Dr. Harald Schmid

Leichtathletik

  • Name Dr. Harald Schmid
  • Sportart Leichtathletik
  • Geboren am 29. September 1957 in Hanau
  • Aufnahme Hall of Fame 2016
  • Rubrik 80er Jahre

Das Hürden-Ass

Obwohl nie Olympiasieger oder Weltmeister, galt Harald Schmid als der westdeutsche Muster-Sportler. Unvergessen sind die Duelle über 400 Meter Hürden mit dem übermächtigen US-Amerikaner Edwin Moses. In Europa allerdings war Schmid über ein Jahrzehnt hinweg die Nummer eins und dreimal Europameister über seine Spezialstrecke.

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Schmids Stern ging 1976 auf, als der Athlet vom TV Gelnhausen den Junioren-Weltrekord über 400 Meter Hürden verbesserte und in Montreal mit der 4x400-Meter-Staffel zu Olympia-Bronze lief. In Prag folgte 1978 der erste EM-Titel über seine Spezialstrecke, zudem gehörte er zur Goldmannschaft über 4x400 Meter flach. 1979 folgte Gold über 400 Meter flach bei den Studenten-Weltmeisterschaften in Mexiko-Stadt. Vor den Olympischen Spielen 1980 lief Schmid Weltjahresbestzeit über diese Strecke, konnte aber wegen des Boykotts in Moskau nicht mit um die Medaillen laufen. 1982 verteidigte er in Athen seine EM-Titel im Einzel und mit der Staffel und lief dabei über 400 Meter Hürden in 47,48 Sekunden Europarekord.

Harald Schmid war auf dem Zenit angekommen, konnte auf Weltebene aber nicht an Edwin Moses vorbeiziehen, selbst wenn es oft knapp war: 1983 bei WM-Silber in Helsinki genauso wie 1984 bei Olympia-Bronze in Los Angeles oder beim legendären WM-Rennen 1987 in Rom. Damals zollte Moses seinem Anfangstempo auf der Zielgeraden Tribut, Landsmann Danny Harris und Schmid kamen näher. Nur hauchdünn lag Moses mit 47,46 Sekunden im Ziel vor Harris und Schmid, die mit 47,48 Sekunden die gleiche Zeit erreichten. Auch ohne WM-Gold wählten die westdeutschen Sportjournalisten Schmid Ende des Jahres zum zweiten Mal nach 1979 zum Sportler des Jahres. Ein weiterer Karrierehöhepunkt war zuvor die Heim-EM 1986 in Stuttgart gewesen: dritter EM-Titel in Folge über 400 Meter Hürden sowie Silber mit der 4x400-Meter-Staffel.

Nach seiner Karriere engagierte sich der promovierte Sportwissenschaftler als Präsidiumsmitglied der Deutschen Olympischen Gesellschaft (1989 bis 1991), als Berater des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (1992 bis 1994) und in der Athletenkommission des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (1991 bis 1999). Seit 1994 ist Schmid für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in der Kampagne „Kinder stark machen“ tätig und schult Multiplikatoren zur „Suchtvorbeugung im Sportverein“.

Dr. Harald Schmid

Leichtathletik

Größte Erfolge

  • Zweimal Olympia-Bronze: 4x400 Meter 1976 und 400 Meter Hürden 1984
  • Zweimal WM-Silber: 1983 über 400 Meter Hürden und 4x400 Meter
  • Zweimal WM-Bronze: 1987 über 400 Meter Hürden und 4x400 Meter
  • Fünfmal Europameister: 400 Meter Hürden 1978, 1982, 1986, 4x400 Meter 1978 und 1982
  • EM-Silber 1986 über 4x400 Meter

Auszeichnungen

  • Sportler des Jahres 1979 und 1987
  • Bundesverdienstkreuz (1988)
  • Silbernes Lorbeerblatt (1976)
  • Rudolf-Harbig-Preis des DLV (1987)
  • Sportplakette des Landes Hessen (1976)

