Frank Wieneke

Judo

  • Name Frank Wieneke
  • Sportart Judo
  • Geboren am 31. Januar 1962 in Hannover
  • Aufnahme Hall of Fame 2016
  • Rubrik 80er Jahre

Als Judoka und Trainer auf dem Olymp

Frank Wieneke hat deutsche Judo-Geschichte geschrieben. 1984 machte ihn der überraschende Olympiasieg in Los Angeles zum Aushängeschild der westdeutschen Judosportler. Seinem größten Erfolg ließ er später EM-Gold und Olympia-Silber folgen. 24 Jahre nach Los Angeles führte er als Bundestrainer Ole Bischof in Peking zum Olympiasieg.

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Seine größten Erfolge feierte der Halbmittelgewichtler vom VfL Wolfsburg bei Olympischen Spielen. In Los Angeles war er 1984 mit 22 Jahren die große Überraschung, als er den Weltmeister und viermaligen Europameister Neil Adams aus Großbritannien im Finale bezwang. Sein tief angesetzter Schulterwurf brannte sich ins Gedächtnis der Fans ein. Nach dem Olympiasieg machte Wieneke ein Tief durch, kam dann aber 1986 in Belgrad als Europameister zur nächsten internationalen Medaille. Bei der Heim-WM 1987 in Essen schied er früh aus. 1988 in Seoul schlug dann wieder seine Stunde und er gewann Silber. Im Finale erzielte der Pole Waldemar Legien wenige Sekunden vor Schluss die entscheidende Wertung. Zu weiteren herausragenden Erfolgen in Wienekes Karriere zählen EM-Silber 1988 und 1989, die Siege 1986 beim renommierten Tournoi de Paris, 1989 beim internationalen Turnier von Potsdam sowie bei zwei German Open (1984, 1986) und fünf Deutsche Meisterschaften. Mit der damaligen Wolfsburger Topmannschaft gewann Wieneke 1981 den Europapokal und wurde 1986, 1987, 1989 und 1990 Deutscher Mannschaftsmeister.

Nach der Karriere schlug er die Trainerlaufbahn ein und betreute zunächst die männliche Jugend des Deutschen Judo-Bundes (DJB). Als Bundestrainer von 2000 bis 2008 gelang Wieneke der größtmögliche Erfolg: 2003 führte er Florian Wanner in Osaka zur Weltmeisterschaft, 2008 Ole Bischof in Peking zum Olympiasieg, was ihm Analogien zu Franz Beckenbauer und Heiner Brand einbrachte. Danach wechselte Wieneke als wissenschaftlicher Referent an die Trainerakademie Köln. Die Deutsche Sporthilfe berief ihn 2010 in ihren Gutachterausschuss, der Deutsche Olympische Sportbund 2015 in seine neu geschaffene Trainerkommission.

Frank Wieneke

Judo

Größte Erfolge

  • Olympiasieger 1984
  • Olympia-Silber 1988
  • Europameister 1986
  • EM-Silber 1988, 1989
  • WM-Fünfter 1989
  • Trainer von Ole Bischof bei seinem Olympiasieg 2008

Auszeichnungen

  • Aufnahme in den Gutachterausschuss der Sporthilfe (2010)
  • Judo-Trainer des Jahres 2008 (Wahl durch Expertenjury von DJB und Judo Magazin)
  • Verleihung des 7. Dans durch den DJB (2008)
  • Aufnahme in das Ehrenportal des niedersächsischen Sports (1988)
  • Niedersächsische Sportmedaille (1985)
  • Silbernes Lorbeerblatt (1984)

Biografie

Verschiedene Wege können im Judo zum Erfolg führen. Der Kampfsportler hat auf der Matte zig unterschiedliche Wurftechniken zur Auswahl, oder er setzt auf Hebel-, Würge- oder Haltegriffe im Kampf am Boden. Oder er spielt seine Ausdauer aus, und bei manchem sorgt pure Kraft für Siege. Beim ersten Judoka in der Hall of Fame des deutschen Sports war es von alldem etwas und doch in besonderer Weise der Kopf, der ihm seine ganz großen Erfolge einbrachte. Andere seien die besseren Judokas gewesen, urteilt Frank Wieneke, technisch flexibler, eleganter. Doch im entscheidenden Moment, und genau das ist ein olympisches Turnier, siegt mentale Stärke. Wieneke hatte sie, der Olympiasieger bezeichnet sich selbst als „Kopfjudoka“. Die Kunst des Fokussierens auf den Moment gab er später als Bundestrainer an die deutschen Topathleten weiter und gewann mit ihnen alle großen Titel.

