Schwimmen
Schwimmen
Aufgrund des Ausschluss der Deutschen von den Olympischen Spielen 1920 und 1924 kann er jedoch, trotz deutlich überlegener Zeiten, nicht an den Spielen teilnehmen.
Ausgerechnet bei seiner Olympiapremiere 1928 reißt seine Siegesserie. Der seit 1922 ungeschlagene Rademacher muss sich dem Japaner Tsuruta (links) geschlagen geben und gewinnt Silber.
Der Kai von Cuxhaven war voller Menschen, als Erich Rademacher am 26. April 1926 das Passagierschiff Deutschland verließ. In Hamburg wurde der 24-jährige Schwimmer wie ein Triumphator empfangen. Und auf dem Flugplatz in Berlin-Tempelhof drängten sich Hunderttausende, bevor der neue Volksheld auch in seiner Heimatstadt Magdeburg umjubelt und geehrt wurde. „Noch nie ist ein deutscher Sportsmann so ausgezeichnet worden wie Rademacher“, kommentierten die deutschen Zeitungen.
Schon vor seiner sechswöchigen Tournee durch die USA war Rademacher, den alle nur „Ete“ riefen, der beste Brustschwimmer der Welt. Doch erst die sensationellen Drahtberichte aus New York, Boston und Chicago, die im Frühjahr 1926 von überlegenen Siegen gegen die versammelte Weltelite kündeten, machten ihn zu einer nationalen Berühmtheit. In Übersee hatten sie ihn als „The human fish“ bezeichnet. Diesen menschlich gewordenen Fisch lud nun sogar Paul von Hindenburg zu einem Empfang in das Palais des Reichspräsidenten.
In dieser Zeit hielt Rademacher die Brust-Weltrekorde über alle Strecken bis 500 Meter. Er gewann zudem überlegen die Europameisterschaften 1926 und 1927 und kam am Ende seiner grandiosen Karriere auf 27 Deutsche Meistertitel im Schwimmen und – jeweils mit Hellas Magdeburg – auf acht im Wasserball. Rademacher war seinerzeit so überlegen wie Johnny Weißmüller im Freistil oder Paavo Nurmi in der Leichtathletik.
Dabei hatte sich der junge Fritz Albert Erich Rademacher, am 9. Juni 1901 in Magdeburg geboren, in seiner Kindheit zu einer anderen Sportart hingezogen gefühlt. Die Zeit des Schwimmunterrichts, zu dem ihn sein Vater angemeldet hatte, nutzte er mit seinen Freunden zu wilden Fußballspielen auf der Straße – bis zu dem Tag, als sein Vater erfuhr, dass sein Sohn nie beim Schwimmen aufgetaucht war und die Badehose nur zur Tarnung genässt hatte. „Zwei gewaltige Ohrfeigen“ des Vaters, berichtete Rademacher später, hätten ihm den Weg zum Schwimmen gewiesen.
Ein Naturtalent war der Junge nicht. Rademacher selbst berichtete 1927 von seinen großen Ängsten bei seinem ersten missglückten Schwimmversuch: „Wieviel Wasser ich bei jenem Bad verschluckte, hat keiner gemessen“, so sein Bericht. Er sei felsenfest überzeugt gewesen, dem leibhaftigen Tod ins Angesicht geschaut zu haben. „Die Erinnerung daran verfolgte mich noch lange.“ Für seinen Freischwimmer brauchte er neun Wochen. Freilich war die Angst vor dem Wasser damals in großen Teilen der Bevölkerung verbreitet.
Ein Zufall weckte dann 1913 Rademachers Ehrgeiz: „Blut leckte ich zum ersten Mal, als ich zwölf Jahre alt war, beim Magdeburger Schwimmfest; einer der Knabenschwimmer fiel wegen Erkrankung aus; ich musste als Verlegenheitsersatz einspringen und – gewann.“ Ansporn. Ein Jahr darauf gewann er einen „Ehrenpreis in Gestalt einer üppigen, reich mit Zuckerguss besetzten Torte“, erzählte er 1927, und dass er nie wieder so stolz gewesen sei wie damals.
Das Brustschwimmen war, weil es die Deutsche Turnerschaft als „deutschen Schwimmstil“ kultivierte, von jeher eine deutsche Domäne. Die Weltrekorde hielt seinerzeit Walther Bathe, der Doppel-Olympiasieger von Stockholm 1912. Rademacher, der sich im Schwimmverein Hellas nun rasant entwickelte, hatte eben erst seinen 15. Geburtstag gefeiert, als er den Weltrekordler im August 1916 über 400 Meter Brust schlug und sich damit auf die nationale Bühne des Schwimmsports katapultierte.
Rademacher setzte also die große Ära deutscher Brustschwimmer in den kommenden zwölf Jahren fort. Wie überlegen der Magdeburger der internationalen Konkurrenz war, zeigt der Vergleich seiner Zeiten mit denen der Olympiasieger von 1920 und 1924. Der Schwede Hakan Malmrot, der über 200 Meter Brust das erste olympische Schwimmturnier nach dem Ersten Weltkrieg in 3:04,4 Minuten gewann, war über acht Sekunden langsamer als Rademacher (2:56,0). Und auch 1924 in Paris hätte Rademacher mit seiner Weltbestzeit (2:50,4) den US-Amerikaner Skelton (2:56,6) überlegen distanziert.
