
Foto: picture alliance
Rudern
Rudern
Kathrin Boron (l) gewinnt mit Kerstin Köppen 1992 bei den Olympischen Spielen in Barcelona die Goldmedaille im Doppelzweier mit 2,5 Sekunden Vorsprung. Es ist Borons erster von insgesamt vier Olympiasiegen, zuvor hatte sie bereits drei WM-Titel gewonnen. (Foto: picture alliance)
1996 folgt bei den Spielen in Barcelona Olympia-Gold Nummer zwei, dieses Mal im Doppelvierer gemeinsam mit Kerstin Köppen, Katrin Rutschow und Jana Sorgers. (Foto: picture alliance)
Unvergessen bleibt Borons historischer Doppelsieg bei den Weltmeisterschaften 1997 in Frankreich, als sie als erste Ruderin überhaupt in zwei Bootsklassen jeweils Gold gewann: Im Doppelzweier gemeinsam mit Meike Evers …
… und im Doppelvierer mit Kerstin Köppen, Jana Thieme und Manuela Lutze. Für Kathrin Boron (l.) sind es die Weltmeistertitel vier und fünf, insgesamt gewinnt sie im Laufe ihrer Karriere achtmal WM-Gold. (Fotos: picture alliance)
Vor den Olympischen Spielen 2000 in Sydney gelten Kathrin Boron auf der Schlagposition und Jana Thieme als große deutsche Olympiahoffnung …
… und sie halten dem Druck stand und gewinnen mit fast sechs Sekunden Vorsprung Olympia-Gold vor den Konkurrentinnen aus den Niederlanden und Litauen. (Fotos: picture alliance)
Gemeinsam mit Kerstin Kowalski gewinnt Kathrin Boron 2001 auf dem Rotsee im schweizerischen Luzern ihren achten WM-Titel, in den Jahren danach folgen bei Weltmeisterschaften noch drei Silbermedaillen. (Foto: picture alliance)
2002 bringt Kathrin Boron Tochter Cora zur Welt. Nach nur einem Jahr „Baby-Pause“ meldet sie sich eindrucksvoll zurück und gewinnt Silber im Doppelzweier bei der WM in Mailand. (Foto: picture alliance)
2004 wird Kathrin Boron die Ehre zuteil, im Beisein des damaligen Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit, seiner Athener Amtskollegin Dora Bakoyannis, Siegfried Eifrig, Fackelträger von 1936, dem damaligen IOC-Vizepräsidenten Thomas Bach, NOK-Präsident Klaus Steinbach und Innenminister Otto Schily im Berliner Olympiastadion die olympische Fackel zu entzünden…
… die anschließend von Boron und weiteren 131 ausgewählten Trägerinnen und Trägern rund 50 Kilometer durch die Spreemetropole und weiter durch alle fünf Kontinente bis nach Athen zu den Olympischen Sommerspielen 2004 getragen wird. (Fotos: picture alliance)
… das Quartett mit Kathrin Boron, Meike Evers, Manuela Lutze und Kerstin El Qalqili-Kowalski gewinnt in Athen mit klarem Vorsprung die olympische Goldmedaille. (Fotos: picture alliance)
Für Kathrin Boron ist es in Athen der vierte Olympiasieg ihrer Karriere. Sie avanciert damit zur erfolgreichsten Ruder-Olympionikin der Welt. Bei der Abschlusszeremonie wurde ihr die Ehre zuteil, die deutsche Fahne zu tragen. (Foto: picture alliance)
Doch nicht alles lief rund in Borons Karriere: 2005 bei der WM in Japan unterlief der Potsdamerin nach 1300 Metern ein Malheur, als sie einen Skull aus der Hand verlor, der Vierer in Führung liegend dadurch abrupt abbremste und das britische Boot vorbeizog. Nach diesem Missgeschick weinte die viermalige Olympiasiegern bittere Tränen…
… wurde aber mit der Silbermedaille getröstet: Britta Oppelt, Susanne Schmidt, Katrin Boron und Stephanie Schiller (v.l.)…
… sowie mit einer Einladung zur Event- und Incentive-Woche der Sporthilfe, zu der 2005 auch Töchterchen Cora mitkommen durfte. Im Jahr zuvor war Boron zum „Champion des Jahres“ gewählt worden. (Fotos: picture alliance)
Auch mit 38 Jahren gab Kathrin Boron bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking wie immer alles, so dass sie nach der Zielankunft im Finale von einem Sanitäter mit Wasser gekühlt werden musste…
… zur Belohnung gab es bei der Siegerehrung für Kathrin Boron, Britta Oppelt, Manuela Lutze und Stephanie Schiller die olympische Bronzemedaille. (Fotos: picture alliance)
Als Kathrin Boron mit 14 Jahren zum ersten Mal in ein Ruderboot stieg, da fiel sie auf der anderen Seite gleich wieder heraus. So schlimm war’s gar nicht, sagt sie heute, es war Sommer, das Wasser war warm, und von den jungen Kandidaten, die damals für den Rudersport gesichtet wurden, kenterten etwa zwei Drittel. Ein schlechtes Omen wurde auch nicht daraus. Ganz im Gegenteil.
