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Biathlon
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Durch ihr unbeschwertes Lächeln und ihrer Art wurde die „Turbo-Disl“ schnell zum Publikumsliebling. (Foto: picture alliance).
Erschöpft liegt Uschi Disl 2006 nach dem Rennen über 12,5 km bei den Olympischen Spielen in Turin am Boden. Mit maximaler Anstrengung und großem Kampfgeist sicherte sie sich an diesem Tag die Bronzemedaille beim Massenstart der Frauen (Foto: picture alliance).
Voller Freude jubelt Uschi Disl bei den Weltmeisterschaften in Hochfilzen im Jahr 2005 nach ihrem Rennen. Die damals 34-Jährige holte sich Gold im Sprint und der Verfolgung (Foto: picture alliance).
Für ihre Erfolge auf nationaler sowie internationaler Ebene wurde Uschi Disl 2005 zu „Deutschlands Sportlerin des Jahres“ ausgezeichnet. Damit war sie die erste Biathletin, die diese Auszeichnung erhielt (Foto: picture alliance).
2005 wurde sie jedoch nicht nur zu „Deutschlands Sportlerin des Jahres“ gewählt, für ihre Erfolge und Leistungen erhielt sie im gleichen Jahr auch einen Preis bei der Bambi-Verleihung in der Kategorie „Sport“ (Foto: picture alliance).
Dass ihr Ehrgeiz auch nach der sportlichen Karriere noch groß ist, beweist die ehemalige Biathletin 2016 in der Sendung „Ewige Helden“, in der sie und neun andere ehemalige Profiathlet:innen in unterschiedlichen Wettkämpfen gegeneinander antreten. Sie schied als Vierte aus der Sendung aus, in der die Sportler:innen neben den Wettkämpfen aus ihrem sportlichen und privaten Leben erzählen (Foto: picture alliance).
Als Uschi Disl ihre ersten Weltcup-Rennen als festes Mitglied des deutschen Nationalteams bestritt, schaute die Welt des Biathlons noch ganz anders aus. 1990 war das im französischen Les Saisies. Die damals 20-Jährige staunte nicht schlecht, als ihr vor dem Wettkampf Scharen von Zuschauern entgegenströmten. Im ersten Moment habe sie sich gedacht: "Nun gut, die gehen jetzt was essen und kommen dann wieder." Doch dem war nicht so. "Die sind tatsächlich heimgegangen." Die Skijägerinnen starteten - heute unvorstellbar - tatsächlich vor leeren Rängen. Das Interesse der Fans konzentrierte sich damals noch fast ausschließlich auf die Männerrennen, die Frauen galten dagegen noch als Exoten, die nicht ernst genommen wurden. "Am Anfang hieß es halt: Die Flintenweiber - was wollen denn die hier?"
Doch von derlei Startschwierigkeiten ließ sich die junge Oberbayerin nicht groß abschrecken. Schon bald darauf feierte sie ihren ersten Weltcupsieg, und damit nahm eine Karriere volle Fahrt auf, in der Uschi Disl zur Frontfrau des deutschen Biathlons aufstieg und damit auch die Erfolgsgeschichte der gesamten Sportart mitprägte. Das anfangs belächelte Frauen-Biathlon entwickelte sich - ganz besonders in Deutschland - zu einer Attraktion des Wintersports. Und eine Hauptrolle spielte seinerzeit eben Uschi Disl, die ihre Sportart als Frohnatur mit unbändigem Kämpferherzen verkörperte. Ihre stolze Bilanz: neun Olympia- und 19 WM-Medaillen, 30 Weltcupsiege im Einzel und zudem 19 mit der Staffel und dem Team. 2005 wurde sie als erste Biathletin überhaupt zu Deutschlands Sportlerin des Jahres gewählt.
