Ski Alpin
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8. Februar 1976: Bei den Olympischen Spielen in Innsbruck gewinnt Rosi Mittermaier überraschend Gold in der Abfahrt.
Außerdem holt Mittermaier im Riesenslalom den zweiten Platz - mit zwei Gold- und einer Silbermedaille sind ihre Olympischen Spiele ein historischer Erfolg.
Abseits der Piste macht Rosi Mittermaier-Neureuther durch ihr gesellschaftliches Engament auf sich aufmerksam: 1997 wird sie zur "Nationalen Botschafterin für Sport, Toleranz und Fair Play" ernannt.
Diesen Tag vergisst niemand, der dabei war. Diesen 8. Februar 1976, an dem die Hotelgehilfin Rosi Mittermaier aus Reit im Winkl bei den Olympischen Winterspielen zur eigenen Überraschung auf Skiern eine halbe Sekunde schneller als die nächst beste Konkurrentin einen Berg in Tirol herunterfährt. Und nach dieser 1 Minute und 46,16 Sekunden ist dann nichts mehr so wie es vorher war. Nicht für Rosi Mittermaier, die nun auf dem Siegespodest ohne Vorwarnung eine Rumba zu tanzen beginnt. Nicht für die Zuschauer im Zielraum, deren Begeisterung teilweise bedenkliche Formen annimmt. Nicht für die lungernden, in ihrem engen Pressereservat eingepferchten Journalisten, von denen sich einige in den Armen von Kollegen wieder finden, die sie bis eben noch nicht einmal gegrüßt hätten.
Doch das sollte erst der Anfang sein. Denn auf den Erfolg im Abfahrtslauf folgt nach dem 8. Februar am 11.Februar noch ein Sieg im Spezialslalom und am 13. Februar der zweite Platz im Riesenslalom: Zweimal Gold und einmal Silber in fünf Tagen für eine junge Frau von der Winklmoosalm im Chiemgau! Einer der damals begeisterten Journalisten, der Fernsehreporter Heinz Maegerlein, der seine Bewunderung für Sportler so gern ins Philosophische transportierte, schrieb später zu der danach in Deutschland ausgebrochenen Euphorie, dass es vielleicht „an den Zeiten“ gelegen habe, an den „Sorgen und Wirrnissen“, in deren die Menschen Halt suchten an Glücklicheren, mit deren Hilfe „sie ihre eigenen Schwächen überdeckten“. Fest stehe, dass Rosi Mittermaier an diesem Tag eine Welle von Sympathie entgegen geschlagen sei, wie er das in diesem Ausmaß noch nie erlebt hätte.
Das mit der Sympathie ist noch heute so, mehr als 30 Jahre danach. Rosi Mittermaier gehört längst zu den Volkshelden, die den Menschen und damit dem Volk einen gewissen Stolz auf ihre Nation gaben oder geben. Dazu passt auch eine Deutung von Dr. Wolfgang Schäuble. Der Bundesinnenminister sagte im Mai 2008 in einem Interview für das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“: „In einer Zeit, in der die Menschen zu kaum jemandem in Politik und Wirtschaft noch Vertrauen haben, suchen sie Ersatzfiguren. Sie finden sie unter den Menschen im Showgeschäft und im Sport. Da gibt es ganz wunderbare Leute.“
Wie Rosi Mittermaier. Mit Ehemann Christian Neureuther bewohnt sie in Garmisch-Partenkirchen ein wunderschönes Haus am Hang. Es ist dies ein prächtiger Bau im alpenländischen Stil, mit Geschmack liebevoll eingerichtet, darunter alte Malereien und wertvolle Antiquitäten. Zum besonderen Stolz gehört ein in der Diele stehendes Taufbecken aus italienischem Marmor, „von Christian in Südtirol entdeckt“ (Rosi). Beim Besuch an einem Sommerabend knistert draußen vor der Tür auf der Terrasse ein offenes Feuer im Kamin, davor ein sehr gepflegter, weitläufiger Garten mit altem Baumbestand. Im zarten Licht eines Strahlers plätschert leise ein Springbrunnen. Und majestätisch, im verglühenden Rot der Abendsonne, reckt sich die fast 3.000 Meter hohe Zugspitze über das mächtige Alpenpanorama des Wettersteingebirges – eine Postkartenidylle.
