Fußball
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Franz Beckenbauer spielt in seiner aktiven Karriere von 1964 bis 1983 für den FC Bayern, New York Cosmos und den Hamburger SV.
Mit dem FC Bayern München gewinnt er unter anderem vier Mal die Deutsche Meisterschaft, vier Mal den DFB-Pokal und drei Mal den Europapokal der Landesmeister.
Die Nationalmannschaft führt Franz Beckenbauer als Kapitän 1974 bei der WM im eigenen Land zum Titel.
16 Jahre später folgt sein größter Triumph als Trainer: 1990 gewinnt die Deutsche Nationalmannschaft unter seiner Führung den WM-Titel in Rom.
2006 fungiert er als Chef des Bewerbungs- und später des Organisationskomitees der WM 2006. Aufgrund dieser Tätigkeit gerät er im Rahmen der Vorwürfe um einen angeblichen Stimmenkauf bei der WM-Vergabe in die Kritik.
Würden die Persönlichkeiten in der Hall of Fame ihren Kapitän wählen können, ihren Spielführer, ihren Leader, also den Größten unter den Großen des deutschen Sports – sie würden sich wahrscheinlich für Franz Beckenbauer entscheiden. Er wurde als Spieler Weltmeister (1974), er wurde als Trainer Weltmeister (1990). Und als Funktionär hat er unserem Land die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 beschert, ein Ereignis, das Deutschland verändert hat. Die Süddeutsche Zeitung erhob ihn danach zum „gefühlten Bundespräsidenten“, und aus England stammt der ehrfürchtige Satz: „Franz ist der einzige Mensch, der aus dem Fenster springt und nach oben fällt!“
Welcher Zauber begleitet ihn, dass er aufsteigen konnte vom einfachen Buben aus München-Giesing zu einem der besten Fußballer aller Zeiten, später zu einem der bekanntesten und einflussreichsten Männer Deutschlands? Dass ihn ein ganzes Land seit Jahrzehnten verehrt und bewundert und wir stets bereit sind, ihm die kleinen und manchmal auch großen Fehler zu verzeihen.
In seiner Zeit als Fußballer lehrte er den Ball Gehorsam. Der legendäre Pelé war zwar torgefährlicher, Johan Cruyff schneller, Maradona trickreicher – aber keiner von ihnen spielte so makellos und so elegant wie Franz Beckenbauer. Er revolutionierte den Fußball, indem er für sich die Position des Liberos erfand. Er war gescheit, weil er begriffen hat, dass die Gedanken und der Ball immer schneller sind als die Beine. Wahrscheinlich war sein Trikot deshalb auch nach dem Schlusspfiff meistens noch sauber. Selbst seinem getreuen Vorstopper „Katsche“ Schwarzenbeck blieb der Begnadete ein Rätsel: „Von Haus aus hat er den Ball nie angeschaut, sondern gefühlt.“ Und der Fernseh-Reporter Ernst Huberty schwärmte: „Wenn er schießt, bekommt der Ball Augen und weiß, wo er hin muss.“ Der Blick eines Feldherrn und das Geschick eines Jongleurs. Mit 19 war er Nationalspieler, mit 20 Vize-Weltmeister, mit 23 zum ersten Mal Deutscher Meister, mit 27 Europameister, mit 29 war er Weltmeister. Und die ganze Welt nannte ihn nur noch „Kaiser“. Mehr geht nicht!
In seiner Zeit als Teamchef der deutschen Nationalmannschaft erinnerte er manchmal an einen Adler, der eine Schar von Hühnern zu stolzen Greifvögeln ausbilden sollte. Aber selbst das ist ihm gelungen, sonst wäre Deutschland nicht mit einer technisch unterentwickelten Mannschaft Vize-Weltmeister (1986) und schließlich sogar Weltmeister (1990) geworden. Beckenbauer war der ideale Trainer, niemand konnte ihm etwas vormachen, aber er konnte allen alles vormachen. Die Spieler hatten Hochachtung und Respekt vor ihm. Legendär seine Wutausbrüche am Spielfeldrand, die einmal in dem Satz gipfelten: „Ihr seids die blindeste aller blinden Mannschaften.“ Anschließend kickte er einen Eis-Eimer quer durch die Kabine und trat die Tür ein.
