Dr. Hans-Georg Aschenbach

Ski Nordisch

  • Name Dr. Hans-Georg Aschenbach
  • Sportart Ski Nordisch
  • Geboren am 25. Oktober 1951 in Brotterode
  • Aufnahme Hall of Fame 2015
  • Rubrik 70er Jahre

Held, „Verräter“, Opfer, Mahner

Das Leben Hans-Georg Aschenbachs ist vom Gewinn aller wichtigen Titel im Skispringen – Olympiasieg, Weltmeisterschaft, Gesamtsieg der Vierschanzentournee – genauso gekennzeichnet wie vom innerlichen Kampf mit dem DDR-System und von der Flucht in den Westen im Jahr 1988. Als junger Athlet zunächst zwangsgedopt, widersetzte er sich als Arzt den Dopingvorgaben des Systems und war nach seiner Flucht in den Westen einer der ersten und lautesten Stimmen, die das flächendeckende Staatsdoping öffentlich machten.

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Nachdem er 1973 in Oberstdorf Skiflug-Weltmeister geworden war, holte sich Aschenbach zum Jahreswechsel 1973/74 den Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee. 1974 wurde der Athlet vom Armeesportklub Vorwärts Oberhof im schwedischen Falun Weltmeister von der Normal- und der Großschanze und zum Sportler des Jahres der DDR gewählt. Bei den Olympischen Spielen 1976 in Innsbruck gewann er die Goldmedaille von der Normalschanze, was zusätzlich als Weltmeistertitel gewertet wurde.

Nach der Sportlaufbahn promovierte er zum Militärarzt und machte politisch Karriere: Aschenbach war SED-Mitglied, Delegierter des Parteitags und Mitglied des DDR-Friedensrates. Doch seine Einstellung zum System bröckelte, er war offenbar innerlich zerrissen. Er wurde in die Medizinische Kommission des Welt-Skiverbandes entsandt, daraus aber von der Stasi-Führung zurückgezogen, nachdem er 1987 während eines Ungarn-Urlaubs einem Kind aus dem Westen in akuter Lebensgefahr geholfen hatte. Ein Jahr später wurde er Mannschaftsarzt der Skispringer und mit Dopingplänen beauftragt. Dies war der Anlass für ihn, sich endgültig dem DDR-Staat zu widersetzen: Ein Mattenspringen in Hinterzarten nutzte Aschenbach am 27. August 1988 zur Flucht in die BRD. Und das, obwohl er damit seine Familie zurücklassen musste. Da die DDR sie nicht ausreisen ließ, enthüllte er als einer der Ersten im Juni 1989 in der Bild-Zeitung das flächendeckende Staatsdoping. Es gab Versuche, Aschenbach gewaltsam zurückzuführen – als Oberstleutnant war er der wohl ranghöchste Offizier der Nationalen Volksarmee, der je in den Westen flüchtete. Seine Lebensgeschichte hat den Arzt, der unter Burnout-Syndrom und Depressionen litt, zu einem wichtigen Mahner gemacht.

Dr. Hans-Georg Aschenbach

Ski Nordisch

Größte Erfolge

  • Olympia-Gold und Weltmeister 1976 (Normalschanze)
  • Doppel-Weltmeister 1974 von Normal- und Großschanze
  • Skiflug-Weltmeister 1973
  • Gewinner der Vierschanzentournee 1973/74
  • Neunmaliger DDR-Meister zwischen 1971 und 1976

Auszeichnungen

  • DDR-Sportler des Jahres (1974)

Biografie

Hans-Georg Aschenbach hat im Skispringen nahezu alles erreicht, was man in dieser Sportart erreichen kann. Er gewann in den siebziger Jahren im DDR-blauen Springeranzug olympisches Gold, die WM, die Skiflug-WM und die Vierschanzen-Tournee. Er studierte Sportwissenschaften und Medizin. 1988 nutzte er als Mannschaftsarzt der DDR-Springer um Jens Weißflog ein Trainingslager zur Flucht. Er war der ranghöchste Offizier, der je aus der DDR geflohen ist. Gesundheitliche Folgeschäden der Sportkarriere, Burn-out und Depressionen begleiten ihn seit Jahrzehnten. Vor wenigen Jahren hat er zu neuer Kraft gefunden. Seitdem erhebt er seine Stimme zur Lage des Leistungssports.

