Fußball
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Fritz Walter (links) spielt ab 1930 in der Jugend und von 1938 bis 1959 für die Senioren des 1. FC Kaiserslautern.
Der Mittelfeldspieler (hier im Dribbling gegen Alfred Gaulke) ist für seine Position besonders torgefährlich: In 384 Punktspielen erzielt er 327 Tore.
1953 gewinnt Fritz Walter seine zweite Deutsche Meisterschaft und darf die Schale von DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens entgegennehmen.
Auch die Nationalmannschaft führt Walter als Kapitän an. Dieses Bild zeigt ihn mit Ungarns legendärem Kapitän Ferenc Puskás vor dem WM-Finale 1954.
Dieses Finale geht in die Geschichtsbücher ein. Die Walter-Elf schlägt den großen Favoriten Ungarn 3:2 und holt damit den ersten WM-Titel in der Geschichte der Bundesrepublik.
Lange Zeit hat Fritz Walter sich bedauert – und seine Freunde stimmten in das Bedauern ein. Er sagte, er sei zu früh geboren. Zwanzig Jahre zu früh, oder gar 25 Jahre. Weil er zu früh geboren war, konnte ihn das Fußballspiel nicht reich machen – ihn, den Bankangestellten. Nicht steinreich, aber schließlich doch wohlhabend. Als er Weltmeister wurde, 1954 in der Schweiz, 3:2 gegen die übermächtigen Ungarn, zahlte ihm der Deutsche Fußball-Bund – ihm und den anderen „Helden von Bern“ – eine Siegprämie von 2500 Mark. Außerdem gestattete man Fritz Walter, als Geschenk eine Polstergarnitur für das heimische Wohnzimmer anzunehmen – ohne, dass er in die Gefahr geriet, ein Profi zu sein.
Zwanzig Jahre später wurden Franz Beckenbauer oder Wolfgang Overath richtige Millionäre. Sie hatten die Weltmeisterschaft 1974 gewonnen und Fritz Walter seufzte mitunter: Zu früh geboren! Er hatte so gut gespielt wie seine Nachfolger – wahrscheinlich sogar besser, weil er zwei Jahrzehnte vorher schon so gut war wie sie.
Sie waren zu Hause fünf Kinder, der schmale Friedrich, zu dem jeder Fritz sagte, war der Älteste. Es folgten Ludwig, Gisela, Ottmar und Sonja. Ottmar gehörte ebenfalls zu der Weltmeister-Elf von 1954. Der Vater war Wirt des Vereinsheims des 1. FC Kaiserslautern. Der kleine Fritz kam in die Schülermannschaft des FV Kaiserslautern, der sich später mit Phönix Kaiserslautern zum 1. FC zusammentat. Fritz Walter war siebzehn Jahre alt, als er in die 1. Mannschaft kam. Als Stürmer mit der Nummer 8 auf den Rücken – heute würde man ihn als Mittelfeldspieler bezeichnen. Daneben machte er eine Lehre als Bankkaufmann.
Als der Krieg begann, kam er nach Frankreich, Sardinien und Korsika und hatte das Glück, einflussreiche Fürsprecher zu besitzen. Fußball spielte er bei der Soldaten-Mannschaft „Rote Jäger“. Er geriet in Rumänien in sowjetische Gefangenschaft, wo er den Bruder Ludwig traf. Es ergab sich, dass der Lagerkommandant ein Fußball-Fan war, der den beiden Walters die Reise nach Sibirien ersparte. Im Oktober 1945 kehrten sie nach Kaiserslautern zurück.
Als der Spielbetrieb im Fußball wieder begann, sprach man bald auch im Ausland von der Walter-Elf. Es kamen Angebote aus Italien und aus Frankreich. Racing Paris, damals eine der ersten Adressen in Europa, bot ein Handgeld von einer Viertelmillion Mark, Atletico Madrid garantierte für eine Zweijahresvertrag eine halbe Million. Er blieb dem Betzenberg treu. Er heiratete die Italienerin Italia Bortoluzzi, Sepp Herberger war sein Trauzeuge. Da er sich im Stadion zu sehr aufregte, ließ er sich nur von seiner Frau über Spielverlauf und Tore unterrichten. Die Ehe blieb kinderlos.
1956 gab es eines der seltenen Freundschaftsspiele gegen ein Team aus der DDR, dem Wismut Aue, das die Lauterer 5:3 gewannen. Dabei erzielte Fritz Walter so etwas wie ein „Tor des Jahrhunderts“: Er hatte sich nach vorne fallen lassen und den Ball mit der Hacke über den Kopf in den Torwinkel bugsiert. Zwischen 1938 und 1959 bestritt er 384 Punktspiele für den 1. FC Kaiserslautern und erzielte dabei 327 Tore. Bei der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden wurde er von dem schwedischen Abwehrspieler Parling grob zusammengetreten und schwer verletzt. Er beendete damit nach 61 Länderspielen mit 33 Toren seine internationale Laufbahn. Er wurde als Erster zum Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft ernannt. Das Stadion in Kaiserslautern trägt heute seinen Namen, genauso wie eine Schule, eine Straße, eine Stiftung, ein Jugendturnier. Das „Stammhaus Walterelf“ ist eine Gaststätte in der Innenstadt – sein Geburtshaus. Man gab ihm die Ehrenbürgerschaft, das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik und viele Auszeichnungen mehr.
