Dr. Roland Matthes

Schwimmen

  • Name Dr. Roland Matthes
  • Sportart Schwimmen
  • Geboren am 17. November 1950 in Pößneck, Thüringen
  • Todestag 20. Dezember 2019 in Wertheim
  • Aufnahme Hall of Fame 2006
  • Rubrik 70er Jahre

Erfolgreichster deutscher Rückenschwimmer

Von März 1966 bis August 1974 blieb der vierfache Olympia-Goldmedaillengewinner Roland Matthes als Rückenschwimmer auf der Welt unbezwungen. In diesen acht Jahren brach er siebenmal hintereinander den 100 Meter Rücken-Weltrekord, gar neunmal den Weltrekord über 200 Meter Rücken. 1968 und 1972 wurde er über diese Strecken jeweils Doppel-Olympiasieger.

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Matthes gewann zudem nacheinander drei Welt- und fünf Europameisterschaften. Der Athlet vom SC Turbine Erfurt beherrschte die Weltelite im Rückenschwimmen so sehr, dass seine Vielseitigkeit oft übersehen wird: Längere Zeit war er auch Europarekordhalter über 200 Meter Lagen und 100 Meter Schmetterling. Bei Olympischen Spielen gewann Matthes auch noch zwei Silber- und zwei Bronzemedaillen. Dreimal war er dabei mit DDR-Staffeln erfolgreich, die letzte Bronzemedaille gewann er 1976 in Montreal über 100 Meter Rücken. Mit acht Olympiamedaillen zählt der in der DDR siebenmal als „Sportler des Jahres“ ausgezeichnete Matthes in der Bestenliste deutscher Olympioniken zu den erfolgreichsten Athleten und ist auch aufgrund seines beruflichen Lebenswegs ein Vorbild: Parallel zur Leistungssportlaufbahn absolvierte er ein Studium der Sportwissenschaften, danach studierte er Medizin und arbeitete als Orthopäde. Er verstarb Ende 2019 nach kurzer, schwerer Krankheit.

Dr. Roland Matthes

Schwimmen

Größte Erfolge

  • Viermal Olympia-Gold: Jeweils 1968 und 1972 über 100- und 200 Meter Rücken
  • Acht Olympiamedaillen insgesamt
  • Dreimal Weltmeister
  • Fünfmal Europameister
  • 21 Weltrekorde
  • Erster Mensch unter einer Minute über 100 Meter Rücken

Auszeichnungen

  • Goldene Sportpyramide (2004)
  • Georg von Opel-Preis (2003)
  • Aufnahme in die International Swimming Hall of Fame (1981)
  • Siebenmal DDR-Sportler des Jahres (1967 bis 1971, 1973 und 1975)

Biografie

Der Rolls Royce ist ein vierrädriger Nobelwagen, Mozart galt vor 250 Jahren als Wunderkind. Roland Matthes, der Rückenschwimmer aus dem beschaulichen Thüringen, war – glaubt man Leuten, die seine sportlichen Glanztaten miterlebten – beides zugleich. Edelkarosse und Genie. Die britische Journalistin Pat Besford nannte den schlanken Hünen, der den US-Amerikanern eine ihrer Domänen mit der Selbstverständlichkeit des geborenen Siegers entriss, in ihrer Enzyklopädie den „Rolls Royce of Swimming“. Andere erhoben Matthes ob der Leichtigkeit, Eleganz, ja Majestät seiner Auftritte zum „Schwimm-Mozart“.

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Der mit solchen Wortschöpfungen Apostrophierte selbst konnte damit wenig anfangen. Roland Matthes war und ist ein Vertreter der stillen Art. Gerade, weil er etwas zu sagen hat, muss er nicht zu allem etwas sagen. Das war schon immer so. Und ans „Lautsprechen“, das in der Mediengesellschaft des wiedervereinigten Nachwende-Deutschlands zur Gepflogenheit vieler geworden ist, hat er sich auch in der neuen Heimat nicht gewöhnt. Matthes hat sich als Sportler stets zuerst über Leistung artikuliert. Und erst danach, wenn es denn sein musste, mit dem Munde. Die Resultate waren auch ohne Worte unüberhörbar.