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Aschenbach praktiziert in Freiburg als Sportmediziner, was seinen mahnenden Worten zusätzliches Gewicht verleiht. Seine Vita – 1974 war er DDR-Sportler des Jahres – ist vom Gewinn aller wichtigen Titel im Skispringen genauso gekennzeichnet wie vom innerlichen Kampf mit dem DDR-System und der Flucht in den Westen. „Euer Held. Euer Verräter“, heißt der Titel seiner 2012 veröffentlichen Autobiografie.

Nach der sportlichen Laufbahn promovierte der DDR-Vorzeigesportler zum Militärarzt und machte politisch Karriere: Aschenbach war SED-Mitglied, Delegierter des Parteitags und Mitglied des DDR-Friedensrates. Doch seine Einstellung zum System bröselte. In einem FAZ-Interview vom Dezember 2011 blickte er zurück und kritisierte die Instrumentalisierung des Sports: „Der Mensch Aschenbach… wurde als Jugendlicher dem System unterworfen, sein Körper dazu befähigt, tausende Male seine Seele von den Schanzen dieser Welt mit in die Tiefe zu reißen. Er wurde in die Medizinische Kommission des Welt-Skiverbandes entsandt, daraus aber von der Stasi-Führung zurückgezogen, nachdem er 1987 während eines Ungarn-Urlaubs einem Nürnberger Kind, also aus dem Westen, in akuter Lebensgefahr half. Er wurde ein Jahr später… zum Mannschaftsarzt der Skispringer bestimmt und mit der Erarbeitung sportartspezifischer Dopingpläne beauftragt.“

Das war Anlass, über die Flucht aus der DDR nachzudenken – und diese dann zu vollziehen. Er ließ seine Familie zurück und stand im Westen vor dem Nichts. Da die DDR die Familie nicht zu ihm ausreisen ließ, enthüllte er im Juni 1989 in der Bild-Zeitung das flächendeckende Staatsdoping. Es gab Versuche, Aschenbach gewaltsam in die DDR zurückzuführen. Später kamen die Aussprache mit der Familie, Selbstzweifel und -vorwürfe und immer wieder Rechtfertigungen und Erklärungen.

Nach Jahren des Schweigens kritisierte Aschenbach Fehlentwicklungen in der Wahrnehmung von sportlichen Leistungen, und er sah dabei vor allem die Rolle des Fernsehens skeptisch. Er forderte, mit einer „medialen Inquisition“ von Athleten Schluss zu machen. „Das Problem der psycho-sozialen Überlastung von Sportlern durch Erwartungen von außen und öffentliche Beurteilungen ist Insidern seit Jahren offenkundig. Leider bedurfte es – so traurig das ist – erst prominenter Opfer, damit die Gesellschaft dem Phänomen mehr Aufmerksamkeit widmet“, sagt Aschenbach. „Zu meiner aktiven Zeit entsprach die Instrumentalisierung des Sports dem politischen und gesellschaftlichen Selbstverständnis einer darstellungssüchtigen Funktionärsgilde. In der DDR folgte der Sport dem parteidiktatorischen Auftrag, die angebliche Überlegenheit des Sozialismus nach außen zu tragen.“ Der Sportler, so Aschenbach, hatte zu funktionieren, wurde mit allen zur Verfügung stehenden Maßnahmen und Mitteln militärisch geführt, wissenschaftlich trainiert, körperlich benutzt und politisch indoktriniert. „Versüßt“ worden sei ihm seine Entmündigung mit Privilegien wie Auslandsreisen, freie Berufswahl oder vermeintliche Fürsorge.

Aber auch seit der Vereinigung sei nicht alles zum Besten bestellt, meint er. „Mit dem Fall der Mauer verschwand zwar das Feindbild, doch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verschärften sich im vereinten Deutschland. Aus meiner Sicht entstand ein an Marketing- und Konsuminteressen orientiertes ‚System Sport‘, das sich seiner Athleten bemächtigt. Es ist schwierig, sportliches Talent und Persönlichkeit in Ruhe zu entfalten. Wirtschaftliche Zwänge, berufliche Unsicherheiten und wegbrechende Fürsorge nach Karriereschluss erhöhen den psychischen und physischen Druck auf die Aktiven in Grenzbereiche. Von derartigen Erkrankungen und Schicksalen lesen wir immer öfter, die meisten aber bleiben noch im Verborgenen.“ Von den psychosozialen Pressionen und Belastungen seien auch Trainer und – wie er glaubt – zunehmend Schiedsrichter und Ehrenamtliche betroffen. Sorgen mache er sich zudem um einige Bundestrainer, deren Verträge nach sogenannten wirtschaftlich bedingten Umstrukturierungen nicht verlängert würden und die so auf den Weg in soziale Not gerieten.

