Martin Lauer

Leichtathletik

  • Name Martin Lauer
  • Sportart Leichtathletik
  • Geboren am 2. Januar 1937 in Köln
  • Todestag 6. Oktober 2019 in Lauf an der Pegnitz
  • Aufnahme Hall of Fame 2011
  • Rubrik 60er Jahre

Leichtathlet zwischen Höhen und Tiefen

Bis zum Jahr 1960 lief seine Karriere wie geschmiert: Martin Lauer vom ASV Köln war als Hürdensprinter und Zehnkämpfer herausragend. 1956 stellte er Junioren-Weltrekorde in beiden Disziplinen auf und wurde bei den Olympischen Spielen als 19-Jähriger Vierter und Fünfter.

mehr lesen

1958 gewann er den EM-Titel über 110 Meter Hürden und lief mit der deutschen Sprintstaffel Weltrekord, 1959 verbesserte er in Zürich binnen 45 Minuten die Weltrekorde im Hürdensprint (13,2 Sekunden) sowie über 200 Meter Hürden und schraubte den deutschen Zehnkampfrekord auf 7955 Punkte. Für Olympia 1960 war er der Hürden-Goldkandidat, doch eine Knochenhautentzündung im Fußgelenk verhinderte den Start. Dieser Probleme wegen konzentrierte er sich in Rom auf die Sprintstaffel und gewann mit ihr in Weltrekordzeit die Goldmedaille. Bei der späteren medizinischen Behandlung führte eine nicht sterile Spritze zu einer lebensbedrohenden Blutvergiftung. Die Amputation des linken Beins konnte gerade noch verhindert werden, der fast einjährige Krankenhausaufenthalt beendete jedoch die sportliche Karriere. Beruflich wurde Martin Lauer ein erfolgreicher Diplom-Ingenieur, arbeitete als Journalist und machte Karriere als Sänger mit mehreren Millionen verkauften Schallplatten. 2002 wählte ihn das Nationale Olympische Komitee zum Persönlichen Mitglied.

Martin Lauer

Leichtathletik

Größte Erfolge

  • Olympia-Gold 1960 mit der 4 x 100-Meter-Staffel
  • Europameister 1958 über 110 Meter Hürden
  • Olympia-Vierter 1956 und 1960 über 110 Meter Hürden
  • Olympia-Fünfter 1956 im Zehnkampf
  • Weltrekordler über 110 Meter Hürden und 200 Meter Hürden (1959) und über 4 x 100 Meter (1960)
     

Auszeichnungen

  • Bayerischer Sportpreis (2008)
  • Georg von Opel-Preis (1998)
  • Hans-Heinrich-Sievert-Preis (1992)
  • Welt-Leichtathlet des Jahres (1959)
  • Sportler des Jahres (1959)
  • Silbernes Lorbeerblatt (1957, 1960)
  • Goldenes Band der Sportpresse (1959)

Biografie

Ein Talent. Talentum bedeutet Gabe. Er hatte die Gabe, vieles besonders gut machen zu können, er war neugierig, vielseitig, begeisternd, schließlich auch ausdauernd, leidensfähig, mutig, dabei noch humorvoll und bescheiden. Martin Lauer, Hürdenläufer, Sprinter, Zehnkämpfer, Olympiasieger, Europa- und Weltrekordler. Als Kind und Jugendlicher betrieb er die verschiedensten Sportarten, alles, was er bei seinem älteren Bruder abschauen konnte: Ballspiele, Boxen, Schwimmen, Leichtathletik. Das Thema Verletzungen und Neuanfang lernte er schon früh kennen: Nachdem er sich beim Fußballspielen eine Kniescheibe gebrochen hatte, wandte er sich ganz der Leichtathletik zu.

mehr lesen

Er schloss sich zu Beginn der fünfziger Jahre dem ASV Köln an, dem Verein des Sprinters Manfred Germar, dem späteren Weltrekordhalter und Europameister. 1953 stand Lauer mit seinem Klubkollegen in der Kölner Sieg-Staffel bei den nationalen Jugendmeisterschaften. Der „spindeldürre Pimpf“ übte nach der Schule mit seinem Vater und wurde prompt als 17-Jähriger im Jahr 1954 deutscher Fünfkampfmeister. Videokameras standen natürlich noch nicht zur Verfügung, also wurde der Bewegungsablauf durch regelmäßiges Studium der Wochenschau im Kino optimiert. Weitere sieben Nachwuchstitel folgten in den nächsten 24 Monaten, wobei der achtzehnjährige Lauer 1955 mit fünf Titeln (Fünfkampf, Weitsprung, 110 Meter Hürden, 100 Meter Hürden, 100 Meter und 4 x 100 Meter Staffel) innerhalb von drei Tagen bei einer Meisterschaft für Aufsehen sorgte.

