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Boxen
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Eine beeindruckende Karriere inner- und außerhalb des Rings: Halmich gewann nicht nur nahezu alle ihrer Kämpfe und war zwölf Jahre lang ungeschlagene Weltmeisterin, sie prägte auch den Boxsport der Frauen selbst. (Foto: picture alliance)
2001 trat sie beim "TV total Boxkampf" gegen Stefan Raab an und gewann, was ihr große Aufmerksamkeit einbrachte. (Foto: picture alliance)
Ihre Lebensgeschichte, ihre Erfahrungen, Erlebnisse und den Kampf um Anerkennung als Frau im Boxsport beschreibt Halmich in ihrer 2003 erschienenen Autobiografie. (Foto: picture alliance)
Seit ihrem Karriereende 2007 gibt die Wahl-Berlinerin ihre Erfahrung und ihr Wissen in Motivationsvorträgen und Boxtrainings weiter. (Foto: picture alliance)
Auch als Moderatorin ist sie auf zahlreichen Boxkämpfen der Frauen präsent und dem Sport treu. (Foto: picture alliance)
Am Weltkindertag 2021 spricht Halmich vor dem Reichstag für das Deutsche Kinderhilfswerk, für das sie seit 2014 Botschafterin ist. Die Ex-Boxerin engagiert sich ehrenamtlich in zahlreichen Hilfsorganisationen, so zum Beispiel für die Organisation „Pink Ribbon“, Weißer Ring oder für die Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“. (Foto: picture alliance)
Der Saal ist prallvoll für diesen Vortrag zum Thema Sport und Business. Die geladenen (und zahlenden) Gäste sitzen erwartungsvoll an ihren Tischen und hören gespannt zu, wie die hübsche, topfitte Mittvierzigerin per Headset ihre Vergleiche zieht, diese mit packenden Geschichten aus ihrer Karriere belegt und dann zu einer ihrer Hauptthesen kommt.
Niemand von ihnen allen hier im Raum kann zu 100 Prozent sagen, was bei einem Projekt herauskommen wird. An Erfolg, an Befriedigung, an Profit. Aber wenn sie wirklich ihre persönlichen 100 Prozent in die Sache investiert haben, ist es nicht nur leichter, mit jedem Ergebnis klarzukommen - es ist auch viel wahrscheinlicher, dass etwas Gutes dabei entsteht.“
Regina Halmich weiß natürlich, dass diese Sätze auch eine ziemlich präzise Beschreibung für ihre genauso außergewöhnliche wie großartige Karriere als Profiboxerin sind. Sie genießt es, dass 15 Jahre nach ihrem letzten Kampf zu ihren 54 Siegen in 56 Kämpfen immer noch spektakuläre Erfolge hinzukommen.
„Ich freue mich wie verrückt über die Aufnahme in die Hall of Fame des deutschen Sports“, sagt die ehemalige Weltmeisterin im Fliegengewicht und geht wie früher im Ring sofort zum Angriff über. „Ich bin mit Preisen und Auszeichnungen nie so verwöhnt worden. Sport und Boxen ist immer noch eine Männerwelt. Deshalb ist diese Ehrung etwas ganz, ganz Großes. Unseren Sport neben Max Schmeling und Henry Maske in der Ruhmeshalle vertreten zu dürfen - nicht eine Millisekunde habe ich als aktive Boxerin daran gedacht.“
Boxen. Faustkampf. Das archaische Duell Mann gegen Mann. Ja, genau: Mann gegen Mann. Sie selbst sorgte weit über Deutschland hinaus dafür, dass dieses Klischee krachend k.o. ging. Sie machte das Frauenboxen in den 90ern und Nullerjahren nicht nur hoffähig, sondern zu einem Quotenrenner.
Sie stopfte allen Kritikern - „allein mit der Aufzählung der dummen Sprüche und fiesen Bemerkungen könnte ich ein Buch doppelt so dick wie meine Biografie füllen“ - den Mund. „Noch Fragen!?“, steht auf dem Titel ihrer Lebensgeschichte - die Antwort ist klar.
