Liesel Westermann-Krieg

Leichtathletik

  • Name Liesel Westermann-Krieg
  • Sportart Leichtathletik
  • Geboren am 2. November 1944 in Sulingen/Niedersachsen
  • Aufnahme Hall of Fame 2011
  • Rubrik 60er Jahre

Erster deutscher Diskus-Star

Für einige Jahre war Liesel Westermann-Krieg der Star der bundesdeutschen Leichtathletik. 1967 gelang ihr der erste Diskuswurf einer Frau über 60 Meter (61,26 Meter). Damit war sie zugleich die erste deutsche Wurfweltrekordlerin nach dem 2. Weltkrieg. In den Jahren 1968 und 1969 verbesserte sie den Weltrekord noch dreimal.

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Bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-Stadt machte der zweimaligen Sportlerin des Jahres der Regen einen Strich durch die Rechnung. Die Rumänin Manoliou hatte das Glück eines Versuchs im Trockenen. Westermann wurde Zweite, ebenso wie bei den Europameisterschaften 1966 und 1971. In München wurde sie 1972 Olympia-Fünfte. Liesel Westermann (nach Heirat 1978 Westermann-Krieg) startete für die Vereine TuS Sulingen, Hannover 96 und (ab 1967) TSV Bayer 04 Leverkusen. Sie sprach sich stets gegen Doping aus, wurde einst als letzte ungedopte Diskus-Weltrekordlerin bezeichnet und war später Mitglied der Anti-Doping-Kommission des Deutschen Sportbundes und des Nationalen Olympischen Komitees. Nach ihrer sportlichen Karriere arbeitete sie als Lehrerin und wurde dann Referentin für Schulsport und Gesundheitserziehung im niedersächsischen Kultusministerium.

Liesel Westermann-Krieg

Leichtathletik

Größte Erfolge

  • Olympia-Silber 1968
  • EM-Zweite 1966 und 1971
  • Vier Weltrekorde
     

Auszeichnungen

  • Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen (1990)
  • Wahl zur Weltsportlerin durch die internationale Sportpresse (1969)
  • Welt-Leichtathletin des Jahres 1969
  • Silbernes Lorbeerblatt (1967)
  • Sportlerin des Jahres 1967 und 1969
  • Goldenes Band der Sportpresse (1967)

Biografie

Wer Liesel Westermanns Werdegang und Wirken beurteilen will, der muss sich in die 1960er und 1970er Jahre zurückversetzen, als mit dem Mauerbau in Berlin die deutsche Teilung zementiert wurde, die Bewegung der „68-er“ in eine Art von gesellschaftlicher Revolution mündete und die westdeutsche Republik von der „Rote Armee Fraktion“ heimgesucht wurde. In dieser Zeit errang die im niedersächsischen Suligen geborene Liesel Westermann zehn deutsche Meistertitel im Diskuswerfen, schleuderte das 1000 Gramm schwere Gerät als erste Frau der Welt über die 60-Meter-Grenze, wurde zwei Mal zur deutschen „Sportlerin des Jahres“ gekürt. Als Zugabe gab es die Titel „Weltsportlerin des Jahres“ und „Welt-Leichtathletin des Jahres“. Parallel bildete sich Liesel Westermann als Gymnasiallehrerin für Gemeinschaftslehre und Sport aus, festigte Standpunkte und wurde zu einer „mündigen Athletin“. Der Spitzensport im Westen Deutschlands befand sich noch mitten im Amateurzeitalter, er war Teil einer Konfrontation mit der DDR und Teil einer Diskussion um die Sinnhaftigkeit von Leistung. Er war in einer Identitätskrise.

