesigner aktiv und bringt seine Modelle unter „Schorsch Hackl“ auf den Markt (Foto: picture alliance).
„Er ist Weltklasse in und neben der Eisröhre. Er ist bescheiden, charakterfest, lässt sich nicht verbiegen. Er ist ein Tüftler mit fast schon philosophischen Gedanken. Er hat seinen Sport aus dem Nischendasein geholt und als Leistungs-Sport etabliert.“ Er – das ist Rennrodler Georg „Schorsch“ Hackl, eine Legende im wahrsten Sinne des Wortes. Und die Einschätzung kommt von einem renommierten Kollegen: Josef „Sepp“ Fendt. Der 73-jährige Berchtesgadener, zweifacher Weltmeister (1970 und 1974) und 26 Jahre lang Präsident des Internationalen Rodel-Verbandes (FIL), hat Hackls kometenhaften Aufstieg genau verfolgt.
Wir sind am Königssee im Winter 1976. Rodel-Bezirksentscheidung der bayerischen Schulen. Am Start auch Georg Hackl. Er ist zehn Jahre alt und Schüler in der Christopherus-Schule Berchtesgaden. Dort gehörte Rodeln zum Sport-Unterricht. „Schorsch“, wie sie ihn in Bayern alle nennen, überrascht in seinem ersten Rennen mit Platz 2. Er verfällt dem Rausch der Geschwindigkeit. Der Start einer unfassbaren 18-jährigen Welt-Karriere.
Der Schlitten wurde wichtiger als die Schule. „Die Noten waren mittelmäßig“, sagte er einmal. „Mir war in meiner Jugend die Wichtigkeit des Lernens und die strategische Vorgehensweise nicht bewusst.“ Nach der Mittleren Reife verließ er die Schule und begann eine Schlosser-Lehre. „Das hielt ich für meinen Sport sehr sinnvoll.“ Das traf auch auf den Dienst bei den Gebirgsjägern, den er als Stabsfeldwebel in der Sport-Kompanie („mein größter Förderer“) beendete, zu.
Seine Eltern unterstützten ihren Filius soweit es ging. Vater Georg arbeitete als Maurer auf dem Bau und später als Hausmeister am Gymnasium. Mutter Annemarie war Schneiderin. Da musste gespart werden. Schorsch erinnert sich nur an einen Urlaub mit den Eltern in Südtirol. „Was Kinder heute erleben dürfen, davon war ich weit entfernt.“ Glücksgefühle fand er in den heimischen Bergen, die er in jeder freien Minute „hochkraxelte“. Im Sommer zu Fuß und im Winter auf Langlaufski.
In der Saison 1987/88 begann für Hackl, inzwischen Profi, der Höhenflug: Olympisches Silber im kanadischen Calgary. Danach bewegte er sich 18 Jahre lang, wie er selber sagte, in einer „Blase“. Winter im Eiskanal, Sommer in der Schlitten-Werkstatt. Und da kam ihm die Ausbildung zum Schlosser zugute. Im Gegensatz zum alpinen Rennsport, wo in manchen Disziplinen bis zu 25 Paar Ski pro Saison zur Verfügung stehen, gibt es im Rodelsport keine Unterstützung durch Firmen. Da bauen sogar Stars wie Hackl ihre zwei bis drei Schlitten selbst. Auch ihr Heiligstes – die Kufen. Und die wurden ihm ausgerechnet bei der Heim-WM 1999 am Königssee zum Verhängnis. Im ersten Lauf zu wenig „Griff“ am Eis, Sturz und aus der Traum. Hackl damals tief enttäuscht: „Auch ein Genie kann mal danebengreifen.“
Es gibt aber keinen Zweifel, dass Hackl den Schlittenbau perfektioniert hat. Sechsmal bei Olympischen Winterspielen am Start, fünfmal hintereinander Medaillen in
Silber – GOLD – GOLD – GOLD – Silber
sprechen für sich. Aber bei 33 Weltcup-Siegen nur zwei in der Gesamt-Wertung? Dazu spricht der Tüftler selbst: „Ich habe jedes Jahr meine Schlitten auf den Saison-Höhepunkt ausgerichtet. Ich war nie einer, der ad hoc Entscheidungen treffen konnte. Ich musste mich von langer Hand auf ein bestimmtes Ereignis vorbereiten.“ Da passten im Saison-Verlauf Sport-Gerät und Eisröhre nicht immer optimal zusammen. Aber die wenigen Rückschläge waren eingerechnet, um die ganz großen Ziele zu erreichen.