Ein ganz anderes Bild aber hat sich einer ganzen Nation unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt. Franz Beckenbauer geht allein über den Rasen des Olympiastadions von Rom, während die Spieler mit dem WM-Pokal ihre Ehrenrunde drehen. Um seinen Hals baumelt die Goldmedaille, die Hände hat er hinter dem Rücken verschränkt. Hat er in diesem Moment über sein Leben nachgedacht, das ihm und ganz Deutschland so viel Ehre gebracht hat? Nie hat er sich aufgedrängt, immer ist er gebeten und bedrängt worden, eine Aufgabe zu übernehmen. Und stets stand am Ende der große Erfolg.
Ist er also wirklich die Lichtgestalt, der die großen und kleinen Siege nur so zufliegen? Oder sind diese auch das Produkt akribischer und leidenschaftlicher Arbeit? Wahrscheinlich ist das Phänomen Beckenbauer aus einer Mischung aus beidem entstanden. Auf die Frage nach seiner Glücksformel antwortete er kurz vor seinem 60. Geburtstag: „Glück muss man sich erarbeiten. Es gibt sowieso nur glückliche Momente, aber ein Glück auf Dauer gibt’s nicht. Ich habe bis jetzt noch keinen gesehen, der das Fenster aufgemacht und gesagt hat: „Glück komm herein! – und es ist gekommen.“
Als Teamchef beobachtete er selbst schwächere Gegner wie Malta oder Luxemburg bis zu dreimal höchstpersönlich. Schon als kleiner Junge hatte er den Ball stundenlang gegen eine Hauswand geschossen, immer und immer wieder, bis er gar nicht mehr hinzuschauen brauchte. Jahre später stellte er sich dann vor die Torwand aus dem ZDF-Sportstudio, legte den Ball auf ein volles Weißbierglas und kickte ihn direkt rechts unten ins Loch. Glück oder Genius? Bei Beckenbauer weiß man das letztlich nie so genau.
Und dann setzte er sich endgültig die Krone des Fußball-Kaisers auf, als er Deutschland die Weltmeisterschaft 2006 schenkte. Erst als Chef des Bewerbungs-, dann als Chef des Organisations-Komitees. Er reiste durch alle Kontinente und lud die Teilnehmer-Mannschaften persönlich nach Deutschland ein. Mit dem WM-Slogan „Die Welt zu Gast bei Freunden“ versetzte er das ganze Land in einen nie da gewesenen Glücks-Taumel und veränderte das Bild der Deutschen in der ganzen Welt.
Unsere Straßen wurden schwarz-rot-gold. Ein neuer, positiver Patriotismus, der im Ausland endlich nicht mehr misstrauisch beäugt wurde. Auf den Fanmeilen feierten Hunderttausende (bei nie enden wollendem Kaiser-Wetter) begeisternde Fußball-Feste. Und plötzlich wusste man in jedem Ort der Erde: Deutschland ist ein fröhliches Land, Deutschland ist ein friedliches Land, Deutschland ist ein schönes Land. Was Politiker mit all ihren Gesetzen und Initiativen in Jahrzehnten nicht geschafft hatten, ist einem Fußballer aus München-Giesing gelungen.
Dem Unerreichten aber ist so viel Weihrauch eher peinlich. Er rückt seine randlose Brille zurecht, schaut aus blau-grünen Augen und sagt: „A geh, ich hab doch auch Fehler gemacht!“ Sicher, viele Eigentore, einmal sogar zwei in einem Spiel. Sein Privatleben, das nicht immer reibungslos verlief, hielt und hält Deutschland in Atem. Aber als seine zweite Ehe wegen eines unehelichen Kindes scheiterte, sagte er in einem Fernseh-Interview mit einem Lächeln, das nur er hat: „Schauen Sie, der Herrgott freut sich über jeden neuen Erdenbürger.“ Und alles war wieder gut!
Franz Beckenbauer hat ein Lebens-Motto: „Du darfst nie vergessen, wo du herkommst. Und auch nicht die Menschen, die dir auf deinem Weg begegnet sind.“ Nie hat er einen Autogrammwunsch ausgeschlagen. Wo andere Stars nur ein paar Striche kritzeln, schreibt er mit kleiner, fein säuberlicher Handschrift seinen langen Namen. Und ist ihm jemand besonders sympathisch, setzt er auch noch das Datum darunter. „Bitte schön“, sagt er, wenn er den Zettel oder die Autogrammkarte zurückgibt. Der eine eben!
Alfred Draxler, April 2006
Literatur zu Franz Beckenbauer:
Alfred Draxler (Hrsg.): Franz – Bilder eines bewegten Lebens. Augsburg 2005
Torsten Körner: Franz Beckenbauer – der freie Mann. Gütersloh 2005
Silke Wiedemann: Franz Beckenbauer – der Erfolg spielt mit, die Biographie einer Sportlegende. Düsseldorf 2002