„Am Anfang waren da nur Jürgen Lutz, mein leider viel zu früh verstorbener Trainer, Mentor und bester Freund im Boxgeschäft - und Klaus-Peter Kohl vom Universum-Boxstall, der auch an mich geglaubt hat.“ Der ganze Rest, garantiert über 90 Prozent der so genannten Kampfsport-Experten sowie die meisten Fans gingen aus purer Schaulust zu Halmich-Kämpfen. Dort erlebten sie, wie sich die kleine Kampfmaschine Schlag für Schlag Respekt erkämpfte.
„Ich habe damals viel gegrübelt, aber nie an mir gezweifelt. Ich habe die Geschichte von Barbara Buttrick gelesen, der Präsidentin des Frauenbox-Weltverbandes WIBF. Sie stieg in den 40er- und 50er-Jahren in den Ring, wo sie nur konnte. Oft musste sie das auf Rummelplätzen tun. Oder als Mann verkleidet. Ich habe das gelesen und mich immer nur gewundert, wie dumm und von Vorurteilen dominiert so viele Männer doch sind.“
Bei ihrem ersten großen Kampf, einem WM-Duell gegen Yvonne Trevino im Aladdin-Casino Las Vegas, schienen alle Krakeeler und Machos dann recht zu bekommen. Halmich verlor wegen eines üblen Cuts unterhalb des linken Auges. Blut, Frust und Tränen.
„Ich wollte als Weltmeisterin nach Deutschland zurückkommen, habe der Meute aber dann nur genau die Bilder geliefert, nach der sie gegeifert hat.“
Für schwächere Charaktere - „Männer?“, fragt sie frech - wäre jetzt vermutlich Schluss gewesen. Aber Erika und Günter Halmich haben in ihrem Haus in Karlsruhe-Daxlanden schon ein ganz besonderes Exemplar an Tochter aufwachsen sehen.
Dazu darf man wissen, dass die Halmich-Eltern bis heute ins hohe, aber gesunde Alter für Werte wie Mitmenschlichkeit, Nachbarschaftshilfe, Demut und Gottesfürchtigkeit stehen. Dass Papa Günter jahrzehntelang bei den Maltesern im Einsatz war und auch heute noch im kleinen Rahmen jederzeit als Helfer bereitsteht. Und dass die beiden anderen Frauen im Haus, die Mama sowie Reginas Schwester Ivonne, keinerlei Verbindung zu Dingen wie Vollkontaktsport haben.
Regina Halmich lacht: „Stimmt. Ich bin das große Familienrätsel. Vielleicht war eine meiner Vorfahrinnen eine Kriegerin oder einfach nur eine ganz starke Frau, die sich keine Grenzen setzen ließ.“
Ihren Eltern ist sie von Herzen dankbar, dass „sie nach dem ersten Schrecken meine Leidenschaft fürs Boxen unterstützt haben. Und, dass sie immer extrem gute Vorbilder waren, was Disziplin und zielgerichtetes Handeln angeht.“
Es war nicht einfach für die Halmichs um Regina herum. Die Schwester ganz nah dabei, die Mutter aus Angst und Sorge meist ganz weit weg vom Ring. Papa leitete zwar bei den sieben WM-Kämpfen in Karlsruhe immer den Sanitätsdienst in der Halle - doch genau dann, wenn sich seine Tochter auf dem Weg ins Seilgeviert machte, verließ er die Arena. Bis die erlösende SMS von Yvonne kam, lief Günter Halmich durch die Karlsruher Nacht. Bangend. Hoffend. Und jedes einzelne Mal dann erlöst.
Wie erwähnt: Nach Las Vegas hätten viele aufgegeben - aber eben nicht Regina Halmich.