Schließlich tritt eine Kathrin Boron nirgendwo an, um zu scheitern. Sie tritt an, um zu gewinnen. Und so liest sich dann auch die Liste ihrer Erfolge, die sie nach dieser Slapstick-Einlage im Rudersport erringen sollte, mehr als eindrucksvoll. Mit vier olympischen Gold- und einer Bronzemedaille, gewonnen im Doppelvierer beziehungsweise Doppelzweier bei den Spielen von 1992 bis 2008, ist sie in Deutschland in der Historie ihres Sports Spitze. Sie war zudem achtmal Weltmeisterin und sechsmal Weltcup-Siegerin. Mehr als 20 Jahre lang gehörte sie zur internationalen Elite. Sie ist Trägerin der ruhmreichen Thomas-Keller-Medaille des Internationalen Ruderverbandes. Kathrin Boron steht damit für Kraft, Willensstärke und Kontinuität. Für Glamour eher nicht – so etwas ist ihrem Sport ohnehin fremd. Dafür wird ein Ruderer viel zu oft auf sich selbst zurückgeworfen. Eigentlich in jedem Rennen, wenn nach 20 Schlägen schon der ganze Körper brennt und er trotzdem weitermacht. „Darauf muss man sich einlassen.“
Erst mit fast 39 hat sie aufgehört, nach den Olympischen Spielen 2008 in Peking, mit einer Bronzemedaille im Doppelvierer. So eine lange Karriere hat auch sie nicht ganz aus eigener Kraft geschafft, zumal sie schon 2002 Mutter einer Wunsch-Tochter geworden war. „Vieles hat gepasst, ich hatte ein tolles Umfeld, immer Unterstützung, und ich bin dankbar dafür.“ Seit Jahren gibt sie das nun schon dem Sport und den Sportlern zurück: Als Laufbahnberaterin und zuvor auch in anderen Funktionen in verschiedenen Institutionen der Sportförderung, darunter auch die Stiftung Deutsche Sporthilfe. Am Olympiastützpunkt Niedersachsen in Hannover berät sie seit 2023 junge Athleten und Athletinnen dabei, wie sie Sport und Ausbildung unter einen Hut bringen, ihre Träume leben und gleichzeitig ihre Zukunft entwickeln können. Der ideale Job für sie, wie sie findet.
Kathrin Boron wurde am 4. November 1969 in Eisenhüttenstadt geboren – in eine Familie, in der niemand Leistungssport betrieb. Aber sie selbst wusste von Anfang an, dass sie zum Sport wollte – seit sie einmal eine Freundin, die Sport machte, begleitet hatte. Sie begann in der Leichtathletik, doch da hatte sie keinen Erfolg. Aufgrund ihrer Körpergröße versuchte sie sich danach im Rudern – und das war das Richtige. „Ich weiß, dass meine Muskulatur für diesen Sport wie geschaffen ist“, sagt sie. Und das wurde schnell festgestellt. Im DDR-Sport wurden zur Rekrutierung von Nachwuchsathleten Muskel-Biopsien vorgenommen. Das Ergebnis für die junge Kathrin: Sie hat überwiegend Ausdauermuskeln, was physiologisch die beste Voraussetzung war für den Rudersport. Und so kam sie auf die Kinder- und Jugendsportschule und in den Verein Dynamo Potsdam. „Die Entscheidung, ins Internat zu gehen, war mein Kindheitstraum. Ich hatte das selbst initiiert. Meine Eltern haben eher gefragt: Bist du sicher, dass du das willst? Ich habe gesagt, ich möchte unbedingt da hin. Mit 14. Wer hat schon so klare Vorstellungen?“
