Eishockey
Eishockey
1970 gewinnt Erich Kühnhackl mit seinem Heimatverein EV Landshut erstmals die Deutsche Meisterschaft.
Auch beim Kölner EC ist Kühnhackl erfolgreich. Mit den Kölnern holt er zwei seiner vier Meisterschaften. In seiner Bundesliga-Karriere erzielt Kühnhackl in 774 Spielen 724 Tore.
Seinen wohl größten Erfolg feiert er jedoch mit der deutschen Nationalmannschaft bei den Olympischen Spielen in Innsbruck.
„Der Lange“ sagen seine Spezis, wenn die Rede auf Erich Kühnhackl kommt. Da ist eine Mischung aus Respekt und Vertrautheit für die Galionsfigur des deutschen Eishockeys herauszuhören. Seine Karriere war viel mehr als eine Ansammlung von Rekorden auf dem Eis. Es war und ist die bedingungslose Hingabe mit der sich „der Lange“ dem schnellsten Mannschaftssport der Welt verschrieben hat. Sie endete nicht nach 774 Spielen in der Bundesliga mit 724 Toren, 211 Auftritten im Nationaltrikot, darunter die Teilnahme an drei Olympischen Spielen mit dem Gewinn der Bronzemedaille 1976 in Innsbruck als Krönung, zehn Weltmeisterschaften.
Der 1,96 Meter große Hüne, der das Haar unabhängig von allen Moden stets länger getragen hat als die anderen, blieb in neuen Gewändern am Puck: Als Trainer, als Funktionär, als Initiator der Erich-Kühnhackl-Stiftung, mit der engagierten Vereinen und willigen Nachwuchsspielern geholfen werden soll. Mehr Eiszeit für die Kinder, eine breitere Basis für Eishockey sind die Dauerthemen Kühnhackls geblieben. So sehr er sich begeistern kann, kann er sich zugleich ereifern, wenn es um die aktuellen Probleme eines Sports geht, der in den siebziger und achtziger Jahren noch intensiv vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen wahrgenommen wurde, als Namen wie Alois Schloder, Udo Kießling, Dieter Hegen oder Gerd Truntschka dem breiten Publikum so vertraut waren wie die der damals aktuellen Fußballstars. Und ein Mann an der Bande stand, der einen Pepitahut trug, der dem ähnelte, mit dem Altkanzler Konrad Adenauer einst vorzugsweise im Urlaub in Italien zu sehen war.
Die Familie Kühnhackl hat die Folgen des Zweiten Weltkrieges zu spüren bekommen, die in den Kalten Krieg mündeten und hat es dem „Prager Frühling“ zu verdanken, dass der Eiserne Vorhang schließlich doch noch durchlässig wurde. Die Kühnhackls waren in Citice daheim, das einmal Falkenau hieß und zu Böhmen gehörte, ehe es Teil der Tschechoslowakischen Republik wurde. Sohn Erich, 1950 geboren, kam schon mit 17 Jahren in der ersten Mannschaft des Zweitligisten Banik Sokolov zum Einsatz. Drei Tage nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen durfte die Familie Kühnhackl in die Bundesrepublik Deutschland ausreisen. Die Fahrt in die Freiheit führte gezielt nach Landshut, wo Karel Gut, der ehemalige Nationaltrainer der CSSR, Übungsleiter des EV war, eine ersten Adressen im deutschen Eishockey. Für Gut war Kühnhackl Junior längst ein Begriff und wurde zum Juwel, wie sich herausstellen sollte.
„So lang ich denken konnte“, trug er die Nummer „14“ auf dem Rücken, weil sein Idol Vaclav Nedomansky auch die „14“ trug. Mit ihm verlor das tschechoslowakische Eishockey seinen berühmtesten Sohn, als sich der Center 1974 in den Westen absetzte. So wie Nedomansky hatte Kühnhackl werden wollen. Kräftig und dennoch geschmeidig, ähnlich unbeugsam, freiheitsliebend. Als Verbeugung vor Kühnhackl wird die Rückennummer „14“ immer seine bleiben, denn in der deutschen Nationalmannschaft wird sie nicht mehr vergeben.
