Biathlon
Biathlon
(Auswahl)
2007 wird die siebenfache Juniorenweltmeisterin Magdalena Neuner von der Deutschen Sporthilfe als "Juniorsportlerin des Jahres" geehrt.
Im selben Jahr feiert Neuner ihren ersten Weltcup-Sieg: In Oberhof gewinnt sie den Sprintwettbewerb.
Bei der WM in Antholz (2007) siegt Neuner im Sprint und tags darauf in der Verfolgung. Wenige Tage später holt sie außerdem Gold mit der Staffel.
Bei ihren ersten und einzigen Olympischen Spielen 2010 in Vancouver holt sich Neuner nach Silber im Sprint mit Gold in der Verfolgung den ersehnten Olympiasieg.
Außerdem gewinnt sie Gold im Massenstart - mit zwei Gold- und einer Silbermedaille ist sie die erfolgreichste deutsche Athletin der Spiele.
Ihre Karriere beendet sie standesgemäß: Zweimal Gold, einmal Silber und einmal Bronze bei ihrer letzten WM sowie der Sieg im Gesamtweltcup machen sie zur erfolgreichsten deutschen Biathletin aller Zeiten.
Es ist vielleicht diese Art des Lächelns, die Magdalena Neuner – oder gut bürgerlich inzwischen Frau Holzer – die Herzen der Fans mehr zufliegen ließ, als jeder anderen deutschen Biathletin vor ihr. Dieses Lächeln – offen, natürlich, geradeheraus. Man hat den Eindruck, die „Lena“ kehrt ihr Innerstes nach außen. Dabei ist Deutschlands noch immer erfolgreichste Zollbeamte a.D. gar nicht die Frau, die immer lacht. Gerade im Moment ihres vielleicht größten Triumphes, dem Olympiasieg 2010 in Vancouver, war der Glanz verschwunden aus den Augen der Wallgauerin, die Gesichtszüge ernst. Denn der unvermeidliche Preis für den Sieg war ein sich anschließender unglaublicher Marathon mit Siegerehrung, offiziellen Terminen, dazu die Medien-, Film- und Fotohatz. Sie habe am Abend in ihrem Bett gelegen und sich gefragt: „Willst Du das, ist es das wert?“, gestand Neuner Tage später. Und sie fand in den Wochen darauf ihre Antwort, eine, die typisch war und ist für das Jahrhunderttalent, das wie geschaffen schien für seinen Sport.
Begonnen hatte die sportliche Laufbahn der Tochter des Bankangestellten Paul Neuner und seiner Frau Margit aus der oberbayrischen Gemeinde im Landkreis Garmisch-Partenkirchen im Alter von vier Jahren, zunächst allerdings auf Alpinski. Auch Langlauf und die Liebe zur Natur und Musik prägte das Mädel aus den Bergen. Zum Biathlon kam sie mit neun Jahren, als eine Cousine ihres Vaters, Anneliese Holzer – selbst national durchaus erfolgreich – damit begann, in Neuners Heimatverein SC Wallgau eine Biathlongruppe aufzubauen. Das war 1996 und die kleine Magdalena fand rasch Gefallen an der Sportart. Ihr außergewöhnliches Talent zeigte sich schon früh, zwischen 1999 und 2002 siegte sie gleich vier Mal in der Gesamtwertung des Schülerweltcups. Was folgte, war der weitere, nahezu kometenhafte Aufstieg im Jugend und Juniorenbereich. In allen Altersklassen ziert ihr Name die Bestenlisten der Statistiken, national wie international. Besonders erwähnenswert sind dabei sicherlich die sieben Gold- und vier Silbermedaillen bei Nachwuchs-Weltmeisterschaften, Erfolge, die den späteren Medienstar zum ersten Mal ins Licht der Öffentlichkeit katapultierten. Doch all die frühen Erfolge verblassten hinter der weiteren Siegesserie, die „Lena“ im Erwachsenenbereich zur Königin des Biathlons werden ließ. Und irgendwie schaffte es die zierliche Blondine aus dem Oberen Isartal immer, zur rechten Zeit am rechten Ort die ganz großen Erfolge zu feiern. Neuner war noch keine zwanzig Jahre alt, als ihr der erste Weltcupsieg gelang. Nicht irgendwo, sondern im Mekka der Sportart, in Oberhof. Trotz zweier Schießfehler lief sie im Sprint mit einer sensationellen Laufleistung – die zu ihrem Markenzeichen wurde – als Schnellste über den Zielstrich und durfte zum ersten Mal den über 10.000 Fans im Stadion und an der Strecke und einem Millionenpublikum vor den Fernsehern ihr typisches Siegerlächeln zeigen. Hieß es nach Oberhof noch: „Neuner, ein Name, den man sich merken sollte!“, war der Name der sympathischen Newcomerin spätestens nach der Weltmeisterschaft in Antholz im gleichen Jahr in aller Munde, denn die gerade 20 Jahre alt gewordene Deutsche räumte in Südtirol mit drei Mal Gold bei ihrer WM-Premiere richtig ab. Und als Neuner anschließend noch eine ganze Reihe von Weltcup-Siegen gelangen, hatte sie die Herzen der Biathlon-Fans in Deutschland regelrecht im Sturm erobert. Was dann folgte, waren scharenweise Angebote von Sponsoren und am Jahresende der Titel „Sportlerin des Jahres“. Denn Erfolge und Ausstrahlung verzauberten nicht nur das Publikum, auch die werbetreibende Wirtschaft war nun endgültig von ihrem Vermarktungspotential überzeugt. Und auch die Medien wanden ihr Kränze, erfanden die „Turbo-Neuner“, das „Laufwunder“ oder die „Gold-Lena“. Dabei wollte die so Umschwärmte doch eigentlich bloß die Beste sein, in ihrer Sportart. Stars wie Boris Becker, Steffi Graf, Franziska van Almsick kannte Magdalena Neuner aus Zeitungen, Zeitschriften und vom Fernsehen – selbst ein Star zu sein, das war eigentlich nicht das Ding der 20-Jährigen.