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Examen an der Pädagogischen Hochschule in Göttingen mit „sehr gut“ und nur einige Monate später am 5. November 1967 in Sao Paulo mit sagenhaften 61,62 Metern der erste von vier Weltrekorden – das war ganz außergewöhnlich und hatte bei Liesel Westermann dennoch eine gewisse Selbstverständlichkeit. Außergewöhnlich, weil die 73 Kilogramm leichte Athletin mit höchster Drehgeschwindigkeit die 98 Kilogramm schwere Sowjetbürgerin Tamara Press übertraf; die hielt zusammen mit ihrer Schwester Irina 25 Leichtathletik-Weltrekorde. Als der internationale Verband 1966 den Geschlechtstest einführte, kam das sportliche Ende der auch „Press-Brothers“ genannten ukrainischen Geschwister. In gewisser Weise selbstverständlich war der Wurf in eine neue Dimension, weil in Brasilien alles zusammen kam, „die richtige Lockerheit, etwas Wind von vorn und Glück“. Und dann gab es noch kaum Wettbewerbsverzerrungen, das anabole Zeitalter hatte erst seinen Anfang genommen. Jedenfalls galt Liesel Westermann als „letzte ungedopte Weltrekordlerin“ ihres Metiers. Sie selbst hat all das Folgende, das 1988 von der Neubrandenburgerin Gabriele Reinsch mit 76,80 Meter in den Bereich des schier Unerreichbaren, Unglaublichen gesteigert wurde, so bezeichnet: „Da hat der Osten, und nicht nur der, hormonell zurückgeschlagen.“

Die „Diskus-Liesel“, so der Populärname einer sehr starken Frau, begann als Dreijährige mit dem Kinderturnen, war als Schülerin Beste im Schwimmen und Waldlauf, wurde deutsche Jugendmeisterin im Fünfkampf und gewann bei den Frauen für Hannover 96 eine deutsche Meisterschaft als Sprinterin in der 4-mal-100-Meter-Staffel. Zum Diskuswerfen, das ihr zwischen 1963 und 1976 zehn nationale Titel einbrachte, ist sie, so ihr Chronist Gustav Schwenk, „eher aus Bequemlichkeit“ gekommen. Um beim Training der Werfer die Disken nicht ganz zum Ring zurücktragen zu müssen, versuchte sie den Weg durch Eigenwürfe zu verkürzen. Das gelang immer besser und geriet zu einer Perfektion, als sie sich dem Leverkusener Erfolgstrainer Gerd Osenberg anvertraute. Aus dessen Eliteschule gingen innerhalb eines Vierteljahrhunderts neun „Sportlerinnen des Jahres“ hervor, darunter die Olympiasiegerinnen Heide Rosendahl, Ulrike Meyfarth und Heike Henkel.

Zu Gold bei Olympischen Spielen reichte es nicht. 1968 in Mexiko-Stadt hatte Liesel Westermann das Pech, dass die Rumänin Lia Manoliu ihren besten Wurf im ersten Versuch auf trockenem Diskusring herausschleudern konnte, dann setzte Regen ein – der Traum vom Olympiasieg zerrann, es wurde ein zweiter Platz. 1972 in München startete sie unter dem Schock des schrecklichen Palästinenser-Attentats auf das israelische Olympiateam. Mehrmals hatte sie in Israel trainiert, unter den Opfern waren Bekannte. So gelang nur der fünfte Platz, obwohl sie kurz vor den Spielen mit 64,96 Metern den weitesten Wurf ihrer Karriere gelandet hatte. Bei den Europameisterschaften erreichte sie zwei zweite Ränge 1966 und 1971, dazu kam ein siebter Platz 1974, doch da hatte der Betrug durch Doping schon dunkle Schatten geworfen. Als der Deutsche Leichtathletik-Verband 1976 eine seiner größten Athletinnen nicht mehr für qualifiziert genug hielt, an den Olympischen Spielen in Montreal teilzunehmen, beendete Liesel Westermann ihre Karriere in Bitterkeit. „Als Beste der westlichen Welt“, so ihre Eigeneinschätzung, nicht für das Olympiateam nominiert worden zu sein, das empfand sie als schreiende Ungerechtigkeit. „Wer dopingfrei war, der hatte das Nachsehen.“

Doping hat sie dann zu einem ihrer Hauptthemen gemacht. Sie wurde Mitglied der vom DSB und NOK geschaffenen Anti-Doping-Kommission des deutschen Sports. 1991 forderte sie ehemalige DDR-Athleten wie Jürgen Schult, Lars Riedel, Kristin Otto und Ruth Fuchs öffentlich auf, sich an der Entschädigung der DDR-Doping-Opfer zu beteiligen, denn sie seien „Doping-Gewinner, Kinder des gleichen Systems“ wie die Geschädigten. Anlass dafür bot ihre Laudatio in Berlin auf Brigitte Berendonk bei deren Ehrung durch den Verein Doping-Opfer-Hilfe. Als Diskuswerferin und deutsche Meisterin von 1971 war die 1958 aus der DDR geflüchtete Brigitte Berendonk eine sportliche Dauerrivalin, als Aufklärerin des kommunistischen Staatsdopings ein unerreichbares Vorbild.