Angefangen hatte alles im beschaulichen Großeglsee, einem Weiler im oberbayerischen Idyll nahe der Voralpen. Die vom Ski-Club Moosham gespurte Langlaufloipe führte am Elternhaus vorbei, es war fast logisch, dass sich die kleine Uschi auf diesem durch Wald und Flur führenden Geläuf auf schmalen Latten erprobte. Da ihr Naturtalent von enormem sportlichen Ehrgeiz beseelt wurde, wartete die Skilangläuferin schon bald mit ersten Leistungsbeweisen auf, als 16-Jährige wechselte sie ins Biathlon-Lager, nahm also erst relativ spät das Schießtraining auf. Ein Handicap, das sie ihre gesamte Laufbahn begleiten sollte. Denn läuferisch konnten ihr nur wenige Paroli bieten. Doch am Schießstand präsentierte sie sich oft als Wackelkandidatin. In die Begeisterung um die so erfolgreiche Sportlerin des SC Moosham mischte sich somit auch immer wieder Zittern und Bangen bis zum letzten Schuss. Doch dieser spezielle Nervenkitzel gehörte eben zur Laufbahn der Uschi Disl wie der Schnee zum Winter.
Als die junge Frau vom Bundesgrenzschutz auf der internationalen Bühne auftauchte, hatten schon zwei profilierte Mitstreiterinnen Pionierarbeit geleistet. Petra Schaaf (später Behle) gewann Ende der 80er-Jahre die ersten WM-Titel; Antje Misersky (später Harvey) gewann bei der olympischen Premiere des Biathlons 1992 in Albertville in den Einzelrennen Gold und Silber. An der Seite der bereits Etablierten gelang es Uschi Disl, die bei ihrem Olympia-Debüt '92 bereits Staffel-Silber errang, rasch Fuß zu fassen in der Weltspitze. Und binnen weniger Jahre entwickelte sie sich zur treibenden Kraft im deutschen Frauen-Biathlon, bahnte somit auch den Weg für die nachrückenden Talente wie Kati Wilhelm, Martina Glagow (später Beck), Andrea Henkel (später Burke), Kathrin Apel oder Martina Zellner (später Seidel), die alle Olympiasiege und WM-Titel errangen. Die Sparte boomte, und Uschi Disl war auch dabei, als bei den Winterspielen 2002 in Salt Lake City der endgültige Durchbruch zu verzeichnen war. Im deutschen Fernsehen wurden bei Rennen der Biathletinnen Einschaltquoten von bis zu elf Millionen verzeichnet, das war schon fast sensationell. Sogar ein gleichzeitig stattfindendes Fußball-Europacup-Match von Borussia Dortmund wurde klar übertroffen. Einst vor leeren Rängen - nun vor einem zweistelligen Millionenpublikum: Das war mehr, als sich auch Uschi Disl einst erträumt hatte.
In all den Jahren hatte sich die längst hochdekorierte Skijägerin nicht nur mit stabiler Hochleistung ausgezeichnet. Die Urbayerin war auch Publikumsliebling. Wegen ihres unbeschwerten Lächelns, ihrer fulminanten Art zu Laufen. Bei einem Wuchs von 1,63 Metern fehlten ihr in der Loipe eigentlich die Körperhebel für Konkurrenzfähigkeit auf Weltklasseniveau. Doch dieses Manko machte sie mit ihrem gewaltigen Kampfgeist wett, der Fähigkeit, buchstäblich bis zum Umfallen rennen zu können. "Manchmal hab‘ ich Sternchen gesehen", beschrieb sie einmal den Zustand maximaler Anstrengung. Diese Leidenschaft, dieser offensichtliche Spaß am Wettkampf, am Sport, am Biathlon gaben ihrer Gesamtbilanz als Sportlerin eine Extranote.