Biografie

Zuweilen fragen sich langjährige Wegbegleiter des Leichtathleten Harald Schmid, wie dieser außergewöhnliche Laufsportler und Sportdenker der 1970er- und 1980er-Jahre wohl zurechtgekommen wäre mit dem zunehmend kritisch beurteilten Spitzensport dieser Tage. Und wie wäre der, so fein justiert und gestriegelt er inzwischen daherkommt, umgegangenen mit dem Freigeist aus dem Hessischen, mit dessen ausgeprägter Neigung zu Selbstbestimmung und Unabhängigkeit? Gesichert ist: Schmids Leistungen auf dem Vierhundertmeteroval passen, obwohl versehen mit der Patina eines Vierteljahrhunderts, immer noch wunderbar in die von Rekordapologeten und Medaillenzählern gepflegte Landschaft. Gesichert ist aber auch: Diese Landschaft wäre kaum bevorzugtes Terrain für den Sportler Harald Schmid. „Olympia ist nicht mehr so mein Ding“, hat er vor fünf Jahren mal gesagt und damit wohl einen Vorbehalt beschrieben gegen den folgenreichen Kommerzsport der Jetzt-Zeit, einen Vorbehalt, wie ihn viele Ehemalige gern formulieren.

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Es sei jedoch angemerkt, dass Anno 2016 zumindest die deutsche Leichtathletik nicht lang überlegen müsste, ob ein „nicht so rundgeschliffenes Etwas“ (Schmid über Schmid in einem Interview 2008) in ihr verändertes Gefüge passen würde oder nicht. Weiß sie doch um den für sie hohen Profit, den kantig-eigenwillige Athleten wie Schmid ihr jahrzehntelang eingebracht haben. So war denn aus ihrer Sicht schon lange ein Platz reserviert in der Hall of Fame für den Mann aus Gelnhausen. Und zwar in der vorderster Reihe.

Dass er dort eine Sonderrolle besetzt, steht ja außer Frage. Allein schon deshalb, weil er zu den ganz wenigen Athleten gehört - Uwe Seeler und Eberhard Schöler seien erwähnt -, die nie bei Olympia und WM siegten (Schmid erklomm dort immerhin sechsmal das Podest) oder Weltrekordler waren und dennoch in die Ruhmeshalle des deutschen Sports einzogen. In Europa reichte eine Dekade lang niemand an ihn heran, das schon. Drei kontinentale Titel (dazu zwei mit der 400-m-Staffel) und der schier „ewig“ ungebrochene Europarekord über 400 m Hürden zeugen davon. Indes, bei allem Respekt vor der letztlich stattlichen Sammlung solcher Diplome, Äußerlichkeiten vielleicht nur für Schmid – der Kern seines sportlichen Schaffens war anderer Natur und vermutlich ein ganz wesentliches zusätzliches Motiv für die, die davon Kenntnis hatten und Schmid auch deshalb die Pforte zur Hall of Fame aufgeschlossen haben.

Als Schmid nach Ausbildung zum Verwaltungsinspektor und anschließend zum Diplomsport- und Gymnasiallehrer sowie Promotion im Fach Sportwissenschaft (Dissertationsthema: „Die Technik des Weitsprungs in der Antike“) eine Agentur für Sport und Kommunikation auf die Beine gestellt hatte, war ein Schwerpunkt seiner nun selbstständigen Tätigkeit ein Engagement für die Kampagne „Kinder stark machen“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. In diesem Kontext ist er, der selbst nie ein Vorbild hatte, mal zur Definition des Vorbilds gefragt worden: Es müsse eine „für andere klar erkennbare Person sein, damit die Leute wissen, wer da vor ihnen steht“. Nur über eine solche Person liefe die Erziehung von Kindern und nur ihr gelänge der Transfer dieser Werte: Spaß am Sport, Bekenntnis zur Leistung, Teamgedanke, Umgang in der Gruppe, Fähigkeit Gefühle zu zeigen und Akzeptanz auch der Niederlage.

