Erwin Casmir

Fechten

  • Name Erwin Casmir
  • Sportart Fechten
  • Geboren am 2. Dezember 1895 in Berlin-Spandau
  • Todestag 19. April 1982 in Frankfurt am Main
  • Aufnahme Hall of Fame 2008
  • Rubrik Bis 1933

Legende des Fechtsports

Erwin Casmir dominierte in den 1920er Jahren den deutschen Fechtsport wie danach kein anderer. Neben drei Olympiamedaillen 1928 und 1936 war er von 1921 bis 1928 Deutscher Meister in allen drei Waffen (Florett, Degen, Säbel).

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Als 33-Jähriger zog er sich von nationalen Meisterschaften zurück, um dem Nachwuchs den Vortritt zu lassen. Insgesamt errang Casmir 49 Deutsche Meisterschaften, darunter 23 Einzeltitel. Zunächst Mitglied des Berliner Fecht-Clubs, kam er 1923 zu Hermannia Frankfurt, Vorgänger des Universitätsfechtclubs. Nachdem Casmir 1928 Olympia-Silber mit dem Florett gewonnen hatte und 1932 Olympia-Vierter mit dem Säbel geworden war, trat er 1936 in Berlin mit 41 Jahren zu seinen dritten Olympischen Spielen an und führte die deutsche Mannschaft zu Bronze mit Florett und Säbel. Bis 1937 war er Fachamtsleiter Fechten im Reichsbund für Leibesübungen. Beim Neuaufbau nach 1945 war Casmir von 1949 bis 1957 erster Präsident des Deutschen Fechter-Bundes.

Erwin Casmir

Fechten

Größte Erfolge

  • Olympia-Silber Florett 1928
  • Olympia-Bronze Florett-Mannschaft 1936
  • Olympia-Bronze Säbel-Mannschaft 1936
  • 49-facher Deutscher Meister

Auszeichnungen

  • 1951 erhielt der Fecht-Club Hermannia Frankfurt als Würdigung der Verdienste, zu denen vor allem Casmir beigetragen hatte, das Silberne Lorbeerblatt.

Biografie

Man muss einiges von der klassischen Kunst des Fechtens verstehen, wenn man Erwin Casmir erklären will. Er kam aus einer wohlsituierten Familie in Berlin-Spandau. Der Fechtsport war nahe liegend wegen des Onkels Gustav Casmir, der als Pionier des Sportfechtens in Deutschland zu bezeichnen ist. Gustav Casmir hatte das Fechten unter anderem bei dem italienischen Meister Ettore Schiavoni gelernt; es war also kein Zufall, dass die Deutschen jahrzehntelang diesem Sport nach der berühmten italienischen Schule folgten. Bei den Olympischen Spielen 1904 in St. Louis war Gustav Casmir der einzige deutsche Teilnehmer im Fechten. Man sagt, dass die amerikanischen Kampfrichter die ausländischen Sportler stark benachteiligten. Casmir wurde Vierter mit Degen und Florett – mit dem Säbel trat er aus Protest nicht mehr an. Bei den so genannten olympischen Zwischenspielen 1906 in Athen feierte er eine große Revanche und hielt sich mit zweimal Gold und zweimal Silber schadlos. Erwin Casmir bewunderte seinen sportlich vielseitigen Onkel, der bei dem Versuch, am Reck zu turnen, ums Leben kam – nur 38 Jahre alt.

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Erwin Casmir war noch keine zwanzig Jahre alt, als der Erste Weltkrieg begann. Kurz zuvor hatte es in Hamburg noch deutsche Meisterschaften gegeben, aber Erwin Casmir landete auf den Ergebnislisten weitab von den vorderen Plätzen. Er meldete sich als Kriegsfreiwilliger und überstand die Jahre an den Fronten. Die schlechten Ergebnisse bei jenen deutschen Meisterschaften kurz vor dem Kriegsbeginn hatten zu einer so starken Enttäuschung geführt, dass er das Fechten aufgeben wollte. Es war schließlich einigen Freunden zu verdanken, die ihn auf den Fechtboden mitnahmen. So entstand eine Sportlerlaufbahn, wie es sie in Deutschland kaum noch einmal gab.

Von 1920 bis 1928 wurde er jedes Jahr deutscher Meister – von 1923 bis 1928 gewann er bei den deutschen Meisterschaften die Einzeltitel auf Florett, Degen und Säbel insgesamt 23 Mal – eine Leistung, die im Zeitalter der Spezialisierung nie mehr wiederholt werden wird. Doch damit war seine unglaubliche Laufbahn als Sportler noch längst nicht zu Ende. Er beschloss, nur noch an den Mannschaftsmeisterschaften teilzunehmen. Er hatte sich der Hermannia Frankfurt angeschlossen und holte mit diesem Club weitere 25 Titel. Bei der letzten Meisterschaft mit dem Hermannia-Team war Erwin Casmir bereits 57 Jahre alt. In der Mannschaft stand auch Norman Casmir – der Sohn. Zu diesem Zeitpunkt war Erwin Casmir schon seit drei Jahren Präsident des Deutschen Fechter-Bundes. Von 1934 bis 1937 leitete er das so genannte Reichsfachamt Fechten, von 1949 bis 1957 war er Präsident des Fechter-Bundes und damit verantwortlich für den Wiederaufbau des Verbandes.