Es folgten 47 Siege und ein Unentschieden. Eine Siegesserie, die immer mehr Männer auf ihre Seite zog. „Ich denke da an Axel Schulz, der am Anfang sagte, er könne beim Frauenboxen nicht hinschauen. Im Laufe der Jahre wurde er einer meiner besten Freunde im Boxgeschäft und auch Fan. Svennie, Sven Ottke, zog ja von Berlin nach Karlsruhe und mit ihm bin ich auch dicke. Graciano „Rocky“ Rocchigiani, möge er in Frieden ruhen, hat sich mal persönlich bei mir entschuldigt. Auch bei Henry Maske habe ich den Respekt von Boxer zu Boxer gespürt und genossen.“
Doch die Mühlen der Männerwelt mahlen ganz langsam, wenn es darum geht, Vorurteile in Staub zu verwandeln. Erst 2004, mehr als 30 Kämpfe und fast zehn Jahre nach ihrem 95er-Titelgewinn gegen Kim Messer, ließ sich das ZDF überzeugen, Halmich als Hauptkämpferin zu übertragen. „Vorher haben sie die Millionenquoten mitgenommen, mich aber ins spätere Programm abgeschoben“, lächelt die Box-Königin martialisch. „Ich sage mal: Das war eine dumme Entscheidung!“
Spät in Regina Halmichs Karriere sorgte der bekannte Sport-Rechtsanwalt Dr. Christoph Schickhardt dann auch dafür, „dass ich endlich nicht mehr nach Geschlecht, sondern wirklich nach Einschaltquote bezahlt wurde.“ 8,8 Millionen Zuschauer waren es bei ihrem Abschiedskampf 2007. Ein Top-Wert in der deutschen Box-Geschichte. Halmich reiht sich damit ein hinter Schulz, Maske, Rocky und den Klitschkos Wladimir und Vitali - steht aber vor Arthur Abraham oder Sven Ottke.
Noch Fragen!?
Halt! Stopp! Time-Out! Da fehlt doch was. Ja, wir haben etwas vergessen.
Wie konnten wir nur!
Zwei Mal, 2001 und 2007, zelebrierte Regina Halmich ihre Boxkunst direkt auf dem Nasenbein und den leidlich trainierten Rippenpolstern von TV-Moderator Stefan Raab. Showkämpfe zur Belustigung der Meute, von der Weltmeisterin zähneknirschend akzeptiert, um ihre eigene Popularität steigern zu können.
„Die Raab-Kämpfe“, seufzt sie. Hin- und hergerissen zwischen Profitum und Showgeschäft. „Ich habe es gemacht, weil Raab so genervt hat. Und ich weiß heute noch nicht, ob ich mich bei ihm bedanken muss - oder ob ich noch härter hätte zuschlagen sollen.“
Die Frau und Gerechtigkeitsfanatikerin Regina Halmich hat die beiden Spektakel als notwendiges Übel mitgemacht. Um einfach noch mehr Druck auf die Öffentlichkeit ausüben zu können. Ihr glaubt mir immer noch nicht? Dann zeige ich es euch halt immer, immer und immer wieder. Notfalls gegen eine populäre Nervensäge, männlich.
Wenn sie heute so in die Boxwelt schaut, dann spürt sie „es hat sich viel geändert. Frauenboxen ist etabliert - wenn auch leider nicht in Deutschland, wo es ja keinen Fernsehsender mit Mut fürs Boxen gibt. Aber meine Sportart lebt und fasziniert die Menschen. Gerade eben gab es den ersten Frauen-Hauptkampf im legendären Madison Square Garden in New York. Nach 140 Jahren Männer-Dominanz. Katie Taylor gegen Amanda Serrano.“
Ja, es hat sich viel getan seit ihrem Debüt 1994. Sehr viel. „Ich weiß, dass ich einen kleinen Anteil daran habe. Das macht mich stolz - und bedeutet mir genauso viel wie die finanzielle Unabhängigkeit und das Sprungbrett zu meinem heutigen Leben.“
Als Motivations-Sprecherin ist sie gut im Geschäft. Vier persönliche Werbeverträge kommen dazu. Im Fernsehen ist sie oft zu sehen, nicht nur bei Box-Kämpfen, auch bei Talk- oder Unterhaltungs-Shows. Es geht ihr rundum gut als Wahl-Berlinerin - „die Power der Stadt passt einfach zu mir“.
Die Aufnahme in die Hall of Fame des deutschen Sports - am 12. Juni folgt auch noch die Ehrung in der Internationalen Hall of Fame des Boxsports in Canastota/New York! - wird sie mit ihren Eltern, Christoph Schickhardt und ihrer langjährigen Managerin Christiane Diezemann erleben. „Ich werde den Abend genießen. Auch stellvertretend für alle anderen Boxerinnen und die vielen weiblichen Vorbilder, die mir bewusst oder unbewusst immer Kraft gegeben haben.“
Ring frei für alle Frauen, die sich keine Grenzen setzen lassen!
Andreas Lorenz, Mai 2022