Sein Name steht für viele Rekorde und Titel, auch für Sternstunden der Leichtathletik, vor allem für diese knapp sechzig Minuten: Am 7. Juli 1959 sicherte sich Lauer innerhalb von weniger als einer Stunde drei Weltrekorde im berühmten Zürcher Stadion Letzigrund: über 110 Meter und 120 Yards Hürden sowie über die selten gelaufene Distanz von 200 Meter Hürden. Die Marke von 13,2 Sekunden über die kurze Hürdendistanz sollte 14 Jahre überdauern und wurde erst 1973 von Rod Milburn, dem Olympiasieger von 1972, unterboten (13,1 ebenfalls in Zürich). Dass der Kölner seiner Zeit weit voraus war, sollten die folgenden Jahre zeigen, als mehrere Hürdensprinter-Generationen an seinen Bestmarken zerbrachen. Lediglich von Lauers Weltrekord über 200 Meter Hürden existieren bewegte Bilder. Die Kameraleute verpassten seinen Fabellauf zuvor schlichtweg.

Das Jahr 1959 war in jeder Hinsicht ein besonderes für den 1,86 Meter langen Athleten. Am 29. und 30. August stellte er mit 7955 Punkten einen neuen deutschen Zehnkampf-Rekord auf. 45 Punkte fehlten ihm dabei zu den magischen 8000. Vor allem die äußeren Umstände verhinderten eine bessere Punktzahl. Am zweiten Wettkampftag fand zeitgleich ein Fußballspiel zwischen dem FC Schalke 04 und Fortuna Düsseldorf statt. So mussten die 1500 Meter in der Halbzeitpause dieser Begegnung absolviert werden, und beim Speerwerfen, das auf einem Feld vor dem Stadion ausgetragen wurde, beseitigten Fußballfans die Anlaufmarken. Er wurde 1959 Deutschlands Sportler des Jahres und Welt-Leichtathlet des Jahres. „Ästhet über den Hürden“ wurde er in den Medien genannt oder auch „Amerikaner aus Köln“, weil ihm eine typisch amerikanische Nervenstärke und Kaltschnäuzigkeit nachgesagt wurde.

Seine Karriere wirkt im Rückblick wie eine atemlose, faszinierende wie dramatische Radio-Reportage. Stationen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Bei einem Länderkampf 1956 gegen Finnland in Hamburg verbesserte Lauer nicht nur den nationalen Uralt-Zehnkampfrekord von Hans Heinz Sievert, der als Augenzeuge dabei war, sondern er stellte zwischen Kugelstoßen und Hochsprung in einem zusätzlichen Lauf auch seinen ersten Europarekord auf. Er absolvierte die 110 Meter Hürden in 13,9 Sekunden erstmals unter 14,0, was gleichzeitig Juniorenweltrekord bedeutete. Das Zehnkampfergebnis bedeutete ebenfalls Juniorenweltrekord. Mit diesen Leistungen wurde der neunzehnjährige Rheinländer zur großen Hoffnung für die Olympischen Spiele in Melbourne. Doch nicht nur bei ihm, auch bei anderen Spitzenathleten klappten Periodisierung und punktgenaue Vorbereitung nicht. Lauer konnte seine Bestform nicht bis zum Spätherbst, als die Spiele in Australien stattfanden, bewahren. Mit aus seiner Sicht eher enttäuschenden Leistungen belegte er Rang vier (110 Meter Hürden) und fünf (Zehnkampf). Nicht zu unterschlagen ist dies: Hürdenrennen und Zehnkampf wurden an vier aufeinander folgenden Tagen ausgetragen. Und seither hat kein Athlet mehr olympische Finalplätze in einer Einzeldisziplin und zugleich im Zehnkampf erreicht.

1957 – nicht lange nach der Rückkehr von Melbourne begann Martin Lauer die Abiturprüfungen. Im Anschluss startete er sein Industriepraktikum. Das Training lief unverändert hart weiter. Duale Karriere nennt man das heute. Er verbesserte seinen Europarekord im Hürdensprint auf 13,7 Sekunden, eine Woche später wiederholte Lauer exakt diese Leistung. Bei den deutschen Meisterschaften gewann er drei Titel und wurde mit dem Silbernen Lorbeerblatt des Bundespräsidentenausgezeichnet, der höchsten verliehenen sportlichen Auszeichnung in Deutschland. 1958 – er egalisierte seinen Europarekord über die hohen Hürden gleich viermal, zuletzt in Stockholm bei der Europameisterschaft, als er seinen Konkurrenten keine Chance ließ. Ende August egalisierte er in einer Nationalstaffel gemeinsam mit Fütterer, Steinbach und Germar erstmals den Weltrekord der Amerikaner.