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1984 in Los Angeles und 1988 in Seoul absolvierte Wieneke zwölf olympische Kämpfe. Elf gewann er. Den bedeutendsten am 7. August 1984, das Finale im Halbmittelgewicht bis damals 78 Kilogramm gegen den britischen Weltmeister und haushohen Favoriten Neil Adams. Natürlich hatte Wieneke eine Strategie im Kopf. Und er wollte unbedingt gewinnen. Ein Jahr vorher hatte er bei den Europameisterschaften gegen Weltstar Adams nach Ablauf der Kampfzeit mit 1:2 Kampfrichterstimmen verloren, Rang fünf belegt. Die knappe Niederlage gab ihm „das Selbstvertrauen, mit der Weltspitze mithalten zu können“. Andere trauen dem 22-Jährigen noch wenig zu. Verbandspräsident Klaus-Jürgen Schulze nutzt Wienekes Kampftag zum Sightseeing. An jenem Tag, hieß es im Umfeld, passiere aus deutscher Sicht am wenigsten. Schulze verpasst so den größten Triumph des westdeutschen Judosports.

Bis heute sagt Frank Wieneke: „Neil Adams war der bessere Judoka, er hätte auch den Sieg verdient gehabt, er hätte nur diesen einen Fehler nicht machen dürfen.“ Der junge Deutsche, gerade dem Juniorenalter entwachsen, lässt sich auch vom Kampfgericht nicht beirren, das vorm Finale seine Judojacke als zu eng geschnitten moniert. Im Aufwärmraum leiht er sich eine viel zu große vom japanischen Kollegen. Mit weißem Tape überklebt er die Flagge mit dem roten Punkt. Der Bundesadler auf der Brust fehlt ihm, aber Wieneke geht mit klarer Strategie in sein erstes großes Finale: die ersten Minuten nur verteidigen, dann die Ausdauer in die Waagschale legen. „Ich wusste, ich darf keine Wertung abgeben. Das hätte mich innerlich fertiggemacht. Mit Rückständen konnte ich nie gut umgehen.“ Der Brite scheucht den Deutschen drei, vier Minuten lang „von einer Ecke in die andere“, verhindert geschickt dessen Griff, probiert es mit allen Techniken. Doch Wieneke fällt nicht. Die Taktik geht auf. Der Rest ist Judolegende: Wieneke springt ruckartig nach vorne, bekommt mit seinem rechten Arm Adams oben an der Schulter zu fassen, setzt auf der rechten Seite zu seiner Spezialtechnik Uchi-mata, dem Schenkelwurf, an, hält dabei aber den Griff mit der linken Hand nicht. Intuitiv dreht er sich nun tief zur linken Seite zu einem Schulterwurf ein. Dafür reicht der feste Griff mit der rechten Hand. Das Timing ist perfekt, Adams fällt – voll auf den Rücken. Der Kampfrichter gibt Ippon für diesen Seoi-nage, voller Punkt. Es ist aus. Der Junge aus Hannover ist Olympiasieger.

Mit dem Kopf entschied der Athlet vom VfL Wolfsburg vier Jahre später auch den „mental besten Kampf meines Lebens“: Im olympischen Halbfinale steht er dem WM-Zweiten Torsten Bréchôt gegenüber. Mehrmals zuvor hatte Wieneke gegen den Ostdeutschen verloren. In Seoul macht er wenige Sekunden vor Kampfende mit einem Beinfasser die entscheidende Wertung. Doch es reicht nicht zum zweiten Olympiagold. „Mit der Finalteilnahme war ich hoch zufrieden – das war ein Fehler, den ich mir bis heute nicht verzeihen kann.“ Wieneke verliert gegen den Polen Waldemar Legien, wie er zuvor gegen Bréchôt und 1984 gewonnen hatte: wenige Sekunden vor Kampfende bei Gleichstand und durch einen tiefen Schulterwurf.

Seine olympischen Erfolge machten Wieneke in den 1980er Jahren zum Aushängeschild des westdeutschen Judos. Er löste den Wolfsburger Klaus Glahn ab, der 1964 bei der olympischen Premiere in Tokio und 1972 in München Medaillen gewonnen hatte. Im Osten hatten derweil Detlef Ultsch, der Doppelweltmeister von 1979 und 1983, und Dietmar Lorenz, Olympiasieger 1980, die größten Erfolge vorzuweisen. Doch noch war die deutsche Judowelt getrennt.

Mit der Starrolle kann der junge Bursche aus dem Arbeiterhaushalt „zunächst nicht umgehen“: Wieneke verliert 1985 häufig, wird den hohen Erwartungen nicht gerecht. Die Kritiker treten auf den Plan. „Einmal Glück gehabt“, heißt es. Getadelt wird, wie er bei Turnieren auftritt – unnahbar. Später kann er das erklären: „Für mein Judo musste ich mich voll und ganz auf mich konzentrieren. Ich konnte kein Quatschen nebenbei ertragen. Das hat vielleicht unhöflich gewirkt, vielleicht auch arrogant.“ Den Druck kann Wieneke oft kaum aushalten. Die Heim-WM 1987 in Essen ist für ihn „ein Alptraum“, im zweiten Kampf fliegt er raus. Am besten habe er gekämpft, „je weiter weg von Deutschland ich war“. Und am liebsten hatte er nur Bundestrainer Heiner Metzler und das medizinische Personal um sich.

