Motorsport
Motorsport
Ein Kunststück das ihm 1984 erneut gelingt - zum vierten und letzten Mal gewinnt er die Rallye Monte Carlo.
Auch im höheren Alter bleibt Röhrl dem Rennsport treu - mit 62 Jahren fährt er 2010 beim Saisonauftakt der Deutschen Langstrecken-Meisterschaft auf Platz 3.
Andere sind öfter Rallyeweltmeister geworden, doch einen Walter Röhrl, so scheint es, konnten und können sie trotzdem nicht übertreffen. In Italien wurde Röhrl zum „Rallyefahrer des Jahrhunderts“ gewählt. In Frankreich wurde dem Regensburger im Jahr 2000 die Auszeichnung „Rallyefahrer des Millenniums“ verliehen. Und eine Jury aus einhundert internationalen Motorsport-Experten setzte noch eins drauf: „Bester Rallyefahrer aller Zeiten“. Da kann also nichts mehr kommen. Auch Niki Lauda scheut nicht den Griff in die Kiste der Superlative: „Röhrl ist der Größte überhaupt.“ Und das meint der frühere Formel-1-Weltmeister für den gesamten internationalen Motorsport.
Was hat Röhrl – zwischen 1973 und 1987 als Rallyeprofi aktiv und bis heute einziger deutscher Rallyeweltmeister – was andere Motorsportler nicht haben?
Es gibt viele Möglichkeiten, einen Menschen kennenzulernen, eine der wohl besten: Als Beifahrer in einem Rallyeauto. Der Münchener Christian Geistdörfer, der Mann an seiner Seite bei zwei WM-Titeln und dreizehn von insgesamt vierzehn gewonnenen WM-Rennen: „Mehr Vertrauen zu einem anderen Menschen kann es kaum geben, wenn man sich als Beifahrer neben einen Ausnahmekönner setzt, der im Wettbewerb ständig in einer Art Ausnahmezustand ist.“
Der Begriff „blindes Vertrauen“ kann dabei wörtlich genommen werden. Denn der Beifahrer, der mit voller Konzentration aus seinem Bordbuch dem Fahrer die Strecke quasi vorliest, sieht so gut wie nichts von dem, was um ihn herum – im Auto wie auf der Strecke – passiert.
„Genial und besonnen zugleich“ habe Röhrl mit einer traumhaft sicheren Kombination aus lntuition und Improvisation sein artistisches Hand- und Fußwerk im Auto beherrscht. Rallyefahrer steuern ihr Auto im Renntempo über Kuppen, Wellen, Schlaglöcher, durch Senken, Rinnen und Kurven aller Art, über Asphalt, Sand oder Schotter, und – damals noch – auch bei Nacht und Nebel. Volles Beschleunigen und volles Anbremsen im wilden Wechsel. Das Fahrzeug springt, schleudert, driftet als sei der Leibhaftige hinter ihm her.
Zwar können die Fahrer auf den Strecken der Sonderprüfungen Wochen vorher auch mal trainieren, doch es sind viel zu viele Kilometer, viel zu viele Tücken, um sich alles einprägen zu können. Das ist die Stunde des Aufschriebs für den Beifahrer. Er schreit dann später über Bordfunk dem Fahrer ins Ohr, wie die nächste Kurve verläuft, welches Höchsttempo in welchem Gang sie verträgt oder was Fahrer und Fahrzeug hinter der nächsten Kuppe erwartet, über die man wie ein Skispringer jagt – allerdings ohne Blick auf die „Landebahn“.
Bei schlechter Sicht, bei strömendem Regen, starkem Schneefall oder dichtem Nebel wird jeder Meter im Renntempo zur waghalsigen Mutprobe am Steuer. Röhrl über die wegweisende Rolle des Beifahrers: „Wenn der Christian sagt, ich zähl’ bis zehn, dann biegst rechts ab, dann biege ich bei zehn rechts ab, ganz egal ob ich was sehe oder nicht.“
In der Branche legendär sind die unglaublichen Bestzeiten mit bis zu fünf Minuten Vorsprung vor dem Rest der Weltelite des Rallyesports, die Röhrl/Geistdörfer beim WM-Lauf in Portugal 1983 im dichtesten Nebel erzielten. Der Fahrer hatte sich bedingungslos auf das menschliche Radar neben ihm verlassen. Ein einziger Fehler in der Bordkommunikation hätte das schmerzhafte Ende der Dienstfahrt bedeutet. Ganz besonderer Eigenschaften und Fähigkeiten bedarf es also, um solch außergewöhnlichen Anforderungen gerecht zu werden.
