Jochen Schümann

Segeln

  • Name Jochen Schümann
  • Sportart Segeln
  • Geboren am 8. Juni 1954 in Ost-Berlin
  • Aufnahme Hall of Fame 2014
  • Rubrik 90er Jahre bis heute

Deutschlands erfolgreichster Segler

Jochen Schümann ist mit drei Olympiasiegen, zahlreichen Titeln bei Welt- und Europameisterschaften sowie zwei Siegen beim America’s Cup der erfolgreichste Segler Deutschlands. Olympia-Gold holte der Wassersportler vom Yachtclub Berlin-Grünau 1976 in der Einmannjolle Finn-Dinghy sowie 1988 und 1996 in der Soling-Klasse gemeinsam mit den Vorschotern Thomas Flach und Bernd Jäkel. Ingesamt sechsmal nahm der „Weltsegler des Jahres 1996“ an Olympischen Spielen teil, 2000 segelte Schümann dabei im Soling zu Silber. Bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften gewann er mehr als 30 Medaillen, darunter vier WM-Titel und zehn EM-Titel in drei verschiedenen Bootsklassen. Schümann war so nicht nur Aushängeschild der Segler in der DDR, sondern ab 1990 auch im vereinten Deutschland.

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Seine Ausnahmestellung bewies Jochen Schümann ebenso nach dem Wechsel ins Hochseesegeln: 2003 und 2007 triumphierte er als Segler und Sportdirektor des Schweizer Teams Alinghi beim America’s Cup, der begehrtesten und ältesten Segeltrophäe der Welt. Schümann hat das Segeln in Deutschland ins Rampenlicht geführt und ist einer der Gründer, Gesellschafter und Mitglied im Aufsichtsrat des Sailing Team Germany, das als Nationalmannschaft den Hochleistungssport Segeln in Deutschland nach vorne bringen will. Er engagiert sich außerdem als Botschafter der Laureus Stiftung Deutschland/Österreich und ist Mitglied im Verein Sportler für Organspende e.V.

Jochen Schümann

Segeln

Größte Erfolge

  • 3-facher Olympiasieger: 1976 im Finn-Dinghy, 1988 und 1996 im Soling
  • Olympische Silbermedaille 2000 im Soling
  • 4-facher Weltmeister: 1992 und 1998 im Soling, 2001 und 2005 in der 5,5-m-Klasse
  • 11-facher Europameister im Finn-Dinghy und Soling
  • Gewinner des America's Cup 2003 und 2007 mit Team Alinghi
     

Auszeichnungen

  • Goldene Sportpyramide (2014)
  • Bürgermedaille des Bezirkes Treptow-Köpenick von Berlin (2004)
  • BILD-Medienpreis (2004)
  • Persönlicher Preis des Bayerischen Ministerpräsidenten (2003)
  • Aufnahme in die Sailing World Hall of Fame (2003)
  • Weltsegler des Jahres (1996)
  • Deutscher Segler des Jahres (1992, 1996, 2003 und 2004)
  • Goldenes Band der Sportpresse (1996)

Biografie

Richtige Seebären tragen dicke Salzkrusten im wettergegerbten Gesicht. Doch Jochen Schümann ist auch äußerlich ein Ausnahmeathlet. Selbst nach einer Langstreckenregatta über Nacht durch Wind und Wellen wirkt der erfolgreichste deutsche Segler aller Zeiten so frisch wie aus dem Ei gepellt. „Schümi“ hat diese unnachahmliche Leichtigkeit, mit der Lichtgestalten wie Franz Beckenbauer nach 90 Minuten Kampfkick nahezu ohne Schweißtropfen abgehen und den oft glorreichen Wettkampf noch eloquent, ja präzise analysieren.

