Boxen
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In den folgenden Jahren setzt Maske mit drei EM- und einem WM-Titel seine erfolgreiche Amateurkarriere fort.
Maske verteidigt den Titel zehn Mal - 1996 muss er im (vorläufig) letzten Kampf seiner Karriere gegen Virgil Hill seine erste und einzige Niederlage als Profi hinnehmen.
Henry Maske gehört zu jenen, denen man gern bescheinigt, sich gar nicht verändert zu haben – jedenfalls äußerlich. Er trotzt der Statistik, die besagt, dass der deutsche Mann mit zunehmendem Alter an Körpergewicht zunehme. Alles eine Frage der Disziplin, würde der Meisterboxer von einst antworten, wenn man ihn nach dem Geheimnis seines Idealgewichts fragte. Aus ihm spricht der preußische, pflichtversessene Athlet, der seine Grundsätze im Alltag ohne Leistungssport weiterlebt. Werner Schneyder, einst professioneller Beobachter am Ring, hat Maske als „die erste Lichtfigur im deutschen Boxsport seit Max Schmeling“ geadelt. Als Weltmeister im Berufsboxen wurde der einstige Staatsamateur der DDR zum ersten gesamtdeutschen Sportidol. Er habe im Westen „Freunde gefunden, im Osten Freunde behalten“, hat er nach seinem Umzug von Brandenburg ins Bergische Land in die Nähe von Köln einmal gesagt. Vor allem: „Ich habe niemandem einen Arbeitsplatz weggenommen, ich habe mir meinen geschaffen.“ Als Franchisenehmer eines Fast-Food-Giganten ist Maske inzwischen in zehn Filialen Arbeitgeber von über 400 Mitarbeitern. Die Einstellung, alles mit vollem Engagement zu tun, hat er sich bewahrt. Henry Maske zählt sich zu den Gewinnern der Wende. Auch deshalb, weil „wir im Sport“, wo ihn seine Amateurkarriere bis zum Olympiasieg führte, „eigentlich schon immer Marktwirtschaft hatten“. Es galt das Leistungsprinzip.
Als Preisboxer war Maske nie einer, der das Publikum per Schlaghagel erobert hat. Er gewann mit der Summe der Schläge. Er sezierte den Gegner, er reduzierte ihn, aber der K.O. blieb die Ausnahme. Maske praktizierte „Boxen light“, ohne es sich leicht zu machen. Ein kopfgesteuerter Boxer, der diesen Sport wieder salonfähig machte. Vor dem Fernseher verfolgten bis zu 18 Millionen Zuschauer die Auftritte des ehemaligen Spartakiadesiegers der DDR und Absolventen der Kinder- und Jugendsportschule in Frankfurt an der Oder. Sein Faible für Bergsteiger Reinhold Messner kam nicht von ungefähr. Maske wollte nach oben, auf den Gipfel, mochte der Weg dorthin auch noch so beschwerlich sein. Mit einer Hingabe an das Ziel, die kein Wenn und Aber kennt. Im März 1990, nach der Unterschrift, die sein Profidasein besiegelte, sagte der Neuprofi: „Ein Profi ist für meine Begriffe einer, der weiß, was er tut, und der es gut tut.“ Maske sensibilisierte das Publikum dafür, im Boxen mehr zu sehen als einen simplen Schlagabtausch.
Seine Karriere als Amateur glich einem Steigerungslauf mit ständig beschleunigender Schrittfrequenz, mit permanent sinkender Fehlerquote. Der erfüllte Kampfauftrag im Boxring bescherte dem zum Oberleutnant der Nationalen Volksarmee beförderten „Diplomaten im Trainingsanzug“ am 11. November 1988 den „Vaterländischen Verdienstorden in Gold“. Überreicht vom Armeegeneral Heinz Kessler, Minister für Nationale Verteidigung der DDR „Für außerordentliche Leistungen zur Stärkung des sozialistischen Vaterlandes und zum Ruhme des Sports und der olympischen Ideale.“ Ein knappes Jahr später erfüllte Maske bei einem Podiumsgespräch in Potsdam seine „gesellschaftliche Pflicht“ als ASV-Sportler, nur wenige Stunden danach erfuhr er vom Fall der Mauer, „an der zu kratzen mir nie in den Sinn gekommen ist“, wie er frank und frei zugab. Aber er hatte gelernt, zwischen echt und falsch, zwischen Wahrheit und Phrase im realen Sozialismus zu unterscheiden. Mit 20 Jahren war er „sehr bewusst in die SED eingetreten, wollte in meinem persönlichen Umfeld mitgestalten, verändern. Anfänglich habe ich in unserer Parteiversammlung für kritische Dinge auch kritische Worte gefunden. Aber ein Widerstandskämpfer war ich sicher nicht.“
Der Zeit- und Wertewandel brachte es mit sich, dass der einstige Vorzeigeboxer der DDR im vereinigten Deutschland erst als „Sir Henry“, dann als „Gentleman-Boxer“ gefeiert wurde – der Gegenentwurf zu Graciano Rocchigiani, ein Raubein des Gewerbes, nie frei von Skandalen und Eskapaden. „Endlich ein Boxer mit Grips im Kopf“, jubelte Unternehmer Sauerland. „Henry ist für mich ein Boris Becker geworden. Nicht nur, was die Leistung, sondern vor allem, was die öffentliche Akzeptanz angeht.“ Jan Hoet, künstlerischer Leiter der Documenta IX 1992 in Kassel schwärmte gar: „Die Epik seines Boxens macht Maske zum Künstler. Sein Boxen ist Ballett, ein Gesamtkunstwerk.“
