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Leichtathletik
Leichtathletik
Bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona siegte Henkel bei ihrem dritten Versuch mit 2,02 Metern und holte sich so die Goldmedaille. (Foto: picture alliance)
Im gleichen Jahr wurde sie, zusammen mit dem damaligen Olympiasieger über 5.000 Meter Dieter Baumann, zum "Sportler des Jahres" gewählt. (Foto: picture alliance)
Bereits in ihrer sportlichen Laufbahn setzte sich Henkel aktiv gegen Doping ein - hier beispielsweise während der Olympischen Spiele in Barcelona, bei denen sie ein Shirt mit der Aufschrift "Athletics without Doping" trug. Im gleichen Jahr wurde sie für ihren Einsatz und ihre Haltung mit der Fairplay-Trophäe des Verbands Deutscher Sportjournalisten geehrt. (Foto: picture alliance)
Heute ist die ehemalige Athletin als Mentaltrainerin tätig und gibt Motivationsworkshops. Auch ehrenamtlich engagiert sie sich in vielfältiger Weise: So war sie von 2001 bis 2005 Gründungsmitglied im Vorstand der NADA und setzt sich unter anderem für die McDonald's-Kinderhilfe und die Kinderhilfe Organtransplantation ein. (Foto: picture alliance)
„Du springst jetzt da drüber“, hatte Heike Henkel (heute: Meier-Henkel) in einer der kniffligsten Situationen ihrer gesamten Karriere ganz energisch zu sich selbst gesagt, „du bist nicht hierhergekommen, um so nach Hause zu fahren.“ Es war ihr dritter Versuch über 1,97 Meter bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona, bei den ersten beiden war die Latte jeweils heruntergefallen. Also die letzte Chance, im olympischen Hochsprung-Wettbewerb zu bleiben. Im Gegensatz zu den Spielen vier Jahre zuvor in Seoul, als sie bei 1,92 Metern dreimal riss und damit in der Qualifikation hängen blieb, hatte sie dieses Mal ihre ganze Erfahrung ausgespielt und ihren Willen durchgesetzt: Der dritte Versuch gelang, sie blieb im Wettkampf und wurde Olympiasiegerin.
Es war unter anderem das frühe Ausscheiden von Seoul 1988, das Heike Henkel danach vier ausgesprochen erfolgreiche Jahre erleben ließ. Niederlagen gehören zum Sport, und wer ein Großer oder eine Große werden will, lässt sich davon nicht aus der Bahn werfen, sondern nutzt sie, um daraus zu lernen. Genau das hat sie getan. Natürlich war sie damals traurig, auch wütend auf sich selbst und alle Begleitumstände, aber bereits bei der Abreise war ihr klar: „Das passiert mir nicht noch einmal.“ Noch einmal bei so einem Wettbewerb unter Wert geschlagen werden? Nein. Sie war dabei, als die erfolgreichen Olympioniken von Seoul ihre Medaillen feierten, und „da ist nochmal der Funke auf mich übergesprungen. Ich wusste, das will ich auch erleben.“ Der Blick ging gleich in die Zukunft mit der Frage, was sie nun ändern muss. „Ich wusste sofort, dass das im Kopf passieren muss“, sagt sie heute, „ich hatte ja gut trainiert, ich habe meine Leistung gebracht, das in Seoul war eindeutig Kopfsache.“
Vier Jahre später war eine andere Athletin am Start. „Ich habe gelernt, mich mit positiven Bildern aus gelungenen Wettkämpfen zu motivieren“, sagt sie, „ich war in der Lage, mir bildlich den Wettkampf vorzustellen, wie ich in ihn hineinging, wie ich anlief, ich habe das alles live im Kopf erlebt, so realistisch wie möglich.“ Diese Fertigkeit hat sie im Lauf der Zeit so verfeinert, dass sie sich die Höhen vorgestellt und reale Zahlen vor sich gesehen hat. Beim Hallen-Weltrekord von 2,07 Metern hatte sie die 2,10 vor Augen. „Ich war so weit, dass ich manchmal am Ende nicht mehr unterscheiden konnte, war das jetzt echt oder nur vorgestellt. Aber auf jeden Fall wollte ich das, was ich mir vorgestellt hatte, auch im Stadion zeigen.“
Dass aus ihr eine so erfolgreiche Hochspringerin werden sollte, war zunächst nicht zwingend absehbar. Denn eigentlich wollte die junge Heike Redetzky, so ihr Mädchenname, unbedingt Zirkus-Akrobatin werden. „Ich fand das als Kind toll, Akrobatik am Trapez, Fliegen, Leichtigkeit, Eleganz.“ Weil das mit dem Zirkus aber nicht so einfach war, ging sie zum Turnen, um dort allerdings relativ rasch festzustellen, dass sie bei ihrer Größe keine ideale Turnerfigur besaß. Ihr Lehrer Thomas Thal hat sie dann überredet, es mit Leichtathletik zu versuchen, was erst mal auf wenig Begeisterung stieß – der Traum galt ja dem Turnen und der Akrobatik.