„Der Mensch Aschenbach ist kein Übermensch. Er hat gesundheitliche Folgeschäden, Burn-out und Depression durchlebt und sich zum Schutz seiner Seele nahezu zwei Jahrzehnte lang nicht zu Wort gemeldet. So sieht das bei mir aus“, sagte er 2011 der FAZ. Nach beschönigenden Aussagen des früheren Funktionärs Thomas Köhler zum flächendeckenden Doping in der DDR erhob er dann doch wieder öffentlich seine Stimme. „Da begann die Kehrtwende. Im Vorfeld hatte ich an mir selbst festgestellt: Nur mit der Wahrheit kann man sich aus jeglicher Psychopression befreien.“

Mit seinem einstigen österreichischen Rivalen Toni Innauer und dem ehemaligen DDR-Kombinierer Claus Tuchscherer hat er vor einigen Jahren in der thüringischen Stadt Suhl eine Podiumsdiskussion bewältigt, bei der es auch um seine Flucht ging. Einer der schwierigsten Auftritte des Lebens für ihn. „Ich wurde von Minute zu Minute stabiler, je niederträchtiger die Vorwürfe wurden. Sich zwei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit anhören zu müssen, man sei ein Fahnenflüchtiger, das stählt eine von Selbstzweifeln geschundene Seele. Ich bin Claus Tuchscherer dankbar, dass er mich zur Teilnahme regelrecht bekniet hat.“ Tuchscherer teilt mit Aschenbach das Flüchtlingsschicksal, hat nach der Flucht 1976 nach Österreich ähnliche Anfeindungserfahrungen in seiner sächsischen Heimat gemacht. „Er sagte, wir seien es unserer eigenen Seele schuldig, uns zu stellen und zu erklären. Und wir könnten denen ein Signal geben, ihre Stimme wiederzufinden, die noch immer mit Selbstzweifeln und Schuldgefühlen in innerer Emigration verharrten.“

Zu einem Gegner des Leistungssports sei er allen Erfahrungen zum Trotz nie mutiert. „Nur weil ich kritische Anmerkungen zu unübersehbaren Problemen mache, bin ich kein Gegner des Leistungssports, im Gegenteil. Ich melde mich zu Wort, um auf Probleme aufmerksam zu machen und nach Auswegen zu suchen. Präventive Lösungen können nicht nur Schaden von derzeitigen Sportlergenerationen fernhalten, sondern auch sportkritische Gesellschaftsschichten zurückgewinnen. Schauen Sie zum Beispiel mal in volle Fitnessstudios oder auf überfüllte Skihänge: An sportlichem Talent und an Engagement mangelt es Deutschland ja nicht.“

Wichtig in allen Debatten sei Aufrichtigkeit. Immer neue Enthüllungen über Doping-Praktiken dürften nicht zum bloßen Medienhype werden. Unter wirklicher Aufarbeitung versteht er, dass betroffene Athleten über ihre Situation berichten und dass sie dabei die Unterstützung der Sportorganisationen, der Politik und der Gesellschaft erhalten. Das gelte besonders für ehemalige westdeutsche Aktive. „Ich habe als praktizierender Arzt erfahren, dass es Doping-Nester im Westen gab. Aber ich bin rechtlich gezwungen und habe es medizinisch zu respektieren, wenn diese Athleten im Alter jenseits von 60 Jahren sich bei Aussagen und juristisch nicht leicht zu belegenden Behauptungen dem zu erwartenden Medienhype gesundheitlich nicht gewachsen fühlen. Das werden einige im Osten nicht gerne hören, aber ich bin zuallererst Mediziner und nicht Sportpolitiker.“ Und Hans-Georg Aschenbach ist ein Mann, der den Sport liebt – und der Sportler vor Schaden bewahren will.

„Ich bin überwältigt, vierzig Jahre nach Ende meiner Karriere mit großen Sportpersönlichkeiten der Gegenwart wie Joachim Löw auf eine Stufe gestellt zu werden. Jetzt beginnt mein drittes Leben“ entfuhr es Hans-Georg Aschenbach bei der Nachricht von seiner Aufnahme in die „Hall of Fame des deutschen Sports“.

Günter Breitbart, September 2015

Literatur zu Hans-Georg Aschenbach:

Hans-Georg Aschenbach: Euer Held. Euer Verräter. Mein Leben für den Leistungssport. Halle/Saale 2012


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