Reitsport
Reitsport
In den folgenden Spielen von Mexiko-Stadt und Montreal gewinnt Klimke jeweils Gold mit der Mannschaft und Bronze im Einzel.
Große Ehre bei den Spielen 1988: Bei der Eröffnungsfeier in Seoul führt Klimke die deutsche Olympiamannschaft als Fahnenträger an.
Die Beurteilung einer Dressurvorführung erfordert ein gewisses Maß an Fachwissen und Begeisterungsfähigkeit, denn sie ist ein Kunstwerk. Die Dressur spricht heute den Menschen mehr an denn je. Die Sehnsucht nach dem Pferd, welches sich unter einem elegant sitzenden Reiter anmutig, schön und mit großer Leichtigkeit bewegt, ist gerade in den Städten besonders groß. Und darum wird die Dressurreiterei, wenn sie richtig erklärt und gezeigt wird, so lange Freunde haben, wie es Pferde und gute Reiter gibt.“ Als Reiner Klimke diese Beurteilung eines besonderen Sportzweigs schrieb, war er knapp vierzig Jahre alt und galt längst als eine Koryphäe seines Fachs – sowohl in Theorie wie auch in der Praxis.
Es geschieht immer wieder, dass die Menschen verschiedener Landschaften mit angeblich typischen Attributen belegt werden: Hanseaten sollen demnach stur sein, Schwaben neigen ganz besonders zur Sparsamkeit, Pfälzer verbringen die Zeit mit ihrem Wein, Rheinländer feiern ununterbrochen ihren Karneval – was aber sagt man von den Leuten im platten Münsterland? Wahrscheinlich ist es so, dass alles ein bisschen stimmt, oder auch nicht. Wenn es richtig sein sollte, dass die Bewohner des Münsterlandes eher ein wenig schwerfällig wirken, so kann das auch daran liegen, dass sie erst denken und erst danach sprechen. Es kann auch daran liegen, dass sie viel von Ordnung und Disziplin halten – dass sie ihre Pflichten ernst nehmen und wohl auch eine gewisse Dickköpfigkeit nicht verleugnen – sie brauchen sicherlich ein wenig länger, um Freunde zu gewinnen, und diese dann allerdings ein Leben lang nicht zu vergessen – wenn das alles stimmt, war Reiner Klimke wohl ein typisches Kind dieser Landschaft.
Der Notar und Rechtsanwalt Dr. Reiner Klimke, in Münster geboren, in Münster groß geworden, in Münster auch gestorben, hatte rund ein Vierteljahrhundert gebraucht – man muss wohl sagen: gearbeitet – bevor man ihm bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles die Goldmedaille gab. Der Wallach Ahlerich erreichte das gesegnete Alter von 21 Jahren – und es ist hier überflüssig, darauf hinzuweisen, dass er aus der westfälischen Zucht stammte.
Klimke hat den Tag seines Sieges von Los Angeles als den schönsten Moment seines Lebens bezeichnet. Als er vier Jahre später bei den Olympischen Spielen 1988 im koreanischen Seoul die Fahne der Deutschen in das Stadion tragen durfte, war es vielleicht ähnlich. Da galt er aber bereits als der erfolgreichste Dressurreiter aller Zeiten. Schließlich waren es sechs Weltmeisterschaften, elf Europameisterschaften und acht olympische Medaillen in allen möglichen Farben. Er war der vierte deutsche Dressurreiter, der Olympiasieger im Einzel wurde – an einem Tag, an dem Ross und Reiter zu einem Einklang fanden, wie man ihn nie zuvor sah. Klimkes Vorgänger waren Carl Friedrich Freiherr von Langen, Heinz Pollay und Liselott Linsenhoff – ein Gutsbesitzer, ein Kavallerist, eine Großunternehmerin. Wenn man so will: Er war der erste Bürgerliche. Er konnte gar nicht anders, als sich die Stunden im Dressursattel von der Nachtruhe abzuknapsen oder sich schnell für eine Weile aus der Kanzlei in den Stall davon zu stehlen. Als er in den Düsseldorfer Landtag als Abgeordneter einzog gab es noch weniger Freizeit. Das ging über all die Jahre wohl nur, weil er sicher sein konnte, in seiner Frau Ruth einen ruhenden Pol zu wissen, die die Alltagssorgen von ihm fernhielt – auch die Erziehung der Kinder, die das Leben mit den Pferden später ebenfalls mit Erfolg in ihr Leben aufnahmen.