Aber irgendwas musste ein bewegungsfreudiges Kind wie sie ja machen, und so ging sie eben hin zum TSV Kronshagen, wo der Bruder des Lehrers, Matthias Thal, das Training leitete. Gleich zu Beginn hatte sie dort die Hochsprunganlage entdeckt. „Ich wusste damals gar nicht, dass Hochsprung zur Leichtathletik gehörte, in der Schule gab es nur laufen und werfen oder stoßen. Das hat mir gleich gut gefallen, es war ein bisschen akrobatisch, und man musste nicht viel laufen.“ So begann eine große Karriere. Schul- und Vereinssport ergänzten sich, die Teilnahme bei „Jugend trainiert für Olympia“ mit der Reise nach Berlin zum Finale sieht sie im Rückblick als wichtige Station in Sachen Motivation. Die erste Olympiateilnahme 1984 hat sie noch beim TSV Kronshagen, dann mit Trainer Frank Beckmann, geschafft. Danach wechselt sie nach Leverkusen zu Meistertrainer Gerd Osenberg, der schon Heide Rosendahl und Ulrike Meyfarth auf dem Weg zu ihren Olympiasiegen begleitet hatte.
Damit kommt Ulrike Meyfarth ins Spiel. Die Begegnung mit ihr ist eine der wichtigsten Stationen auf ihrem Weg nach oben. „Dass ich mit ihr nach Los Angeles fahren durfte, hat mir einen riesigen Impuls gegeben“, sagt sie. „Ich habe mit ihr trainiert, ich habe ihren Wettkampf live erlebt, da passiert was mit einem. Ich kannte sie, sie war mir nahe, und somit wurde so etwas auch für mich möglich. Ich habe ja gesehen, so viel anders ist der Mensch gar nicht, der hier Olympiasieger wurde.“ Einmal hatte sie die Olympiasiegerin zu diesem Zeitpunkt sogar schon besiegt, direkt vor den Spielen bei der Deutschen Meisterschaft, als beide 1,91 überquerten, Ulrike Meyfarth sich aber einen Fehlversuch mehr geleistet hatte. „Ich hatte das erst gar nicht mitbekommen. Ich war so überwältigt, dass ich die Olympia-Qualifikation geschafft hatte.“ Aber irgendwann kam der Sieg über die große Favoritin auch in ihrem Kopf an: „Wenn man so eine große Hochspringerin schlägt, wächst man noch ein paar Zentimeter.“
Der positive Einfluss von Top-Sportlern gerade in jungem Alter ist das, was Heike Meier-Henkel heute „meine Geschichte“ nennt. „Mir hat es einen enormen Aufschwung gegeben, als ich fest zur Nationalmannschaft gehörte. Das hat mich weit nach vorne gebracht. Der Erfolg ist dann eher vorstellbar, wenn man mit erfolgreichen Menschen so eng zu tun hat.“ Da ist sie wieder, die Kopfsache, die auch bei ihrem ersten Zwei-Meter-Sprung von Belang war. „Das ist eine richtige Grenze. Das muss man sich auch zutrauen,“ sagte sie. Dabei hat ihr erster Mann Rainer Henkel eine wichtige Rolle gespielt. „Der war ja schon Doppel-Weltmeister. Das hat mir das richtige Gefühl gegeben, denn den kenne ich ja nun wirklich gut. Bei mir hat sich festgesetzt, dass der das geschafft hat, also kann ich das auch schaffen.“
