Peter-Michael Kolbe

Rudern

  • Name Peter-Michael Kolbe
  • Sportart Rudern
  • Geboren am 2. August 1953 in Hamburg
  • Todestag 8. Dezember 2023 in Lübeck
  • Aufnahme Hall of Fame 2016
  • Rubrik 80er Jahre

Das Skuller-Phänomen

Er gilt als einer der besten Skuller in der Geschichte des Rudersports: Peter-Michael Kolbe war fünfmal Weltmeister im Einer. Nur bei Olympischen Spielen fehlte die Krönung, dreimal stand Silber zu Buche. Die Duelle des Hamburgers mit dem Finnen Pertti Karppinen haben Legendenstatus.

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Nach dem Einer-Sieg bei den Europameisterschaften der Ruderer 1973 in Moskau gewann Peter-Michael Kolbe 1974 seine erste WM-Medaille: Bronze im Vierer mit Steuermann. Seine Zukunft lag indes im Einer, wo er sich 1975 in Nottingham den ersten von insgesamt fünf WM-Titeln holte. In jenem Jahr wählten ihn Deutschlands Sportjournalisten zum „Sportler des Jahres“. 1976 reiste Kolbe als Favorit zu den Olympischen Spielen nach Montreal, und es sah lange nach einem Start-Ziel-Sieg für ihn aus. Im Finish brach der Deutsche jedoch ein, der große Konkurrent Karppinen zog vorbei. Verantwortlich wurden im Nachhinein Nebenwirkungen einer Vitaminspritze der Ärzte gemacht – die Übersäuerung setzte so schlagartig ein. Es handelte sich um damals nicht verbotene Substanzen, dennoch ging die „Kolbe-Spritze“ in die westdeutsche Doping-Geschichte als Fehlentwicklung ein, was Kolbe selbst öffentlich machte.

1978 holte sich Kolbe in Neuseeland seinen zweiten WM-Titel, ein Jahr später hatte der „ewige Rivale“ Karppinen die Nase vorn. 1980 in Moskau, in Kolbes mutmaßlich stärkster Saison, konnte der Deutsche nur tatenlos zusehen, wie der Finne bei den Boykott-Spielen zum zweiten Mal olympisches Gold gewann. Im Jahr darauf holte sich Kolbe bei der Heim-WM in München den WM-Titel zurück, den er 1983 in Duisburg verteidigte. Bei Olympia 1984 in Los Angeles musste sich Kolbe abermals mit Silber, wieder hinter Karppinen, begnügen. Lag der Finne ebenso 1985 bei der WM vorne, Kolbe wurde Dritter, so war der Deutsche 1986 in Nottingham wieder die Nummer eins. Die Welttitelkämpfe 1987 in Kopenhagen markierten schließlich das Ende des ewigen Duells Kolbe gegen Karppinen. Der Finne erreichte das Finale nicht, der damals 34-jährige Kolbe kam als Zweiter hinter dem elf Jahre jüngeren DDR-Ruderer Thomas Lange ins Ziel. Jener Hallenser beendete 1988 auch Kolbes Traum vom Olympia-Gold. Das Silber von Seoul war allerdings ein versöhnlicher Karriereabschluss. Im Anschluss engagierte sich Kolbe bis 1994 als Sportdirektor im Deutschen Ruderverband. 2023 verstarb Kolbe im Alter von 70 Jahren.

Peter-Michael Kolbe

Rudern

Größte Erfolge

  • Olympia-Silber Einer 1976, 1984 und 1988
  • Weltmeister Einer 1975, 1978, 1981, 1983 und 1986
  • WM-Silber Einer 1979 und 1987
  • WM-Bronze Einer 1985
  • WM-Bronze Vierer mit Steuermann 1974
  • Europameister Einer 1973
     

