Gustav Kilian

Radsport

  • Name Gustav Kilian
  • Sportart Radsport
  • Geboren am 3. November 1907 in Luxemburg
  • Todestag 20. Oktober 2000 in Dortmund
  • Aufnahme Hall of Fame 2008
  • Rubrik 1933–1945

Sechstage-Kaiser und Medaillen-Schmied

Der Ruf der Radsportlegende Gustav Kilian ist zweifach begründet: In seiner aktiven Zeit war er der „Sechstage-Kaiser“ mit 34 Rennsiegen zwischen 1934 und 1951. Als 1933 Sechstagerennen in Deutschland verboten wurden, ging er mit seinem Partner Heinz Vopel in die USA.

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Die beiden wurden dort so populär, dass sie auch nach Kriegsausbruch 1939 noch eingeladen wurden, obwohl sie von den Nazis in der Heimat gefeiert und 1937 sogar in die Partei aufgenommen worden waren. Später war Kilian als Trainer der Bahnfahrer der bundesdeutsche „Medaillen-Schmied“: Zwischen 1964 und 1976 führte er den Bahnvierer dreimal zum Olympiasieg, fünfmal zwischen 1964 und 1975 wurde das Paradeteam Weltmeister. Von ihm als Bundestrainer betreute Radsportler gewannen 16 Goldmedaillen und insgesamt 36-mal Edelmetall bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Als Kilians Erfolgsgeheimnis galten das Verständnis für technische Neuerungen an Rädern sowie das Gespür für Menschenführung. Nach seiner Pensionierung 1978 wirkte er noch oft für den Deutschen Sportbund als Entwicklungshelfer in verschiedenen Ländern.

Gustav Kilian

Radsport

Größte Erfolge

  • Als Athlet: 34 Siege bei Sechs-Tagerennen
  • Als Bundestrainer: 16 Gold-, 13 Silber- und 7 Bronzemedaillen bei Olympia und WM

Auszeichnungen

  • Bundesverdienstkreuz erster Klasse (1975)
  • Fair-Play-Trophäe der Unesco (1978)
  • Ehrenmitglied Bund Deutscher Radfahrer (1978)
  • Goldenes Band der Sportpresse (1976)

Biografie

Gustav Kilian trug drei Ehrentitel. „Sechstage-Kaiser“ für den Radrennfahrer. „Goldschmied“ für den Bundestrainer. „Eiserner Gustav“ für den Lebenskünstler. Drei Etiketten auf der Visitenkarte eines erfüllten, fast 93-jährigen Lebens. 34 Siege in 125 Rennen krönten ihn zum „Sechstage-Kaiser“ während einer Epoche, als diese Ausdauerart des Radsports noch ein harter, ernst zu nehmender Non-Stop-Wettkampf und kein zerstückeltes Abendprogramm war. 3646,3 Kilometer, mehr als die Länge der dreiwöchigen Tour de France 2008, strampelten der junge Gustav Kilian und sein Partner Hans Pützfeld bei ihrem Profidebüt 1930 im fünften Dortmunder Sechstagerennen in 145 Stunden herunter. Sechs Tage und sechs Nächte lang musste immer ein Fahrer auf der Bahn seine Runden drehen. Auch während der sechsstündigen Neutralisation von 06 bis 12 Uhr, in der beide abwechselnd je drei Stunden schliefen.

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29 gemeinsame Siege errangen Kilian/Vopel zwischen 1934 und 1951, ein Rekord, den erst 2002 die Schweizer Bruno Risi und Kurt Betschart im entarteten Sechstage-Zirkus erreichten. Sechzehn Goldmedaillen der von ihm betreuten Fahrer bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften machten den Bahnbundestrainer zum „Goldschmied“. 13 Silber- und sieben Bronzemedaillen ergänzen Kilians Sammlung. Weltweit kann kein Trainer eine derartige Medaillenbilanz vorzeigen. Als seine Musterschüler im Bahn-Vierer 1976 in Montreal zum dritten Mal Olympiasieger wurden und aus diesem Quartett Gregor Braun obendrein noch die 4000-Meter-Einerverfolgung gewann, wurde der damals 69-jährige deutsche Bundestrainer in Luxemburg zum „Sportler des Jahres“ gewählt. Denn im kleinen Großherzogtum wurde Gustav Kilian am 3. November 1907 als Sohn eines Deutschen und einer Luxemburgerin geboren und besaß zeitlebens zwei Pässe. Seit seinem 14. Lebensjahr war er Dortmunder. Und in Dortmund starb Gustav Kilian auch am 19. Oktober 2000, zwei Wochen vor seinem 93. Geburtstag. Seine konsequente, der absoluten Askese unterworfene Lebensweise (kein Tropfen Alkohol, kein Zug Nikotin, gesunde Ernährung, geregelter Tagesablauf) und seine spartanische Sportphilosophie, „je härter der Sport, desto härter muss man darben. Man kann keinen Sport treiben und dabei gut leben“, erhoben ihn zum „Eisernen Gustav“, der bis ins hohe Alter keinen Rost ansetzte. Noch mit 90 strotzte der „Eiserne“ vor Gesundheit und Vitalität, fuhr täglich 50 bis 60 Kilometer Rad. Und wenn er sich verfuhr, zeigte der Tacho auch schon mal 100 Kilometer an. Die Lust am Abenteuer und der Mut zum Wagnis prägten zusätzlich sein Leben. Sein Sportler-Motto lautete: „Wer ohne Risiko siegt, triumphiert ohne Ruhm.“