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Dabei waren und sind Schümanns Sternstunden auf dem Wasser nach eigenem Bekunden reine Arbeitssiege. Trimm- und manövertechnisch brillant, agiert er ruhig und zielstrebig, gar völlig unaufgeregt. Taktisch und strategisch ohnehin mit allen Wassern gewaschen, und in Wetterkunde eine glatte Eins: Vom Können kommt die Kunst. Spektakulär gewonnene Rennen vielleicht manchmal, aber „die ganz großen Geheimnisse gibt es gar nicht“. Das sagt einer, der den weißen Sport in der Kaderschmiede des Arbeiter- und Bauernstaats erlernt hat, und 1976 bei den Spielen von Montreal  im kanadischen Kingston überraschend olympisches Gold für die DDR im Finn-Dingi holte. Mit 22 war er da gerade ein Jahr älter als Westdeutschlands Segelikone Willy Kuhweide bei seinem Olympiasieg 1964 in Japan.

Der Vergleich hinkt. Hier der akribische Diplom-Sportlehrer (Deutsche Hochschule für Körperkultur) vom Müggelsee aus Ost-Berlin, der ursprünglich Turner war, aber mit knapp zwei Metern für Reck und Ringe bald zu groß wurde und eher zufällig in der Schule eine Optimisten-Jolle baute, mit der er als Zwölfjähriger zu segeln begann. Dort Kuhweide, der intuitive Lufthansa-Kapitän und spätere Pilotenausbilder vom Wannsee. Beide wollten nach dem ersten Gold mehr, aber Schümann schaffte letztlich sportlich viel mehr, obwohl ihn die politischen Mühlen zweier Olympiaboykotte beinahe zermahlen hätten.

„Vielleicht hätte ich doch lieber Physik oder Medizin studieren sollen“, zweifelte das Multitalent seinerzeit, „das hätte mir beruflich vielleicht mehr gelegen.“ Vereinskameraden vom Yachtclub Berlin-Grünau überzeugten ihr Aushängeschild zum Weitermachen. Ein Weltmeistertitel fehlte dennoch lange Zeit in seiner Vita, weil die Funktionäre des Deutschen Turn- und Sportbundes  „von ganz oben“ schlicht die Auslandsreisen verwehrten.

Bestand auch bei ihm Fluchtgefahr? „Nein, ich war zu jederzeit privat und sportlich im Osten verwurzelt.“ Also hatte er eine Datscha in Mecklenburg an der Ostsee? Fehlanzeige. Mit seiner Ehefrau Cordula, selbst eine erfolgreiche Leichtathletin, wartete der Vater von Tochter und Sohn in der Berliner Neubauwohnung auch nach dem zweiten Olympiasieg noch viele Monate auf einen Telefonanschluss. Für das Soling-Gold in Pusan 1988 erhielt Jochen Schümann einen Forum-Scheck über 3000 D-Mark für den Einkauf im Intershop und 25.000 Ost-Mark. Dafür leistete sich der Steuermann einen Lada. Ein neuer Wartburg hätte 32.000 Ost-Mark gekostet – vorausgesetzt, es wäre gerade einer zu kaufen gewesen.

Als sich die Grenzen zum Westen öffneten und die staatliche Sportförderung der DDR ins Wanken geriet, musste auch das Soling-Trio mit Mittelmann Thomas „Flade“ Flach und Vorschoter Bernd „Jäki“ Jäkel um seine Zukunft bangen. Aber ein Mann mit klaren Prinzipien gibt sich nicht in die Hand von Wohlgefallen und schon gar nicht des Zufalls. Die Skatrunde, deren erstes Erfolgsboot „Grand mit dreien“ hieß, ging den ungewissen Weg mit – und setzte sich auch unter den veränderten Voraussetzungen in der gesamtdeutschen Mannschaft durch.

