Tennis
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1925 wird Cilly Aussem erstmals Deutsche Juniorenmeisterin. Ein Jahr später folgt mit erst 17 Jahren ihr erster Deutscher Meistertitel bei den Frauen.
Gemeinsam mit ihrem Trainer, Tennislegende Bill Tilden, gewinnt Aussem 1930 die French Open im Mixed.
Die neue Königin von Wimbledon war zart besaitet. Cäcilia Edith Aussem brach in Tränen aus, als sie auf dem Weg in die Kabine in eine lärmende Menge begeisterter Autogrammjäger geriet. Der Ansturm überforderte die 22-jährige Kölnerin ebenso wie die vielen Fragen der Journalisten. Als Retter in der Not erschien der Manager des Center Courts, Teddy Tinling, ein Zweimeter-Mann, der sich bei den All England Championships um die ausländischen Gäste zu kümmern hatte. Er hob Aussem kurzerhand auf den Arm und brachte sie in Sicherheit.
In den Turnierwochen vor dem Endspiel der All England Championships am 3. Juli 1931 war „Cilly“, wie sie nur gerufen wurde, körperlich an ihre Grenzen gegangen. Die Sonne, die in diesem Sommer unerbittlich auf Wimbledon brannte, hatte den Rasen fast in Asphalt verwandelt, weshalb sie an Blasen an den Füßen litt. Und dennoch hatte sich Aussem in diesem größten Spiel ihrer Karriere, in dem es zugleich um den inoffiziellen Titel einer „Weltmeisterin“ ging, gegen Hilde Krahwinkel aus Essen mit 6:2 und 7:5 durchgesetzt. Es war der erste Triumph einer deutschen Spielerin im bedeutendsten Turnier in der Tenniswelt.
Der fast ausverkaufte Center Court hatte kein großes Finale gesehen. Denn auch die Endspielgegnerin war physisch angeschlagen. Beide Damen „trugen Spuren sichtlicher Ermüdung zur Schau“, notierte die Vossische Zeitung. Am Ende gab der flach geschlagene Cross den entscheidenden Vorteil für Aussem – und vermutlich auch die Gewissheit, ihre Landsfrau zuvor stets klar geschlagen zu haben. Die deutsche Wimbledon-Siegerin war indes, wovon nicht nur die tränenreiche Episode nach dem Finale zeugt, ein zerbrechlicher Star.
Zu Beginn ihrer Tennislaufbahn hatte zunächst wenig auf einen Wimbledonsieg der gebürtigen Kölnerin hingedeutet. Großes Talent wurde der Teenagerin, die zuvor ein Internat in Montreux besucht hatte, von ihren Trainern im Tennis- und Hockey-Klub Rot-Weiß Köln nicht attestiert. „Im Sommer 1923 schleppte mich meine Mutter zum Rot-Weiß Klub meiner Heimatstadt Köln“, erzählte Cilly Aussem. Dort eröffnete ihr der Coach Roman Najuch, ein aus Polen stammender Profi-Weltmeister: „Jetzt werden wir zusammen üben.“
Tennis war in den 1920er Jahren noch ein exklusives Spiel der gut betuchten Gesellschaft, zu der die angesehene Familie Aussem in Köln zweifelsfrei zählte. Cillys Vater Johann Aussem verdiente als Generaldirektor des französischen Käseherstellers Gervais ein Vermögen, das der am 4. Januar 1909 geborenen Tochter die bald folgenden kostspieligen Reisen und Aufenthalte bei Turnieren in ganz Europa erst ermöglichte. Deutlich größeren Einfluss nahm aber ihre Mutter Ursula Franziska, die sich Helen nannte.
Von Zeitgenossen wurde Cillys Mutter als eine von Ehrgeiz zerfressene Figur geschildert, die die Karriere ihrer Tochter programmierte und dabei auch Gegnerinnen hart attackierte. So beschuldigte sie bei den Internationalen Tennismeisterschaften 1928 in Hamburg die Siegerin Paula von Reznicek, sie hätte, um den Sieg sicherzustellen, ihre Tochter mit ihren bösen Blicken hypnotisiert. Die folgende Schlägerei zwischen der aufgebrachten von Reznicek und Mutter Aussem schaffte es sogar in die New York Times.
Wie groß der Druck der Mutter war, belegten nicht nur die Tränen der jungen Spielerin, die 1925 mit dem Juniorinnen-Titel bei den deutschen Meisterschaften erstmals für Aufsehen gesorgt hatte, nach der Niederlage gegen von Reznicek. „Es ist nicht wegen der Niederlage, sondern nur, weil ich Mutti enttäuschte“, erklärte Aussem, als die Kolleginnen sie trösteten.
Trotz der überaus komplizierten Konstellation entwickelte sich Aussem bald zur besten deutschen Spielerin, wozu auch das systematische Training Willi Hannemanns auf dem klubeigenen Gelände an den Rheinterrassen beitrug. Den entscheidenden Karrieresprung aber verdankte sie dem US-Amerikaner Bill Tilden, der die junge Kölnerin Anfang 1930 an der Riviera als Trainer unter seine Fittiche nahm und ihr anbot, mit ihm Mixed zu spielen.
Tilden sei ein „Zauberer“ gewesen, der sich der „etwas verstörten Tennisseele“ Aussem angenommen habe, so bilanzierte später der Kölner Tennisinsider Dr. Friedrich Esser den positiven Einfluss des dreimaligen Wimbledonsiegers. „Cilly war eine der schönsten, charmantesten Frauen, die man sich vorstellen kann, doch Frau Aussem, obwohl selbst keine Spielerin, war tennisfanatisch. Sie liebte es und setzte alle Hoffnungen auf Cilly. Cillys Tennis war für die das Wichtigste der Welt“, berichtete Tilden von der sensiblen Ausgangslage.
