Fechten
Fechten
1985 ist Arnd Schmitt (hier mit Josef Neckermann) der erste "Optimal-Geförderte" Sportler der Deutschen Sporthilfe.
Nachdem Schmitt bereits 1985 und 1986 WM-Titel mit der Mannschaft gewinnen konnte gelingt ihm 1988 sein größter Erfolg: Olympia-Gold in Seoul.
Nachdem Schmitt außerdem 1992 olympisches Gold im Team holt, ist er 1996 Fahnenträger der deutschen Olympiamannschaft.
1999 gewinnt Schmitt seinen ersten und einzigen Weltmeistertitel im Einzel - außerdem gewinnt er mit der Mannschaft Silber.
Vielleicht würde Arnd Schmitt besser mal häufiger nach seiner Goldmedaille schauen. „Die liegt im Safe. Herausgeholt habe ich sie letztmals vor ein paar Jahren“, erzählt der 50-Jährige. Kurze Pause, dann lacht er wie ein Schuljunge. Weil ihm der Gedanke durch den Kopf schießt, dass in Zeiten der Bankenkrisen vielleicht auf Geldinstitute nicht hundertprozentig Verlass sein könnte.
In diesem Moment der Heiterkeit bahnt sich große Lebensfreude durch die Diszipliniertheit und Zielstrebigkeit, die ein zentrales Wesensmerkmal des weltbesten Degenfechters seiner Ära ist. Das galt für den Sportler und gilt für den Menschen. Erkennbar in seiner Rolle als Musketier, schon vor dem Olympiasieg 1988 bis zu Beginn des neuen Jahrtausends. Und in seinem Beruf als Zahnarzt, den er seit 2002 in der gemeinsamen Praxis mit seinem Bruder Ulrich in Bergisch Gladbach ausübt.
Jetzt, wo Schmitt in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen worden ist, wird er sicher noch mal einen Blick auf das gute Stück werfen. Das beste seiner Sportkarriere, in der er alles gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt. Olympia, WM, EM, Weltcup und das Masters. „Der Olympiasieg ist für mich selbstverständlich das nachhaltigste Erlebnis“, sagt Schmitt: „Die Erinnerungen habe ich aufgesaugt. Sie werden mir wahrscheinlich noch ein Lächeln ins Gesicht zaubern, wenn ich irgendwann in der Kiste liege.“
Die Bilder von Seoul 1988: Zärtlich küsst der damals 23-Jährige im Trainingsanzug aus Ballonseide das Edelmetall, und dann gibt es noch diese unmittelbar nach dem gewonnenen Finalgefecht entstandene Aufnahme, die wie keine andere den Wert seines Triumphs für die deutschen Musketiere spiegelt. Die Teamkollegen werfen ihn in die Höhe, Schmitt hat noch den Degen in der rechten Hand, rammt ihn glückstrahlend in die Luft. Wirkt wie ein Schulbub. Ist wohl was dran, dass das Kind im Manne nie ganz verloren geht. Schön, dass dies nicht zuletzt für großartige Sportler wie Arnd Schmitt gilt.
Wenn er annum 2016 in weißer Hose und orangefarbenem Poloshirt mit dem geschwungenen Schriftzug „Dr. Arnd Schmitt“ auf der rechten Brustseite die Patienten in seiner Praxis begrüßt, dann wirkt er so, wie er schon zu seiner Aktivenzeit war: Unglaublich organisiert und strukturiert. Er brachte es fertig, samstags noch ein Weltcupturnier in Montreal zu bestreiten und trotzdem am Montagmorgen wieder pünktlich im Hörsaal der Universität Bonn zu sitzen. Dort trieb er sein Zahnmedizin-Studium voran. „Klar war ich öfter müde, aber als schlimme Belastung habe ich das nie empfunden“, erinnert Schmitt, der das Paradebeispiel einer gelungenen dualen Karriere verkörpert.
