Reitsport
Reitsport
Fritz Thiedemann ist in den 1950er Jahren einer der dominierenden Springreiter. Geschichte schreibt er bei den Olympischen Spielen 1952, bei denen er nicht nur im Springreiten, sondern auch in der Dressur Bronze gewinnt.
Beide Titel gewinnt er im Mannschaftsspringen, hier mit seinen Mannschaftskameraden Hans Günter Winkler und Alwin Schockemöhle.
Die deutschen Reiter, befand Harry Llewellyn, könnten sich die Reise zu den Olympischen Spielen 1952 sparen. „Es ist zwecklos für die Deutschen, nach Helsinki zu fahren“, lautete im Dezember 1951 das schonungslose Urteil des Briten, der als weltweit bester Springreiter gerühmt wurde. In der Tat lag der deutsche Reitsport am Boden. Viele ausgezeichnete Reiter waren im Krieg gefallen oder noch in Gefangenschaft, die besten Pferde von den Besatzungsbehörden beschlagnahmt worden.
Doch als am 3. August 1952, dem Schlusstag der Spiele, in der finnischen Hauptstadt das olympische Springreiten anstand, düpierte ein Duo aus Schleswig-Holstein die internationale Szene. Fritz Thiedemann ritt auf „Meteor“, einem robusten Holsteiner Wallach, vor 70.000 Zuschauern im Olympiastadion einen fehlerlosen ersten Durchgang. Nach einem dramatischen Stechen wurde Thiedemann schließlich mit Bronze dekoriert: eine Sensation. Noch bemerkenswerter war, dass der Reiter sechs Tage zuvor in der Dressur – diesmal auf „Chronist“ – mit der Mannschaft ebenfalls Bronze gewonnen hatte.
Dieses Kunststück, in zwei verschiedenen Reit-Disziplinen olympisch dekoriert zu werden, ist seither unerreicht. Entsprechend enthusiastisch fielen die Feierlichkeiten in der Heimat aus. Es gab einen großen Empfang in Elmshorn, wo Thiedemann in der Reit- und Fahrschule arbeitete, und auch an der Westküste in Heide. Ganz in der Nähe, im kleinen Dorf Weddinghusen, war Thiedemann am 3. März 1918 als jüngstes von neun Kindern in eine Dithmarscher Bauernfamilie hineingeboren worden.
Der sprungstarke „Meteor“, geboren 1943, war Thiedemann erstmals 1950 bei einem kleinen Turnier in Meldorf aufgefallen. Ein Jahr später stellte ihm der Besitzer, ein nordfriesischer Landwirt, den recht temperamentlosen und doch eigenwilligen Holsteiner zur Verfügung. Thiedemann hatte die „enorme Geschicklichkeit in den Beinen“ beeindruckt und die Ehrlichkeit gegenüber seiner ersten Reiterin, schrieb er später im Buch „Mein Meteor“. „Nie war er nervös, alles sah er und alles nahm er mit viel Ruhe und Überlegung in sich auf.“
In den Jahren nach dem sagenhaften Auftritt in Helsinki erwarben Pferd und Reiter Weltruhm. Thiedemann gewann auf dem 13 Zentner schweren Paradepferd 1958 in Aachen die Europameisterschaft – und dazu zweimal olympisches Gold mit der Mannschaft, 1956 in Stockholm und 1960 in Rom, wo Thiedemann bei der Eröffnungsfeier als Fahnenträger die gesamtdeutsche Mannschaft anführte.
Am Ende kam „der Dicke“, wie Thiedemann seinen braunen Wallach liebevoll nannte, auf über 150 Siege und rund 180.000 DM Preisgeld, eine seinerzeit enorme Summe. In die Siegerliste des Deutschen Springderbys in Großflottbek trug sich Meteor ebenfalls 1951 ein. „Eine tiefe Dankbarkeit war in mir, dass Meteor zu mir gekommen war“, blickte der Reiter später auf den Durchbruch des Paares zurück. Bis heute ist der „Wunder-Wallach“, wie ihn die Presse feierte, ein Mythos der Holsteiner-Zucht. 1959 enthüllte Thiedemann sein bronzenes Denkmal vor dem Kieler Landwirtschaftsministerium, das bis heute dort steht.
Meteor war zweifellos Thiedemanns wichtigstes Pferd. Freilich bewies der Reiter seine sportliche Klasse auch ohne Meteor. Der Dithmarscher, der am liebsten Plattdeutsch sprach, siegte beim Deutschen Derby auf fünf verschiedenen Pferden. Insbesondere mit seinem Sieg 1950 auf Loretto, einem bis dato unbekannten braunen Wallach, an den laut Thiedemann „niemand geglaubt hatte“, überraschte er die nationale Szene. Zu diesem Zeitpunkt hatte Thiedemann bereits die Entscheidung getroffen, den elterlichen Hof nicht zu übernehmen, wozu er aufgrund des traditionellen Dithmarscher Erbrechts als jüngster Sohn vorbestimmt war.
Stattdessen siedelte er im Dezember 1949 mit sechs Pferden zur Reit- und Fahrschule nach Elmshorn um, die als Schaufenster der Holsteiner Zucht einen Turnierstall aufbauen wollte. Branchengrößen wie der Oberlandstallmeister Dr. Dr. Gustav Rau hatten ihn dazu ermuntert. „Ich sah natürlich die Chance, mich in Elmshorn viel gründlicher als daheim in Weddinghusen auf die Olympischen Spiele vorbereiten zu können“, berichtete er nach dem Ende seiner aktiven Laufbahn 1961, die er mit der Autobiografie „Meine Pferde – mein Leben“ reflektierte.
