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Ski Alpin
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Das Ende der großen Karriere von Maria Riesch war fast ein bisschen typisch. Statt noch einmal den Gesamtweltcup als beste Skirennläuferin der Saison zu gewinnen, landete sie bei ihrem letzten Weltcup-Wochenende im März 2014 kopfüber im Fangzaun und verletzte sich. Die restlichen drei Rennen des Winters beim Finale in Lenzerheide fanden ohne sie statt. Aber triumphal abgetreten ist sie trotzdem, obwohl ihr die große Kristallkugel noch eine Konkurrentin aus Österreich wegschnappte.
Maria Riesch hat alles gewonnen in ihrer Karriere, und doch hätte es noch ein bisschen mehr sein können, wäre sie nicht manchmal in wichtigen Momenten gestürzt und verletzt für Großereignisse ausgefallen. Bei ihren ersten Olympischen Winterspielen war sie bereits 25 und damit spät dran. Ganz anders als sonst in ihrer Karriere, da hatte es Maria Riesch fast immer sehr eilig.
Mit dem Skifahren war sie so früh dran, dass sie sich gar nicht mehr erinnern kann. Aber es gibt ein Foto, das sie in einem pinkfarbenen Anorak auf zwei Brettern an den Füßen in der Hofeinfahrt des Elternhauses zeigt. Ein paar Wochen später ging es auf den nahen Schlittenberg. Die erste Abfahrt war, so haben es die Eltern ihr später erzählt, noch etwas vorsichtig. Aber die kleine Maria hat es kaum erwarten können, dass es wieder Winter wurde und sie die kleinen Skier angeschnallt bekam. Sie war gerade drei geworden, da durfte sie zum ersten Mal mit der Gondel auf den Hausberg in Garmisch-Partenkirchen. Zwei Jahre später meldeten sie die Eltern Monika und Siegfried Riesch im Skiclub Partenkirchen an.
Nach nur ein paar Tagen auf den Übungshängen ging es mit dem Privatskilehrer noch höher, auf die Weltcuppiste, die Kandahar. Immer ihrem Alter ein paar Schritte voraus, das war Maria Riesch auf dem Weg zur Weltspitze. Ein Jahr früher als üblich schaffte sie den Sprung in die Gau-Mannschaft und war fortan aufgrund ihres Geburtstages im November meist die Jüngste in den Nachwuchskadern. Mit 16 startete sie zum ersten Mal im Weltcup und holte gleich ein paar Weltcup-Punkte, mit gerade 18 stand sie zum ersten Mal auf dem Podest. Und mit 19 schaffte sie in Haus im Ennstal in der Abfahrt ihren ersten Sieg. Der zweite, im Super-G, folgte zwei Tage später. Dazwischen stürzte sie im Rennen und landete unsanft im Fangzaun, ohne große Folgen in diesem Fall.
Damals wurde sie zur Stehauffrau. Das ist sie geblieben, bis heute. Es gehört zu ihren großen Stärken, sich nicht lange aufzuhalten mit Enttäuschungen. „Wenn es nicht läuft, darf man nicht verzweifeln und sich reinsteigern“, sagte sie einmal. Während ihrer Karriere analysierte Maria Riesch, hakte ab und schaute nach vorn. Das sei ihr geblieben, findet sie. Auch im Privatleben, im Alltag nach der Karriere. Wenn man sich das im Sport antrainiert habe, „kann man das nicht wirklich ablegen“. Wie man mit Rückschlägen, Niederlagen umgehe, sei doch immer sehr ähnlich.
Dieses für sie so denkwürdige Wochenende in der Steiermark 2004, als Maria Riesch innerhalb von 36 Stunden vor allem die Höhen, aber eben auch ein wenig die Tiefen des nicht ganz ungefährlichen Skirennsports fast im Zeitraffer erlebte, veränderte ihr Leben. Sie galt schon zuvor als Versprechen für die Zukunft in der alpinen Sparte des Deutschen Skiverbandes, irgendwann als Kandidatin für den Gesamtweltcupsieg und als Nachfolgerin der großen Katja Seizinger, die ein paar Jahre zuvor ihre Karriere beendete hatte.
Aber das, was anschließend auf die junge Maria Riesch einprasselte, hätte viele überfordert. Sie selbst war nur überrascht. „Da gewinnst du einmal und dann gibt es einen Ansturm, dass du gar nicht weißt, welches Telefon du zuerst abnehmen sollst“, sagte sie damals in ihrer jugendlichen Unbekümmertheit. Interview-Marathons, Fernsehauftritte, Kameras als ständige Begleiter auf und jenseits der Piste. Das Rampenlicht fand Maria Riesch „schmeichelhaft“, keineswegs nervig. Und ablenken ließ sie sich davon auch nicht. Vier Wochen später schaffte sie im Slalom ihren nächsten Sieg.
Im Sommer ging es mit dem Rummel weiter: Eine kleiner Gastauftritt in ihrer Lieblingsserie „Marienhof“, Promotion-Termine für Sponsoren und Werbeauftritte für den Ausrüster. Maria Riesch hat die Rolle, die ihr die Öffentlichkeit nach dem rasanten Aufstieg in die Weltelite zugedacht hat, bereitwillig angenommen. Dass das Skitraining nicht darunter leidet, dafür sorgten die Trainer, aber auch sie selbst. Denn am wohlsten fühlte sie sich trotzdem immer noch auf Skiern.