Auszeichnungen

  • Bundesverdienstkreuz 1988
  • Sportler des Jahres 1975
     

Biografie

Peter-Michael Kolbe hatte immer etwas Unnahbares. Das ist oft so bei Einer-Ruderern. Ein Kuscheltyp hat kaum Erfolg in diesem Metier. Man muss unerschütterliche Selbstsicherheit ausstrahlen als Skuller, eine Seelenruhe, die aus der Kraft kommt, und eine unverwundbare psychische Außenhaut an den Tag legen. Ein kleiner Moment der psychischen oder physischen Schwäche, und der Blick des Konkurrenten flackert kurz auf. Ganz kurz nur, dann ist die Beobachtung verinnerlicht, abgeheftet im Dossier fürs nächste Rennen. Auf dieser grausam langen olympischen Strecke von 2000 Meter bleibt den anderen genug Zeit und Gelegenheit, die Schwächen des Rivalen auszutesten. Schreckhaft? Dann muss er gleich in der Startphase eingeschüchtert werden. Zweifel am Durchhaltevermögen? Lass ihn führen, sich verausgaben, und zersäge sein Ego auf den letzten Metern. Hat er ein Trauma? Gib’s ihm noch einmal. Es ist einsam da draußen im Verdrängungskampf, und es gibt nichts, woran einer sich festhalten könnte außer an seiner eigenen Stärke. Darum müssen Einer-Ruderer so sein wie Kolbe. Hinter ihren Stirnen läuft ein ständiges Parallel-Programm, mit dem sie die Schlagkraft der ganzen Welt abschätzen und fremde Einflüsse auf ihren eigenen Weg neutralisieren. Wer stark genug ist, und gleichzeitig die kleinsten Schwächen der anderen für sich nutzen kann – der gewinnt.

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Kolbe hat viel gewonnen. Er war einer der stärksten Einer-Ruderer seiner Generation, und gäbe es nicht seinen großen Gegenspieler, den Finnen Pertti Karppinen, könnte man ohne Zögern sagen: Der stärkste. Der 1953 geborene Hamburger wurde fünfmal Weltmeister, 1975, 1978, 1981, 1983 und 1986. Dazu kommen Silbermedaillen bei den Olympischen Spielen in Montreal 1976 und Los Angeles 1984. Doch diese beiden Silbermedaillen, über die andere Nationen überglücklich gewesen wären, hatten für Kolbe und die deutschen Sport-Anhänger nie den Glanz, der ihnen eigentlich gebührte. Nur Zweiter – das war zu wenig angesichts seines Dominanz-Anspruches und seines selbstsicheren hanseatischen Auftretens, das empfindliche Naturen auch mal als Arroganz interpretierten.

Auch darum waren die Niederlagen so schmerzhaft. „Nach dem Debakel war Peter Michael Kolbe sicher einer der Einsamsten von Montreal, dem gar nichts anderes übrigblieb, als in die sonst so bevorzugte Isolation zu flüchten“, schrieb 1976 der Frankfurter Sportjournalist Herbert Neumann mit mitfühlender Beobachtungsgabe. „Wer so wenig Bindung zur Mannschaft hat, kann auch nicht damit rechnen, nach einem solchen Sturz von ihr aufgefangen zu werden. Vielleicht möchte er das auch gar nicht.“ Sicher nicht. Auch nach seinen Siegen zog Kolbe sich gerne mit seinen engsten Leuten zurück. Er blieb Einzelgänger und bewahrte sich seinen Hang zum eigenen Weg. Im Deutschland jener Epoche – autoritär oder anti-autoritär, je nach Standpunkt - fiel ein Sportler mit dieser Haltung noch aus dem Schema. „Der Rebell“, nannten sie ihn.