Wer hier zu Hause ist, der hat ein Stück Paradies auf Erden. „Es ist ein Glück, in Bayern rein geboren zu werden“, sagt Rosi, „je älter man wird, umso bewusster erlebt man geschenkte Tage.“ Worte, die bei ihr absolut nicht platt klingen. Noch immer nimmt man Rosi ab, das zu meinen, was sie sagt. Als adele sie den Ruhm mit der Leichtigkeit ihres Seins. Eine Popularität hat hier Jahrzehnte überdauert, obwohl der Ursprung mit den großen sportlichen Taten für viele ja nur noch verschwommene Lichter im Nebel der Vergangenheit sind. Ganz wenige erreichen diesen Bekanntheitsgrad, der ihr noch heute Schulterklopfen und Händeschütteln, Bittbriefe und Anteilnahme einbringt. Rosi Mittermaier hat es verstanden, nach dem Ende der Karriere diese allgemeine Beliebtheit zu nutzen – nie aber stand sie dabei unter dem Verdacht, sich verkauft zu haben.
„Wir erleben den zweiten Frühling“, stellt Christian Neureuther angesichts der vielen öffentlichen Termine fest. Dazu gehört auch Rosis unermüdlicher Einsatz für Hilfsbedürftige. Sie ist Schirmherrin der Deutschen Kinder-Rheuma-Stiftung. Hier berührt es sie, dass allein in Deutschland 60.000 Kinder davon betroffen sind: „Es sterben mehr Kinder an Rheuma als an Krebs, sogar Neugeborene.“ Ihr Engagement zugunsten Kranker brachte schon mehr als eine Million Euro zusammen. Denkt Rosi Mittermaier heute zurück an 1976, dann sagt sie, diese fünf Tage im Februar hätten ihr Leben „total umgekrempelt“. Und fügt, als müsste sie sich für ihre sportlichen Großtaten von damals entschuldigen, gleich hinzu, dass sie „bestimmt kein unglücklicherer Mensch geworden wäre, wenn es Olympia nicht gegeben hätte“.
Dass man ihr das glaubt, hängt wohl damit zusammen, dass sie wenig Talent mitbekam zum Unglücklichsein. Optimismus, sagt die Strahlefrau, gehörte zur Philosophie ihrer Eltern. Das Negative habe man im Leben der Familie immer gleich rausgestrichen. „Aufstehen, Kinder“, habe Vater Heinrich Mittermaier jeden Morgen daheim auf der Winklmoosalm gerufen, „die Sonne scheint“. Und wenn sie gerade nicht geschienen habe, so sei das ein sicherer Beweis dafür gewesen, dass sie es bald wieder tun werde!
In einer Zeit, in der Prominentenpaare ihre glückliche Liebesbeziehung schon mal selten so lange halten können, dass sie den Andrucktermin der aktuellen Klatschpresse gerade noch erleben, gehören Rosi und Christian zu den Ausnahmen. Das Paar Mittermaier/Neureuther, seit 1980 Jahre verheiratet, steht da über den Schlagzeilen wie ein Leuchtturm. Zwei, die glaubhaft den Eindruck vermitteln, den moralischen Kompass nie verloren zu haben. Sie gelten als Musterpaar und haben auch keine Scheu, sich als solches zu präsentieren. Das heißt, hier gibt es wohl nichts zu präsentieren im Sinne von „vorspiegeln“ und „so tun, als ob“, denn wenn nicht alles trügt, ist ihr Leben im Einklang mit dem, was sie in der Öffentlichkeit zeigen.
