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Fußball
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als Spielerin:
als Bundestrainerin:
Ein spektakulärer Moment, der Geschichte schreibt: Voller Freude umarmt Trainerin Silvia Neid ihre Schützlinge, die als erste deutsche Frauen-Fußballmannschaft in Rio 2016 soeben die olympische Goldmedaille gewonnen haben (Foto: picture alliance).
Ein Karriereende wie aus dem Bilderbuch: Silvia Neid läuft nach dem Sieg ihrer Mannschaft bei den Olympischen Spielen in Rio über den Platz. Nach 34 Jahren als Spielerin, Assistenz- und Cheftrainerin beendet die ehemalige Fußballerin ihre Karriere als Trainerin (Foto: picture alliance).
Ein bewegender Moment für Silvia Neid: bei der Europameisterschaft 1989 verteilt Neid Autogramme an ihre Fans, nachdem sie und ihre Mannschaft sich im ausverkauften Stadion in Osnabrück den Titel sicherten (Foto: picture alliance).
Auch nach ihrem Karriereende als Trainerin bleibt Silvia Neid dem Frauenfußball treu: Gemeinsam mit Sarina Wiegman und Femke Maassen ist sie das Gesicht der gemeinsamen Bewerbung für den Frauenfußball der Weltmeisterschaft 2027 (Foto: picture alliance).
Glücklich hält die damals 28-Jährige den Pokal des DFB-Supercups von 1992 in die Höhe – einer von vielen weiteren, welche Neid in ihren 14 Jahren als Spielerin mit der Nummer 10 auf dem Trikot gewann (Foto: picture alliance).
2019 wurde Silvia Neid als ehemalige Fußballspielerin und Bundestrainerin in die „Hall of Fame des deutschen Fußballs“ aufgenommen. 2021 folgt nun die Aufnahme in die von der Deutschen Sporthilfe initiierte „Hall of Fame des deutschen Sports“ (Foto: picture alliance).
2007 erhält Silvia Neid das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland (Foto: picture alliance).
2017 wird die ehemalige Spielerin und Bundestrainerin zum dritten Mal, nach 2010 und 2013, als FIFA-Welttrainerin ausgezeichnet. Damit war Neid bereits zuvor die Einzige, welche die Auszeichnung mehrfach erhalten hat (Foto: picture alliance).
Als an diesem lauen Freitagabend im August 2016 der Schlusspfiff im legendären Stadion Maracanã ertönt, ist nicht nur das Frauenfußball-Finale der Olympischen Spiele in Rio vorbei. Auch die einzigartige Karriere von Silvia Neid als Bundestrainerin ist damit beendet. Schon Monate vor dem Beginn des Turniers hat Neid ihren nahenden Abschied bekannt gegeben. Damals ahnt noch niemand, dass es ein Schlussakkord sein wird, der perfekter nicht hätte inszeniert werden können. Nach dem 2:1 (0:0) im Endspiel gegen Schweden, dem ersten Olympiasieg und Gewinn der Goldmedaille einer deutschen Frauenfußball-Nationalmannschaft überhaupt, brechen alle Dämme. Es folgen emotionale Bilder der Freude, die unvergesslich bleiben.
Silvia Neid hat eine Ära geprägt. 34 Jahre lang. Mehr als drei Jahrzehnte für die DFB-Auswahl, als Spielerin, Assistenz- und Cheftrainerin. 34 Jahre, in denen sie sich zur einer der bekanntesten Persönlichkeiten ihres Sports entwickelt hat. Weltweit.
Die damals 52-Jährige ist mit einem klaren Ziel zu den Olympischen Spielen in dieses ganz besondere Fußball-Land Brasilien gereist. Gemeinsam mit ihrer Mannschaft und dem Team hinter dem Team will sie diese Goldmedaille holen – und damit das perfekte letzte Kapitel schreiben. Als sie es gemeinsam schließlich geschafft haben, ist klar: Silvia Neid hat als Bundestrainerin alles gewonnen, was der Weltfußball zu bieten hat. Die Goldmedaille – ein würdiger Abschluss, der genau zu ihrer Laufbahn passt. Denn noch nie zuvor ist eine DFB-Auswahl Olympiasieger geworden. In Rio wird also an diesem Abend Geschichte geschrieben. Und Silvia Neid ist – wieder einmal – direkt beteiligt.