Einmal war er nach einem Turnier auf dem Rückweg vom Frankfurter Flughafen im Zug eingeschlafen. Wurde erst in Köln wach. Was nun? Investierte in ein Taxifahrt, und schaffte es noch rechtzeitig zur Vorlesung. Durchhaltevermögen, Zielstrebigkeit und Improvisationsvermögen - nicht jedem ist sie im Übermaß gegeben wie Arnd Schmitt. Nur so konnte er zum Besten seiner Sportart werden, die eine ganz besondere Kombination aus Ausdauer, Geduld, genauer Beobachtung, Mut und blitzschneller Reaktion erfordert. Als Vorbild taugt sein Weg allemal. Deshalb moderiert er auch mit großer Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft im Auftrag der NRW Sportstiftung die regelmäßigen Treffen von Olympioniken der Gegenwart mit Wirtschaftsvertretern. Dabei werden Praktika und karrierebegleitende Ausbildungen angebahnt.
Als Schmitt 2001 seine Karriere beendete, hatte er seinen weiteren Weg ziemlich präzise geplant. 2002 heiratete er seine Frau Stephanie, die er in Bonn kennengelernt hatte, eröffnete im Bergisch Gladbacher Stadtteil Bensberg in Sichtweite des Schlosses die gemeinsame Zahnarztpraxis mit seinem Bruder – nach wie vor beider Broterwerb. Zwischen 2003 und 2008 wurden seine Töchter Amelie, Lilly und Mathilda geboren. Das nennt man einen Lauf. Besser noch: Das reine Glück.
Was Schmitt sich vornimmt, zieht er durch, auch gegen Widerstände. Er ist einer, bei dem das Glück nicht einem Zufallsprinzip oder dem Schicksal zu folgen scheint. Es wirkt wie ein logisches Resultat von guter Planung und Fleißarbeit. Seit 1985 zählte er so konstant wie kein Zweiter in seinem Metier zu den Top Ten der Weltrangliste. Hörte erst 2001 im Alter von 35 Jahren auf. „Erst, als ich“, wie er sagt, „alles abgehakt hatte“. Meint Titelgewinne. Auf den ersten WM-Sieg 1999 hatte er am längsten warten müssen. Direkt danach aufhören? „Kam nicht in Frage. Dafür war Olympia zu nahe. Und dieses Erlebnis ist nach wie vor das Größte.“
Als Weltranglistenerster angereist, schloss er Sydney 2000 als Neunter ab, mit der Mannschaft als Fünfter. Mehr als die bei seinen vierten Spielen verpasste Medaille beschäftigt ihn irgendwo tief drinnen, dass er zum angekündigten Karriereende 2001 nicht den dritten Sieg bei seinem Heimturnier in Heidenheim geschafft hat. Beim einstigen „Wimbledon des Fechtens“, wie er es nennt. Der dreimalige Triumph in Heidenheim ist bis heute keinem gelungen, auch nicht dem Russen Pawel Kolobkow oder dem Kubaner Ivan Trevejo. Das waren die großen Kontrahenten seiner Zeit. Gegen fast alle hat Schmitt unter dem Strich eine positive Bilanz. Warum? „Siege waren schön, aber aus Niederlagen habe ich gelernt“, sagt Schmitt. Und: „Trevejo hat mir als einziger wirklich nicht gelegen.“
Atlanta 1996, der Kubaner ist sein Achtelfinal-Gegner, 8:15 verliert Schmitt. Das Medien-Echo tut weh. Klar, vom Seoul-Olympiasieger, jetzt im besten Athletenalter, war mehr erwartet worden. Zumindest Edelmetall, bestenfalls Gold. So sind die Mechanismen. Es wird heiß diskutiert, ob Schmitt nicht besser auf die Teilnahme an der Eröffnungsfeier am Tag vor dem Auftakt der Fechtwettkämpfe verzichtet hätte. Um hundertprozentig fit zu sein.