Es bedurfte nicht der Rückennummer „14“, um Erich Kühnhackl selbst vom entlegensten Platz auf den Rängen als „den Langen“ mit seinen langen Schritten auszumachen. Links rum, rechts rum übersetzend; seine langen Nackenhaare, die unter dem Helm hervorquollen, flatterten hinterher. Er hatte, wie Horst Vetten in der „Zeit“ schwärmte, „einen unvergleichlichen Laufstil: scheinbar langsam im Vergleich zur Hechelei der Kurzbeinigen, aber zum Verzweifeln ausgreifend für die Verfolger. Den Puck führte er gerne mit einer Hand am langen Stock, damit er die Linke frei hatte, allzu freche Gegner abzuwehren. Er hatte immer die nötige Kraft, um Druck auf den Schläger zu machen, eine unabdingbare Voraussetzung für sichere Scheibenführung.“ Es hatte etwas vom Effekt eines Schwans unter Enten. Zumal wenn er kreiselte, unvergleichliche Kringel drehte. Für Torhüter hatte er die Unart, mit dem Puck den Bereich oberhalb der Fanghand anzupeilen. Immer spielte Kühnhackl Mittelstürmer, nur einmal stand er im Tor, beim Gaudi-Match Verheiratete gegen Ledige.
Landshut, Köln, Olten in der Schweiz und wieder Landshut waren seine Stationen als Spieler. Mit dem letzten Punktspiel für die Niederbayern am 26. Februar 1986 beim Kölner EC schloss sich der Kreis. Nach 21 Jahren und ein paar Tagen des Mittelstürmers im Seniorenbereich. „Mit 38 Jahren hast du nun wirklich das Recht aufzuhören“, sagte „der Lange“. Das klang geradezu so, als müsste er sich rechtfertigen, vom Eis zu gehen. Beim Kölner EC hatte er erfüllte, einträgliche Jahre erlebt. Mit dem Sprung in eine neue Gehaltsdimension ging sein Bekenntnis zum Profistatus einher, das ihn die Teilnahme an den Olympischen Winterspielen 1980 in Lake Placid kostete. Im „Fragebogen“ des „F.A.Z.-Magazins“ hatte er die Frage nach seiner Lieblingstugend mit „Ehrlichkeit“ beantwortet.
Jahrzehnte auf dem Eis haben Spuren hinterlassen. Operationen an Knien, Bändern und Schienbein, der Bruch des Mittelknochens, der Verlust der zweiten Zähne. Er spricht ein wenig durch die Nase. Die Folge von fünf, sechs Nasenbrüchen? Nachhaltig geschockt war er vom Puck, der ihm beim Freundschaftsspiel in Feldkirchen ins Auge ging. Eine Woche hatte er nichts mehr sehen können und sich geschworen: „Wenn du jemals wieder sehen wirst, gehst von Landshut nach Altötting.“ Natürlich ist das Mannsbild mit der Konfektionsgröße 54/56 gegangen, Ehrensache!
Als der „sanfte Riese“ ist Kühnhackl charakterisiert worden. Ehefrau Sylvia hat keine Gegendarstellung verlangt. Bei Krisen war die Nestwärme der Familie mit drei Kindern das beste Heilmittel. Im beschaulichen Landhut verlor ihr Eisheiliger erst dann an Kredit, als der Trainer Erich Kühnhackl für den EV an der Bande stand, den Abstieg des Traditionsklubs nicht verhindern konnte. Der Promi-Bonus schmolz dahin. Schmerzhaft erlebte Kühnhackl den Strukturwandel, die Verstädterung der Eishockey-Landschaft. Weg von Hochburgen wie Füssen, Bad Tölz, Kaufbeuren, Garmisch, hin zu München, Hamburg, Mannheim oder Frankfurt. Mit seinem Wechsel zum Kölner EC war Kühnhackl selbst zur Schlüsselfigur in einer Liga geworden, die erst Jahre später nahezu flächendeckend den Boden für Profis aus vielen Nationen bereitete - auf Kosten deutscher Tatente. Nur wenigen war es vergönnt, ihren Sport so zu prägen wie Kühnhackl, aber als es galt, gegen Fehlentwicklungen anzukämpfen, stieß der Kämpfer an Grenzen.
