Reitsport
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Bereits 1954 macht Hans Günter Winkler (links) auf sich aufmerksam: Neben dem prestigeträchtigen Springen in Aachen gewinnt Winkler den Weltmeistertitel.
Bei den Reiterspielen 1956 wird er schließlich zur Legende: Winkler zieht sich im ersten Durchgang einen Muskelriss und einen Leistenbruch zu - dennoch führt ihn sein Pferd zu Gold.
Neben dem Erfolg in der Einzelkonkurrenz gewinnt Winkler auch mit der deutschen Equipe die Goldmedaille.
Nach dem erneuten Team-Erfolg bei den Spielen 1964 geht die deutsche Mannschaft als Gold-Favorit in die Spiele in München.
Sie erfüllen die Erwartungen und Winkler gewinnt seine insgesamt fünfte Goldmedaille bei Olympischen Spielen - Rekord!
Wie schön, wenn Hans Günter Winkler, schlank und fast so kerzengerade wie eh und je, in einem seiner kleingemusterten Jacketts über den Parcours läuft. Das eröffnet viele Möglichkeiten, falls er Zeit hat und sich ansprechen lässt. Man kann ihn zum Beispiel fragen, wer wohl das nächste Stechen gewinnen wird. Das bedeutet, dass man später seine Begleiter mit einem einen absolut treffsicheren Tipp verblüffen kann. Winkler hat einen unbestechlichen Blick für die Form eines Springpferdes und seines Reiters, mit einer Mischung aus Verstand und Gefühl entschlüsselt er die Zeichen im Parcours und formuliert seine Analyse auch so. „Eine Stute ist wie eine Frau“, sagt er gerne. „Und so will sie auch behandelt werden.“
Man kann natürlich auch die Gelegenheit nutzen, einmal wieder an eine der unvergänglichen Sternstunden des deutschen Sports zu erinnern: Hans Günter Winklers Ritt 1956 auf Halla zum Mannschafts-Olympiasieg in Stockholm. Dieser Ritt liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, und doch gehört er zum deutschen Überlieferungskanon wie nur wenige spätere Sport-Erfolge. Winklers Großtaten im Sattel sind so frisch geblieben wie der Mann selbst. Und so war das Jahr 2006 hierzulande nicht nur das Jahr des Fußball-Sommermärchens. Es war auch ein Winkler-Jahr. Am 17. Juni 2006 nämlich jährte sich die magische Runde von Stockholm zum 50. Mal. Und am 24. Juli wurde er 80 Jahre alt.
Winkler ist eine Identifikationsfigur des deutschen Sports, wie sie nur die fünfziger Jahre hervorbringen konnten, die Ära des „Wunders von Bern“ und des „Wir sind wieder wer“. Doch die Zeit ist nicht über den Reitersmann hinweggegangen. Gemeinsam mit seiner vierten Ehefrau Debbie betreibt er in Warendorf die Firma HGW Marketing, sucht, findet und betreut Reitsport-Sponsoren und veranstaltet Turniere. Gute Turniere, sagen die Springreiter, von einem Mann organisiert, der Ahnung hat. Dafür bekommt er ganz aktuelle Anerkennung, Legende hin oder her.
Winklers Trophäenkammer zu Hause in Warendorf ist wohlgefüllt. Die wichtigsten dürften die sieben olympischen Medaillen sein, fünfmal Gold, einmal Silber und einmal Bronze – dazu kommen zwei Weltmeister- und ein Europameistertitel. Vielleicht wird eines Tages ein Springreiter diesen Rekord überflügeln. Aber Winkler wird das gewohnte Nationaldenkmal bleiben – ein solches Reiterstandbild kann niemand vom Sockel stoßen. Wer 1956 noch nicht auf der Welt war und folglich den Wochenschau-Hit in den Kinos nicht verfolgen konnte, dem wurde es später berichtet: In der ersten Runde des Nationenpreises zog er sich in Stockholm einen Muskelriss in der Leistengegend zu.
Mit Hilfe eines ominösen „Riesenzäpfchens“, das ihm der Tierarzt verabreichte, dazu einer großen Menge Kaffee, damit er wieder klar wurde, konnte Winkler mit Halla die zweite Runde bestreiten. Bei jedem Sprung schrie er auf, doch es gelang ihm, sein Pferd mit minimalen Hilfen über den Parcours zu steuern. „Körper nach vorwärts, und ab ging die Post.“
Mit dem einzigen Null-Fehler-Ritt des Tages sicherten sie den deutschen Olympiasieg. Der Anteil von Halla an diesem Gold wird bis heute hoch geschätzt. In der Warendorfer Pferdezentrale wurde der Stute, die einst als „unreitbares“ Rennpferd zu Winkler kam, ein Denkmal gesetzt. Kein anderes Turnierpferd darf ihren Namen tragen. Und er selbst preist sie bis heute in den höchsten Tönen: „Sie konnte alles, inklusive Zeitung holen.“ Winkler und Halla gehören zusammen wie Thiedemann und Meteor, wie Fritz und Ottmar Walter und wie Max Schmeling und Anny Ondra.