Aber da war neben dem Sport ja noch die Möglichkeit des Rückzugs in die Heimat. Wallgau und die Familie bildeten Zufluchtsort und Rückzugsgebiet zugleich. Daheim fand Neuner die Ruhe, die sie oft vermisste, hier konnte sie entspannen, hier konnte sie ihren Hobbies nachgehen, hier konnte der Superstar einfach wieder die Magdalena aus den bayerischen Bergen sein. Stricken, Hausmusik, Natur oder einfacher: Bodenständigkeit und Natürlichkeit waren die Wurzeln, zu denen Neuner immer wieder gern zurückkehrte.
Man könnte an dieser Stelle detailliert über die weiteren erfolgreichen Karriereschritte der erfolgreichsten Biathletin fabulieren. Von Einzel- und Gesamtweltcupsiegen, von drei WM-Titeln in Östersund 2008, gar vier in Khanty-Mansijsk 2011, von kleinen Dellen in der so sensationell verlaufenden Erfolgschronik, beispielsweise 2009 bei den Titelkämpfen im koreanischen Pyeongchang, als sie eine Erkältung an einigen Starts hinderte. Oder von den immer zahlreicher werdenden Terminen außerhalb des Sports. Denn die „Gold-Lena“ hatte sich längst zum Star in der ohnehin populärsten Wintersportart hierzulande gemausert. Medien und Sponsoren rissen sich um die stets freundliche und zuvorkommende junge Dame, die sich wohl spätestens zu dieser Zeit in zwei Sportarten zurechtfinden musste – dem Biathlon und dem „Öffentlichkeitsmarathon“ drum herum. Letzterer hatte auch Schattenseiten, wenn Stalker sie verfolgten oder daheim Leute mal eben durchs Fenster schauten oder im Garten lauerten, um ein Foto mit dem Idol zu ergattern. Wie auch immer: Aus dem jungen Mädel, das einst aus Wallgau ausgezogen war, um die Biathlon-Welt im Sturm zu erobern, war ein Liebling der Nation geworden, einer der bekanntesten Menschen in Deutschland.
Dies alles meisterte die Meisterin des Winterzweikampfes mit Bravour bis – ja bis eben zu jenem Schlüsselerlebnis in Vancouver. Fast unter Tränen hatte Neuner berichtet, auch Stunden nach ihrem größten sportlichen Triumph noch keinen Kontakt zu ihrer Familie gehabt zu haben, obwohl diese extra an den Wettkampfort Whistler angereist sei. Und wahrscheinlich reifte von da an ein Entschluss, den die inzwischen 24-Jährige vor Beginn der Saison 2011 bekanntgab, nachdem sie bei der WM im Winter zuvor in fünf der sechs Wettbewerbe auf dem Treppchen gestanden hatte (neben den schon erwähnten vier Goldenen gab es noch Silber in der Verfolgung). Und vielleicht fühlte sich die Königin unter den Skijägerinnen anschließend wie eine Verfolgte, denn die Hysterie um Neuer erreichte eine neue Dimension. Am 6. Dezember 2011 verkündete sie jedenfalls ihr Karriere-Ende. Zum Saisonstart und zum Entsetzen ihres Umfelds und vieler Fans. Aber die Begründung für diesen, für viele so überraschenden Schritt klang typisch nach Neuner: Sie wolle zurück zur Normalität, habe Motivationsprobleme und zudem denke sie inzwischen intensiver über das Thema Familienplanung nach.