Im Olympiajahr 1960 behinderte eine hartnäckige Knochenhautentzündung im Fußgelenk seine Vorbereitung, es ging nur mit dosiertem Einsatz und schmerzstillenden Spritzen. Auf den Mehrkampf musste er ganz verzichten. Er landete deshalb im Olympiafinale von Rom über 110 Meter Hürden wieder nur auf dem vierten Platz, gewann aber die Goldmedaille in Weltrekordzeit mit dem deutschen Sprint-Quartett (mit Bernd Cullmann, Armin Hary und Walter Mahlendorf). Lauer war Schlussläufer gewesen. Die amerikanische Staffel wurde wegen eines Wechselfehlers disqualifiziert.

Im Mai 1961 kam der tragische Wendepunkt in seinem Leben: Eine Spritzen-Behandlung sollte eigentlich Abhilfe gegen die ständigen Beschwerden schaffen. Eine letzte Spritze, mit einer verunreinigten Injektionsnadel, führte dann jedoch zu einer lebensbedrohlichen Blutvergiftung. Eine Amputation seines linken Beines konnte gerade noch abgewendet werden, das Bein wurde aber steif. Er musste ein ganzes Jahr im Krankenhaus verbringen. Viele Jahre später erst gab ein künstliches Knie etwas Beweglichkeit zurück. Trotz vieler Schicksalsschläge – seine Verlobte war auf der Rückfahrt von einem Besuch an seinem Krankenbett in München tödlich verunglückt, sein Bruder Fredy starb Jahre später an den Folgen dieses Unfalls – blieb Lauer zuversichtlich und tatendurstig. Und es erwies sich als Glück, dass zu seiner Zeit der Sport noch keine Perspektive für eine nachhaltige Existenz bot und deshalb hinter Schule und Studium konsequent zurückstehen musste. Lauer erzählt einmal von einem Trick: Er trat gerne an, wenn es anstelle eines Pokals Bücher für sein Studium gab. Noch vom Krankenbett aus arbeitete er als Journalist, Autor und Komponist. Texte und Lieder fanden bei der Plattenindustrie keinen Anklang, wohl jedoch seine Stimme. So begann eine Karriere als Sänger, so verdiente er sich das Geld, das medizinische Behandlung, Anwaltskosten und Studium verschlangen. Lauer, der mehrere Instrumente spielte, war später mit vielen seiner Schlager (wie „Taxi nach Texas“, „Sacramento“ oder „Die letzte Rose der Prärie“) weit vorne in den Hitparaden und verkaufte rund sechs Millionen Tonträger. Auch sein Studium beendete Lauer erfolgreich, als Diplomingenieur war er auf verschiedensten Gebieten tätig. Er arbeitete in der Kernverfahrenstechnik an der Entwicklung des „Schnellen Brüters“ von Kalkar und an weiteren Nuklearprojekten mit. Später beschäftigte er sich mit Teilbereichen der Raumfahrt, war an der Entstehung des ersten Mikrocomputers beteiligt. Als Generalbevollmächtigter der Uhrenfabrik Junghans war er verantwortlich für die erstmals vollelektronische Zeitmessung bei den Olympischen Spielen 1972 in München. Dabei schlug Lauers Unternehmen einen Schweizer Konkurrenten aus dem Feld, bei dem ein gewisser Joseph Blatter tätig war, der 1998 Präsident des Fußball-Weltverbandes wurde. Die Spiele 1964 in Tokio (wo Willi Holdorf Zehnkampf-Olympiasieger wurde) und 1968 im Mexiko hatte er, wehmütig und begeistert zugleich, als Journalist miterlebt.

Rund um seinen 75. Geburtstag am 2. Januar 2012 wurden all diese Geschichten wieder erzählt, und man konnte meinen, über viele verschiedene Leben zu reden und nicht nur über eine einzige Biographie. Heute bedeutet Sport für ihn vor allem Segeln auf dem Tegernsee. Aber auch unter ehemaligen Kollegen aus der Leichtathletik fühlt er sich wohl, und Lauer bemüht sich dabei, auf ehemalige DDR-Athleten zuzugehen und für sie einen gebührenden Platz in der großen Sport-Gemeinschaft zu finden. Der aktuellen Leichtathletik, dem kommerzialisierten Hochleistungssport überhaupt, steht er kritisch gegenüber.

Jörg Hahn, Mai 2011

Literatur zu Martin Lauer:

Martin Lauer: Aus meiner Sicht. Bergisch Gladbach, 1963


Weitere Mitglieder der Hall of Fame

Heike Drechsler

Mehr

Manfred Germar

Mehr

Liesel Westermann-Krieg

Mehr