Reitsport
Reitsport
Fritz Thiedemann ist in den 1950er Jahren einer der dominierenden Springreiter. Geschichte schreibt er bei den Olympischen Spielen 1952, bei denen er nicht nur im Springreiten, sondern auch in der Dressur Bronze gewinnt.
Beide Titel gewinnt er im Mannschaftsspringen, hier mit seinen Mannschaftskameraden Hans Günter Winkler und Alwin Schockemöhle.
Geboren wurde er auf einem Hof in einem Dorf namens Weddinghusen im holsteinischen Dithmarschen als neuntes Kind. Seine Sprache war am liebsten das „Plattdütsche“. Das erste Bare verdiente er mit selbstgezogenen Kaninchen, die er auf dem Markt verhökerte. Er war der Stallbursche, der den Großen die Stiefel zu putzen hatte. Er heiratete ein Mädchen aus der Nachbarschaft, nachdem er den Krieg schlecht und recht überstanden hatte. Die Rede ist von einem Reiter – von Fritz Thiedemann.
Jeder einzelne Tatbestand würde genügen, um diesen berühmt gewordenen Mann als einen „aus dem Volke“ zu bezeichnen. Das war für einen Reiter nicht gerade alltäglich. Es war ja gar nicht so lange her, dass das sportliche Reiten bei den großen Gelegenheiten eine Sache der Kavallerie und des Adels war. Der sportliche Aufenthaltsort der Reiter liegt meistens eine Etage höher als beim Rest der Menschheit. Aber dieser Reiter Fritz Thiedemann hat selbst von dort oben nie auf jemand herab geschaut – bildlich gesehen, zumindest. Noch etwas gehört dazu: Das Pferd, mit dem er populär wurde, gehörte keineswegs zu den nervigen, feinen Züchtungen – es war ein Muskelprotz von einem Ross, ein Holsteiner Klotz namens „Meteor“, und wenn man von ihm sprach, nannte ihn jeder liebevoll „der Dicke“.
Es ergab sich ganz einfach, dass der zehnjährige Junge in den Reiterverein kam, der als einer der besten ländlichen Vereine in Schleswig-Holstein galt. Hin und wieder gab es bei den kleinen Turnieren eine Schleife. Nach einer zweijährigen Ausbildung auf einem Gut schickte man den talentierten Fritz Thiedemann in die Reitschule in Berlin-Zehlendorf, wo der berühmte Oberst Felix Bürkner – vor allem in der Dressur - als Lehrer arbeitete. Dann wurde er zur Kavallerieschule Hannover versetzt, die später nach Potsdam-Krampitz verlegt wurde. Er wusste wohl um sein Talent, aber er wusste auch, dass es ohne Fleiß nichts wert ist.
Auf den ersten Blick ist da natürlich auch ein wenig Glück: Da kommt ein Lehrling dorthin, wo man auf die Pferde besonders großen Wert legt. Da kommt er an ein Pferd, mit dem er bei der „Grünen Woche“ das Regal mit den Siegespokalen abräumt. Alles Zufälle? Auf den zweiten Blick steht da unendlich viel Arbeit – Passion sagen die Pferdeliebhaber dazu. Als der zwanzigjährige Schüler seine ersten größeren Turniere gewann, begann der Krieg, in dem man keine Pferde und keine Reiter mehr brauchte. Als das Land in Trümmern lag, dauerte es aber gar nicht so lange, bis sich die Pferdefreunde wieder zusammenfanden. Es gibt kaum etwas, was die Menschen mehr zusammenführt, als die Liebe zu Tieren.
Thiedemann hatte zu jener Zeit fünf Springpferde und ein Dressurpferd, die sich ihr Futter durch die tägliche Arbeit auf dem Feld verdienten. Das hatte den Vorteil, dass die Pferde ein enormes Konditions- und Krafttraining hatten. Der immer noch junge Reiter erhielt zudem die Gelegenheit, sich bei der stundenlangen Arbeit mit der Psychologie zu beschäftigen. Er erkannte, dass nicht nur die Technik entscheidet, sondern auch eine Mischung von Vertrauen, Gehorsam und Respekt nötig ist, wenn es zu wirklich großen Erfolgen kommen soll.