Akribisch ausgetüfteltes Material, mentale Stärke und ein kühler Kopf führten zu der Erfolgs-Welle. Dabei halfen dem Bayern zwei Weisheiten:
Setze dir ein Ziel und mache dir Gedanken, was du in der Praxis tun musst, um es zu erreichen.
Der Umgang mit Niederlagen ist ein lehrreicher Wegweiser und zwingt dazu, deine Performance zu überdenken. Richtige Schlüsse ziehen, dann kann eine Niederlage auch ein gutes Ergebnis sein.
Wie nah Triumph und Tragödie manchmal zusammenliegen, musste Georg Hackl am 28. Dezember 2001 an seiner Hausbahn in Königssee erleben. FIL-Präsident Josef Fendt überreichte ihm gerade den Pokal und einen 8.000 DM-Scheck für den Sieg im Supercup - da brach wenige Meter daneben sein Vater Georg zusammen. Herzinfarkt. Im Krankenhaus konnte nur noch der Tod festgestellt werden. Georg Hackl sen., der seinen Sohn auch zum Schlittenbau animiert hatte, wurde nur 62 Jahre alt. Sieben Wochen später widmete Schorsch in Salt Lake City seine Olympische Silber-Medaille unter Tränen seinem geliebten Papa.
Turin 2006, seine sechsten Olympischen Winterspiele, sollten der Abschluss einer überragenden Karriere sein. Doch auf dem Weg nach Italien wurde Georg Hackl zum Sorgenkind. Sein letzter, der 33. Weltcupsieg datiert vom 16. Januar 2005. Im September Bandscheiben-Operation, dann Nerven-Entzündung in den Armen – an Training war lange nicht zu denken. Aber der Ehrgeiz trieb das deutsche Aushängeschild weiter. Immer weiter. Bis nach Turin. Dort endete der Traum von der sechsten Medaille bei den sechsten Spielen an der fehlenden Arm-Kraft beim Start. Nach Platz 7 trat er im Alter von 39 Jahren zurück.
Das Rodel-Fieber blieb. Hackl wollte seinen Sport weiter entwickeln. Im April schrieb er sich in der Trainer-Akademie in Köln ein. Der Start war ein Albtraum. Hackl machte große Augen, als die Studien-Kollegen alle mit einem Computer unter dem Arm antraten. Er hatte von diesen Geräten keine Ahnung. Weder, wie man sie einschaltet, noch wie man sie bedient. Er setzte sich mit gespitztem Bleistift in die erste Reihe. Mit dem Gedanken: „Hackl, das schaffst du nie“. Dann erinnerte er sich an den Leitsatz seines Vaters: „Auch mit wenig Möglichkeiten kannst du Großes schaffen“ und beendete das Studium 2009 als Jahrgangs-Bester mit der Note 1,1.