Das wie eine allgemein gültige Profilanforderung und das Postulat eines Pädagogen Formulierte, ist in Wahrheit ein Schmidsches Selbstporträt mit einer Verbeugung vor dem Sport als finalem Pinselstrich: „Er ist eine kleine Schule fürs Leben“. Lernen, verinnerlichen, lernen, aus jedem vollzogenen Schritt – so ist Harald Schmid ans Ziel gelangt. Assistiert haben ihm zwei Verhaltensweisen, die auf den ersten Blick als Widerspruch erscheinen: Schmid war als Sportler Teamplayer und Einzelgänger.

Das Lagerfeuer und der Plausch unter Kameraden zur Sonnenwendfeier im alten Gemäuer der Fliehburg in Ronneburg nahe seiner Heimatgemeinde Hasselroth im Main-Kinzig-Kreis, das war seine Welt, nicht die sterile Party mit ihrer unverbindlichen Oberflächlichkeit. Und nicht die Hektik der Großstadt, sondern die Intimität und Gelassenheit seines ländlichen Zuhauses im Südosten Hessens, wo Nachbargemeinden so lautmalerische Namen tragen wie Freigericht und Linsengericht. Nie erlag er den Verlockungen der Großklubs, zeit seiner 14 Jahre währenden Karriere als Spitzensportler ist er dem Provinzverein TV Gelnhausen treu geblieben.

Wohlgefühl vermittelte ihm zudem der verantwortungsvolle Auftritt in der Gemeinschaft einer 400-m-Staffel bei. Mit den Kumpels eines solchen Quartetts, vorwiegend das nationale (zehn internationale Medaillen), das Siegerpodest zu besteigen lösten bei Schmid Emotionen von einer „Qualität“ aus, die sich vermutlich von seinen Gefühlen als Einzelmedaillengewinner unterschieden. Über diesen Teil seiner Gedankenwelt ließ er sich freilich selten aus, der Pragmatiker beließ es gern bei knappen, aber präzisen Antworten, Wortgeklingel gehörte nicht zu seiner Rhetorik. Die organisch gewachsene Freundesgruppe gleichberechtigter Partner verinhaltlichte den Spitzensport Schmids in einem Maß, das ungewöhnlich ist für Leichtathleten. Die Gruppe war eines der wenigen Extras, die Harald Schmid sich leistete.

Ein anderes kontrastierte das gerade Geschilderte. Schmid überließ die Planung seines Trainings nur einem: sich selbst. Er folgte eigenen Vorstellungen, kannte sein Ziel und den Weg dorthin. In Anbetracht dessen, was damit erreicht wurde, ein außergewöhnlicher Vorgang - und heutzutage, da der Spitzenathlet sich bereits als Halbwaise fühlt, wenn er den Coach nur mal fünf Minuten nicht in der Nähe weiß, schier undenkbar. Außeneinflüsse ließ er nicht zu, selbst hochrangige Bundestrainer näherten sich ihm nicht auf der fachlichen Ebene. „Er lehnt jeden Handtuchhalter und Kofferträger ab“, erkannte Coach Uli Jonath damals schnell. Schmid: „Ich lasse mich lieber von eigenen Vorschriften und Ansprüchen herausfordern“. Unterstützende Trainingsbetreuung war nur zwei Personen gestattet: zunächst dem Allroundtrainer des Vereins, Willy Neidhardt, dann Elzbieta („Ella“), seiner Frau, Mutter seiner zwei Kinder und ehemaligen polnischen Weltklassehürdlerin.

Dass ihm die höchsten Weihen Olympias und der Weltmeisterschaft nicht zuteil wurden, hat seiner exponierten Stellung im deutschen Sport und der Leichtathletik nichts anhaben können. Liebhaber seines Sports sehen die 16 Hürdenduelle, die er mit dem zwei Jahre älteren Weltrekordler aus den USA, Edwin Moses, ausfocht, allemal als ein Äquivalent für entgangenes Edelmetall. Die epische Auseinandersetzung zwischen den beiden bei der WM 1987 in Rom, als den Amerikaner und den Deutschen, der dabei seinen eigenen Europarekord egalisierte, nur ein Wimperschlag trennte, ist eine Ikone der langen Hürdenstrecke.

