Renate Stecher

Leichtathletik

  • Name Renate Stecher
  • Sportart Leichtathletik
  • Geboren am 12. Mai 1950 in Süptiz bei Leipzig
  • Aufnahme Hall of Fame 2011
  • Rubrik 70er Jahre

Erfolgreichste deutsche Leichtathletin

Mit sechs olympischen Medaillen – dreimal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze – ist Renate Stecher die erfolgreichste deutsche Leichtathletin.

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1972 in München gewann sie sowohl über 100 Meter (11,07 Sekunden) als auch über 200 Meter (22,40 Sekunden). Mit der DDR-Sprintstaffel holte sie Silber, nachdem sie als Schlussläuferin den Ein-Meter-Vorsprung der westdeutschen Heide Ecker-Rosendahl nicht mehr aufholen konnte. Staffel-Gold gewann die Athletin vom SC Motor Jena dann 1976 in Montreal. In Kanada wurde sie zudem über 100 Meter Olympia-Zweite und Dritte über 200 Meter. Renate Stecher war am 7. Juni 1973 im tschechischen Ostrava die erste Frau der Welt, die 100 Meter unter elf Sekunden lief. Per Hand wurden 10,9 Sekunden gestoppt. Die mehrfache Europameisterin stellte zwischen 1970 und 1976 zahlreiche Weltrekorde auf. Nach dem Studium arbeitete sie als Sportlehrerin im Hochschuldienst, dann war sie im Studentenwerk Jena für die Studienfinanzierung zuständig.

Renate Stecher

Leichtathletik

Größte Erfolge

  • Olympia-Gold 1972 über 100 Meter und 200 Meter
  • Olympia-Gold 1976 mit der 4 x 100-Meter-Staffel
  • Olympia-Silber 1972 mit der 4 x 100-Meter-Staffel
  • Olympia-Silber und Bronze 1976 über 100 Meter und
    200 Meter
  • Siebzehn Weltrekorde

Auszeichnungen

  • Dreimal Zweite bei Wahl zur DDR-Sportlerin des Jahres (1972, 1973 und 1975)

Biografie

Als Renate Stecher aus Jena, erfolgreichste deutsche Leichtathletin der Olympiageschichte, 2011 an einem vorsommerlichen Abend in Berlin zu den 21 Neuaufnahmen in die „Hall of Fame“ gehörte, trat auch der Bundespräsident auf. Christian Wulff sprach dabei über „Glücksmomente“, die ihm der Sport beschert habe. Und er lobte den Versuch der Stiftung Deutsche Sporthilfe, mit der Hall of Fame des deutschen Sports Brücken aus der getrennten Vergangenheit in die gemeinsame Gegenwart zu bauen. Wulff mahnte „Maß und Mitte“ bei der Beurteilung der Historie an; man dürfe es sich natürlich nicht zu leicht machen, sagte das Staatsoberhaupt, aber die Sporthilfe gehe auch keinen leichten Weg in der Auseinandersetzung mit der deutschen Sportgeschichte.

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Vor allem Athleten mit DDR-Biographie haben die Debatte über diese Einrichtung befeuert. Viele meinen, Ost-Athleten würden falsch, ungerecht, zu streng bewertet, ihre Lebensleistung nicht genug gewürdigt. Andere Kritiker sind der Ansicht, dass DDR-Athleten angesichts der (Stasi-)Aktenlage nur bei aktiver Beteiligung an der Wahrheitsfindung berücksichtigt werden dürften. Bundespräsident Wulff löste die Spannung vorerst auf, in dem er sagte, er finde es „persönlich wunderbar“, dass Renate Stecher in dem ausgewählten Kreis dabei sei.