Ende der fünfziger Jahre gab es Jüngere, die sein Amt übernahmen, und man redete in den Sportverbänden von einer Palastrevolution. Fast zwanzig Jahre später holte man Erwin Casmir zurück und es war so, als sei er nie fort gewesen. Vielleicht hätte es die großen Erfolge bei Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen der deutschen Fechter nie gegeben, wenn da nicht dieser Mann gewesen wäre, der ein halbes Jahrhundert zuvor den Boden bereitete.

Die Geschichte des Erwin Casmir besitzt in der Historie des deutschen Sports ihren festen Platz. Er hat nie eine Weltmeisterschaft gewonnen, was aber bei der Person Casmir nebensächlich erscheint – es ist nicht mehr als eine statistische Bemerkung. Seine Überlegenheit im eigenen Land, seine strahlende Dominanz und sein brillanter Stil sind da sicherlich höher einzuschätzen. Es gibt viele Aufzeichnungen, die von Erwin Casmir handeln. Mitunter ist die Rede von einem heldschen Pathos, aber da muss man an die Zeiten denken, um diesen Überschwang zu verstehen. Man war damals mit großen Worten schneller bei der Hand – nicht nur im Sport.

Das mag ganz besonders für das Fechten gelten, das über eine weit länger als tausendjährige Geschichte blickt. Es ist eine Geschichte, die mit brachialer Gewalt beginnt und mit ästhetisch schönen Bewegungen dem gesamten Sport zur Zierde gereicht – und durch seine schöpferische Kraft zur Kunst wird. Die jahrzehntelange Erfolgsliste des Erwin Casmir beweist, dass man zuerst Bewegungsabläufe, Aktionen, Schritte lernen muss, damit später aus der mechanischen Wiederholung etwas Schöpferisches entstehen kann. Fechten mag deshalb auch als intellektuelle Herausforderung gelten. Erwin Casmir hatte das Glück, schon als Kind seinen Onkel zu treffen, der ihm nicht nur Bewegungen beibrachte, sondern ihn auch dort einführte, wo Sport nicht nur aus Leibesübungen besteht.

Ein großes Turnier in Offenbach hat Erwin Casmir selbst für den Grundstein seiner Popularität, ja – Berühmtheit gehalten. Die italienischen Lehrer des Fechtens hielten den Deutschen mit dem flinken Handgelenk für den perfektesten Vertreter ihrer Schule jenseits der Alpen. Es gibt Geschichten aus der Zeit nach dem Krieg, in denen immer wieder nach dem Verbleib von Erwin Casmir gefragt wurde. Erwin Casmir zeigte gerne, wenn Briefe aus Rio de Janeiro von seinem Fechterfreund Rosenbauer kamen oder auch von dem Säbelfechter Halberstadt aus San Francisco – sie wollten alle so das Fechten lernen wie Erwin Casmir. Bei Halberstadt übte auch Helene Mayer – die „blonde He“ –, die im Dritten Reich wegen ihrer jüdischen Herkunft aus Deutschland vertrieben wurde.

Erwin Casmir wurde 87 Jahre alt. Wenn vom Pathos die Rede ist, muss man an die Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam erinnern – an einen berühmten Stichkampf um die Goldmedaille, an dem auch Erwin Casmir beteiligt war. Es ist eine jener Geschichten, wie es sie immer wieder gibt – sie handelt von der Kunst großer Sportler und von der Fairness – eine Geschichte, die in keinem Buch zu diesem Thema fehlt.

Es waren drei berühmte Fechter, die den Stichkampf bestritten. Neben Casmir war es der 42-jährige Franzose Lucien Gaudin, der von 1905 bis 1928 ununterbrochen Meister seines Landes war; Dritter im Bunde war der italienische Linksfechter Giulio Gaudini – mit seiner Körperlänge von 2,05 Meter eine imposante Gestalt. Die drei hatten nach Abschluss der Runden jeder neun Siege errungen. Casmir, sonst bekannt für seine stoische Ruhe, begann nervös und verlor gegen den Franzosen 1:5. Den zweiten Kampf gewann Casmir gegen Gaudini 5:3. In der Begegnung zwischen dem Italiener und dem Franzosen mit den fast identischen Namen stand es 2:2, als Gaudin einen langen Ausfall versucht, der von Gaudini mit einer schnellen Parade pariert wird. Es gab ja längst noch nicht die elektrische Trefferanzeige und die Beratungen der Kampfrichter dauerten mitunter länger als das eigentliche Gefecht. Schließlich verkündete der Obmann, dass es keinen Treffer gegeben habe: „Pas touché!“ Doch der Franzose nahm die Maske vom Gesicht und sagte: „Je suis touché!“ Eine lange Sekunde hätte man in der Halle die berühmte Stecknadel auf den Boden fallen hören – dann Jubel bei den Italienern, für die der lange Gaudini nun 3:2 führte. Aber das Drama hielt eine weitere Pointe bereit: der Franzose Lucien Gaudin setzte kühl drei Treffer hintereinander – 5:3, Olympiasieg. Für Erwin Casmir blieb die Silbermedaille. Es blieb auch die Gewissheit, Teil einer großen Stunde des Sports gewesen zu sein.

Ulrich Kaiser, Mai 2008

Literatur zu Erwin Casmir:

Volker Kluge: Olympische Sommerspiele. Die Chronik I. Athen 1896 – Berlin 1936. Berlin 1997
Erich Kamper/Bill Mallon: Who's Who der Olympischen Spiele 1896–1992. Mailand 1992


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