Doch Rademacher durfte eben nur zuschauen bei diesen Olympischen Spielen, weil das IOC und die internationalen Fachverbände den deutschen Sport aufgrund des Ersten Weltkrieges ausgeschlossen hatten. Der Magdeburger war dabei womöglich der größte Verlierer. Auch das erklärt freilich – neben der rasant wachsenden Sportpresse der Weimarer Republik – die enorme Aufmerksamkeit, die Rademacher mit seiner Tournee durch die USA erzeugte.
Zurück in Deutschland, berichtete Rademacher von wichtigen Tipps, die ihm der US-Freistilschwimmer Johnny Weißmüller für die Startphase und die Wendentechnik gegeben habe. Darüber, wie er und sein Freund Gustav Frölich, der Rückenschwimmer, die aufwendige Reise als Amateur finanziert hatten, sprachen er und sein Manager Kurt E. Behrends nicht in der Öffentlichkeit. Das hätte vermutlich, da der Amateurparagraf rigide ausgelegt wurde, die letzte olympische Chance Rademachers stark gefährdet.
Diese Chance kam 1928 in der Amsterdamer Schwimmarena. Angereist als amtierender Europameister und Weltrekordinhaber, startete Rademacher als großer Favorit auf der 200-Meter-Distanz. Doch schon in den Vorläufen und im Semifinale schwamm der bis dato unbekannte Japaner Yoshiyuki Tsuruta schneller und schockte den Deutschen. Im Finale vom 8. August 1928 legte der Asiate einen Blitzstart hin und führte bald mit großem Vorsprung – und konterte tatsächlich auch den Schlussspurt des Favoriten und schlug mit 2:48,8 Minuten als Erster an, 1,8 Sekunden vor Rademacher.
Der Magdeburger, inzwischen 27 Jahre alt, gewann olympisches Silber und war doch bitter enttäuscht, hatte er doch das Brustschwimmen über mehr als ein Jahrzehnt hinweg dominiert. Umso bemerkenswerter, dass er nur drei Tage später doch noch olympisches Gold gewann – als Torwart der deutschen Wasserballmannschaft, die mit ihrem 5:2-Finalsieg nach Verlängerung gegen die eigentlich übermächtigen Ungarn einen Mythos des deutschen Mannschaftssports schuf. Nicht wenige Sporthistoriker betrachteten diesen Triumph später gar als Prolog des „Wunders von Bern“ bei der Fußball-WM 1954.
Vier Jahre später kehrte Rademacher wieder mit einer Wasserball-Medaille von den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles zurück, diesmal mit Silber. Und erneut feierte er diesen Erfolg gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Joachim. Selbstverständlich war „Ete“ stolz auf die großen Mannschaftserfolge. Doch über die schmerzhafte Niederlage gegen Tsuruta tröstete ihn das nicht hinweg. „Gold ist zwar Gold, aber Wasserball ist nicht Schwimmen“, sagte Rademacher 1978 am Rande der Schwimm-Weltmeisterschaften in Berlin. Ein Jahr später, am 4 April 1979, starb Rademacher, der 1947 aus Magdeburg zunächst nach Braunschweig und 1961 nach Stuttgart übergesiedelt war, wo er als Versicherungsagent arbeitete.
In Schwimmerkreisen erzählte man sich, Rademacher sei aus seiner geliebten Heimatstadt geflohen, weil er sich davor gefürchtet habe, wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft zur Rechenschaft gezogen zu werden. Tatsächlich gehörte er zu den Millionen „März-Gefallenen“, die in den Wochen nach der NS-Machtübernahme in die Hitler-Partei eingetreten waren (Mitglieds-Nr. 1.977.589, Parteieintritt 1. Mai 1933). Öffentlich trat Rademacher, der sich laut Schwimmhistoriker Kurt Wilke nicht in den Dienst der Politik stellte, indes nicht als Nationalsozialist in Erscheinung.
Zur gleichen Zeit wurde der Mediziner Dr. Moritz Nußbaum, dem als Vater des Wasserball-Wunders von 1928 gehuldigt worden war, von den Nationalsozialisten und auch vom Deutschen Schwimmverband ausgegrenzt, nur weil er Jude war. 1935 starb der Trainer des Teams in Konstanz, vermutet wird Suizid. Diese verstörenden Lebenswege im „Dritten Reich“ gehören ebenso zur Biografie des Schwimmers Erich „Ete“ Rademacher wie all seine Triumphe vor und nach seiner sagenhaften Tournee 1926 in den USA.
Erik Eggers, Dezember 2024
Quellen und Literatur zu Erich Rademacher:
Bundesarchiv, BArch_R_9361-IX_KARTEI_33570290 (NSDAP-Zentralkartei)
Der Schwimmer. Jg. 1926 und 1928
Deutscher Reichsausschuss für Leibesübungen (Hrsg.): Die Olympischen Spiele 1928 in Amsterdam. Leipzig 1928
Deutscher Schwimm-Verband Wirtschaftsdienst GmbH: 100 Jahre Deutscher Schwimm-Verband. Dortmund 1986
Erich Rademacher: Vom Schwimmen. Eine Antwort auf einige Fragen. Berlin 1927
Sepp Scherbauer: Ein Weltrekordler zieht Bilanz. Süddeutsche Zeitung vom 8. Juni 1961
Sportinformationsdienst: Schwimmer-Idol gestorben. Legendärer ‚Ete‘ Rademacher. Süddeutsche Zeitung vom 4. Juni 1979
Vossische Zeitung. Jg. 1926.
Kurt Wilke: „Rademacher, Ete“. In: Neue Deutsche Biographie 21, S. 90-91, 2003