Schwimmen
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(Auswahl)
A star is born: 1992 avanciert die damals vierzehnjährige Franziska van Almsick mit zwei silbernen und zwei bronzenen Medaillen zum ersten gesamtdeutschen Sportstar.
Dramatik in Rom 1994: Nachdem Franziska van Almsick den Einzug ins WM-Finale verpasst, verzichtet Teamkollegin Dagmar Hase auf ihren Platz; van Almsick rückt nach und gewinnt in Weltrekord-Zeit Gold.
Enttäuschung in Sydney: Einmal mehr als Favoritin gestartet gelingt ihr kein Einzug in ein Einzelfinale.
Die zuvor von den Medien als "Goldfisch" gefeierte Sportlerin sieht sich nun mit diversen medialen Tiefschlägen ("Franzi van Speck") konfrontiert.
Bei ihrer Heim-EM 2002 in Berlin meldet sie sich eindrucksvoll mit fünf Titeln zurück. Für diese Leistung wird sie mit dem Bambi in der Kategorie "Comeback" ausgezeichnet.
Für ihre Erfolge wurde Sie insgesamt drei mal zur Sportlerin des Jahres gewählt; hier nimmt sie ihre dritte Auszeichnung gemeinsam mit Sven Hannawald in Baden-Baden entgegen.
Nach den olympischen Spielen 2004 beendet Franziska van Almsick ihre Karriere mit vier olympischen Silber- und sechs Bronzemedaillen sowie zwei WM- und 18 EM-Titeln.
Dem Schwimmsport bleibt Franziska van Almsick nach ihrem Karriereende als Expertin bei der ARD erhalten: Hier bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro.
Wenn Franziska van Almsick heute Sportübertragungen im Fernsehen verfolgt, ist sie inzwischen doch sehr sensibel geworden. „Egal, welche Sportart, egal, ob jemand gewinnt oder verliert: Ich leide fast immer mit, weil ich die Gefühlslage der Sportler so gut nachempfinden kann“, verrät der Schwimmstar mit seinen inzwischen 41 Jahren: „Ich kenne ja dieses Auf und Ab.“ Wohl wahr, van Almsick hat nahezu alles erlebt in ihrer Karriere: von absoluten Höhepunkten als Weltsportlerin des Jahres 1993 bis zum vermeintlichen Untergang als Olympia-Elfte 2000 waren in insgesamt zwölf Jahren Zugehörigkeit zur Weltspitze mit insgesamt 43 internationalen Medaillen alle Gefühlslagen dabei. Und die Öffentlichkeit verfolgte von Essstörungen und Schulabbruch bis hin zu Trainer- und Partnerwechseln dabei so hautnah alles mit wie bei keiner anderen zuvor.
Doch der Reihe nach: Das gerade erst vereinte Deutschland verliebt sich heftig in diesen niedlichen Wuschelkopf, als van Almsick 1992 in Barcelona als 14-Jährige unerwartet Olympia-Silber über 200 Meter Freistil gewinnt. Unbekümmert und mit ihrer Berliner Schnauze so erfrischend anders und vor allem heiter kommt sie daher, düstere Themen wie die damals noch omnipräsenten DDR-Dopingvergangenheiten lassen sich bei ihr wunderbar ausblenden, wenn sie erzählt, dass sie als Göre hinterm Elternhaus im Stadtteil Treptow Bälle über die Berliner Mauer geworfen hat. Stattdessen wird beredet, wo dieser holländisch klingende Name denn her sei. „Sie kommt aus dem Osten, aber sie riecht nicht nach DDR“, stellten die Schreiber der „Zeit“ erleichtert fest. Bei der Magdeburgerin Dagmar Hase, die bei diesen Spielen nicht minder sensationell US-Star Janet Evans bezwingt und sogar Gold (über 400 Meter Freistil) gewinnt, ist das ja ganz anders – und nicht nur ihr Triumph geht daher etwas unter.
Mit 33 Olympiasiegen, so vielen wie seither nie wieder, wird Deutschland damals Dritter der Nationenwertung hinter dem vereinigten Team der ehemaligen UdSSR (45) und den USA (37), doch daheim dreht sich fast alles nur noch um diesen Silberfisch namens Franzi. Sie wird zum Gesicht der sportlichen Wiedervereinigung erkoren, ihre Interviews sind ja auch nicht so scheu wie beispielsweise bei Tennisstar Steffi Graf. Ein Beispiel: Als Günter Jauch im ZDF-„Sportstudio“ oberlehrerhaft fragt, ob sie denn wisse, aus welchen Elementen Wasser besteht, antwortet die überraschte Schülerin einfach keck mit: „Das verrate ich Ihnen nach der Sendung.“
Dieser kindliche Charme bezaubert die Nation, Franzi wird umjubelt wie ein Popstar - und auch wie einer vermarktet, Sponsoren wie Milka oder Opel zahlen Höchstpreise. Denn van Almsick war schon vor dem Coup in Barcelona ein gewiefter Manager vermittelt worden: Werner Köster. Der Hamburger, zuvor eine große Nummer bei „Bild“ und „Sport Bild“, kennt das Sportbusiness bestens und macht seinen Schützling schnell zur Millionärin. Dass Franzi sich ihre Karriere lang den Bedürfnissen des Medien-Boulevards nicht verschließt und stets offenherzig für Fotos posiert, ist wohl auch auf diese besondere Konstellation zurückzuführen. Die vielzitierte These des Fußballtrainers Adi Preissler aus den unschuldigen Anfangszeiten des Sports, entscheidend sei immer auf dem Platz, wird von Köster jedenfalls sukzessive widerlegt. „Viel entscheidender ist, wie man rüberkommt, und in puncto öffentlicher Anteilnahme ist van Almsick nun einmal unschlagbar“, heißt es dazu in der „Welt“.