Renate Stecher, geborene Meissner, ist auch 35 Jahre nach Ende ihrer Laufbahn mit sechs Medaillen – dreimal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze in München 1972 sowie in Montreal 1976 - den Rang als erfolgreichste deutsche Leichtathletin bei Olympischen Spielen nicht losgeworden. Niemand hat sie übertrumpfen können. Ihre Karrierestationen sind eindrucksvoll: Von 1970, dem Jahr ihrer Hochzeit mit dem Jenaer Hürdenläufer und späteren Trainer Gerd Stecher, bis 1975 war sie praktisch unbesiegbar. 22 DDR-Titel belegen das. Die kraftvoll laufende Frau, 1,70 Meter groß und zu Wettkampfzeiten 70 Kilogramm schwer, galt als neuer Sprintertyp. Geschwindigkeit erzielte sie über eine hohe Schrittfrequenz. Sie war die erste Frau, die 100 Meter in weniger als 11 Sekunden lief (10,9 am 7. Juni 1973 in Ostrau), und die erste Weltrekordlerin des Sprints in der Ära elektronischer Zeitmessung. Die Jenaerin stellte von 1970 bis 1976 siebzehn Weltrekorde auf. In Sachsen geboren, besuchte sie von 1964 an die Kinder- und Jugendsportschule in Bad Blankenburg und schaffte dann bei der EM 1969 in Athen den Durchbruch. Nur als Ersatzläuferin angereist, gewann sie Gold mit der DDR-Staffel und Silber über 200 Meter. Im selben Jahr nahm sie ein Sportwissenschaftsstudium auf, das sie 1977 abschloss. Bis 1990 arbeitete sie als Diplomsportlehrerin an der Jenaer Uni. Diese Stelle wurde nach der Wende aufgelöst, danach arbeitete sie beim Studentenwerk. Gerd Stecher und sie haben drei Töchter (geboren 1977, 1979 und 1986) – und inzwischen auch Enkel.

München 1972 waren mit Gold über 100 und 200 Meter ihre erfolgreichsten Spiele. Dass sie als Schlussläuferin der Sprintstaffel von Heide Rosendahl abgefangen wurde, trifft sie nur noch aus einem Grund: Diese Bilder tauchen bei allen Rückblicken und Jahrestagen wieder auf. Vier Jahre später in Montreal gewann sie dann mit dem DDR-Quartett Gold. Die Aufnahme in die „Hall of Fame“ empfinde sie als „tolle Anerkennung“, sagte die Thüringerin in Berlin. Viel mehr Worte wollte sie nicht machen. Aber es wurde deutlich, dass sie sich wohl fühlte im Kreis der großen Sportler und dass damit für sie eine Art Leidenszeit zu Ende ging. Als herausragende Sportlerin in den vergangenen zwanzig Jahren in einigen Teilen des Landes wenig be- und geachtet worden zu sein, hatte offenbar Wunden geschlagen. Wie hat sie wohl die Zeit erlebt? Es gibt wenige Aussagen von Renate Stecher dazu, man muss sich herleiten, wie es war nach der Vereinigung.

Kurz nach der Wende gab es noch ein paar Feiern, ein paar Bekundungen nach dem Motto „Wir führen euch zusammen“, aber dann gab es auf einmal gar nichts mehr. Dann fragt man sich natürlich: Was bist du wert, was bist du nicht wert? Du hast dich gequält, du hast hart gearbeitet, viel Training auf dich genommen, auf vieles verzichtet und deshalb einiges erreicht. Renate Stecher hat einmal gesagt, sie sei stolz auf die Leistungen gewesen, und sie habe das Gefühl gehabt, dass viele Menschen in der DDR diesen Stolz teilten. Wurde das im gemeinsamen deutschen Staat noch anerkannt? Man ahnt, wie sie diese Frage, die auch auf Gerechtigkeit zielt, beantworten würde. Dass alle sportlichen Leistungen der DDR auf Doping reduziert wurden, hat sie – wie viele andere – erst misstrauisch und dann verschlossen gemacht.