„Eigentlich“, meint Christian Neureuther, „sind wir beide verschieden. Aber in unserem Grundverständnis, in den Werten, da ticken wir absolut gleich! Wir bemühen uns, Tugenden und Werte in Ehren zu halten, die auch in schnelllebigen Zeiten unserer Gesellschaft nicht überholt, sondern immer und zeitlos gültig sind.“ Mit Werten meinen sie Familie, Zusammenhalt oder auch, dass man die bei den eigenen Eltern gelernte Harmonie selbst leben und so weitergeben müsse, dass ihre Kinder zu positiven Menschen heranwachsen. Das sind Tochter Ameli, preisgekrönte Modedesignerin, und Sohn Felix, der als Skifahrer zur Weltklasse gehört.
Beim Thema Felix denkt Christian an seine Zeit als international erfolgreicher Slalomfahrer. Und zieht einen Vergleich mit Rosi: „Sie hatte schon zu unserer gemeinsamen aktiven Zeit den besseren Charakter als ich.“ Man habe das sehen können im Wettkampf. Ihm habe es immer am meisten gewurmt, wenn einer aus der eigenen Mannschaft vor ihm platziert gewesen sei – anders bei der Rosi, die sich damals in Innsbruck 1976 weithin sichtbar über den tollen ersten Slalomdurchgang ihrer Landsfrau Pamela Behr freute, obwohl gerade sie das zweite Gold für Rosi extrem gefährdete. Dazu war dann später in einem Zeitungsinterview von Rosi nachzulesen, dass sie „keine Rivalinnen in der Mannschaft haben wolle, sondern Freundinnen“. Und dass sie sich deshalb nicht richtig habe ärgern können, wenn einmal eine andere vor ihr ins Ziel kam. Christian Neureuther: „Rosi ist der unehrgeizigste Mensch, den ich kenne.“ Und: „Sie hat eine soziale Ader wie keine andere.“
Ihr selbst sind solche Hymnen eher peinlich. Ja gut, das stimme schon, übermäßig ehrgeizig sei sie wirklich nie gewesen. Es wäre ihr auch irgendwie sehr komisch vorgekommen, wenn sie wegen eines verlorenen Rennens geweint hätte, wie viele andere. So sei sie einfach nicht erzogen worden. Wenn sie in einem Rennen stürze, das hätten die Eltern ihr ständig eingeschärft, dann müsse sie sogleich wieder aufstehen. Schon deshalb, damit sie daheim am Fernseher erkennen können, dass der Tochter nichts passiert sei. Ist sie aber als Siegerin nach Hause gekommen, dann habe man dort nie viel Aufhebens darum gemacht, schließlich hätten die Eltern die konkurrierende Schwester Evi nicht kränken wollen, die vielleicht nicht so gut drauf gewesen sei an diesem Tag.
Und so ist aus einem freundlichen bayerischen Dorfmädchen längst so etwas wie eine „Miss Bundesrepublik“ geworden. Seit Ende 1997 ist Rosi Mittermaier die erste „Deutsche Botschafterin für Sport, Toleranz und Fairplay“. Das passt zu einer Trägerin der „Goldene Sportpyramide“ und für eine, die sich engagiert für Rheumakranke, im „Verein Sportler für Organspende“ oder für die Olympische Sport-Bibliothek, einen Verlag, der seit Jahrzehnten mit Millionenbeträgen die Deutsche Sporthilfe unterstützt.
Wenn Rosi Mittermaier heute für diese oder andere Aktionen eine Unterschrift leistet, dann fällt ihr gradliniger Namenszug auf. Dieser sieht dann noch immer so aus wie ihr Autogramm von damals, vom 8. Februar 1976 in Innsbruck. Weil sich die zweieinhalbfache Olympiasiegerin in den Jahren danach nicht verändert hat – wenn sie „Rosi Mittermaier“ schreibt, dann beschreibt sie sich selbst: Erfolge haben ihr Leben verändert, nicht aber ihre Persönlichkeit.
Wolfgang Uhrig, April 2006
Literatur zu Rosi Mittermaier-Neureuther:
Kurt Lavall: Gold-Rosi, Skikönigin von Innsbruck. Würzburg 1976
Leo Frei: Rosi Mittermaier. München, Berlin 1976