Es passt wohl auch zu Uschi Disl, dass sie dem ganz großen Erfolg - der Goldmedaille in einem Einzelrennen - fast ihre gesamte episch lange Laufbahn hinterherrannte. Und es spricht auch für sie, dass sie nie aufgab, immer weiterkämpfte und am Ende eines unendlich erscheinenden Spannungsbogens doch noch belohnt wurde. 2005 bei den Weltmeisterschaften in Hochfilzen gewann sie - die nun schon 34-Jährige - die WM-Titel im Sprint und der Verfolgung. Späte Triumphe, die auch mit der Wahl zu Deutschlands Sportlerin des Jahres belohnt wurden.
Das Finale dann bei den Olympischen Spielen 2006 in Turin - und auch hier präsentierte sie sich ganz nach Uschi-Disl-Art. Erstmals bei Winterspielen war sie bis zum letzten Rennen, dem Massenstart, ohne Medaille geblieben. Und auch der letzte Versuch, sich von einer großen Karriere - sozusagen standesgemäß - mit Edelmetall zu verabschieden, schien nicht zu glücken. Nach dem letzten Schießen gab es kaum noch Hoffnung. Doch dann mobilisierte Uschi Disl noch einmal alle Kräfte, verausgabte sich in der Loipe, bis sie wieder die berühmten Sternchen sah. Und tatsächlich kämpfte sie sich bis vor dem letzten Anstieg noch an ihre bis dahin drittplatzierte Teamgefährtin Martina Beck heran. Für die neun Jahre jüngere Teamkollegin war Uschi Disl einst das inspirierende Vorbild gewesen, nun ließ die Mittelwalderin ihre Weggefährtin leichten Herzens ziehen. "Als ich an Martina vorbeigelaufen bin", erzählte Uschi Disl, "hat sie geschrien: Uschi! Hol dir die Medaille! Das war schon eine großartige Geste. Das rechne ich ihr heute noch groß an."
Während ihrer 17 Jahre währenden Laufbahn als Skijägerin hat Uschi Disl immer wieder betont: "Biathlon ist mein Leben." Doch als es vorüber war mit dem Leistungssport, fiel es ihr nicht schwer loszulassen. Ein paar Winter erlebte man sie noch als Co-Kommentatorin, ab und zu war sie bei Sponsorenterminen anzutreffen, doch dann konzentrierte sie sich weitgehend auf ihr Familienleben, die zweifache Mutter zog mit ihrem Lebensgefährten Tomas Söderberg, einst Skitechniker des legendären Ole Einar Björndalen, ins schwedische Mora. Uschi Disl, ihr Partner, die Kinder Hanna, 14, und Tobias, 11, leben in einem renovierten Holzbauernhaus mit Seeblick. Biathlon spielte für die einstige Parade-Sportlerin über Jahre keine Rolle mehr.
Doch dann entdeckte das Städtchen Mora, in dem alljährlich der Wasa-Lauf endet, den Biathlonsport. Vor zwei Jahren wurde ein Schießstand gebaut. "Die perfekte Anlage", sagt Uschi Disl. Der Zuspruch von Nachwuchs-Skijägern war entsprechend, der örtliche Verein wandte sich an die Wahl-Schwedin, ob sie denn nicht mit zwei anderen Coaches das Kindertraining übernehmen möchte. Uschi Disl konnte - natürlich - nicht nein sagen und gab somit als Trainierin sozusagen ihr Biathlon-Comeback. Inzwischen sind rund 40 junge Sportler mit Feuereifer dabei. "Und es werden immer mehr", sagt die 50-Jährige. Unter den Schützlingen sind auch ihre Kinder. Und Hanna beweist dabei ein Talent, das ihrer Mutter nicht unbedingt in die Wiege gelegt war. Uschi Disl: "Die schießt sehr gut." Woher die Tochter das habe? Uschi Disl meint dazu lachend: "Das frag' ich mich auch."
Armin Gibis / Oktober 2021
Literatur zu Uschi Disl:
Klaas Apostol: Uschi Disl Biathlon World Cup, Kati Wilhelm, Anni Friesinger-Post, Alphascript Publishing 2011.