Es war nicht alles gut oder gar besser, früher, damals. Aber wer ist nicht stolz auf das, was er erreicht hat, auf einen Weg, mit harter Arbeit, Entsagung, Disziplin, sicher auch mit großer Freude am Laufen, sonst geht es ja gar nicht. 1964 kam Renate Stecher an die Kinder- und Jugendsportschule, was sie sehr genossen hat. Man hat sich gegenseitig vorangetrieben. Es gab Aussteiger und solche wie sie, die einfach sportverrückt waren. Sie hatte die Reaktionsschnelligkeit, die man braucht, um eine gute Sprinterin werden zu können. Sie ist 15 Jahre lang bei einem Trainer – Horst-Dieter Hille – geblieben und hat in dieser Zeit von der Pike auf gelernt, was man braucht, um erfolgreich sein zu können. Zum Talent kam die komplexe Entwicklung des Trainings. Belastungen steckte sie gut weg, sie hatte eine gute Basis und gehörte bald zu den Besten. Sie lief 11,2 bis 11,0 Sekunden, normale Zeiten, die heute überall gelaufen werden. Bis 1976 fiel sie auch durch ihre stabile Leistung auf, ohne Schwankungen in die eine oder andere Richtung.

Zu den offenen Fragen ihrer Laufbahn gehört dennoch das Thema Doping. Ab 1969/70, das hat ihr inzwischen verstorbener Trainer Horst-Dieter Hille zu Protokoll gegeben, hat er auf Anordnung der Sportführung Anabolika an Athleten verteilt. Wer war alles betroffen, wer wusste davon? Niemals hat sich Renate Stecher bekannt oder beklagt. In Jenaer Hanglage lebte sie bis zuletzt immer Hauswand an Hauswand mit Hille. In ihrem Heim fällt auf, dass keine Sportfotos die Wände schmücken, Medaillen und Titel nicht zur Schau gestellt werden. Familie, Kinder, Enkel zeigen die Bilder an der Wand, das Private steht offensichtlich über allem. Sie habe früh gewusst, dass sie einmal eine Familie gründen und Kinder haben wolle, hat Renate Stecher einmal gesagt. Und so habe sie sich verhalten. Punktum.

Gerne hätte man bei der Aufnahme in die „Hall of Fame“ von Renate Stecher mehr gehört; über ihre Empfindungen beim Thema Dopingopfer vor allem – was mit diesen Menschen gemacht worden ist, muss für sie als Mutter doch schockierend sein. Kinder, die vollgepumpt wurden; Trainer, die daneben standen und aufpassten, dass sie die Mittel einnahmen. All das mag zu ihrer aktiven Zeit geheim gewesen, beschlossen von Staats- und Sportführung. Doch längst sind die Unterlagen bekannt, die Schädigungen belegen, die zeigen, wie die DDR Menschen manipuliert und missbraucht hat, vor allem junge Menschen, die keinen Einfluss auf ihre Entwicklung hatten. Zu diesen verachtungswürdigen Befunden muss der deutsche Sport, muss ein Mitglied der „Hall of Fame“ eine Haltung haben.

1991 war Renate Stecher Mitglied einer kurzzeitig bestehenden Anti-Doping-Kommission des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Die Gruppe löste sich auf, Ergebnisse wurden nicht erzielt. „Ich wollte mich damals der Aufarbeitung stellen“, sagt Renate Stecher. Aber es klingt die Resignation durch, dass offenbar gar nicht wirklich neue Erkenntnisse zum deutsch-deutschen Spitzensport erwünscht waren. Die einen Deutschen sollen nur dank Doping Medaillen gewonnen haben, und die anderen waren ganz sauber – dieses schiefe Bild hatte lange Bestand. Inzwischen rücken Historiker-Kommissionen dies im Auftrag des deutschen Sports zurecht.

Was kann eine Renate Stecher als Mitglied der Hall of Fame des deutschen Sports, als Vorbild und Beispiel, jungen Menschen mit auf den Weg geben? Wer sich mit der Biographie der früheren Spitzenathletin beschäftigt, ihre Leistungen, aber auch ihre Lebensumstände kennen lernt, der begegnet einem schwierigen, manchmal quälenden Teil deutscher Geschichte, in dem Mahnung, aber auch Ermunterung stecken. Renate Stecher sollte Nachwuchsathleten couragiert und offen aus ihrer Karriere erzählen. Das wäre eindrucksvoller und wertvoller als jeder Rekord.

Jörg Hahn, Mai 2011

Literatur zu Renate Stecher:

Volker Kluge (Hrsg.): Lexikon Sportler in der DDR. Berlin 2009


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