Mit dem Wissen aus Renn-Erfahrung, Material-Optimierung und Theorie tritt der als „Eigenbrötler“ verschriene Berchtesgadener aus der „Blase“ heraus und beginnt eine neue Laufbahn als Trainer für Fahr- und Schlittentechnik beim Deutschen Verband (DBSV). Mit einem noch nie dagewesenen Erfolg. Sieben Gold-Medaillen bei den Olympischen Winterspielen 2014 und 2018. Nur ein Fahrfehler von Felix Loch im letzten Lauf in Pyeongchang verhinderte den totalen Gold-Rausch. „Ich bin am Ball geblieben und habe die Zeichen der Zeit nicht übersehen“, sagte Hackl. „Ich habe bewiesen, dass ich es auch im Team kann. Es macht mich stolz, dass meine Sportler mit meinen Schlitten diese Erfolge eingefahren haben.“
Aber auch außerhalb des Eiskanals machte der Medaillen-Schmied von sich reden. 2002 zog er mit den meisten Stimmen für die CSU in den Kreisrat ein. 2008 und 2014 wurde er bestätigt. In der Welt der Politik fühlte sich die Sport-Ikone nicht wohl. Als Perfektionist war er es nicht gewohnt Allianzen zu schmieden oder Kompromisse einzugehen. „Aber es waren lehrreiche Jahre“, urteilte der „Politiker“, der es bedauert, dass es trotz seines Einsatzes nicht gelungen ist, die Olympischen Winterspiele 2018 nach Bayern zu holen.
Ein Zusatz-Einkommen sichert sich Hackl – man höre und staune – als Designer für Trachten-Mode. Der eingefleischte Bayer hat eine Kollektion mit Loden-Jankern und Strickjacken entworfen, die unter dem Namen „Schorsch Hackl“ vertrieben werden. „Alles aus hochwertigem Material“, sagt Hackl, den man ohne bayerische Tracht gar nicht kennt.
Seine Erfahrungen im Sport setzt Hackl auch im normalen Leben um. Durch die Optimierungen des Schlitten-Materials hat er gelernt, immer das Optimum herauszuholen. Und beim Sinnieren kam der Naturbursche auf Erneuerbare Energie. „Wer Hirn hat, darf nicht aufhören diese Kraftquelle immer wieder zu propagieren“, weiß er. „Wir brauchen einen Mix aus Wind-, Sonnen- und Wasserkraft sowie Biogas, das eine Schlüsselrolle spielt.“ Folgerichtig engagiert sich Hackl als Botschafter für Biogas.
Innovativen Ideen aufgeschlossen, charakterfest, bescheiden, heimatverbunden und dem „Roten Teppich“ eher abgeneigt. Das sind die Prinzipien, nach denen einer der erfolgreichsten Sportler lebt. Für die Urlaube mietet er gern ein Wohnmobil. „Das gibt Freiheit, Unabhängigkeit“, begründet er. „Ich bin kein Luxus-Mensch.“ Zwei Wochen auf Gran Canaria am Meer liegen wären für ihn Zeitverschwendung. Da frönt er lieber seiner neuen Leidenschaft – dem „Ausritt“ auf dem E-Mountainbike.
Wenn Schorsch manchmal mit seiner Lebensgefährtin Kornelia zu Hause auf dem Sofa sitzt, fällt sein Blick immer mal wieder auf eine kleine Ton-Figur auf dem Kamin. Und die Erinnerung an sein erstes Rodel-Rennen flammt auf. Vor der Sieger-Ehrung betrachtete er mit den Schul-Kameraden die Sach-Preise und hoffte, dass er das „greisliche Manderl“ mit dem Spaten nicht bekommt. Aber gerade der Preis blieb für seinen 2. Platz übrig. Das „Ding“ wanderte gleich in den Keller. Viele Jahre später sah Manager Rudi Größwang seinen Athleten in der Schlitten-Werkstatt beim Feilen. Er sagte: „Auf deinem Grab-Stein steht mal 'Arbeit war sein Leben'“. Da erinnerte sich Hackl an die Figur. „Eine lange Zeit ist vergangen, aber der Arbeiter mit der Schaufel, der sich den Schweiß von der Stirn wischt, ist geblieben“, philosophierte Hackl. „Da wusste ich erst auch kleine Dinge richtig zu schätzen.“
Herbert Jung, November 2020