Sie wusste eben schon immer genau, was sie wollte. 1987, mit 19 Jahren, war sie Junioren-Weltmeisterin im Einer, in ihrer Altersklasse war sie also schon an der internationalen Spitze angekommen. Und sie musste nicht lange überlegen, was sie sich nun als Ziel setzen sollte. „Ich hatte schon früh das Gespür und auch den Willen, in meiner Sportart ganz oben anzukommen. Ich wusste und habe es für mich auch ganz klar formuliert: Ich wollte Olympiasiegerin werden.“ Und direkt nach dem Wechsel vom Junioren- in den Erwachsenenbereich traf sie auf eine Trainerin, die ihr beim Thema Ehrgeiz und konsequente Zielorientierung in nichts nachstand: Jutta Lau, selbst zweimalige Olympiasiegerin im Doppelvierer und eine der erfolgreichsten Trainerinnen der Welt. „Wir waren uns im Anspruch und dem, was man dafür tun muss, sehr gleich. Da haben wir uns blind verstanden.“ Sie habe, sagt Kathrin Boron heute, damals die eine oder andere Entscheidung getroffen, die den anderen vielleicht manchmal egoistisch erschienen sei. Aber man kann davon ausgehen, dass alle ihre Überlegungen auf Erfolg ausgerichtet waren. Sie und Jutta Lau haderten denn auch sehr mit der Entscheidung der deutschen Verbandsführung, sie und Partnerin Kerstin Köppen 1996, bei den Olympischen Spielen in Atlanta, nicht neben dem Doppelvierer auch noch im Doppelzweier starten zu lassen, sondern lieber eine größere Mannschaft zu entsenden. Kathrin Boron ist sicher, dass sie ansonsten eine Goldmedaille mehr in ihrer Trophäensammlung hätte. (Der stattdessen gestartete Doppelzweier wurde Fünfter.) Bleibt die Frage, ob Kathrin Boron in ihren Anfangsjahren auch Opfer der in der DDR systematisch betriebenen Dopingpraxis war. „Ich gehe davon aus, dass es mir erspart geblieben ist“, sagt sie. „Ich sage mal, zum Glück zu jung gewesen. Ich würde sagen, ich kann nicht zu hundert Prozent ausschließen, dass man mir etwas untergemischt hat. Aber nicht wissentlich.“
Wegen einer Verletzung konnte Kathrin Boron sich nicht schon für Olympia 1988 in Seoul qualifizieren – die letzten Olympischen Spiele mit einer DDR-Mannschaft. Aber 1992 hatte sie fest im Visier, als das kaum Vorstellbare geschah: Die Wende. Das Ende der DDR und die Vereinigung mit der Bundesrepublik. Von einem Tag auf den anderen – zumindest gefühlt für einen bis dahin rundum abgesicherten DDR-Kadersportler – gab es das alte System nicht mehr. Viele Trainer gingen fort. Selbst ihr Verein Dynamo Potsdam wurde schnell aufgelöst – er hatte zu den Klubs der inneren Sicherheitsdienste wie Stasi oder Volkspolizei gehört. Nun wechselten die Ruderer zur Potsdamer Rudergesellschaft. Gerade noch hatte es vor ihrem Trainingsgelände am Templiner See einen Schlagbaum gegeben – nun war er plötzlich weg.
