Motorsport
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Bei einem Mann mit diesem Namen ist am Anfang der Geschichte eine Erklärung nötig. Der Mann hieß Caracciola und war Deutscher. Die Daten der Familie lassen sich in Italien bis auf das Jahr 780 zurückverfolgen.
Um 1260 gibt es die Herzöge von Roccaniola, wobei ein Kaiserlicher Feldmarschall und Generalgouverneur von Genua namens Tomaso Caracciolo erwähnt wird. Im dreißigjährigen Krieg, 1624, erteilt der spanische König den Titel eines Herzogs an einen tapferen Offizier, Roccanaiola. 1630 endlich gibt es die Verbindung nach Deutschland. Ein Andrea Caracciolo führte ein Infanteriebataillon über die Alpen und blieb in Ehrenbreitstein, Andernach und Remagen. Die Familie führte jetzt den Namen Caracciola. August Otto Caracciola ließ später in Remagen das Hotel Fürstenhof und eine Weingroßhandlung errichten. Das Geschäft florierte. Die Kinder Clementine, Otto, Ilse, Rudolf und Egon wurden geboren. Rudolf Caracciola kam am 30. Januar 1901 zur Welt.
Der Galopp durch eine Familiengeschichte bedarf einer Erklärung in einer Zeit, die länger als ein Jahrhundert zurückliegt und so vieles auf die Menschen einstürmt, dass sie kaum noch Zeit finden, sich um Vergangenes zu kümmern. Dabei ist der berühmte, klangvolle Name durchaus noch jüngeren Generationen geläufig – man weiß nur nicht, dass es sich um einen Deutschen handelt. Das kann man auch positiv sehen: Vielleicht liegt es daran, dass es die einstmals so strengen Grenzen nicht mehr gibt.
Der Weg zum Rennfahrer wurde dem jungen Rudolf nicht schwer gemacht. Die Eltern hatten eine Garage eingerichtet, wo die Kinder an alten Autos und ihren Motoren herumbasteln konnten. Mit einer Sondererlaubnis durfte Rudolf schon als Fünfzehnjähriger die Führerscheinprüfung ablegen. Nach dem Gymnasium begann er ein Volontariat in einer Kölner Maschinenfabrik – von hier ging er zu der damals angesehenen Automobilfabrik Fafnir in Aachen. Er war mit Unterstützung seines Vaters zu einem Motorrad gekommen, auf dem er an Zuverlässigkeitsfahrten teilnahm. Am 10. Juni 1922 bestritt er auf der Berliner Avus mit einem Fafnir-Wagen sein erstes Autorennen. Er wurde Fünfter und zog nach Dresden zum Studium an die Technische Hochschule.
Der Rennfahrer Rudolf Caracciola, zu dem sie alle „Carratsch“ sagten, wurde in einer Zeit groß, als man in diesem Metier mehr sein musste als lediglich der Pilot eines Boliden. Es gehörte ein erlerntes Handwerk hinzu. In der Frühzeit der Rennen durften die Fahrer bei einem eventuellen Defekt zur Reparatur keine fremde Hilfe in Anspruch nehmen. Es gehörte Pioniertum dazu und wohl auch Abenteuerlust. Obgleich es Caracciola selbst war, der es ablehnte, die Rennen mit einem Abenteuer in Verbindung zu bringen. Er sprach nur selten über seine Tätigkeit – und wenn er es tat, kamen Sätze zustande, die Staunen erweckten: „Man darf nicht mehr als fünfzig Prozent wagen!“ Das sprach nicht für Abenteuerlust, sondern eher für ein kühles Kalkül.
Es waren die „Goldenen Zwanziger“ – eine Zeit, in der die Musikszene, das Theater und auch der Sport eine hohe Zeit erlebte. Der erste Krieg schien vergessen und der zweite weit entfernt. Rudolf Caracciola war sicherlich kein Luftikus. Er war nicht der „Hoppla-jetzt-komm-ich-Typ“, der sich charmant durch die Society plauderte, stets ein Lachen, immer ein Witz, nie einen trüben Gedanken. Sein Freund und Konkurrent war der immer heitere Bernd Rosemeyer, ein strahlender Held, ein immer sprühender Liebling der Massen mit lachendem Übermut – einer, der viel zu früh starb. Wie heißt es doch: „Wen die Engel lieben, holen sie bald!“
In diesem Fall war es wohl so, dass der junge Mann mit der italienischen Abstammung eher der schwerblütige, immer überlegte, nie leichtsinnige Rennfahrer war. Seine Siege zeugten keineswegs von irgendwelchen spektakulären Überholversuchen oder sonstigen riskanten Manövern.