Der spröde Mann mit den immer wachsamen Augen hatte seine Liebe zu den Pferden schon als Junge entdeckt. Das ist in diesem Sport immer so – es gibt da keine Überflieger, die von heute auf morgen auftauchen. Dass er bereits als junger Mann im Alter von 23 Jahren Europameister mit der Military-Equipe wurde, machte Hoffnungen, die aber ein Jahr später, 1960 bei den Olympischen Spielen in Rom wieder gedämpft wurden. Vielleicht waren es gerade diese unfreiwilligen harten Landungen zwischendurch, die den Westfalen zurück auf den Teppich brachten. Reiner Klimke ist immer der Realist geblieben.
Das muss man wohl auch, wenn man sich mit Pferden abgibt, die genauso anfällig sind wie Menschen, die krank werden können oder die Form verlieren. Da Klimke kaum die finanziellen Möglichkeiten besaß, sich die schönsten Rösser zu kaufen, kam eine weitere Herausforderung hinzu: Er musste jedes seiner Pferde ausbilden, bis sie dem erforderlichen Standard entsprachen und bei den großen Prüfungen vorgezeigt werden konnten. Er führte Dux, Mehmed und eben auch Ahlerich zu den höchsten Zielen. Es waren nicht immer Pferde, bei denen die Ästheten allein vom Anblick vor Begeisterung in die Hände klatschten.
Ein knappes Jahr vor seinem so überlegenen Olympiasieg im kalifornischen Santa Anita belegte er mit Ahlerich in Berlin nur einen sechsten Platz und die Experten wandten sich bei der Benennung der Olympiafavoriten anderen Pferden und Reitern zu. Klimke schwor einigen Freunden, dass er mit Ahlerich zu den Olympischen Spielen reisen würde – und zu gewinnen! Bedarf es eines weiteren Beweises für Sturheit?
Dieser Dr. Reiner Klimke ist mit Sicherheit nie einer von den Bequemen gewesen oder einer von den Stillen, die sich lieber in der Hoffnung ducken, ihr Wohlverhalten beim nächsten Mal mit ein paar Punkten honoriert zu bekommen. Wie in allen Sportarten, in denen objektiv nichts messbar ist, muss man das Wohlwollen oder die Antipathie von Punktrichtern auch im Dressurreiten als Realität ansehen. Es ist anzunehmen, dass Klimke sich darum – meistens zumindest – einen feuchten Kehricht gekümmert hat.
Es hat ihm gerade in dieser oft traditionsschweren Sportart nicht nur Freunde eingebracht, als er neue Gedanken äußerte. Formen des „Figurenreitens“ zum Beispiel, die das breite Publikum genauso anlocken wie vielleicht der Eiskunstlauf. Ein bisschen weg vom steifen Zeremoniell und ein bisschen hin zur gefälligeren Schau. Ein Revoluzzer? Beileibe nicht! Dr. Reiner Klimke, der auch in seinem politischen Engagement eher zu den Konservativen zu zählen war, hatte weiter nichts im Sinn, als diesem Sport zu mehr Popularität zu verhelfen – und zwar mit Vernunft und selbstverständlich mit Ordnung und Disziplin. So wie man es den Menschen im Münsterland nachsagt.
Klimke schrieb so, dass diese kompliziert aussehende Materie auch dem Laien verständlich wurde: „Dressur ist nichts anderes als die gymnastische Ausbildung des Pferdes und seine sorgfältige Erziehung. Wir wollen das Pferd nicht durch Anerziehung künstlicher Bewegungen zum Schauobjekt machen, sondern es durch systematische Ausbildung seiner natürlichen Anlagen schöner und gesünder werden lassen. Neben den drei Grundgangarten Schritt, Trab und Galopp kultivieren und fördern wir nur die Bewegungen und Übungen, die das Pferd in der Freiheit – wenn auch nur in Momenten – zeigt. So zum Beispiel den fliegenden Galoppwechsel, wenn das Pferd im Galopp die Richtung wechselt; die Pirouette, wenn das Pferd am Ende der Weide plötzlich kehrtmacht; die Piaffe aus dem ungeduldigen Trippeln am Weidetor. Ein gut durchgebildetes Dressurpferd ist ein Athlet.“
Ulrich Kaiser, Mai 2008
Literatur zu Reiner Klimke:
Reiner Klimke: Grundausbildung des jungen Reitpferdes. Von der Fohlenerziehung bis zum ersten Turnierstart. Stuttgart 1990
Ingrid Klimke, Reiner Klimke: Profitips Cavaletti. Dressur und Springen. Stuttgart 1997