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, verweichlichte Reichssportführer Tschammer-Osten den Austragungsmodus. Die Fahrer schliefen ihm zu wenig. Dem Publikum gefiel die neue Methode nicht. Es blieb weg. 1934 wurden Sechstagerennen in Deutschland dann ganz verboten. Die Sechstageprofis waren arbeitslos. Gustav Kilian und sein Partner und Freund Heinz Vopel versuchten – wie sechs Jahre zuvor der Boxer Max Schmeling – ihr Glück in Amerika. Sechstagerennen waren in den USA der große Renner. Tante Litta, die in Dortmund einen Lebensmittelladen führte, lieh dem Neffen 1000 Mark für die Überfahrt. Auch Vopel besorgte sich den Tausender für die Amerikareise mit der „Kolumbus“. Nach achttägiger Seefahrt wurden Kilian/Vopel erst einmal drei Tage lang auf Ellis Island festgehalten, weil sie keinen Cent in der Tasche und keine Arbeitserlaubnis hatten. Ein Jahr lang tingelten sie durch die Vereinigten Staaten, fuhren in Buffalo, Chicago, Milwaukee, Montreal, ehe die beiden Deutschen Zutritt zum Allerheiligsten der Sechstagefahrer erhielten: in den Madison Square Garden von New York. Kilian/Vopel siegten auf Anhieb. Sie gewannen und gewannen, einmal gleich im Dutzend hintereinander. 31 seiner 34 Siege (29 mit Vopel) errang Kilian in den USA. Sie verdienten gut: 1600 Mark pro Mann und Nacht. Spesen extra. Das war eine Menge Geld. Die deutschen Sechstageprofis waren in Amerika so beliebt wie der deutsche Schwergewichtsboxer. Und wie bei Schmeling benutzte die Nazipropaganda auch die Popularität von Kilian und Vopel beiderseits des Atlantiks. Welcher Irr- und Widersinn: Sechstagerennen waren in Deutschland verboten. Die Sechstagehelden in Amerika aber wurden 1937 in die Partei aufgenommen, von Hermann Göring empfangen und 1938 wegen ihres „deutschen Auftretens“ in den USA mit 5000 Reichsmark von der „Wilhelm-Gustloff-Stiftung“ belohnt.

Elfmal waren Kilian/Vopel über den Atlantik geschippert. Auch nach Kriegsausbruch wurden sie jeden Winter noch eingeladen. Doch 1941 war die Linienschifffahrt eingestellt worden. Sie reisten wochenlang mit der transsibirischen Eisenbahn durch die Sowjetunion, über Korea, Japan, Hawaii und San Francisco an die Ostküste. Auf dem gleichen Weg ging es nach dem Sieg in Buffalo zurück. Sie erreichten die Heimat acht Tage bevor Hitler Stalin den Krieg erklärte. Das FBI beschlagnahmte Kilians Dollarguthaben in den USA als „Feindvermögen“. Die Gestapo konfiszierte die Dollarbündel in seinem Tresor bei einer Brüsseler Bank. Die Wehrmacht schickte ihn – wie Schmeling – an die Front. Als der Krieg verloren war, hatte Kilian keine Mark mehr in der Tasche, hatte Typhus und wog noch 90 Pfund. So wie der mittellose Max Schmeling mit 42 Jahren wieder in den Ring kletterte, stieg auch Gustav Kilian als 38-Jähriger 1945 wieder aufs Rad, um Geld zu verdienen. Das Radsport-Idol siegte Anfang der fünfziger Jahre mit dem alten Freund Heinz Vopel (gestorben 1959) noch zweimal, ein drittes Mal mit dem Schweizer Jean Roth. Das 12. Dortmunder Sechstagerennen 1953 wurde am Schlussabend für fünf Minuten neutralisiert, damit die Hatz erst nach Mitternacht am 3. November endete, an Gustav Kilians 46. Geburtstag. Das Ende der Winterbahnsaison 1953/54 war auch das Ende seiner Karriere als Radrennfahrer.