Am 19. August 2016 endet damit eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht und deren Basis schon im Kindesalter gelegt wird. „Ich habe schon gegen den Ball getreten, als ich kaum richtig stehen und gehen konnte. Bei uns lag immer ein Ball herum, im Garten oder im Wohnzimmer“, erinnert sie sich. Die meiste Freizeit ihrer Kindheit verbringt sie auf dem Bolzplatz, wo sie mit ihrem zwei Jahre älteren Bruder und dessen Freunden spielt. Silvia Neid, Jahrgang 1964, hat Glück: Erst 1970 hatte der DFB das offizielle Verbot des Frauenfußballs im Verband aufgehoben. „Bis ich in den Verein kam, hatten wir das Jahr 1975. Damals gab es nur wenig Clubs, die Frauenfußball angeboten haben“, weiß sie noch. „Zufälligerweise hatte der SV Schlierstadt eine Frauenmannschaft – und das war nur 18 Kilometer von meinem Geburtsort Walldürn entfernt."
Einfach ist ihre Anfangszeit nicht, denn es gibt zu Beginn wenig Gleichaltrige, die sich für den Fußball begeistern – und reine Mädchenteams schon einmal gar nicht. Bereits mit elf Jahren spielt sie bei den Frauen mit. „Meine Mitspielerinnen waren teilweise 32 oder 34 Jahre alt.“ Sie setzt sich trotzdem durch, denn ihr Talent ist offensichtlich. 1983 wechselt sie zum damaligen Deutschen Rekordmeister SSG Bergisch Gladbach, 1985 zum TSV Siegen. Insgesamt gewinnt sie siebenmal die Deutsche Meisterschaft und sechsmal den DFB-Pokal. Anfangs spielt sie unentgeltlich, später für ein kleines Gehalt. Geld für ihren Lebensunterhalt verdient sie sich im Blumengroßhandel ihres Vereinstrainers Gerd Neuser dazu. Als Top-Fußballerin nebenher arbeiten, um den Lebensunterhalt sicherzustellen – ein üblicher Vorgang damals.
Silvia Neid halten die Umstände nicht davon ab, eine der prägenden Figuren der deutschen Nationalmannschaft zu werden, im Gegenteil: Sie spornen sie an. Sie ist ehrgeizig, zielgerichtet und weiß, was sie will. Die Anfangszeit wirkt prägend, in dieser Zeit wird der Grundstein gelegt zu ihrer starken Persönlichkeit. Am Ende wird sie als Spielerin 111 Länderspiele absolvieren und 48 Tore schießen. Und als Aktive, Assistenz- und Cheftrainerin an allen Titeln der DFB-Auswahl beteiligt sein. Zudem dreimal zur FIFA-Welttrainerin gewählt werden. Eine einzigartige Bilanz, weltweit bislang unerreicht.
Ihr erstes Tor gelingt ihr gleich beim Debüt 1982, als der feinen Technikerin, gerade einmal 18 Jahre alt, eine Minute nach ihrer Einwechslung beim 5:1 gegen die Schweiz ein Treffer glückt, wenig später sogar der zweite. Zuvor hat sie sich bei einem Sichtungstraining durchgesetzt. „Der DFB hat damals je 30 Spielerinnen im Norden und im Süden zu einer Sichtung eingeladen – danach gehörte ich zu den 18 Fußballerinnen, die ihr erstes Länderspiel bestreiten durften." Als sie später ein Angebot aus Japan hat, rät ihr übrigens der damalige Bundestrainer Gero Bisanz entschieden von einem Wechsel nach Fernost ab – mit der Begründung, dass er sie dann nicht mehr ins Nationalteam berufen könne. Rückblickend schmunzelten die beiden über diese Begebenheit.
Einer der Meilensteine für den deutschen Frauenfußball ist auch für Silvia Neid bis heute die Europameisterschaft 1989 im eigenen Land. Das Stadion an der Bremer Brücke in Osnabrück ist beim Finale ausverkauft, das Fernsehen überträgt live – nach dem 4:1 gegen Norwegen gibt es das berühmte Kaffeeservice, wobei die Spielführerin die Prämie gar nicht als so geringschätzend empfinden, wie das heute oft dargestellt wird. Denn: „Wir haben uns einfach gefreut, dass unser Titel anerkannt wurde und wir dafür ein Geschenk bekommen haben. Dieses Kaffeeservice habe ich dann bei meinen Eltern gelassen, und meine Mutter fand es richtig schön. Bis heute ist das eine tolle Erinnerung – und außerdem: Wir haben den EM-Titel gewonnen und nicht das Kaffeeservice“, sagt sie und lacht.
Nach 14 Jahren beendet die Frau mit der Nummer 10 auf dem Trikot nach der Begegnung am 25. Juli gegen Brasilien bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta ihre aktive Karriere – als Vize-Weltmeisterin, dreimalige Europameisterin, siebenmalige Deutsche Meisterin und sechsmalige DFB-Pokal-Siegerin – und als erste Deutsche, die die Marke von 100 Länderspielen erreichte. Eine beeindruckende Bilanz, die sich bald auch als Trainerin fortsetzt.