Kolbe hat viele glanzvolle, souveräne, imponierende Siege errungen. Aber ausgerechnet das olympische Einer-Finale von Montreal ist im kollektiven Gedächtnis der deutschen Sportgemeinde bis heute hängengeblieben. Eine solch tragische Geschichte, gelebt in knapp siebeneinhalb Minuten, erlebt man eben auch im Sport selten. Nach dem Gewinn des Weltmeistertitels war er als Favorit nach Kanada gekommen, alle, auch er erwarteten die Goldmedaille von ihm, und er fühlte sich glänzend. Nur der Wind könne ihn schlagen, behaupteten auch die Experten am Regattaplatz. Und so verlief zunächst auch das Rennen. Kolbe führte vom Start weg, mit gleichmäßigen, perfekten Schlägen entfernte er sich immer mehr vom Rest des Feldes. Nach 1000 Metern, der Hälfte der Distanz, lag Kolbe bereits mehr als acht Sekunden vor seinem nächsten Verfolger. Nichts schien ihn mehr aufhalten zu können auf seinem Weg zum Gold. Doch dann erlebte er vielleicht sogar zum ersten Mal, wie das ist, wenn ein Konkurrent unaufhaltsam herankommt, so als würden dem anderen die Kräfte zuwachsen, gerade in jenem Moment, in dem die eigenen schwinden. Pertti Karppinen, ein Feuerwehrmann aus Turku, stieß aus der fünften Position immer weiter nach vorne. Kolbe drehte immer wieder seinen Kopf Richtung Steuerbord. Überrascht? Überrumpelt? 80 Meter vor dem Ziel führte er immer noch mit einer halben Bootslänge. Dann war er, der bisher immer in der Lage gewesen war, mit seinen Gegnern zu spielen, mit seinen Kräften am Ende. Er kapitulierte. Oder gab es noch einen anderen Grund für seinen Energieabfall? „Innerhalb von dreißig Sekunden zerbrach die Welt des Peter Michael Kolbe und seiner Freunde, die auf ihn wie auf ein Rennpferd gesetzt hatten“, schrieb Augenzeuge Neumann.  Wieder an Land, murmelte er nur noch etwas von einem verkorksten Rennen und fuhr mit der U-Bahn allein zurück ins Olympische Dorf.

Erst regte sich der deutsche Ruderpräsident Claus Hess noch darüber auf, dass Kolbe das Rennen viel zu schnell begonnen, zu früh seine Energie verbraucht und dadurch den Einbruch durch falsche Taktik herbeigeführt habe. Doch schon am Tag nach dem Rennen wurde erstmals von der „Kolbe-Spritze“ berichtet, einer Injektion, die der Ruderer vor seinem Rennen erhalten hatte. Dass die Verabreichung dieses Präparats, das deutschen Athleten in Montreal angeblich 1200 Mal gegeben wurde, ausgerechnet nach ihm benannt wurde, findet der einstige Ruderer bis heute unfair. „Ja, es stört mich. Ich fühle mich falsch platziert. Doping ist das, was auf der Dopingliste steht. Das Präparat war damals aber nicht verboten."  Außerdem, das ist Kolbe wichtig, habe er „vorher und nachher nie wieder etwas genommen.“ Auch in der Studie des Bundesinstitut für Sportwissenschaft von 2013, „Doping in Deutschland“, die sich mit den Methoden des Westens befasst, wird ihm nicht vorgeworfen, gedopt gewesen zu sein. „Es hieß, dass das Präparat die Übersäuerung der Muskeln verzögere. Erst viel später erklärte man mir, dass als Nebenwirkung die Übersäuerung dann aber schlagartig einsetzte. Wie bei mir. Ich war kurz vor dem Ziel total fertig", sagte Kolbe 37 Jahre später. Er sei im Endspurt wie gelähmt gewesen, beschrieb er das Phänomen schon damals.

Vier Jahre später, als Kolbe mit 26 Jahren die wahrscheinlich beste Saison seiner Laufbahn hatte, boykottierte die Bundesrepublik Deutschland die Olympischen Spiele in Moskau. Ob er damals die Goldmedaille hätte gewinnen können? Wie viele andere hoffnungsvolle Athleten, deren Karrieren nur eine begrenzte Dauer haben, wurde er damals Opfer eines sinnlosen Schachzugs der Politik. „Der Boykott der Spiele 1980 in Moskau tut mir immer noch weh.“ Und wieder vier Jahre später, bei den Olympischen Spielen in Los Angeles, bremste ihn der Ruder-Weltverband Fisa, als er eine technische Variante verbot, die Kolbe erhebliche Vorteile gebracht hätte: Das Rollausleger-Boot. Bei einem solchen Boot rollt nicht der Sitz vor und zurück, während die Skulls starr in ihren Auslegern liegen. Stattdessen sitzt der Ruderer starr auf einem Fleck, die Ausleger und das Stemmbrett sind beweglich. Diese Technik verhindert das Stampfen des Bootes, das beim Rollsitz durch die Gewichtsverlagerung provoziert wird und ermöglicht dadurch eine höhere Geschwindigkeit bei gleichem Kraftaufwand. Es zeigte sich, dass Kolbe mit dieser Technik sehr viel besser zurecht kam als Pertti Karppinen – er wurde damit 1981 und 1983 Weltmeister, während sich der Rivale mit seinem Bruder Reinar wenig erfolgreich in den Doppelzweier zurückzog. Doch dann befand der Weltverband, aus Gründen der Chancengleichheit  den Rollausleger nicht mehr zuzulassen – für kleinere Länder sei diese Technik zu teuer.