1989 war es so weit, die zwei Meter waren überquert. Aber ausruhen auf so einem Erfolg? Weit gefehlt. „Ich wusste sofort, dass es nicht reicht, das einmal zu überspringen, wenn ich wirklich in die Spitze wollte. Und so bin ich das auch angegangen. Ich wollte in jedem Wettkampf über zwei Meter springen. Ich denke, deshalb bin ich es auch so oft gesprungen.“ Sogar sehr oft und in sehr vielen Wettkämpfen, vor allem auch in großen und wichtigen. Nie hat es eine Athletin geschafft, in drei aufeinanderfolgenden Jahren alle Titel zu gewinnen: Europameisterin 1990, Weltmeisterin 1991, Olympiasiegerin 1992.
Die großen Erfolge waren das eine, Haltung zeigen das andere. Im gleichen Jahr, in dem sie Olympiasiegerin wurde, haben die deutschen Sportjournalisten sie nicht nur zur „Sportlerin des Jahres“ gewählt, sondern der Verband Deutscher Sportjournalisten hat ihr auch den Fair-Play-Preis des deutschen Sports für ihr Engagement gegen Doping verliehen. „Das war mir sehr wichtig mit dem Fair-Play-Preis“, sagt sie heute, „dass auch das wertgeschätzt wurde.“ Denn sie war damals eine der wenigen, die sich zum Thema Doping äußerten und schärfere Kontrollen forderten. Sie trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „To be top without doping“ und machte damit ihr Anliegen öffentlich, was nun nicht bei allen auf Gegenliebe stieß. Die Bestätigung Gleichgesinnter war ihr sicher, Athleten aus mehreren Ländern sagten ihr, sie fänden das super, dass sie mit dem T-Shirt rumlaufe. Aber es gab auch negative Zuschriften, unter anderem eine Androhung, ihr die Beine zu brechen. Man mag sich gar nicht vorstellen, was heutzutage auf Instagram und Co. los gewesen wäre. Es war dann nur logisch, dass sie bei der Gründung der Nationalen Anti-Doping-Agentur für Deutschland (NADA) im Jahr 2002 Engagement zeigte, zum Gründungsvorstand gehörte und einige Jahre dort mitwirkte.
Heute arbeitet Heike Meier-Henkel als Motivationstrainerin und Speakerin, ihre persönliche Geschichte mit dem starken Willen und dem Glauben an die eigene Stärke natürlich immer als überzeugende Botschaft im Hintergrund. Die Grundlagen für erfolgreiches Wirken aus dem Sport auf andere Lebensbereiche übertragen, das ist ihr Thema. Darüber hinaus war und ist sie vielfältig in der Gesellschaft engagiert, unterstützt soziale Projekte ebenso wie den Sport und das Thema Gesundheit und gesundes Leben. Privat ist sie quasi dem Sport treu geblieben: Seit 2004 ist sie mit dem ehemaligen Zehnkämpfer Paul Meier verheiratet, die gemeinsame Tochter ist 20 Jahre alt, die beiden Söhne aus erster Ehe sind 28 und 24. Olympiasiegerin ist das eine, der Blick nach links und rechts das andere, das eine große Karriere ausmacht.
Ulrike Spitz, Mai 2022