Natürlich war da nicht nur der gewaltige „Meteor“, der wie alle anderen großen Pferde mit unendlicher Geduld geformt werden musste, bis er seine wirkliche Klasse erreichte. Thiedemann hatte ihn unweit seiner Heimat in Meldorf entdeckt und errang auf ihm nicht weniger als 150 Siege in Jagdspringen. Dazu kamen die Olympischen Goldmedaillen 1956 und 1960 mit der deutschen Equipe, die Europameisterschaft 1958, insgesamt fünf Spring-Derbys, den Großen Preis von Aachen, den Großen Preis von Deutschland und viele andere mehr. Die Deutschen hatten in jenen Jahren noch nicht sehr viel zu feiern und es war keine Überraschung, dass man ihn zum Sportler des Jahres wählte – bei den Eröffnungsfeiern erhielt er die Ehre, die deutsche Fahne zu tragen. Bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki gewann Thiedemann auf „Meteor“ die Bronzemedaille im Springen – und mit der Dressur-Equipe auf „Chronist“ ebenfalls Bronze. Er hat später erklärt, dass ihm diese beiden Medaillen mehr wert waren als alle anderen Auszeichnungen. Es ist seither nie wieder geschehen, dass ein Reiter in zwei Disziplinen der gleichen Olympischen Spiele ausgezeichnet wurde. Vorher war es nur einem geglückt: 1936 in Berlin dem Deutschen Freiherrn von Langen.
Als man in Hamburg 1950 das Spring-Derby austrug, geschahen zwei Dinge, die für Fritz Thiedemanns Zukunft einige Bedeutung besaßen. Zunächst einmal siegte Thiedemann auf diesem schwierigsten Parcours der Welt mit einem Wallach namens „Loretto“, von dem die Experten gesagt hatten, er würde niemals diese lange Distanz durchstehen. Dann ritt Thiedemann in dieser Prüfung noch ein zweites Pferd, welches ihm Freunde erst kurz zuvor angetragen hatten – eben jenen „Meteor“. Thiedemann hat sehr oft erzählt, dass er sich nie hilfloser auf einem Pferd vorkam – „Meteor“ stellte alle Regeln auf den Kopf und ignorierte völlig den Reiter. „Es war einer der schlimmsten Ritte meiner Laufbahn!“ Es war sicherlich keine Liebe auf den ersten Blick, aber aus diesem Erlebnis entstand jene „Ehe“, die in der ganzen Welt als „Thiedemann unter Meteor“ zu einem fest stehenden Begriff wurde.
Schon ein Jahr später gewann Thiedemann mit „Meteor“ das Spring-Derby – und zwei Jahre später schrammte dieses Paar bei den Olympischen Spielen 1952 in Helsinki im Stechen an der Goldmedaille vorbei. Bei den beiden Goldmedaillen 1956 in Stockholm und 1960 in Rom waren der Holsteiner und sein Pferd bereits so etwas wie ein Denkmal. Als Thiedemann schließlich im Reiter-Stadion in der Aachener Soers Abschied nahm, gab es Tränen.
Er hat den Hof, der ihm als dem Jüngsten der neun Kinder zugestanden hätte, damals seinem Bruder überlassen – der Pferde wegen. Sie holten ihn nach Elmshorn, wo die Holsteiner Zucht zu Hause ist. Man tat das sicher nicht, um dem Reiter einen Gefallen zu tun – den Gefallen tat man sich selbst. Unter den verschiedenen Zuchtgebieten gab es durchaus eine harte Konkurrenz und das Geschäft mit den Pferden profitierte von den Siegen der Reiter. Kann man sich eine bessere Werbung vorstellen?
Thiedemann hatte dort Pferde auszubilden, je mehr, je besser. Er hatte sie auch bei Turnieren vorzustellen – nach Möglichkeit erfolgreich. Erfolgreiche Pferde sind begehrt und – teuer. Es ist wohl eine ganze Schwadron durch seine Hände gegangen – und der hohe Ruf der Zucht im nördlichen Zipfel des Landes wurde mit Sicherheit durch die Arbeit dieses Mannes gefördert. Die Auktions-Halle, die nötig wurde, trägt seinen Namen. „Meteor“ hat ein Denkmal erhalten.
Fritz Thiedemann ist dorthin zurückgekehrt, von wo der Junge einst aufbrach, um die Welt der Pferde und der Reiter zu erobern. Seinen Rücktritt hat er damit begründet, dass er es sein will, der dem Pferd die Hilfen vermittelt – er wolle nicht, dass es umgekehrt geschieht. Er hat gemeint, sein größter Sieg sei der Entschluss gewesen, ein Ende zu finden, bevor er dazu gezwungen wurde.
Ulrich Kaiser, Mai 2008
Literatur zu Fritz Thiedemann:
Eckhard F. Schröter: Das Glück dieser Erde. Leben und Karriere deutscher Springreiter. Frankfurt/M. 1980
Fritz Thiedemann: Meine Pferde – mein Leben. Frankfurt/M. 1961
Fritz Thiedemann: Mein Freund Meteor. Das erfolgreichste Springpferd der Welt. Frankfurt/M. 1960