Tennis
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1925 wird Cilly Aussem erstmals Deutsche Juniorenmeisterin. Ein Jahr später folgt mit erst 17 Jahren ihr erster Deutscher Meistertitel bei den Frauen.
Gemeinsam mit ihrem Trainer, Tennislegende Bill Tilden, gewinnt Aussem 1930 die French Open im Mixed.
In jenen Jahren zog die Karawane der Tennisspieler im Frühling immer an die französische Riviera, wo die Schönen und Reichen sich mit diesem Spiel zusammen mit den Besten die Zeit vertrieben. Da konnte es schon passieren, dass bei den populären Turnieren im gemischten Doppel seltsame Paare zustande kamen. Der amerikanische Weltmeister William Tatem „Big Bill“ Tilden beispielsweise spielte an der Seite eines grazilen Mädchens aus Köln – Cilly Aussem.
Der große Tilden, der sonst nicht unbedingt die Gesellschaft von Frauen suchte, ließ sich sogar herab zu einigen Trainingsstunden mit dem talentierten deutschen Fräulein, wobei es nicht ausgeschlossen ist, dass die Mutter von Cilly Aussem durch ein großzügiges Dinner die Bereitwilligkeit des Amerikaners für diese Übungsstunden unterstützte. Mutter Aussem stellte schließlich die Frage, ob man diese Zusammenarbeit nicht vertiefen könne. Tilden soll geantwortet haben: „Gnädige Frau, lassen Sie mir die Tochter da – aber packen Sie für sich selbst schnellstens den Koffer für die Abreise!“ Wie auch immer – die Mutter reiste ab und Meister Tilden hielt sein Wort.
Einige Wochen später – man schrieb 1931 – gewann Cilly Aussem das Finale in Wimbledon. Sie bezwang im Endspiel Hilde Krahwinkel aus Essen 6:2,7:5. Es soll keines von den ganz großen Endspielen gewesen sein. Die beiden Damen kannten sich von den ersten Jugendtagen und gehörten seit langem zu den Besten der Welt. Ein rein deutsches Finale hat es an dieser Stelle bei den Damen nie mehr gegeben. Aber die leicht abfällige Bemerkung über die Tatsache, dass die beiden Deutschen hier nur eine alte Konkurrenz weiterführten, wird der Sache nicht gerecht. Aussem und Krahwinkel hatten bis zum Finale gegen die damals besten Damen gewonnen – Cilly Aussem hatte vorher schon die Internationalen Meisterschaften Frankreichs gewonnen (heute: French Open), Hilde Krahwinkel, die man wegen ihres Stils „die Spinne“ nannte, stand auch 1936 im Finale und 1933 gewann sie das Mixed zusammen mit Gottfried von Cramm.
Cilly Aussem, ein Mädchen mit großen dunklen Augen, das das Tennisspiel mit den Beinen zumindest genauso perfekt beherrschte wie mit dem Schlagarm, war sicherlich das, was man als Musterschülerin bezeichnen durfte – eine, die sich jeder von den Lehrern auferlegten Quälerei hingab, wenn es irgendeinen Erfolg versprach. Sie wollte nicht nur gelobt, sondern auch geliebt werden und die Anerkennung war ihr mehr wert als ein Sieg auf dem Tennisplatz. Nach einer Niederlage fand man sie weinend: „Es ist ja nicht, weil ich verloren habe, sondern weil meine Mutter jetzt sicherlich enttäuscht ist!“
Erzählt wurde diese Geschichte von Paula Heimann, die sich aus zwei Ehen später den klangvolleren Namen Paula Stuck von Reznicek zusammenbastelte und als Gesellschafts-Reporterin einiges Ansehen besaß. Von Paula stammt auch die Geschichte wie sie der Mutter Aussem einmal eine „geklebt“ habe, weil diese ihr nachsagte, sie habe den „bösen Blick“ auf die Tochter geworfen und so eine Niederlage verursacht. Man kann also davon ausgehen, dass Tennis-Mütter und Tennis-Väter keine Errungenschaft der Neuzeit sind.
In Nizza, Cannes, Monte Carlo oder Mentone wurden jährlich die Karten für eine neue Saison gemischt. Die Stars reisten damals aus der ganzen Welt an. Es waren jeweils lange Reisen, denn die schnellen Flugzeuge gab es ja noch nicht. Natürlich legte man Wert auf den Status als Amateur – der Weltverband untersagte die Annahme irgendwelcher finanzieller Gaben. Man wusste sich allerdings zu helfen mit großzügigen Spesen oder irrwitzigen Wetten. Beispielsweise: Wetten, dass Ihre Tochter nicht über diesen Stuhl springen kann? Selbstverständlich konnte sie. Cilly Aussem gehörte dazu – ein hübsches Mädchen, das auch noch sehr gut Tennis zu spielen vermochte.