„Diese Ehre, dieses Erlebnis, die deutsche Fahne ins Stadion zu tragen – diese Chance bekommt man nur einmal im Leben“, sagt der damalige Aktivensprecher im Rückblick. „Das konnte ich nicht ablehnen.“ Zudem ist er davon überzeugt, dass die körperliche Belastung durch das stundenlange Gehen und Stehen beim Einmarsch der Nationen nicht der Grund seines Ausscheidens war. „Trevejo war einfach so unglaublich blitzschnell“, erinnert Schmitt. Der einzige Gegner, den er nicht entschlüsseln konnte.
Die Niederlage 1996 tat ihm sehr weh. Noch mehr aber vielleicht jene, die er 2001 im Achtelfinale in Heidenheim im letzten Gefecht seiner großen Karriere gegen Fabrice Jeannet aus Frankreich kassierte. Weil Schmitt sie in seiner Heimatstadt erlitt, in seinem „Wohnzimmer“. Vor allem aber, weil er sie nicht mehr gutmachen konnte. „Jeannet ist der einzige Gegner“, hadert Schmitt, „gegen den ich nie gewonnen habe“. Auch wenn er nur diesen einen Vergleich mit dem jungen Franzosen hatte. Ein Punkt, den er nicht mehr abhaken konnte. „Weil ich mein Karriereende ja schon geplant, beschlossen und verkündet hatte.“ So ticken Perfektionisten.
In Heidenheim liegt auch der Schlüssel zu der Frage, warum Arnd Schmitt überhaupt Fechter geworden ist. Seine Eltern hatten ihn zur Leichtathletik geschickt. Er war Bezirksmeister im Hochsprung und Hürdenlauf. „Außerdem habe ich wie die meisten Jungs Fußball gespielt“, sagt Schmitt, „doch Heidenheim war damals gefühlt ungefähr in der 18. Liga.“ An erfolgreichen Fechtern herrschte in seiner Geburtsstadt jedoch keine Mangelware. Und es gab das Weltcupturnier, bei dem jährlich die Weltelite zu Gast war.
„Die ganze Stadt hat das gelebt, die Topathleten wurden privat untergebracht“, erzählt Schmitt. Sein Bruder und er rannten von Kindesbeinen an jedes Jahr zum Fechtturnier und waren ruck zuck angefixt. Sie sahen Alexander Pusch, den Olympiasieger und Weltmeister. Inspiration für die Schmitt-Brüder: „Ich war vielleicht zehn Jahre, da haben wir Plastikbälle aufgeschnitten, Löcher reingestanzt, einen Gummi drangespannt und uns so Schutzmasken gebastelt. Dann haben wir mit Plastikschwertern gefochten.“ Als der ältere der beiden zwölf war, gaben die Eltern dem ständigen Bohren der Jungs nach: Endlich durften sie in den Fechtclub. „Mein Bruder war noch talentierter als ich – bis ins Juniorenalter konnte ihm keiner das Wasser reichen“, sagt der, der die große Karriere machte: „Aber dann hat ihm eine Knieverletzung einen Strich durch die Rechnung gemacht.“
20 Jahre nach seinem Triumph von Atlanta blättert Arnd Schmitt in der Illustrierten SPORTS vom August 1996. Ein wenig vergilbt sind die Seiten. Mit Bildern, die von einer Zeit zeugen, in der Fußballstar Mehmet Scholl mit einer Haarpracht gesegnet ist, die ihn zur Shampoo-Werbefigur prädestiniert. Und Radprofi Erik Zabel im Rückblick auf die Coca-Cola-Spiele nach seinem stressfreien 20. Platz im Straßenrennen großkotzig losledert: „Vom Olaf Ludwig seiner Vorabzugsteuer, die er jeden Monat entrichten muss, bezahlt der 15 Mann vom A-Kader bar.“
Die Kommerzialisierung ist in dem Heft thematisiert, ein Interview mit Schmitt mit der Überschrift „Der verkaufte Athlet“ versehen. Damals sagte er: „Es geht nicht mehr um die Athleten, sondern um die Vermarktung. Wir müssen aufpassen, dass Olympische Spiele nicht zu einer Zirkusveranstaltung verkommen.“ 2016 meint Schmitt: „Wir haben immer noch die selben Probleme.“ Er war Mahner, kritischer Geist. Warnte vor Fehlentwicklungen. Sagt zwei Jahrzehnte später: „Leider ist es mit dem Fechten genau so abwärts gegangen, wie ich es kommen gesehen habe.“ Engagierte sich aber nicht in seiner Herzensportart, weil ihn das Gefühl beschlich: „Wenn ich einen Schritt mache, dann torpedieren das fünf andere.“ Dafür war ihm seine Zeit zu schade.