Der Übergang verläuft fließend. Nachdem sie 1996 ihre aktive Karriere beendet hat, wird ihr ein Anruf von Berti Vogts den Weg in die Trainerinnenkarriere ebnen. Der damalige Bundestrainer der Männer ist in die Suche eines Nachfolgers für Gero Bisanz eingebunden: Tina Theune, Bisanz‘ langjährige Assistentin, wird Bundestrainerin der Frauen und Silvia Neid, nach erfolgreicher Akquise von Vogts, schließlich ihre Co-Trainerin. Zusätzlich übernimmt Neid noch die Juniorinnen-Nationalmannschaft; mit der deutschen U 19 gewinnt sie 2004 in Thailand den WM-Titel. Mit dabei: Annike Krahn, Melanie Behringer, Simone Laudehr, Anja Mittag, Lena Goeßling – allesamt zwölf Jahre später Olympiasiegerinnen im letzten Spiel ihrer langjährigen Cheftrainerin.
Fortan prägt Silvia Neid von der Trainerbank aus die erfolgreichste Zeit der DFB-Frauen entscheidend mit: Als Assistenztrainerin von Theune unter anderem beim WM-Sieg 2003, als Cheftrainerin ab 2005 bei Olympia-Bronze 2006, dem WM-Triumph 2007 und den EM-Titeln 2009 und 2013. Dafür erhält sie später das Bundesverdienstkreuz am Bande und das Silberne Lorbeerblatt, zudem wird sie dreimal zur FIFA-Welttrainerin gewählt und in die Gründungself der HALL OF FAME des deutschen Fußballs aufgenommen. Eine weitere außergewöhnliche Ehre: Neid wird 2018 auch in die Football Hall of Fame of Mexico aufgenommen. Vor allem für die Frauen des lateinamerikanischen Landes ein bedeutendes Zeichen, das inspiriert.
Neid ist Vorbild, ebnet mit ihren Mitstreiterinnen den Weg für viele Mädchen, die durch diese Meilensteine zum Fußball kommen. Die mediale Öffentlichkeit ist da, die Bühne bereitet, die Akzeptanz steigt. „Unsere Erfolge haben natürlich auch ein sehr großes Medieninteresse ausgelöst. Gerade als wir 2007 aus China zurückgeflogen sind und am Frankfurter Römer empfangen wurden, war das Interesse riesig." Ganz egal, ob sie danach zum Bäcker oder zur Tankstelle gefahren sei: „Überall traf ich auf begeisterte Menschen, die den Frauenfußball gut fanden.“ Silvia Neid avanciert mit all ihren Titeln zum Gesicht des Frauenfußballs – in Deutschland und weltweit.
Rückblickend ist sie stolz auf ihre Erfolge, die den Stellenwert des Frauenfußballs enorm erhöht haben. Dabei wird sie nicht müde zu betonen, dass sie all das nicht ohne ihr Team geschafft hätte – das auf und das neben dem Platz: „Alleine hätte ich gar nichts erreicht. Entscheidend waren immer auch meine Mannschaft und mein Team hinter dem Team. Wir haben hervorragend zusammengearbeitet. Diese Menschen, die hier sind, haben sich diese Medaille gemeinsam verdient“, sagt sie in der Goldnacht von Rio, völlig überwältigt. Ob das jetzt ihr größter, ihr außergewöhnlichster Titel war? „Die ganzen EM- und WM-Titelgewinne, das war auch besonders. Aber ich glaube dadurch, dass es jetzt eben der letzte Titel ist und der Abschluss mit der Frauen-Nationalmannschaft, ist dieser Erfolg erst recht etwas Besonderes.“
Der Kreis schließt sich. Ihre aktive Karriere als Spielerin beendet sie nach den Olympischen Spielen 1996, ihre Laufbahn als Trainerin nach den Olympischen Spielen 2016. Zufrieden, glücklich und voller Vorfreude auf das, was da noch kommt. Heute ist sie in der DFB-Abteilung Scouting, Spielanalyse und Diagnostik für internationales Trendscouting im weiblichen Bereich zuständig und teilt ihren großen Erfahrungsschatz. Bis heute erreichen sie Anfragen aus aller Welt, wenn es darum geht, einen prestigeträchtigen Cheftrainerinnen-Posten zu besetzen.
Neben ihrer DFB-Tätigkeit im Trendscouting ist Silvia Neid auch das Gesicht der Kampagne, mit der sich Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien für die Frauen-WM 2027 bewirbt. Ein Gesicht, das immer noch für den deutschen Frauenfußball steht. Und eine Persönlichkeit, die Einzigartiges für ihre Sportart geleistet hat – auf und neben dem Platz.
Annette Seitz / Oktober 2021
Literatur zu Silvia Neid:
Maria Gehrig: Mutige Frauen ihrer Zeit: Schicksale und Lebensgeschichten, verlag regionalkultur 2021.