Tilden hatte oft ohne großen Erfolg versucht, die jüngeren Spieler aus seiner amerikanischen Heimat an die Spitze zu führen. Es war dann schon eine seltsame Ironie des Schicksals, dass er mit dem kleinen Mädchen aus Deutschland das schaffte, was ihm mit den Landsleuten versagt blieb. Cilly Aussem war eine fleißige Schülerin und mochte ihn nicht enttäuschen – jenen Mann, der jahrzehntelang als bester Spieler aller Zeiten galt – jenen Mann auch, der wegen seiner Extravaganzen mit dem Verband der USA im ständigen Streit lag – jenen Mann auch, der unter der Anklage der Homosexualität zweimal zu Gefängnisstrafen verurteilt wurde und so arm starb. In einem seiner vielen Bücher widmete er der Kölnerin ein schönes Kompliment: „Sie war das reizendste junge Mädchen, das je Tennis spielte, und meine beste Mixed-Partnerin!“
Die Aussems in Köln waren sicherlich zu den wohlhabenden Familien zu zählen, die die sportlichen Ambitionen der Tochter gerne unterstützten. Cilly hatte beim traditionsreichen Rotweiß-Club das Spiel erlernt – sie war fünfzehn, als sie deutsche Jugendmeisterin wurde, sie stand mit siebzehn im Finale der deutschen Titelkämpfe und war mit neunzehn die Nummer eins der deutschen Rangliste. Eine junge, liebenswürdige Frau, die immer in Bewegung war, voller Charme, Schwung, Rhythmus, Rheinländerin eben. Der damals berühmte Tennislehrer Willy Hannemann stellte ihr das beste Zeugnis aus, indem er ihre Zuverlässigkeit, ihren Willen zu harter Arbeit und das ernste Streben nach Erfolg lobte.
Als sie nach Berlin zog, um hier dem international repetierten Rotweiß-Club beizutreten, war das nur eine logische Entwicklung: Jeder Tennisspieler, der etwas galt, zog damals in die Hauptstadt. Sie traf auf Roman Najuch – ein Tennislehrer, der zu den Besten der Welt gehörte. Najuch formte und förderte sie weiter. Sie war das lebensfrohe Mädchen mit jenem kleinen Singsang in der Stimme, der die Kölner auszeichnet. Es gab allerdings auch Stimmen, die davon sprachen, sie sei ein wenig wie jene Kerze, die man an beiden Enden angezündet habe.
Cilly Aussem litt immer wieder unter den verschiedensten Schwierigkeiten mit ihrer Gesundheit. Manchmal war es Pech wie 1930 in Wimbledon, als sie im Semifinale so unglücklich stürzte, dass man sie – vor Schmerz ohnmächtig – vom Platz tragen musste. Manchmal war es auch ihre Unvorsichtigkeit und ihre Gutmütigkeit, als sie 1933 ihr Versprechen zu einer langen Turnierreise nach Südamerika hielt, und schließlich mit einer verschleppten bösen Blinddarmentzündung heimkehrte. Nach der Operation konnte sie ein Jahr nicht spielen. Man sagt, dass sie danach nie wieder jene lebensfrohe Person wurde, die sie einst war. Ein weiteres Handicap wurde ihr vom Schicksal aufgebürdet: Sie hatte schon immer unter sehr empfindlichen Augen gelitten und musste sich deshalb oft in abgedunkelten Räumen aufhalten.
1934 erschien sie noch einmal auf der Liste der zehn besten Spielerinnen der Welt, aber das war vielleicht bereits so etwas wie ein Abschiedsgeschenk. Als sie 1936 den italienischen Grafen Murari della Corta Brae heiratete und mit ihm nach Portofino zog, gab es die Tennisspielerin Cilly Aussem längst nicht mehr. Als sie im März 1963 starb, wäre das in Deutschland fast unbemerkt geblieben. Ein Reporter fand bei der Lektüre von Todesanzeigen unter dem anspruchsvollen Namen der Contessa die kleine Zeile „Cilly Aussem“. Einige Monate zuvor hatte sie – inzwischen völlig erblindet – noch einmal Freunde in München besucht. Sie sagte ihnen zum Abschied: "Ich war eine glückliche Sportlerin und eine noch glücklichere Frau!"
Ulrich Kaiser, Mai 2008
Literatur zu Cilly Aussem:
Doris Henkel: Die großen Tennis-Stars. München 1992