Die „Franzimania“ steigert sich im Sommer 1993 noch, als sie mit ihrem wunderschönen Schwimmstil in Sheffield/England innerhalb von fünf Tagen sechs Europameister-Titel gewinnt und so zur Weltsportlerin des Jahres aufsteigt. Schwimmen ist plötzlich ein Quotenhit, für Zeitungsredaktionen wird es Pflicht, Reporter an jeden Pool zu stellen, in dem van Almsick auftaucht -- und tatsächlich liefert sie ja dann auch 1994 wieder die Sportstory des Jahres. Bei der Weltmeisterschaft in Rom verpasst sie nämlich am Morgen als Vorlaufneunte erst einmal den Finalplatz über ihre Paradestrecke 200 Meter Freistil. Nur ein mannschaftsintern eilig herbeigeredeter Verzicht ihrer Kollegin Dagmar Hase, die sich nach Krankheit nicht topfit fühlt und daher für ihr doppelt so langes Hauptrennen schonen soll, verschafft ihr den Platz im Endlauf. Nur ist van Almsick inzwischen verschwunden, sie hat sich enttäuscht ins Hotelbad eingeschlossen und kann erst im letzten Moment von der Mutter überredet werden, die unerwartete zweite Chance zu nutzen.
Wie sie es dann am Abend tut, gehört zu den unterhaltsamsten Ironien der Sportgeschichte, denn sie schwimmt ganz außen auf Bahn acht in Weltrekordzeit zum Titel. „Ich habe da gelernt, dass man auch in der aussichtslosesten Situation noch etwas erreichen kann, wenn man es wirklich will und kämpft. Heute bin ich die Letzte, die die Hoffnung aufgibt“, sagt van Almsick dazu. Ewig ist sie Dagmar Hase dankbar, die übrigens selber dann den Endlauf auf ihrer Paradestrecke verpasst und nicht den Platz von der vermeintlich schwächeren Teamkollegin geschenkt bekommt. „Trotzdem habe ich meine Entscheidung nie bereut. Es gab triftige Gründe, deswegen würde ich immer wieder so entscheiden“, betont die heutige Nachwuchstrainerin.
Van Almsick gewinnt auch im Jahr darauf wieder fünf EM-Titel, doch die Leichtigkeit der Anfangsjahre geht durch den ständigen Medienrummel immer mehr verloren. Rund um die Titelkämpfe in Wien gibt es viel Wirbel durch naive Interviewäußerungen zu Adolf Hitler („Mich interessiert das Phänomen.“). Die öffentliche Kritik darauf wirkt wie Liebesentzug, der die 17-Jährige („Ich fühlte mich damals komplett fremdbestimmt“) krank werden lässt. Ende 1995 beginnt eine Essstörung, die sie erst drei Jahre später mithilfe eines Therapeuten wieder loswird.
Aber keiner, nicht mal ihre vom schnellen Ruhm gleichfalls überforderte Familie, ahnt etwas davon: Jeder erwartet, dass sie sich 1996 in Atlanta den Traum vom Olympiagold erfüllen wird. Es reicht in den USA hinter der später wegen Dopings gesperrten Claudia Poll aus Costa dann wieder zu Silber, diesmal heißt es aber plötzlich dabei: nur Silber. „41 Hundertstelsekunden zu spät gekommen, um vier Jahren einen Sinn zu geben", höhnt zynisch die „Süddeutsche Zeitung“. Dass Niederlagen zum Sportlerleben genauso gehören wie Siege, wird nicht nur in den Medien einfach zu oft ausgeblendet. Van Almsick leidet mächtig darunter.
Es folgen nach einem Motorradunfall drei eher durchwachsene Jahre mit Staffelerfolgen, die sie später mal die „Rückkehr ins Leben“ nennen wird. Im Jahr 2000 nimmt sie dann aber mit vollem Einsatz den dritten Olympiaanlauf, scheitert aber im Vorlauf und wird in einer Zeitung daheim sogar als „Franzi van Speck“ verhöhnt. Das ist mehr als grausam für so eine junge Frau, selbst wenn man damals nichts von der Essstörung wusste. Zweimal Staffel-Bronze kann den Schmerz jedenfalls nicht lindern. Freunden erzählt van Almsick in Australien, sie würde sich am liebsten vom Dach des Olympiastadions stürzen.