Die vorschnellen Urteile widerlegt Wieneke 1986, beweist, dass er kein „One-Hit-Wonder“ ist: Erst gewinnt er im Januar das renommierte Tournoi de Paris. Unter Experten zählt ein Sieg in Frankreichs Hauptstadt so viel wie WM-Titel. Der Applaus des französischen Fachpublikums macht Wieneke stolz. Im Mai steht er bei den Europameisterschaften in Belgrad ganz oben auf dem Podest, bezwingt Legien. Dem Polen, der 1992 in Barcelona sein zweites Olympiagold holt, verdankt Wieneke auch die „schlimmste“ Niederlage – bei seiner letzten WM 1989 in Belgrad. Eine WM-Medaille, die fehlte noch. „Doch ich konnte im Kampf um Bronze nicht mehr den Siegeswillen aufbringen. Ich hatte schon vorher im Kopf verloren.“

Nach einer Schulterverletzung und nur noch mit einer Minimalchance für die Olympiaqualifikation 1992 beendet Frank Wieneke Ende 1991 seine Karriere als Athlet. Sie hat ihn berühmt gemacht. Allseitige Hochachtung erarbeitet er sich in der anschließenden Laufbahn als Trainer. Da waren nach sieben Jahren als Nachwuchs-Bundestrainer zum einen die großartigen Erfolge als Bundestrainer von 2000 bis 2008: der WM-Titel von Florian Wanner 2003, Olympiabronze von Michael Jurack 2004, die EM-Titel von Ole Bischof 2005 und Andreas Tölzer 2006 sowie zum Ende der Trainerlaufbahn der Olympiasieg von Bischof 2008 in Peking. Als Trainer ist Wieneke genauso akribisch wie als Athlet, tritt aber ganz anders auf, als man ihn früher erlebt hat: zugänglich, offen, immer ansprechbar, selbstkritisch, sympathisch. Weit weg von jenem „Vollegoisten“, als den er sich selbst einmal bezeichnet hat. Der Ballast ist weg, der Diplom-Trainer Wieneke kann in neuer Funktion seinen Schutzpanzer ablegen, der Mensch tritt hervor. Seine Aufnahme in die Hall of Fame des deutschen Sports mag er nicht in erster Linie auf sich beziehen, sondern sieht darin „eine besondere Wertschätzung unserer Sportart, für die ich nur einer von vielen Repräsentanten war und bin“.

Als erster deutscher Judoka erreicht Frank Wieneke als Athlet und als Trainer den größtmöglichen sportlichen Erfolg; das bringt ihm Analogien zu Franz Beckenbauer und Heiner Brand ein. 2008 in Peking, nachdem er in der gleichen Gewichtsklasse wie einst sein Trainer den Olympiasieg errungen hat, hebt Ole Bischof diesen ins ikonische Gedächtnis: Das Bild von Wieneke auf den Schultern des neuen Olympiasiegers geht um die Welt und brennt sich genauso in die Erinnerung der deutschen Judofans ein wie der Finalwurf 24 Jahre vorher. „Diese Geste war das größte Dankeschön, das es geben konnte.“ Ein Dank mit Symbolwert: Wieneke ist oben angekommen. Mehr geht nicht. Er hört als Trainer auf und widmet sich fortan in der Kölner Trainerakademie des DOSB der Ausbildung. Dem Sport und dem Judo bleibt der Träger des siebten Dans ganz eng verbunden, er engagiert sich als Gutachter für die Sporthilfe, in der DOSB-Trainerkommission und in weiteren Ehrenämtern. Dabei folgt er weiterhin seinem Kopf und seinem Weg zum Glück, den er einmal so definiert hat: „Außergewöhnlicher Erfolg setzt außergewöhnliches Training voraus. Erfolg zu haben bedeutet zuerst einmal, aus Niederlagen zu lernen und niemals anderen die Schuld zu geben. Verlierertypen suchen nach Entschuldigungen, Gewinnertypen nach Lösungen in ihrem Leben.“ Frank Wieneke ist ein außergewöhnlicher Judoka und der logische Erste in der Ruhmeshalle des deutschen Sports. Er hat einen weiteren Titel dazugewonnen.

Oliver Kauer-Berk, Juli 2016

Literatur zu Frank Wieneke:

Michael Ehrhart: Vorbild. Deutsche Sportler 1967 bis 2007. Heidelberg 2008
Berndt Barth, Frank Wieneke: Judo – Modernes Nachwuchstraining. Aachen 2013


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