Der Höhenflug wurde im Winter darauf jäh gestoppt. „Alle meine Stürze – und das waren nicht wenige – sind lange glimpflich ausgegangen“, schrieb sie in ihrem ersten Buch „Abgefahren!“, das 2008 erschien. „Ich hatte stets einen Schutzengel auf der Piste.“ Aber Mitte Januar 2005 in Cortina d’Ampezzo war das frühe Glück aufgebraucht. Bei einem Sturz riss das Kreuzband im rechten Knie. Und kurz nach ihrem Comeback erwischte es beim Riesenslalom im Dezember in Aspen das andere Knie, da riss ebenfalls das Kreuzband. Nach den Weltmeisterschaften in Bormio verpasste Maria Riesch deshalb auch die Olympischen Winterspiele in Turin 2006.
Zusammengezählt musste sie eineinhalb Saisonen zuschauen. Umso beeindruckender war ihr zweites Comeback. Nach nur drei Rennen stand Maria Riesch schon wieder ganz oben auf dem Podest. Aber nach dem Sieg in der Abfahrt von Lake Louise erlebte sie, was viele Athleten nach langen Verletzungspausen erfahren müssen: Es geht nicht nur immer steil bergauf, sondern zwischendurch auch mal wieder bergab. „Im Nachhinein muss sich sagen, dass mich diese Verletzungsphase am meisten geprägt hat“, sagt Maria Riesch.
Sie hat in dieser Zeit gelernt, geduldig zu sein. Aus dem unbekümmerten Teenager von 2004 war eine junge Frau geworden, die sich mit harter Arbeit, viel Disziplin und großem Ehrgeiz zurückkämpfte – und erkannte, dass es für den Erfolg mehr braucht, als gerne auf Schnee zu trainieren. Schwitzen im Kraftraum, Ausdauerübungen, das hatte Maria Riesch davor oft schleifen lassen. Wenn sie heute etwas anders machen würde, sagt sie, dann, „dass ich früher ein bisschen fleißiger beim Konditionstraining wäre. Dann hätte ich mich vielleicht nicht zweimal so schwer verletzt.“
Auf der anderen Seite, weiß sie, haben sie diese Tiefschläge noch stärker gemacht. Nach dem Rehabilitationswinter begannen ihre besten Jahre. Maria Riesch lieferte sich spannenden Duelle im Schnee mit Lindsey Vonn, mit der sie damals gut befreundet war, um den Gesamtweltcup, schaffte Siege in Abfahrt, Super-G und Slalom und holte ihre ersten Medaillen bei Großereignissen. Gold im Slalom bei der WM in Val d’Isere 2009, Gold im Slalom und der Superkombination bei den Olympischen Winterspielen in Whistler Mountain. Damit stellte sie sogar die im Weltcup meist bessere Lindsey Vonn in den Schatten, die 2010 „nur“ Abfahrts-Olympiasiegerin wurde. Ein Jahr darauf besiegte sie die Freundin aus den USA auch im Gesamtweltcup.
Nachdem Maria Riesch ihren Manager Marcus Höfl 2011 geheiratet hatte, wurden ihre Werbeauftritte mehr – und anders. Sie fand nun auch immer häufiger in People-Magazinen statt, nicht mehr nur auf Sportseiten. Höfl verstand sein Geschäft, er bereitete schon die Karriere nach der Karriere seiner Frau vor. Aber Maria Riesch, die seit ihrer Hochzeit in Kitzbühel lebt, war mit 26 Jahren noch nicht fertig mit dem Sport. Sie hatte noch ein paar Ziele. Zum Beispiel einen Riesenslalomsieg. Der ist ihr allerdings nicht gelungen, ebenso wenig eine Medaille in dieser Disziplin. „Das wurmt mich schon ein bisschen“, gibt sie zu. Dafür wurde sie in Schladming 2013 noch einmal Weltmeisterin in der Superkombination und ein Jahr später bei den Winterspielen ein drittes Mal Olympiasiegerin in der gleichen Disziplin.
Maria Riesch ist damit nach Katja Seizinger die erfolgreichste deutsche Skirennläuferin bei Olympischen Spielen. Und bis zum Weltcup-Finale, bis zu ihrem Sturz in der Abfahrt, sah es gut aus, dass es auch mit dem zweiten Gesamtweltcupsieg klappen könnte. „Das wäre natürlich ein traumhafter Abschluss gewesen“, sagt sie. Nach den Olympischen Spielen hatte Maria Riesch entschieden, dass am Saisonende Schluss sein soll, mit erst 29 Jahren. Immerhin gewann sie noch die kleine Kristallkugel für die Abfahrts-Beste des Winters. Ein paar Wochen davor hatte sie ihren 27. und letzten Weltcupsieg geholt.
Auf das Leben danach war sie gut vorbereitet, auch dank ihres Mannes. Maria Riesch arbeitete anschließend als Ski-Expertin bei der ARD, hatte ihre eigene Modekollektion beim Versandhändler Otto und entwickelte ein Fitness-Programm. Lange Zeit war sie auf Kreuzfahrten der MS Europa 2 als Fitnesscoach dabei. Sie nimmt Podcasts auf, schult Influencer, ist Markenbotschafterin ihres früheren Ausrüsters und mittlerweile eine gefragte Keynote-Speakerin bei internationalen Veranstaltungen, Konferenzen und Kongressen. Von Marcus Höfl lebt sie seit 2024 getrennt, beruflich sind die beiden aber noch ein Team. Privat ist Maria Riesch seit Anfang des Jahres mit dem Kreuzfahrt-Manager Johann Schrempf liiert. „Mir geht‘s gut“, sagt sie.
Elisabeth Schlammerl, im November 2025
Literatur von und zu Maria Riesch:
Maria Riesch: Abgefahren: Das Ziel im Visier. riva Verlag, München 2008.
Maria Höfl-Riesch & Fred Sellin: Geradeaus – Höhen und Tiefen meines Lebens. Malik Verlag, München 2012.