In Röhrls Vita findet sich aber zunächst nichts, was Rückschlüsse auf seine einzigartigen Talente am Steuer eines Rallyeautos zuließe. Seine Eltern hatten sich scheiden lassen, als er zehn Jahre alt war. Er wuchs dann bei seiner Mutter auf. Nach den Vorstellungen seines Vaters hätte er ebenfalls Steinmetz werden sollen. Doch er begann mit sechzehn eine kaufmännische Lehre beim Bischöflichen Ordinariat Regensburg. Nachdem er mit 18 den Führerschein gemacht hatte, wurde er im Außendienst eingesetzt als Fahrer des Rechtsvertreters der bayerischen Bischöfe in den sieben bayerischen Diözesen. Wenn man so will: Der Beginn seiner Laufbahn als Berufsfahrer.
Aber es war noch lange nicht der direkte Weg zum Motorsport. Seine Vorlieben galten zunächst ganz anderen Sportarten wie Skifahren, Tischtennis, Rudern, mit durchaus beachtlichen Erfolgen bei Jugend- und Juniorenmeisterschaften. Zudem legte er die Prüfung zum staatlich geprüften Skilehrer ab und gehörte auch lange Zeit zum Lehrteam des Deutschen Skiverbands.
Neben dem schnellen Sport auf zwei Brettern hatte ihn sein zehn Jahre älterer Bruder Michael aber auch schon für den Sport auf vier Rädern begeistert. Als Walter Röhrl mit 18 dann selbst endlich „offiziell und legal“ Gas geben konnte, verunglückte sein Bruder am Steuer eines Porsche 956 tödlich. Für den jungen gläubigen Katholiken ein besonders schwerer Schicksalsschlag; der Bruder hatte ihn – nicht nur mit seiner Vorliebe für Motorsport – stark geprägt.
Röhrl war 21 Jahre alt, als ein Freund im Skiclub Regensburg, Herbert Maracek, ihn überredete, sein erkennbares Bewegungstalent mal bei einer Rallye in einem Fiat 850 Coupé auszuprobieren. Ohne jedes Training fuhr er gleich in der Spitze mit, machte aber auch die Erfahrung, dass der beste Fahrer nichts zählt, wenn das Fahrzeug nicht mitspielt. Die Lichtmaschine hatte nicht durchgehalten. Ein Jahr später lief es bei der Rallye Bavaria, nun auf einem BMW 2002 TI, noch besser, auch wenn er wegen Auslassens einer Durchgangskontrolle aus der Wertung genommen wurde. Aber danach war er weder durch Lichtmaschinen noch durch Regularien zu bremsen. Auf Rallyefahrzeugen der Marken Alfa Romeo und Porsche sammelte er weitere Erfahrungen ehe er Anfang der Siebzigerjahre Werksfahrer bei Ford wurde. Die spektakuläre Olympia-Rallye 1972 von Kiel nach München, die er bis zu seinem Ausscheiden wegen Motorschadens anführte, führte ihn dann endgültig auf den Olymp des Rallyesports. Als Werksfahrer für Opel folgte 1975 in Griechenland bei der Rallye Akropolis der erste Sieg bei einer WM-Rallye, mit einer Stunde Vorsprung vor dem Zweiten.
Auf seiner dritten Station als Werksfahrer, bei Fiat, gewann er 1978 auf Anhieb zehn Sonderprüfungen bei der Rallye Monte Carlo. 1980 wurde er auf Fiat 131 Abarth erstmals Rallye-Weltmeister. 1982 gewann er auf Opel Ascona zum zweiten Mal den Titel. Weitere Siege bei WM-Rallyes holte das „Genie am Lenkrad“, wie er in den Medien immer wieder genannt wurde, auf Lancia Stratos und – als Vierzigjähriger – auf Audi Quattro. Auch bei Rundstrecken- und Bergrennen konnte er mit den schnellsten Fahrern mithalten. Und als passionierter Rennradfahrer und Golfspieler bewies und beweist Walter Röhrl ebenfalls seine große sportliche Vielseitigkeit – ein stets ehrgeiziger Mehrkämpfer mit Hang zum Perfektionismus bei jedem Wettbewerb.
Rolf Heggen, Juli 2016
Literatur zu Walter Röhrl:
Reinhard Klein, Wilfried Müller, Thomas Senn: Walter Röhrl. Rückspiegel. Meine Laufbahn in Bildern. Reinhard Klein, Köln 2007
Ferdi Kräling, Wilfried Müller: Walter Röhrl. Die Sucht nach Perfektion. Erinnerungen eines Weltmeisters. Sportverlag, Berlin 1993
Walter Röhrl, Wilfried Müller, Reinhard Klein: Aufschrieb Evo 2. McKlein Publishing, Köln 2012