Hallas Name ist vielleicht sogar noch berühmter als der Winklers. Sie steht für das brave und tapfere Springpferd, doch brav war sie in Wirklichkeit nie. Sie war ein Pferd, das keiner wollte, das von der Rennbahn kam und nicht zu bändigen war. Man hatte sie als „verrückte Ziege“ gebrandmarkt, weil sie ihre anderen Reiter mit ihren Launen an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte. Winkler war Hallas letzte Chance, und er fand den Schlüssel zu der hochsensiblen Stute. „Wie eine kapriziöse Frau wollte Halla nicht körperlich angefasst werden“, erzählt er. „Ein schwieriges Unterfangen bei einem Reitpferd.“
„Wenn ich auf dem Höhepunkt meiner Karriere hätte aufhören sollen, dann hätte ich nach Stockholm meinen Abschied nehmen müssen“, pflegte Winkler in den folgenden Jahrzehnten zu sagen. Er bekam nie wieder eine zweite Halla unter den Sattel, die auch vier Jahre später in Rom noch einmal zum Mannschaftsgold beitrug. „Alle Pferde, die ich danach hatte, waren dagegen normal“, sagt Winkler. Immerhin gut genug für weitere Olympiamedaillen: 1964 Teamgold mit Fidelitas, 1968 Teambronze mit Enigk, 1972 Teamgold mit Torphy, 1976 Teamsilber mit Torphy. Seine großen internationalen Erfolge errang er auf sieben verschiedenen Pferden. 1986 beendete er mit einer Ehrenrunde bei der Weltmeisterschaft in Aachen seine aktive Laufbahn. Er sei nicht traurig gewesen damals, erzählte er später, sondern froh, dass er die Karriere im Springsattel heil überstanden hatte. Es warteten bereits neue Aufgaben auf ihn als Bundestrainer und Ausbildungsleiter in Warendorf. 1988 in Seoul führte er als Equipechef die deutschen Springreiter zur olympischen Goldmedaille. Noch eine wichtige Station auf einem langen Weg.
Schon als Kind hatte Winkler mit Pferden zu tun. Sein Vater Paul Winkler unterhielt im Frankfurter Hippodrom eine Reitschule. „Als Sohn des Reitlehrers bekam ich natürlich die schwierigen Pferde“, sagt Winkler. Das hielt ihn aber nicht von dem Wunsch ab, Soldat bei der Kavallerie zu werden. Doch es kam anders, wie bei allen deutschen Männern seiner Generation bestimmte der Zweite Weltkrieg den Lebensweg. Bereits mit 17 Jahren wurde er zum Arbeitsdienst eingezogen, später musste er als Flakhelfer Dienst leisten. Als er 1945 mit 19 Jahren aus der Kriegsgefangenschaft in Belgien zurückkehrte, war sein Vater gefallen, seine Mutter in Frankfurt ausgebombt. Schließlich fand er eine Arbeit als Stallbursche und Gärtner bei der Landgräfin von Hessen in Kronberg. Winkler musste ganz unten anfangen. Doch mit seinem Job in Kronberg begann sein Aufstieg. Er konnte sich gleichzeitig als Hilfsreitlehrer für amerikanische Offiziere betätigen und machte seine Sache so gut, dass er den Militärgouverneur, General Dwight D. Eisenhower, auf Ausritten begleiten durfte. Es heißt, Eisenhower sei so begeistert von Winkler gewesen, dass er ihn sogar adoptieren wollte. Winkler aber absolvierte in Frankfurt eine Ausbildung als Textilkaufmann, hielt nebenbei mit zwei Freunden Pferde und stieg in die Turnierszene ein.
Das war der Beginn seiner glanzvollen Karriere, die ihn bis auf olympische Gipfel trug. Bei all dem hat Winkler aber seine Herkunft nie vergessen. „Ich werde wohl nie die Angst verlieren, noch einmal arm zu sein“, sagte er einst der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. All seine Reichtümer und Auszeichnungen helfen dagegen offenbar nicht. Winkler, der sich auf dem Birkenhof in Warendorf ein schmuckes Zuhause geschaffen hat, wurde vielfach geehrt. 1955 und 1956 wählten ihn die Sportjournalisten zum „Sportler des Jahres“, 1960 und 1970 zum „Sportler des Jahrzehnts“. 1975 wurde er von der Bundesrepublik Deutschland mit dem Großen Verdienstkreuz ausgezeichnet. 1976 erhielt er zum 50. Geburtstag das Ehrenzeichen der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) in Gold mit olympischen Ringen, Lorbeerkranz und Brillanten. Zum 65. Geburtstag ehrte ihn die FN mit dem Reiterkreuz in Gold. Und natürlich gehört er zu den Gründungsmitgliedern der Hall of Fame des deutschen Sports.
Winkler war immer ein Perfektionist, ein konsequenter Mann der Tat, und das ist er bis heute geblieben. Weil er fand, dass die deutschen Springreiter immer mehr technische Defizite aufweisen, gründete er einst eine Nachwuchsserie, aus der so große Talente wie Marcus Ehning, Toni Hassmann oder Rene Tebbel hervorgegangen sind. Winkler verlangt von den Menschen, die mit Pferden zu tun haben, Klasse, Charakter und Selbstkontrolle, aber auch Fähigkeit, sich einem Ausbilder widerspruchslos unterzuordnen. „Hinter jeder großen Leistung stecken immer eiserner Fleiß und eiserne Disziplin“, hat er einmal gesagt. Ein Mann der fünfziger Jahre eben – und trotzdem bis heute nicht aus der Mode gekommen.
Evi Simeoni, April 2006
Literatur zu Hans Günter Winkler:
Hans Günter Winkler: Halla, meine Pferde und ich! Warendorf 2007
Dieter Ludwig: Hans Günter Winkler. Warendorf 1983
Eckhard F. Schröter: Das Glück dieser Erde. Leben und Karriere deutscher Springreiter. Frankfurt/M. 1980