Mit Flitter und Glitter, bombastischen Inszenierungen samt Feuerwerk und Heldentenören besserte Maskes Fernsehhaussender RTL nach, was dem Boxen pur ohne Knalleffekt, dem knock out fehlte. Zum neuen guten Ton gehörte Carl Orffs „O Fortuna“ aus dem szenischen Oratorium Carmina Burana als Einmarschmusik. Später wurde „Conquest of paradise“ von Vangelis zum Hit, am Ende der Karriere „Time to say good bye“. Maske praktizierte den Faustkampf für Fortgeschrittene. Sein Wort von der Wettkampftätigkeit entlarvte ihn als Werktätigen des Preisboxens. Hier arbeitete ein Athlet so konsequent nach Plan wie noch keiner vor ihm und wohl keiner nach ihm. Er hat nicht alle Geschmäcker befriedigen können und wollen. Wer das Animalische suchte, für den war Maske eine Fehlbesetzung. Er zelebrierte die hohe Kunst des Zuschlagens, ohne den Gegner zu zerstören. Henry Maske stammte aus Treuenbrietzen in Brandenburg, nicht aus der Gosse oder dem Getto. Gift gehörte nicht zu den Zutaten, die er brauchte, um sich zu motivieren. „Man kann die Klasse eines Boxers nicht so simpel ablesen wie die eines Sprinters. Brutalität dagegen, das leuchtet jedem ein, die nimmt jeder wahr. Aber Brutalität ist der Ursprung der Niveaulosigkeit“, legte sich Maske fest.
Ein Stück weit hat er das Berufsboxen geprägt, ohne die Gesetze der Branche, in der das Geld die Hauptrolle spielt, außer Kraft setzen zu können. Maskes PR-Berater Werner Heinz konnte im speziellen Fall feststellen, dass es „die weltweiten Bedenken gegen Boxen als Werbeträger bei Maske nicht gibt. Er zieht als Persönlichkeit.“ Wegen seiner Intelligenz, seines Aussehens, seines Auftretens bis zum heutigen Tag ohne den Ansatz von Kummerspeck. „Ein gradliniger Mensch: Ehrlich bis zur Selbstverletzung. Er fordert von sich – und auch von den Menschen, an denen ihm liegt – das Maximum einzubringen, zu dem man fähig ist. Das ist schwierig, weil er immer das Optimum will. Es ist anstrengend, weil er ein Leben ohne Anstrengung nicht akzeptiert.“ Sätze seines Biografen Detlef Vetten.
Der Epoche der großen Gefühle im Ring ist die Zeit der kleinen Erfolge im Alltag gefolgt. Als Experte der ARD bei ihren Boxabenden, als Gastreferent bei Management- und Motivations-Veranstaltungen führender deutscher Unternehmen. Erst recht beim Abstecher zum Spielfilm über Max Schmeling, als dessen Enkel Maske gern bezeichnet wurde, solange „Maxe“ noch lebte. Sie schätzten einander als Brüder im Geiste. Maske war 41, als der 99-jährige Schmeling ihm sagte: „Wenn man mein Leben verfilmt, dann bist du der Max. Wir sind aus einem Holz.“ Sie hatten eine ähnliche Faustkampf-Philosophie. Parallelen auch nach dem Schlussgong. Wie Schmeling baute sich Maske eine berufliche Existenz auf, gesellschaftlich geachtet und gewürdigt für sein soziales Engagement. Als Bundespräsident Johannes Rau dem Faustkämpfer von einst im September 2001 das Bundesverdienstkreuz verlieh, galt die Auszeichnung „allen Vorbildern, die das Leben Anderer ein Stück besser gemacht haben.“ Da war die Henry-Maske-Stiftung „A Place for kids“ gerade mal in ihrem dritten Jahr. Maske bezeichnete es immer „als das größte Glück meiner Karriere, durch den Boxsport nicht nur früh das gefunden zu haben, was mich begeisterte, sondern auch die Menschen, die mir halfen, meine Ziele zu verwirklichen.“ Mit seiner Stiftung will er jenen helfen, „die dieses Glück nicht haben“. Sie fördert Bildungs-, Ausbildungs- und Sozialisationsangebote, organisiert und unterstützt Sport-, Musik-, Freizeit- und kulturelle Projekte sowie präventive Betreuungsangebote. „Damit junge Menschen die Chance haben, sich zu entfalten und ihre Gaben zu entdecken.“ Für Maske selbst waren Fürsorge und Aufmerksamkeit normal – im Elternhaus und beim Sport. Energie, Zähigkeit und Ausdauer sind ihm erhalten geblieben, auch ein idealistischer Ansatz: „Wenn ich die Macht dazu hätte, dann würde ich zeigen, dass es Wichtigeres gibt als Geld.“ Den Worten lässt er Taten folgen.
Hans-Joachim Leyenberg, Mai 2012
Literatur zu Henry Maske:
Henry Maske, Detlef Vetten (Bearb.): Nur wer aufgibt, hat verloren. Autobiografie Henry Maske. Bergisch Gladbach 2006