Geadelt als Ausnahmeschwimmer wurde er sogar von der Konkurrenz. Als der 17-jährige Matthes 1968 in Mexiko City erstmals bei einem internationalen Championat startete und auf Anhieb beide Rückenstrecken gewann, stimmte der geschlagene 100-Meter-Rücken-Dritte Ronald Mills einen Lobgesang auf den Doppelolympiasieger an, der das Kunststück vier Jahre später wiederholte. „Matthes ist wundervoll“, so der US-Athlet. „Ich bewundere an ihm seine langsame Zugfolge, die wie gespielt aussieht und doch so wirksam ist.“ So wirksam, dass sie Matthes zum erfolgreichsten deutschen Schwimm-Mann bis zur Gegenwart machte. Vier Gold-, zwei Silber-, zwei Bronzeplaketten gewann er bei den drei Olympischen Spielen von 1968 bis 1976 – unerreicht! Dazu kamen 21 Weltrekorde, der erste am 11. September 1967. Dreimal war er Welt-, fünfmal Europameister, siebenmal „DDR-Sportler des Jahres“. 1981 wurde das mit der Aufnahme in die International Swimming Hall of Fame in Fort Lauderdale (Florida) honoriert. In die neue „Ruhmeshalle“ des deutschen Sports wurde er im April 2006 als erster Athlet aus der Ex-DDR berufen, nachdem er 2004 die Goldene Sportpyramide für sein Lebenswerk erhalten hatte.

Ehrungen, die Matthes gerne, aber auch ein wenig verlegen annahm. Stolz ist er darauf schon, warum auch nicht? Die Erfolge, auf denen sie basieren, hat er hart und zielstrebig erarbeitet. Und dabei mit Marlies Grohe eine Trainerin an seiner Seite gehabt, die ihn quasi unmerklich am Zügel führte. Die mal den harten Part gab, dann lange Leine ließ – Meisterschaft einer großen Pädagogin, ohne die Matthes wohl nie in die Annalen der Sportgeschichte gefunden hätte. Er verdanke ihr vieles, ja, fast alles, sagt er. „Ich war relativ dünn, hatte ein niedriges spezifisches Gewicht und entsprechende Hebelverhältnisse. Das waren die messbaren Voraussetzungen. Nur, ohne das Glück, einer solchen Trainerin zu begegnen, hätte das nichts genutzt.“ Mit zehn Jahren machte Matthes erste ernsthafte Schwimmversuche, kam an die Kinder- und Jugendsportschule (KJS), quälte sich, schwamm Kleinen und Jüngeren hinterher.

„Er war kein Talent, kein Junge, dem man den späteren guten Schwimmer schon an der Nase ansah“, lautete Grohes nüchterne Charakteristik. Wunderkind? Von wegen. Die Trainerin nannte ihn ob der Vorliebe für wohltemperiertes Wasser „Warmduscher“ – das wäre heute bei Sportstars wohl Leitartikel im Boulevard wert. Aber Grohe wusste genau, wann sie wo ansetzen musste. Ihre Mischung aus unerbittlicher Forderung und Mütterlichkeit machte aus dem schüchternen Jungen, der ob der zunächst wenig verheißungsvollen Leistungen von der KJS zu fliegen drohte, einen Musterschüler. Vom 5. März 1966, als der sensible Schlaks 15-jährig B-Jugendrekord schwamm, bis zum 31. August 1974, als er als reifer Weltklasse-Athlet beim Länderkampf gegen die USA in Concord gegen John Naber verlor, blieb Roland Matthes auf den Rückenstrecken unbesiegt.

Dass er die Laufbahn nach München 1972 fortsetzte, obwohl er eigentlich aufhören wollte, war weniger auf eigene Unentschiedenheit, als auf den mitunter gar nicht mehr sanften Druck der Funktionäre zurückzuführen. „Die dritten Olympischen Spiele waren noch einmal eine Motivation, obwohl ich wusste, dass ich da keine bedeutende Rolle spielen würde“, sagt Matthes, der halbe Sachen nicht mag und an der heutigen Sportlergeneration kritisiert, dass es zu viele gibt, für die das Athleten-Dasein nicht zuerst Selbsterfahrung, Überwinden eigener Grenzen und Lernen, sondern vor allem Geld bedeutet. In Montreal gewann Matthes 1976 als „eine Art Unikum des Schwimmsports“ im Alter von 26 Jahren 100-Meter-Rücken-Bronze. Das geschafft zu haben, sagt er in seiner freundlichen, humorvollen und klugen Art, entlocke ihm heute noch „ein wohlwollendes Lächeln“.