Stets hat Liesel Westermann entschieden Position bezogen. Als Athletin nahm sie sich das Recht, „Missstände anzuprangern, damit sie abgeschafft oder auf ein vertretbares Minimum reduziert werden können“. In einer „nacholympischen Kritik“ schrieb sie nach den Mexiko-Spielen in der Zeit: „Ein anonymer Briefschreiber wollte mich gleich ins KZ schicken, weil ich mich seiner Meinung nach erfrecht hatte zu äußern, dass ich nicht mit hämmernden Puls für Deutschland an den Start ginge, sondern nur für Liesel Westermann ganz persönlich. Kniebeugen für Deutschland und Muskelkater als nationale Wonne lehne ich jedenfalls ab.“ Der Spitzenathlet im Westen Deutschlands werde zu oft allein gelassen und von den Funktionären nicht selten entmündigt. Ehrenamtlichkeit reiche im Sport nicht mehr aus, er müsse „modernem Management die Türen öffnen“, die Forderung von Leistung müsse einhergehen mit Förderung. Kein Zweifel, Liesel Westermann war auch eine ideelle Geburtshelferin für die 1967 gegründete Stiftung Deutsche Sporthilfe.

Als Bürgerin wurde Liesel Westermann anstößig, als sie sich in einer viel beachteten Prominenten-Umfrage des Stern zu den RAF-Untaten für die Einführung der Todesstrafe aussprach, „um die Spirale der Gewalt zu beenden“. Terrorismus habe seinen Nährboden auch in antiautoritärer Erziehung. Um politisch wirken zu können, schloss sie sich der FDP an. Dabei erreichte sie wesentliche Ziele nicht. Ihre Kandidaturen für den Bundestag, für den Landtag in Nordrhein-Westfalen und das Amt der Bürgermeisterin in Remscheid scheiterten.

So blieb als ihr wichtigstes Spielfeld die Schule. Als Schule der Nation und als Schule für ein gesundes Leben. Mit ihren Erfahrungen als langjährige Oberstudienrätin in Solingen und Köln ist sie zu einer Pionierin für den Schulsport geworden, er sei ein „Generalauftrag für Gesundheitserziehung“. Außer der Schule gäbe es „keine Kraft, welche die sinkende Bedeutung der Familie ausgleichen und den Schülern auch nur ansatzweise eine soziale Chancengleichheit auf ein gesundes Leben bieten könnte“, heißt es in einem Buch, deren Mitautorin sie ist. Folgerichtig vollendete sie ihre berufliche Laufbahn im Kultusministerium von Niedersachsen als Referentin für Schulsport und Gesundheitserziehung im Rang einer Ministerialrätin.

„Mit Leib und Seele“ sei sie dabei gewesen, sagte sie zu ihrer Verabschiedung im November 2009 in Hannover. Das gilt für alles, was sie angepackt hat. Sie ist zurückgekehrt nach Solingen, beschleunigt mit ihrer Rotationsfähigkeit den Golfball und pflegt das Familienleben. Ihre vier Kinder, alle mit akademischem Abschluss, sind längst aus dem Haus, seit 1978 ist sie mit Leif Oskar Peter Krieg verheiratet, dessen Namen sie in ihrem Doppelnamen trägt. Man kann sagen, Liesel Westermann hat in Zeiten vieler Brüche und Umbrüche nicht alles erreicht, aber ziemlich viel bewegt.

Günter Deister, Mai 2011

Literatur zu Liesel Westermann:

Liesel Westermann: Es kann nicht immer Lorbeer sein. Wien, München, Zürich, Innsbruck 1977


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