Bei einem der häufiger vorkommenden Erfolge in Berlin lernte er einen Mercedes-Direktor kennen, der ihm die Stelle eines Verkäufers in der Dresdner Filiale besorgte. Die Autobauer in Untertürkheim entwickelten einen Sportwagen, der mit einem Kompressor ausgestattet war, der laufend weiter entwickelt wurde. Der wirklich erste große internationale Triumph mit diesem Wagen gelang 1931 bei der Mille Miglia – den tausend Meilen von Brescia. Zu den von Carracciola gewonnenen Großen Preisen, die mit der später populären Formel 1 zu vergleichen waren, gehörte sechsmal der Große Preis von Deutschland, dreimal der Große Preis der Schweiz, zweimal der Große Preis von Italien und je einmal die Großen Preise von Frankreich, Belgien, Spanien und Monaco – dazu noch drei Europameisterschaften mit den berühmten Silberpfeilen.
Rudolf Caracciola war als Autoverkäufer nicht besonders glücklich geworden, was eventuell auch daran lag, dass seine Verkaufstätigkeit im Erfolgsfall von einem Chef übernommen wurde, und er seine Prämie nicht erhielt. Ein Brief von Mercedes in Untertürkheim veränderte das sportliche Leben. Er sollte zu einer Probefahrt erscheinen und wurde angestellt. Daraus wurde eine ebenso lange wie erfolgreiche Zusammenarbeit. Bei den Rennen war Rosemeyer von der Auto-Union sehr oft der Gegner – Nuvolari, Chiron, Brauchitsch, Stuck und Lang hießen die Namen bei den großen Siegen. Caracciola hatte Remagen längst verlassen und sich in Lugano niedergelassen – später nahm er auch die Schweizer Nationalität an, wo er seine Wunden auskurierte.
1933 versagten an seinem privaten Alfa Romeo auf dem Stadtkurs von Monte Carlo die Bremsen. Er erlitt schreckliche Verletzungen an den Beinen, die ihn acht Monate in das Gipsbett zwangen. Das eine Bein war fortan fünf Zentimeter kürzer. Als er damit seine ersten Gehversuche unternahm, musste er mit ansehen, wie seine Frau, Charly, unter einer Schneelawine ums Leben kam. Rudolf Caracciola verkroch sich in sein Haus in Lugano. Lange Zeit ließ er nur den Freund Louis Chiron und dessen Freundin Alice Hoffmann an sich heran.
Die Machthaber in Berlin hätten ihn gern bei sich gehabt, aber Caracciola blieb in Lugano. Allein 1935 erreichte er sieben Siege, 1937 und 1938 dominierte er bei den Europameisterschaften. Er ist nicht mehr der junge Mann, als man ihn direkt nach dem Krieg zum Rennen in Indianapolis einlädt und ihm einen „Thorne Special“ zur Verfügung stellt. Bei einem Sturz zieht er sich einen Schädelbasisbruch zu. Es dauert viele Monate, bevor er wieder einen Wagen besteigt. Er hat inzwischen Alice Hoffmann geheiratet – sie besprechen nun ganz offen das Ende der Karriere. 1952 lässt er sich mit dem 300 SL noch einmal für die Mille Miglia überreden – er ist nun 51 Jahre alt, er leidet unter ständigen Schmerzen in dem zusammengeflickten Bein. Er fährt 1600 Kilometer auf öffentlichen Straßen dreizehn Stunden ohne Ablösung mit einem Schnitt von 123 Stundenkilometern.
Zwei Wochen später startet er bei einem Sportwagenrennen in Bern. Es könnte sein, dass er sich durch erhebliches Startgeld zu dem Rennen überreden lässt. In der dreizehnten Runde erscheint Caracciola mit seinem Wagen nicht bei der Haupttribüne. Wie sich herausstellt, blockiert beim Anbremsen der Forsthauskurve das linke Hinterrad. Er wird gegen einen Baum geschleudert. Nun ist auch das andere Bein zertrümmert. Rudolf Caracciola muss fünf Monate im Gipsverband bleiben. Zwei Jahre vermag er sich nur im Rollstuhl fort zu bewegen. Das ist das Ende. Als er im Herbst 1959 in einer Klinik in Kassel wegen eines Leberleidens stirbt, ist er 58 Jahre alt.
Ulrich Kaiser, Mai 2008
Literatur zu Rudolf Caracciola:
Rudolf Caracciola: Meine Welt. Wiesbaden 1958
Rudolf Caracciola: Mein Leben als Rennfahrer. Berlin 1939
Frank O. Hrachowy: Stählerne Romantik, Automobilrennfahrer und nationalsozialistische Moderne. Norderstedt 2008