In diesem Buch erzählt der Reiter sehr ausführlich von seinem entscheidenden Schritt auf dem Weg in die nationale Elite. Er war kein „Herrenreiter“ aus dem Adel, sondern ein 17jähriger Bauernjunge, der nur kleinere lokale Turniere bestritten hatte, als er im November 1936 das Angebot erhielt, für einige Monate an eine neue Reitschule nach Berlin zu gehen. Dort blieb der gelernte Pferdepfleger länger als geplant und startete seine Reiter-Laufbahn mit einem Paukenschlag: Anfang April 1938 siegte der 19-jährige Nobody im Rahmen der „Grünen Woche“, einem Turnierhöhepunkt der Saison, in drei von vier Prüfungen – teils vor über 15.000 Zuschauern in der ausverkauften Deutschlandhalle.
Dafür zeichnete ihn der greise Generalfeldmarschall von Mackensen mit einem Silberteller aus. Es sei seinerzeit vieles über ihn hereingebrochen, so Thiedemann, etwa die vielen Reporterfragen. Die große Aufmerksamkeit habe ihn überfordert. Aber etwas Gutes hätten seine Erfolge doch gehabt: „Man beschloss nun endgültig, in der neuen Schule einen Turnierstall aufzubauen.“
Thiedemanns Erinnerungen über seine prägende Sozialisation in der Reiterelite in seiner Autobiografie waren äußerst präzise. Dass es sich bei seiner neuen Schule um die SA-Reichs-Reiter-Schule handelte und er mit seiner Ankunft in Berlin am 1. Dezember 1936 in den SA-Reitersturm 5/28 eingetreten war, blendete er nach dem Krieg indes aus – ebenso wie seine späteren Beförderungen zum SA-Obertruppführer (1943), was dem Rang eines Feldwebels entsprach. Auch verschwieg er, dass er 1938 in den Stab der Obersten SA-Führung (OSAF) abkommandiert wurde. Als Thiedemann 1938 in Berlin als Sieger ausgezeichnet wurde, posierte neben ihm SA-Obergruppenführer und „Reichsreiterführer“ Karl-Siegmund Litzmann.
Jedenfalls fungierte Thiedemann bereits als Teenager als Repräsentant des NS-Regimes. Die Präsenz von SA-Reitern bei öffentlichen Turnieren habe als hilfreiche Mitgliederwerbung der NS-Organisation gedient, urteilt Dr. Nele Fahnenbruck, die als Historikerin über den NS-Reitsport geforscht hat. Nach 1945 stünden die SA-Männer Fritz Thiedemann und Josef Neckermann als „Exempel für Beharrlichkeit, Geschäftstüchtigkeit und bruchlose Übergänge in die Nachkriegszeit, die, ähnlich wie Gustav Rau, bis heute ein sensationelles Renommee genießen, die ihre Namen Plätzen und Straßen leihen und die auf eine ansehnliche Karriere blicken können“.
Tatsächlich profitierte Thiedemann während des Krieges erheblich, wie er in seiner Autobiografie offen eingestand. So wurde er nach dem Reichsarbeitsdienst 1940 nur kurz an der Westfront eingesetzt, bevor er von Felix Bürkner an die Heeresreitschule nach Potsdam gerufen wurde. Erst im Frühjahr 1943 musste Thiedemann an die Ostfront nach Smolensk, bis er im Herbst 1943 in Bromberg als Offizier ausgebildet wurde. Als Kommandeur einer Schwadron am Plattensee eingesetzt, geriet er 1945 an der Grenze von Österreich und Ungarn nur kurz in Gefangenschaft und konnte im Sommer in seine Heimat zurückkehren. Dort wurden ihm, weil die Bauern gut versorgt waren, gute Bedingungen für einen Neustart geboten.
Nachdem er seine aktive Karriere 1961 (auf Godewind) mit einem Sieg beim Preis der Nationen in Aachen beendet hatte, wandte er sich der Aufzucht und der Landwirtschaft zu. Eher widerwillig ließ er sich 1967 überreden, das Amt des Bundestrainers für die Springreiter zu übernehmen. Aber noch vor den Spielen 1968 in Mexico-City trat er zurück. Im Sattel saß der neben Hans Günter Winkler erfolgreichste Reiter der 1950er Jahre letztmals 1982. Am 8. Januar 2000 starb er im Alter von 81 Jahren in Heide, der Kreisstadt seiner Heimat Dithmarschen.
Erik Eggers, Dezember 2024
Quellen und Literatur zu Fritz Thiedemann:
Bundesarchiv, R 9361-II/1013548, R 9361-III/569652 (Sammlung BDC, SA-Bestand)
Georgios Chatzoudis: „Analogien zur Idee einer ‚rassereinen‘ Volksgemeinschaft“, Interview mit Nele Fahnenbruck für L.I.S.A., Wissenschaftsportal der Gerda-Henkel-Stiftung (2. Juli 2015)
Nele Maya Fahnenbruck: „… und reitet für Deutschland“: Pferdesport und Politik im Nationalsozialismus. Göttingen 2013
Volker Kluge: Olympische Sommerspiele. Die Chronik II. London 1948 – Tokio 1964. Berlin 1998
Fritz Thiedemann: Meine Pferde – mein Leben. Frankfurt/M. 1961
Fritz Thiedemann: Mein Freund Meteor. Das erfolgreichste Springpferd der Welt. Frankfurt/M. 1960