Das Rennen in Los Angeles? Noch so ein Krimi. Im Einer-Finale auf dem Lake Casitas belauerten sich die beiden Taktiker bis 1500 Meter, Kolbe gab die Geschwindigkeit vor  – dann wiederholte sich die alte Geschichte. Karppinen, der stille, aber clevere Finne, weckte in dem Rivalen noch einmal das alte Montreal-Feeling und zog vorbei, während dem anderen die Kraft aus den Knochen schwand. Im Ziel hatte Karppinen eine halbe Länge Vorsprung.

Noch bei einer letzten olympischen Regatta sollten sich die beiden Rivalen begegnen – 1988 in Seoul, beide nun 35 Jahre alt, doch zu einem direkten Duell kam es nicht mehr. Karppinen erreichte das Finale nicht – er bekam sein Boot nach einem rätselhaften Schaden nicht mehr flott, musste im Halbfinale in einen Ersatz-Einer steigen, der zu klein für ihn war, und schied aus, bevor es zum Kampf der Cracks kam. Kolbe hingegen erreichte den Endlauf, doch dort wurde er zu einem bitteren Blick auf die eigene Endlichkeit gezwungen: Er konnte mit seinem Nachfolger, dem elf Jahre jüngeren Thomas Lange aus der DDR, nicht mehr mithalten. Und doch: Keiner der anderen Finalisten war zu einem ähnlichen Tempo in der Lage wie die beiden. „Jetzt kommt wohl die neue Generation“, sagte Kolbe. „Ein bisschen früh, wie ich finde.“ Und beendete noch im selben Jahr seine Karriere.
Als Sportdirektor des Deutschen Ruder-Verbandes fiel ihm zwischen 1990 und 1994 die gewaltige Aufgabe zu, die Vereinigung mit dem DDR-Verband zu organisieren – eine Herausforderung besonders für einen so konsequenten Individualisten wie Kolbe. In der norwegischen Heimat seiner damaligen Ehefrau Aina Moberg, einer ehemaligen Sportjournalistin, die einst  über ihn berichtete, tankte er immer wieder neue Kraft. Schon 1982 war er nach Norwegen gezogen. Er arbeitete als Exportleiter einer Firma für Klimaanlagen, werkelte in seinem eigenen Stück Wald und ging zur Jagd. Heute lebt er mit seiner zweiten Frau in Lübeck, den Leistungssport genießt er höchstens noch als Zuschauer, in seinem Beruf als Logistik-Fachmann dürfte ihm die Gedanken-Schärfe, die er in seiner Sportkarriere bewies, weiter zugute kommen.

Wenn Kolbe über den Sport nachdenkt, dann natürlich nicht unkritisch. Die Kommerzialisierungstendenzen, die im Rudern noch vergleichsweise bescheiden geblieben sind, sieht er bis heute mit Stirnrunzeln. Mit Karppinen, der von der Feuerwehr zunächst zu einem Busunternehmen wechselte und sich danach in Turku als Sportmasseur selbständig gemacht hat, verbindet ihn nicht mehr viel. Die olympischen Niederlagen verfolgen ihn auch nicht mehr. „Ich habe natürlich oft darüber nachgedacht“, sagte er einmal. „Ich kann es nicht mehr ändern. Ich wollte das Gold, habe es aber nicht geschafft. Dennoch erfüllt es mich mit Stolz, was ich in meiner Laufbahn erreicht habe.“

Evi Simeoni, Juli 2016


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