Es mag sein, dass ein Fritz Walter, der zwanzig Jahre früher geboren wurde, viel mehr Geld verdient hätte. Aber als er später in die Jahre kam, in denen man das Leben nachkartet, hat er selber entdeckt, dass er dem Fußballspiel mehr zu verdanken hat als ein bequemes Leben. Durch dieses Spiel hat er mindestens zweimal das Leben selbst geschenkt bekommen. Das war zunächst einmal, als er – der schmächtige Neunzehnjährige – den Gestellungsbefehl bekam und zur Infanterie eingezogen wurde. Auch unter den Machthabern gab es nämlich Anhänger des Fußballspiels, die den frisch gebackenen Nationalspieler für Zwecke einzusetzen gedachten, die weit friedlicher waren. Im Auftrag des Propagandaministeriums gab es noch Länderspiele bis Ende 1942. Danach allerdings war es damit vorbei.
Aber es gab noch den fußballverrückten Fliegeroffizier Graf, Träger des Ritterkreuzes und Geschwaderchef – er holte sich aus allein Einheiten die besten Spieler und ließ sie als die „Roten Jäger“ spielen. Es war so etwas wie eine Frontbetreuung, die anderswo von der Film-Prominenz wahrgenommen wurde, um die Soldaten bei Laune zu halten.
In der Gefangenschaft gibt es ein Fußballspiel zwischen der Wachmannschaft und jenen Lazarett-Insassen, die laufen konnten. Fritz Walter fällt auf und muss nicht in den Zug nach Osten steigen. Es ist ein weiteres Mal, dass ihm das Spiel auf jeden Fall eine lange Gefangenschaft ersparte, vielleicht sogar das Leben rettete. In solchen Stunden, in denen er daran dachte, hat er überlegt, dass ihm das Fußballspiel mehr als Geld gegeben hat.
Fritz Walter hat überlebt, und als er neun Jahre später Weltmeister wurde, war er bereits 34 Jahre alt und oft von Verletzungen und Krankheiten geplagt. Seine Geschichte verdichtet sich zu einer der Legenden, die den Deutschen Wille und Hoffnung, Kraft und Mut wiedergaben. Fritz Walter, einer aus der Kriegsgeneration, der durchgekommen ist, gesund und ehrenhaft, der dazu beitrug, die rauchenden Ruinen wegzuräumen, frierend und hungrig, auch bescheiden und energisch. Fritz Walter gerät zur ersten Symbolfigur des neuen Anfangs, des wiedergewonnenen Stolzes. Weltmeister Fritz Walter hat ein ganzes Volk fühlen lassen, dass die Freude am Leben zurückkehrt. Sie haben ihm das nie vergessen. Noch Jahrzehnte später schrieb er Autogramme bis die Nackenmuskeln schmerzten – man zitierte ihn und lud ihn immer wieder in die Programme des Fernsehens. Er reiste durch das Land als Werbemann für ein halbes Dutzend angesehene Firmen – wohlhabend ist er schon geworden im Lauf der Zeit, wenn auch kein Millionär.
Man hat ihn geliebt, weil er das Symbol eines neuen Lebens nach der Katastrophe war. Der erste Fernsehapparat, das erste Auto, die erste Reise, der erste Sekt, auch die Pakete in die „Sowjetzone“ – das alles ist Fritz Walter gewesen. In Jugendstrafanstalten erzählt er von seinen Spielen, von den Toren, von sich selbst. Er lebt, wie die Menschen glauben, leben zu wollen. Fleißig sein, Erfolg haben, Glück erleben, ein klein wenig Luxus – auch ein bisschen Anteilnahme für den Nachbarn, dem es vielleicht ein bisschen weniger gut geht. Deshalb hat man ihn nicht nur verehrt, sondern geliebt. Das, was man heute einen Star nennt, ist er nicht geworden. Auch dafür wurde er zu früh geboren. Man ist sich nicht ganz sicher, ob er damit tatsächlich viel versäumt hat.
Ulrich Kaiser, Mai 2008
Literatur zu Fritz Walter:
Rudi Michel: Fritz Walter – Die Legende des deutschen Fußballs. Stuttgart 1995
Fritz Walter: 3:2 – Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister! München 2004
Frank Goosen (Hrsg.), Manfred Breuckmann: Fritz Walter, Kaiser Franz und wir – Unsere Weltmeisterschaften. München 2006
Fritz Walter: So habe ich’s gemacht. Meine Fußballschule. München 1968