Wobei das mit der Motivation so eine Sache blieb: Denn der krönende Abschluss der Karriere, das sollte die WM im eigenen Land sein, in der bayerischen Heimat, im Eldorado des Biathlons, in Ruhpolding. Karrierestart in Oberhof – das große Finale daheim - einfach Zufall, gutes Timing, geschicktes Management oder das besondere Gespür für die besonderen Momente? Wie auch immer, die Titelkämpfe, der Abschied vor den heimischen Fans, der große Showdown – es wurde ein finale furioso, ein Triumphzug. Zwei Goldmedaillen, dazu Silber und Bronze eingebettet in permanente Liebesbekundungen der Fans – Magdalena Neuner setzte sich in Ruhpolding ein sportliches Denkmal. Nur von Motivationsproblemen spürte man nichts. Auch danach nicht, denn beim Weltcupfinale sicherte sich die künftige Ex-Athletin zum dritten Mal den Gesamtweltcup, beendete ihre unvergleichliche Laufbahn mit insgesamt 47 Weltcupsiegen, darunter 34 in Einzelentscheidungen. Was dazu führte, dass sie auch bei der Wahl zur Sportlerin des Jahres noch einmal abräumte, das Triple schaffte. In einem Olympiajahr der Sommersportler wohlgemerkt.
Nur die Hoffnung, sich ins Private zurückziehen zu können, erwies sich zunächst als Irrglaube. Öffentlichkeit und das runde Dutzend privater Sponsoren forderten Neuner weiterhin. Fotoshootings, Fernsehaufnahmen, Veranstaltungen, Werbeauftritte, die Rückkehr zur Normalität gestaltete sich schwierig. Doch da waren zum Glück wieder die Stützen daheim, allen voran ihr Freund Josef Holzer, seit 2009 an Magdalenas Seite. Lena und Josef sind seit 2014 verheiratet, im Mai desselben Jahres kam ihre erste Tochter zur Welt, zweieinhalb Jahre später folgte ein Sohnemann.
Und dennoch, so ganz vom Sport lassen kann auch Mama Magdalena nicht. Ausgewählte Öffentlichkeitsauftritte behält sie sich vor, agiert ab und an in Raterunden und Spielshows, kehrt für karitative Zwecke in die Öffentlichkeit zurück und engagierte sich zuletzt als ARD-Expertin wieder stärker im Biathlon. Gefragt, was ihr nach ihrem Karriereende am meisten fehle, erklärte sie 2017, sie würde ihre Trainingskolleginnen und den täglichen Austausch am ehesten vermissen. Und natürlich das Gefühl, große Erfolge zu genießen. Aber das seien inzwischen schöne Erinnerungen. Magdalena Neuner sagt das ruhig und in einer Art und Weise, die einen spüren lässt, dass sie mit dem Kapitel Leistungssport abgeschlossen hat. Sie sagt das mit einem freundlichen Unterton und schiebt ihre Mütze in die Stirn. Auch so eine typische Magdalena-Neuner-Masche. Andere stricken einfach. Neuner strickt auch. Aber sie kreiert gemeinsam mit einem Sportartikelhersteller dabei gleich eine Kollektion Skimützen. Für das Deutsche Team bei den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi beispielsweise. Ein gelungener drei streifiger Marketing-Gag auf der einen Seite, eine Symbiose zwischen Hobby und Business für die Ex-Biathletin. Neuner pflegt damit ihr Credo – authentisch bleiben, bodenständig. Mit ein paar Ausreißern zugegebenermaßen, aber warum soll man sich nicht auch mal beim Film ausprobieren, wenn man jung ist und attraktive Angebote locken. Singen, tanzen oder gar im Urwald campen käme hingegen für sie nie in Frage. Sagt Magdalena Neuner und lacht dabei ihr bezauberndes Lächeln. So wie einst zu Beginn ihrer unvergleichlichen Laufbahn. Und es ist wohl dieses Strahlen, das ewig in Erinnerung bleiben wird, auch wenn mit Laura Dahlmeier inzwischen eine neue Königin im einstigen Reich der Magdalena Neuner Hof hält.
Thorsten vom Wege, April 2017
Literatur über und von Magdalena Neuner:
Magdalena Neuner/Nicolas Olonetzky: Sieger-Maschen. Stricken mit Magdalena Neuner. 1. Auflage. Frechverlag, Stuttgart 2010.
Magdalena Neuner: Strickfilzen mit Magdalena Neuner. 1. Auflage. Frechverlag, Stuttgart 2011.
Magdalena Neuner: Meine liebsten Strickideen für Babys. 1. Auflage. Gräfe und Unzer Verlag, München 2016.
Florian Kinast/Patrick Reichelt: Danke Lena. Die Traumkarriere der Magdalena Neuner. 1. Auflage. Copress Sport Verlag, München 2012.