In den Berufen danach versuchte sich Kilian unter anderem auch als Gastwirt. Ein strikter Alkoholgegner am Zapfhahn ist ungefähr so fehl am Platze wie ein Pazifist im Waffenhandel. „Meine schlimmste Zeit“, erzählte Kilian. „Ich musste ständig Bier ausschenken und mich auslachen lassen, wenn ich am Tresen Milch trank.“ Durch den Sohn, Gustav junior, auf seinen Radspuren, fand der Senior den zu seinem Charakter passenden Beruf, die Berufung und Erfüllung seines Lebens: Trainer. Er betreute seinen Filius und dessen Partner Dieter Gieseler, der bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom die Silbermedaille im 1000-Meter-Zeitfahren gewann. Das Talent Kilians zum Trainer war entdeckt. Auch ohne Sporthochschule und wissenschaftliche Ausbildung.

Gemessen an den Methoden moderner Trainingslehre war Kilian ein Fossil aus jener Vorzeit des Sports, in der kräftige Anstrengung, gutes Essen, viel Schlaf, wenig Zerstreuung und kein Sex als Grundvoraussetzung für den Erfolg betrachtet wurden. Gefragt, wie er trainiere, pflegte Kilian schnippisch zu antworten: „Mit konservativen Mitteln.“ Was er selbst erlernt, erfahren und erahnt hatte, setzte er um in Lehren und Weisheiten, die den akademischen Köpfen des Leistungssports abenteuerlich erschienen. Doch gegen Erfolg gibt es nun einmal keine Argumente. Um den genauen, sauberen, ungehemmten Lauf eines Hinterrades zu prüfen, legte Kilian sein Ohr an den Sattel der Rennmaschine und ließ das Laufrad rotieren. Wie der Musiker mit seiner Stimmgabel ermittelte Kilian auf diese Weise den richtigen Ton. Mit Gehör prüfte der akribische Lehrmeister ganze Mannschaften. Wenn sein Vierer um die Bahn kurvte, kniete Kilian nieder, legte das Ohr auf die Piste und vernahm aus den Schwingungen des Holzes, ob alles harmonierte. Derart übersinnliches Gefühl und das untrügliche Gespür kitzelten aus den Athleten Höchstleistungen heraus und verhalfen dem deutschen Radsport Jahr für Jahr zu seinem Flaggschiff. Der Kilian-Vierer streichelte die Pisten, wenn die anderen bolzten. Kilian liebte diese diffizilste Disziplin des Radsports. „Der Vierer“, sagte Kilian, „ist ein Wettbewerb, in dem es auf den Trainer ankommt. Da kann ich mich austoben.“ Der bundesdeutsche Kilian-Vierer wurde Olympiasieger 1964 in Tokio, 1972 in München und 1976 in Montreal, Weltmeister 1964, 1970, 1973, 1974, 1975.

Im Olympia-Finale 1968 in Mexiko gegen Dänemark stimmte einmal die Harmonie nicht. Jürgen Kissner berührte einen Kollegen. Das Quartett wurde disqualifiziert. Der Perfektionist empfand einen zweiten Platz stets als bittere Niederlage. Die Niederlage 1977 im WM-Finale von San Cristobal in Venezuela ausgerechnet gegen die DDR konnte er nicht verwinden. Zwei Monate später verkündete Gustav Kilian nach glorreichen 17 Trainerjahren seinen Rücktritt. Das Datum: 3. November 1977, sein 70.Geburtstag. Anlässlich seines 90. Geburtstages ehrte ihn die deutsche Sportpresse als „Sportler des Jahrhunderts“.

Hartmut Scherzer, Mai 2008

Literatur zu Gustav Kilian:

Gerd Rensman, Gustav Kilian: Allein ist man nichts, als Mannschaft alles: Der eiserne Gustav erzählt aus seinem Leben. Dortmund 1977
Wolfgang Gronen, Walter Lemke: Geschichte des Fahrrades und des Radsports. Eupen 1978


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