Die junge Kölnerin sei wegen ihrer Mutter bis 1930 stets mit großen Ängsten in die Matches gestartet. „Ich ging ein großes Risiko ein, indem ich ihr erzählte, wie dumm ihr Benehmen und das ihrer Mutter war. An diesem Abend gingen wir gemeinsam essen“, berichtete Tilden später vom Start ihrer Zusammenarbeit. Er schärfte ihr ein, es sei keine Schande, ein Spiel zu verlieren. „Sollte jemand glauben, dass das doch der Fall ist, dann lach‘ ihn aus. Keiner kann immer gewinnen.“ Tennis sei doch nur ein Spiel.
Jedenfalls blühte Cilly Aussem unter der Regie des smarten Pädagogen förmlich auf und spielte 1930 und 1931 das beste Tennis ihrer Karriere. Zwar verlor sie 1930 in Paris klar gegen Helen Wills-Moody, der Weltranglisten-Ersten aus den USA, siegte aber im Mixed mit Tilden. In Wimbledon demontierte sie 1930 die Weltranglisten-Zweite Elizabeth Ryan und scheiterte im Halbfinale nur aufgrund eines Sturzes, der sie zur Aufgabe zwang.
Ein Jahr später gewann sie zahlreiche Turniere an der Riviera und erstmals auch die Internationalen Französischen Meisterschaften. Am 31. Mai 1931 siegte sie im Finale gegen die Engländerin Betty Nuthall (8:6, 6:1). Als sie fünf Wochen später auch Wimbledon gewann, rühmten die Experten ihre flache Vorhand und ihre fantastische Beinarbeit. „Ich möchte denen, die das Finale sehen, den Rat geben, ihre Augen nicht immer auf den Ball zu richten und diese Beinarbeit zu beobachten“, schrieb ihre oftmalige Gegnerin Ryan vor dem Finale. „Sie werden dafür sehr belohnt werden.“
Männliche Kollegen wie Roderich Menzel lobten nun die Ästhetik ihres Spiels. Aussem habe „die gleiche Leichtigkeit in ihren Schlägen“ wie die französische Legende Suzanne Lenglen, urteilte nach ihrem Wimbledon-Sieg die Vossische Zeitung. Tatsächlich hatte sich Aussem diese Leichtigkeit in vielen Übungseinheiten hart erarbeitet. So oder so waren die vielen Lobeshymnen und Stilkritiken bemerkenswert angesichts ihrer vermeintlichen Talentlosigkeit.
An die sagenhafte Form des Sommers 1931 konnte Aussem indes nie wieder anknüpfen. Ihr Körper hatte schon oftmals gestreikt, schon länger litt sie an einer Augenkrankheit. Bei einer Südamerika-Tournee im Herbst 1931 verschleppte sie eine Blinddarmentzündung, die sie lange außer Gefecht setzte. Zwar erreichte sie 1934 in Wimbledon noch einmal das Viertelfinale und gewann weitere Turniere. Aber als sie am 12. März 1936 den italienischen Grafen Fermo Murari dalla Corte Brá heiratete, hatte ihre sportliche Karriere den Schlusspunkt gefunden.
Kennengelernt hatte sie ihren Ehemann 1933 bei einem Turnier in Neapel, nachdem sie mit ihm, der als Schiedsrichter ihr Spiel leitete, leidenschaftlich diskutiert hatte. Ob die politische Einstellung ihres zukünftigen Gatten dazu beitrug, dass Aussem am 1. Mai 1933 in die NSDAP eintrat (Mitglieds-Nr. 3.526.491) muss offenbleiben. Als englische und amerikanische Medien kritisierten, dass der deutsche Spitzenspieler Daniel Prenn als Jude aus dem deutschen Daviscup-Team ausgeschlossen wurde, geriet Aussem ebenfalls in die Schlagzeilen. Weshalb der Gau Rheinland der NSDAP am 11. Mai 1933 erklärte, sie sei keine Jüdin, wie im Ausland behauptet. Vielmehr handele es sich bei den Aussems um „eine rein deutsche Familie“.
Dieser Beleg ihrer Unterstützung des NS-Regimes bestürzt, zumal Aussem noch im November 1932 an der Seite Prenns beim Fest der Deutschen Sportpresse einen Schaukampf absolviert hatte. War ihr außerdem das Schicksal jüdischer Weggefährtinnen wie Nelly Neppach (Suizid) und Ilse Friedleben (Emigration) gleichgültig? Ein öffentliches Thema war die NSDAP-Mitgliedschaft Aussems nicht. 1936 wurde sie als Parteimitglied gestrichen, weil sie mit ihrem Mann nach Ostafrika wegzog, der dort als Luftwaffenoffizier der italienischen Faschisten im Abessinien-Krieg eingesetzt wurde.
In Afrika erkrankte Aussem an Malaria, was ihren körperlichen Zustand noch verschlechterte. Ihre letzten Lebensjahre verbrachte sie, sehr zurückgezogen lebend, am Gardasee und in Portofino. Dort starb die fragile Sportlerin, die 1931 in Paris und in Wimbledon Tennisgeschichte geschrieben hatte, im Alter von nur 54 Jahren am 22. März 1963.
Erik Eggers, Dezember 2024
Quellen und Literatur zu Cilly Aussem:
Bundesarchiv, BArch_R_9361-VIII_KARTEI_210760 (NSDAP-Zentralkartei)
Kölnische Zeitung, „Lügen über Cilly Aussem“, 12. Mai 1933
William T. Tilden: My Story. New York 1948
Bernd Tuchen: Ich galt als Wunderkind … Cilly Aussem – das Leben der ersten deutschen Wimbledon-Siegerin. Düren 2024 (2. Auflage)