Marlies Grohe, die 1990 verstorbene Trainerin, hatte sich zu Beginn von Matthes’ Laufbahn gegen die Zweifler durchgesetzt. Ihre Überzeugung, aus ihm könne man „einen ganz annehmbaren Schwimmer machen“, übersetzte der Schützling für sich mit „Aus dir kann man einen vernünftigen Menschen machen“. Diesem Anspruch wollte Matthes genügen, er verpflichtete sich zum Nachfragen und Nachdenken. Mit Widerstand gegen die DDR-Verhältnisse hatte das an sich nichts zu tun, eher mit latentem Unbehagen an der Festlegung angeblich ewiger Wahrheiten. Daran stößt sich einer, der nicht nach dem Schnittmusterbogen stromlinienförmigen Wohlverhaltens geschneidert ist. „Das ist heute noch so: Wenn ich etwas nicht will, und jemand versucht, mich in diese Richtung zu drängen, dann läuft erst recht nichts.“

Nach dem sportlichen Abschied lieferte Roland Matthes nur noch wenige Schlagzeilen, und die brauchte er auch nicht. Erstaunlich, wie wenig über eine Persönlichkeit wie seine geschrieben und gedreht wurde. Kein Buch über den besten Rückenschwimmer aller Zeiten, der mit 18 internationalen Medaillen von der großen Bühne des Sports abtrat. Kein Film, der fragt, weil er etwas wissen will, und nicht schon vorm „Dreh ab!“ besser weiß, was er gar nicht gefragt hat. Dabei ist Roland Matthes, „einmalig von Leistung und Charakter“, wie es in Publikationen heißt, in seinem Lebensweg ein Vorbild, ohne sich selbst als solches zu inszenieren. Ein Modellbeispiel für das, was wir heute die duale Karriere nennen. Noch während der Laufbahn hatte er 1970 ein Sportlehrer-Studium an Leipzigs Deutscher Hochschule für Körperkultur begonnen, 1977 abgeschlossen. Thema der Diplomarbeit: die Technik des Rückenschwimmens. Marlies Grohe hatte an ihrem Zögling perfekt umgesetzt, was es heißt, Beinarbeit müsse aus der Hüfte kommen. Matthes lag nicht im, sondern auf dem Wasser – ein Bild besonderer Ästhetik, der Harmonie von Mensch und Element. Er brachte die Beine in der Amplitude 90 Zentimeter auseinander, die Konkurrenz tat sich mit der Hälfte schwer. „Wenn man Rolands Maße hat, muss man so schwimmen“, sagte Grohe.

Mit dem Sportlehrer-Diplom hätte er Trainer werden können, aber er meinte, dort seine Ideen nicht kreativ umsetzen zu können. Stattdessen nahm er 1978 ein Medizinstudium auf, das er 1984 ebenfalls erfolgreich beendete. Er wurde Arzt, spezialisierte sich zum Orthopäden mit Kompetenz und internationaler Reputation. Ende der 80er Jahre war er Mitglied der Medical Commission des IOC. 1978 heiratete er Schwimmstar Kornelia Ender, vierfach vergoldet in Montreal. „World’s fastest marriage“, hieß es auf der Schwimmer-Hall-of-Fame-Webseite.

Die Traum- und Vorzeige-Ehe, die es sein sollte, hielt nur vier Jahre. Dass er sich nicht ans gedachte Rollenspiel hielt, verziehen die DDR-Oberen nie. Die Ächtung, die stattfand, hat Matthes dennoch nicht zu Nachwende-Abrechnungen mit dem System veranlasst, das im Spätherbst 1989 von seinen Bürgern wegdemonstriert wurde. Was den Sport angeht, sah Roland Matthes stets die zwei Gesichter der nur auf einer Seite glänzenden Medaille. Gute Talentförderung, fundierte Ausbildung, wissenschaftliche Trainingsbegleitung da. Bevormundung und zum Teil schockierende Anwendung so genannter „unterstützender Mittel“ dort.

Ende November 1989, als die Grenze schon gefallen war, ging Matthes „rüber“ in den Westen, weil ihn daheim in Erfurt Leute, die ihn zuvor noch gefeiert hatten, nun als „Privilegierten“ diffamierten, provozierten, beschimpften. Er arbeitete zwei Jahre als Arzt am Olympiastützpunkt in Tauberbischofsheim, 1995 übernahm er in Marktheidenfeld bei Würzburg eine eigene orthopädische Praxis. Einen Acht-Stunden-Tag kennt er dort nicht, Beruf ist für ihn Berufung. Vor seiner Tür steht kein Rolls Royce, ein Wunderkind ist er immer noch nicht. Vielmehr ein harter Arbeiter „im Weinberg des Herrn“, der sich mit Leidenschaft und Einsatz um seine Klientel – „normale Patienten“, Kindergruppen, Körperbehinderte – kümmert.

Klaus Weise, April 2006

Literatur zu Roland Matthes:

Grit Hartmann: Goldkinder. Die DDR im Spiegel ihres Spitzensports, Leipzig 1997, S. 98 ff.


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