Obwohl schon 1976 als Junior mit Olympiabronze in der Staffel dekoriert und 1978 erstmals Hürden-Europameister, erlangte Schmid höchste Popularitätswerte auch jenseits der Leichtathletik erst 1979 mit einem außergewöhnlich riskanten Kraftakt beim Europacup im brüllend heißen Sommer von Turin: Das lange Hürdenrennen und die flache 400 m-Distanz innerhalb von nur 59 Minuten. Eine Legende! Mehrere eiskalte Duschen nach dem ersten Lauf in Europarekordzeit kühlten seinen hochtemperierten Körper soweit runter, dass er eine Stunde später noch eine Vorstellung der Weltklasse geben konnte. Typisch Schmid: Er tat es im Dienst und zum Vorteil der Nationalmannschaft(sic!). Und handelte sich zu den diversen, gern von den Medien verliehenen Namensprädikaten (Wunderknabe, Naturbursche, Modellathlet, Kraftpaket) noch ein weiteres ein: Stoffwechselwunder.

Jenseits von derlei Aktivitäten erschließt sich das Ausmaß seiner Klasse auch beim Blick auf die lange Wegstrecke, die er als Zugehöriger zur Weltelite zurückgelegt hat und die Bandbreite seines Laufvermögens. Zwölf Jahre in den „Top ten“ über 400 m Hürden; dort sieben Jahre unter der Edelmarke Achtundvierzigsekunden, vergleichbar mit 10,00 über 100 m oder 8,40 m im Weitsprung, dem Reich des Granden Carl Lewis; Frontmann über beide Sprintstrecken, 400 m mit und ohne Hürden sowie 800 m. Einen solchen Allrounder sucht man in Deutschland seit einem Vierteljahrhundert vergeblich. Hintergrund für den Dauerlauf des stets braun gebrannten Schmid („Sonne heilt“): Seine körperliche Unversehrtheit. Mit einer Ausnahme (nationale Meisterschaft 1976) war er nie ernsthaft verletzt. Die kluge Trainingsdosierung des Autodidakten und sein Wissen um die Belastungsgrenze seines Körpers machte es möglich. Und außerdem: „Welch Überfluss an läuferischer Kraft vereint der Mann aus Gelnhausen in sich“ (Ex-Hürdenweltrekordler Martin Lauer).

Bleibt noch festzuhalten, dass seine olympischen Stationen Montreal, Los Angeles und Seoul waren. Die vierte, Moskau 1980, wurde bekanntlich von der Politik aus dem Fahrplan gestrichen. Notizen über die Vorkommnisse von damals belegen: Unter den an der Nase herumgeführten Sportlern griffen nur wenige die Boykottbefürworter mit so deutlichen Worten an wie der für gewöhnlich eher wortkarge Harald Schmid. „Die von uns eingesetzten Funktionäre haben nicht als Repräsentanten des Sports gehandelt, sondern wie Politiker. Sie haben uns betrogen“. Heute urteilt er über sie schon fast altersmilde, sie seien „per se nicht schlecht, ich habe schon Respekt“. Vergessen hat er die Geschichte von 1980 gleichwohl nicht. Seinem Verhältnis zu den Funktionären „ist der Boykott nicht förderlich gewesen“. Der einzige „zarte Versuch“ (Schmid) des Leichtathletik-Verbands, ihn für den Vorstand zu gewinnen, sei aber nicht deshalb an ihm abgeprallt. Der Freigeist Harald Schmid war, trotz Profil und Kompetenz, eher nicht der Typ fürs gehobene Ehrenamt.

Michael Gernandt, Juli 2016


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