Andere wären womöglich zerbrochen an dieser Situation, der Bandscheibenvorfall, der sie die WM 2001 verpassen lässt, kommt sicher nicht von ungefähr. Van Almsick entschließt sich nun zum Trainerwechsel und zur Trennung vom Manager. Privat ist sie fortan fast vier Jahre lang mit dem unangepassten Handballstar Stefan Kretzschmar liiert. Sie findet an seiner Seite endlich zu sich selbst und macht sich frei von öffentlichen Erwartungen, und verblüfft so im Jahr 2002 alle, als sie bei den Europameisterschaften in ihrer Heimatstadt Berlin ihren acht Jahre alten Weltrekord verbessert und gleich fünfmal Gold gewinnt. Sie weint öffentlich vor Freude, und fast alle in der ausverkauften Arena aus Rührung mit ihr. Die innere Kraft dieser jungen Frau bewundern nun plötzlich wieder alle im Land.
Es wäre wohl der perfekte Zeitpunkt für den Abschied gewesen, doch van Almsick ist und bleibt nun mal eine Kämpferin, sie ringt also noch ein viertes Mal um ihren Olympiatraum. Doch in Athen 2004 scheitert sie trotz aller Anstrengungen als Fünfte in ihrer Paradisziplin erneut. „Diesmal war ich wenigstens nicht zu fett“, sagt sie hinterher anklagend: „Ich bin froh, dass es endlich vorbei ist.“
Jeder hätte verstanden, wenn sie sich mit ihrem neuen Partner Jürgen Harder in Heidelberg fortan ein schönes Leben abseits aller Öffentlichkeit gemacht hätte, doch ihre Liebe zum Sport ist ungebrochen. Und so wechselt van Almsick schon 2008 in den Vorstand und später in den Aufsichtsrat der Stiftung Deutsche Sporthilfe, die sich um die private Förderung der deutschen Topathleten sorgt. Sie gibt der Suche nach Geldgebern für Tausende Athleten, die trotz gleichen Aufwands nicht so im Rampenlicht stehen und schwierige Sponsoren finden, mehr als nur das hübsche Gesicht. Mit ihr gelingt es der Sporthilfe, die Fördersummen sukzessive zu steigern, trotz aller Schwierigkeiten des olympischen Sports in der öffentlichen Wahrnehmung. „Ich finde nicht gut, wie sich das hierzulande medial mit der Fokussierung auf den Fußball entwickelt“, klagt van Almsick an. „Da wechselt ein Schwimmer wie Oliver Zeidler zum Rudern und wird dort nur drei Jahre später zum Weltmeister, aber so ein Sportwunder bekommen nur noch wenige mit und würdigen es entsprechend. Die deutschen Athleten haben da mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung verdient.“
So wie sie sich einst als Sportlerin nicht vor großen Herausforderungen gescheut hat, hält es die Mutter zweier schulpflichtiger Söhne auch heute noch. So setzt sie sich mit einer eigenen Stiftung auch noch dafür ein, dass kleine Kinder endlich wieder besser Schwimmen lernen und Lehrer an Grundschulen das nötige Rüstzeug dafür mitgegeben wird („auch wenn die politischen Weichenstellungen hier dauern und schwerfallen“). Zudem engagiert sie sich auch für Organspenden. „Keiner redet gern über so ein schwieriges Thema, aber wenn man das nicht jetzt regelt, kommt irgendwann womöglich das große Jammern“, sagt sie.
Und wer sie so erzählen hört, der merkt, dass Franziska van Almsick auch ohne das einst so überhöht ersehnte Olympiagold ein glücklicher Mensch geworden ist. Auch damit kann (und sollte) sie anderen Sportlern ein Vorbild sein. Denn wenn ihr heute vorm Fernseher Tränen kullern, dann kommen diese vor allem wegen der schönen Erinnerungen an ihre aktive Zeit.
Raik Hannemann, September 2019
Literatur zu und von Franziska van Almsick:
Hans-Dieter Schütt (Bearbeitung): Franziska van Almsick: Superstar. Porträt. Sportverlag, Berlin 1993.
Franziska van Almsick: Aufgetaucht. Kiepenheuer, Köln 2004 (2. Auflage).
Franziska van Almsick: Paul Plantschnase am Meer: Mit ersten Schwimmübungen. Kerle, Freiburg 2009.
Franziska van Almsick: Paul Plantschnase im Schwimmkurs. Kerle, Freiburg 2010.
Franziska van Almsick: Paul Plantschnase lernt schwimmen. Kerle, Freiburg 2017.