Arnd Schmitt, der Rebell. So sahen ihn viele. So wurde er in den Medien verkauft. Ein Bild, das ihm nicht gefällt: „Der Begriff ist plakativ, aber beschreibt mich nicht im Kern“, erklärt Schmitt. „Ich habe einfach immer nur seine Meinung gesagt, keinen Wert darauf gelegt, Everybodys Darling zu sein.“ Liebling von Emil Beck war er am allerwenigsten. Schmitt kam mit dem damaligen Übervater des deutschen Fechtsports nicht klar, wollte nicht nach der Pfeife des 2006 verstorbenen Tauberbischofsheimer Patriarchen tanzen. Beide kreuzten später sogar vor Gericht die Klingen.
Als Kind der Tauberbischofsheimer Talentschmiede möchte Schmitt nicht bezeichnet werden: „Meine Ausbildung habe ich vor allem in Heidenheim bekommen.“ Nach zwei Jahren an der Tauber (ab 1986) zog er weiter. Bonn passte als Studienort, Bayer Leverkusen als Verein. Den Löwenanteil an seinen Erfolgen schreibt er den Trainern Manfred Kaspar in Bonn und Gabor Salomon in Leverkusen zu. „Mit ihnen habe ich die meiste Zeit verbracht, sie haben mich weitergebracht.“
Kaspar und Salomon waren, so Schmitt, die Väter seines Erfolges. Nicht Beck. Viele Sportler hätten sich aus Angst vor Repressalien nicht getraut, Kritik zu äußern. „Wenn mal einer etwas kritisiert, dann wird er gnadenlos niedergemacht“, meinte selbst Becks Musterschülerin Anja Fichtel. „Der, der dann etwas sagt“, erklärt Schmitt im Rückblick, „gilt gleich als Rebell“. Was er damit ausdrücken will: Ein Mann mit Rückgrat muss kein Rebell sein. Taugt aber als Aktivensprecher. Wie Schmitt, der völlig unverdächtig ist, Funktionärsposten als Karriereleiter angestrebt zu haben. „Ich war Aktivensprecher, weil ich die Notwendigkeit sah, das System zu verbessern“, sagt er. Zu einem nennenswerten Engagement im Fechtverband kam es nie, weil Schmitt sich „abgeschmettert, belächelt, ignoriert“ fühlte. Familie und Beruf wurden für ihn zusehends wichtiger.
2016 sagt Schmitt: „Das Arbeitsleben fühlt sich anstrengender an, auch wenn ich damals die Doppelbelastung durch Sport und Studium hatte.“ Und wieder spricht der Realist und nüchterne Pragmatiker in ihm: „Es war mir immer bewusst, dass nach der Karriere nicht mehr der rote Teppich für mich ausgerollt wird und ich meine Brötchen genauso hart erarbeiten muss wie andere Menschen auch.“ Sollte es mal besonders dicke kommen, kann er als Motivationsmittel das beste Goldstück seiner Karriere aus dem Banksafe holen. „Ich muss die Medaille nicht sehen. Die Hauptsache ist, dass ich weiß, wo sie ist“, sagt er – mit dem Schuljungen-Ausdruck im Gesicht.
Berthold Mertes, Juli 2016