Kühnhackl, übernehmen sie, hieß es 1989, als Bundestrainer Xaver Unsinn schwächelte und Co-Trainer Kühnhackl in die Bresche sprang. Sein Studium zum Diplomtrainer kombinierte er mit dem Posten eines Honorartrainers des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB). Er fungierte als Nachwuchstrainer, betreute die U18 und U20 Nationalmannschaft, war im DEB zugleich für die Aus-und Weiterbildung der Übungsleiter zuständig. Sein Credo: „Kraft und Ausdauer dürfen nicht auf Kosten von Technik und Spielwitz gehen.“ Einem Missionar gleich zog er durch die Eishockey-Lande, um immer wieder sein Anliegen loszuwerden: „Besonders schade finde ich, dass es in den vergangenen Jahren viel zu wenig Eiszeiten für junge, deutsche Spieler in den Teams von DEL und der 2. Bundesliga gegeben hat. Dadurch ist eine nicht unerhebliche Zahl an Talenten verloren gegangen.“ Der einstige Kapitän der Nationalmannschaft machte sich für die Basis stark, und blickte über den Tellerrand seines Sports hinaus: „Jeder Jugendliche, den wir für den Sport begeistern können, ist ein Gewinn, der mit Geld nicht zu bezahlen ist.“ Er war und ist sich nicht zu schade, „wenn es der Sache dient.“ Als Bittsteller hat er Klinken geputzt und ist nach der Devise verfahren: „Reden ist wichtig, Gestalten ist noch wichtiger. Ich bin kein Typ, der ewig lange über alles diskutieren möchte. Man kann Standpunkte austauschen, aber dann muss man auch sagen, wie es gemacht wird.“ Als Mann der Tat hat er auf Klubebene Bad Nauheim, Erding, Regensburg und Straubing trainert, in Frankfurt hat er als Sportdirektor angeheuert, Schwerpunkt Nachwuchsarbeit. Aber kurz danach hatten die dortigen Lions Insolvenz anmelden müssen, vorbei war es mit dem Engagement.
Kühnhackl hat es wissen wollen, hat mit seinem Pilotprojekt „German Team“ das Experiment durchgezogen, eine Mannschaft mit ausschließlich deutschen Spielern im Punktspielbetrieb zu etablieren. Die „Erding Jets“ hielten sich zwei Spielzeiten in Oberliga und 2. Bundesliga. Immerhin: Gut ein Dutzend der von Kühnhackl geforderten und geförderten Profis haben den Sprung in die Deutsche Eishockey Liga geschafft. Von 2008 bis 2014 war Erich Künhackl Vizepräsident des DEB, ohne seine Position zu überschätzen: „Ich bin kein Typ, der ewig lange über alles diskutieren möchte, deswegen werde ich auch kein großer Funktionär mehr.“ Vielleicht ist Kühnhackl grundsätzlich zu gutmütig, sein Harmoniebedürfnis zu ausgeprägt, um seine Rezepte den Verantwortlichen im Liga-Alltag gegen Widerstände schmackhaft zu machen: „Wenn man mit jungen Spielern Geduld hat, ihnen Vertrauen gibt und sie Verantwortung übernehmen lässt, dann fördert das ihr Selbstwertgefühl und sie zahlen es mit Leistung zurück, Damit möglichst viele junge, deutsche Spieler an die großen Aufgaben heran geführt werden können, muss das heimische Eishockey auf eine breitere Basis gestellt werden. Das geht allerdings nur mit großem Idealismus und einem gewissen Einsatz.“
Am Einsatz und Idealismus hat es Erich Kühnhackl nie gefehlt. Er hat eine Überdosis davon. Der aktuelle Bundestrainer und ehemalige NHL-Profi Marco Sturm hat den „Langen“ längst schon geadelt: „Er ist einfach eine Legende.“ Im Gegensatz zu Kühnhackl hat Sturm den Sprung nach Übersee gewagt und ist dort zum Eishockey-Millionär geworden. „Der Lange“ hat auf dem Höhepunkt seines Könnens in New York vorgespielt und sich dann doch nicht getraut, die Herausforderung National Hockey Liga einzugehen. Es ist sein Sohn Tom, der dem Namen Kühnhackl frischen Glanz verleiht. Als Deutscher, in der NHL, der stärksten Liga der Welt. Der hausgemachte Kronzeuge für Erich Kühnhackls These: Was nachwächst, zählt!
Hans-Joachim Leyenberg, Juli 2016