Kathrin Boron habe sich die neue Umwelt angesehen und gesagt, der Weg, wie sie ihn sich vorgestellt hatte, sei ja nun nicht mehr da. Sie beschloss also, während andere noch nach Orientierung suchten, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Zu jener Zeit war sie als Sportstudentin an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport immatrikuliert. Dieses Studium brach sie sofort ab. Sie schaute sich um und wunderte sich: Plötzlich eröffnete eine Bank nach der anderen eine Filiale in Potsdam. Kurzerhand beschloss sie, dort ihr Glück zu versuchen und schrieb ein Dutzend Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz. Nur eine Bank lud sie zum Gespräch ein: Die Deutsche Bank. Sie traf den Filialleiter und stellte sich ihm vor: „Und das war wie ein Sechser im Lotto.“ Sie konnte dort parallel zum Sport eine Ausbildung zur Bankkauffrau absolvieren – auch wenn die Doppelbelastung eine Herausforderung war. „Er waren die härtesten drei Jahre meiner Karriere.“ Doch das Engagement lohnte sich: Die Filiale in Potsdam erwies sich als sichere Bank – sie arbeitete dort, aber unter solchen Bedingungen, dass sie jederzeit ihr Training, ihre Trainingslager und ihre Wettkampfreisen antreten konnte. Die Deutsche Bank unterstützte sie während ihrer gesamten Karriere und auch noch darüber hinaus. Der damalige Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann persönlich kümmerte sich am Ende um ihren Übergang ins Leben nach dem Sport. Er hatte Kathrin Borons Rennen bei der WM 2007 in München im Auto begleitet – sie wurde WM-Zweite im Doppelvierer. Danach lud er sie zu einem Besuch in der Zentrale in Berlin ein, wo sie die Einzelheiten ihres Karriere-Endes nach den Spielen 2008 besprachen. Sie sagte unverblümt, sie habe ein paar Ideen für die Zeit danach, sie wolle vielleicht als Trainerin oder an anderer Stelle im Sportsystem weiterarbeiten. Die Bank sei höchstens Plan C. Ihre Ehrlichkeit muss sehr überzeugend gewirkt haben, und so bezahlte die Deutsche Bank sie noch eine ganze Weile weiter.
Über 20 Jahre lang hat Kathrin Boron gerudert. Ob es immer schön war? „Immer“, sagt sie schnell. „Natürlich, bei Wind und Wetter, bei Minusgraden und Nieselregen ist es nicht schön. Aber das gehört dazu, wenn man ganz oben stehen will. Das erkennt man mit der Erfahrung. Man fragt sich: Was ist notwendig, was muss ich investieren? Ich habe immer gern trainiert, immer gern hart trainiert, und es hat mir bis zum Schluss Spaß gemacht, sonst hätte ich es nicht so lange machen können.“ Und das, obwohl sie nach der Wende das Rudern noch einmal lernen musste. Kathrin Boron war Skullerin – also eine Ruderin, die nicht nur einen einzelnen langen Riemen, sondern zwei Ruder gleichzeitig bedient. Gelernt hatte sie, dass die rechte Hand vor der linken Hand geführt wird. Nun mussten auf Beschluss des Deutschen Ruderverbandes alle auf die West-Version umschulen: Links vor rechts. „Es wurde einfach entschieden in einer Zeit, in der viele Dinge, die in der DDR eigentlich gut waren, für schlecht befunden wurden“, sagt sie. Es sei sogar schwerer gewesen als Rudern neu zu lernen. „Die Handführung ist automatisiert. Man lernt es, und dann denkt man nicht mehr darüber nach. Das heißt, wenn man es anders machen muss, ist die Verletzungsgefahr groß. Das Unterbewusstsein will immer wieder die alte Bewegung machen. Und wenn die Hebel sich verhaken, holt man sich blutige Hände.“ Das Lager der ehemaligen DDR-Skullerinnen war verbittert. Denn hier ruderten Athletinnen, die zu jener Zeit den internationalen Sport beherrschten. Die Skullerinnen aus dem Westen spielten international keine Rolle. „Wir haben die Welt nicht mehr verstanden.“
Aber auch dieses Problem meisterte Kathrin Boron mit der gewohnten Disziplin. Die physische Stärke, da ist sie sicher, ist nur eine der Voraussetzungen für den Erfolg im Sport. „Am Ende, um in einem Rennen zu bestehen, muss man ein bisschen verrückt sein – im positiven Sinne. Man braucht den Biss. Sich auf all das einzulassen, das ist Kopfsache. Dieser Spruch, ein Rennen wird im Kopf entschieden – der stimmt auch. Klar, ich muss hart trainieren, damit ich die Leistung bringen kann. Aber das alles mental zu bestehen, dazu gehört mehr.“ Wohl auch die Fähigkeit, die eigenen Chancen zu ergreifen und das eigene Umfeld selbst zu gestalten. Das erklärt sie auch immer wieder den jungen Sportlern, die sie in Hannover berät. Deren Hauptfrage: Wie geht es nach der schulischen Ausbildung weiter? „Viele wissen ja gar nicht, was sie werden wollen“, sagt Kathrin Boron. Sie findet es immens wichtig, mit ihnen zusammen den richtigen, maßgeschneiderten Weg zu entwickeln. Obwohl sie selbst nie einen Laufbahnberater gebraucht hat. So etwas gab es in ihren Anfängen noch gar nicht. Und sie war schon immer selbst ihre beste Beraterin.
Evi Simeoni, im November 2025