Auf das ehemalige Sportsystem ließ Jochen Schümann nie was kommen. Die breite Förderung junger Talente sowie die gezielte und konzentrierte Vorbereitung der Spitzenathleten auf besondere Wettkampfhöhepunkte seien nachahmenswert gewesen. Ausgerechnet die Segler, die mit Doping nun rein gar nichts am Hut gehabt hätten, seien bei der Generalabrechnung Ost völlig zu Unrecht über denselben Kamm geschoren worden und in Misskredit geraten. Dass mit der Mauer auch ehemalige Werte fielen, die ihm wichtig waren, bedauerte er, wenngleich „der Zustand unser Sportschulen damals teils schon so hinterwäldlerisch war, dass wir uns beim Vorzeigen hätten schämen müssen“. Sein anhaltender Hang zur militärisch straffen Durchorganisation des Leistungssports bescherte ihm im anti-autoritären Westen nicht nur Freunde und bei Kritikern den eher neidischen, denn hämischen Spitznamen „Gold-Broiler“. Darauf gab er nichts. Auch „Segel-Schumi“ oder „Schüminator“ trug er später eher mit humorvoller Fassung, denn mit Begeisterung.

Den Untergang der DDR und ihrer Strukturen im Segelsport konnte auch ihr herausragender Wassersportler nicht verhindern, der nach der Wende als Präsident des damaligen Bundes Deutscher Segler vorgeschlagen wurde. Das war ein Notruf. Doch Schümann lehnte so ein Amt nicht zum letzten Mal dankend ab, engagierte sich aber als Aktivensprecher. Seine geradlinige Meinung blieb nie hinterm Berg, der eckte nicht nur an, sondern bürstet bis heute auch mal gegen den Strich.

In seiner Paradedisziplin war Flexibilität gefordert. Unter dem Druck des IOC, das Segeln telegener zu gestalten, wurde die Soling-Disziplin 1992 in Barcelona im Matchrace, dem Zweikampf Boot gegen Boot entschieden. Bis dahin gab es nur so genannte Fleetraces, ein Starterfeld mit allen Teilnehmern. Die Titelverteidiger lernten schnell, mussten sich aber mit dem undankbaren vierten Platz zufriedengeben.

Der Drang nach Aufmerksamkeit in den Medien, der Zwang von Unterstützung durch Sponsoren, beides lag Jochen Schümann nicht im Blut. Aber der Profi war clever genug, die Kräfte von Pressefreiheit und westlicher Marktwirtschaft für sich zu nutzen. Angebiedert hat sich der smarte Gentleman dabei nie. Pflichtaufgaben der Geldgeber wie das Coaching von Breitensportlern oder Promi-Törns mit Protagonisten aus dem Showbusiness erledigt der Skipper akkurat auf höchstem Niveau. Auch neben Superweib Veronica Ferres am Steuerrad einer Hochseeyacht macht der Segel-Star vor laufenden Kameras eine gute Figur.

Starallüren dagegen hat Schümann nicht. Der unbestrittene Chef an Bord isst zwischen den Wettfahrten die gleichen pappigen Sandwiches wie das Arbeitsvolk der Mannschaft. Morgens um halb sieben wird im Kraftraum geschuftet, wo mancher Mitstreiter schon sein Sohn sein könnte. Als sich der inzwischen Mittvierziger nach der dritten Goldmedaille 1996 in Savannah zur Jahrtausendwende anschickt, in Sydney mit neuer Crew Ingo Borkowski und Gunnar Bahr zum vierten, diesmal silbernen Edelmetall zu greifen, hat der Kielbootsegler längst eine neue sportliche Herausforderung im Visier, den America’s Cup.

Mangels einer deutschen Kampagne heuert der ins oberbayrische Penzberg Umgesiedelte beim Schweizer Syndikat FAST 2000 an. Und zahlt Lehrgeld, viel Lehrgeld. Denn das Boot „Be happy“ war weder schnell, noch machte es das Team glücklich. Die „schmerzhafte Investition“ war zugleich eine wertvolle Grundlage für höhere Aufgaben. Denn in Genf hatte sich der Biotech-Milliardär Ernesto Bertarelli fest vorgenommen, den überragenden Neuseeländern die bodenlose Silberkanne 2003 in Auckland zu entreißen. Und genau dazu brauchte der Unternehmer einen Jochen Schümann als Antreiber und Organisator.

Der geborene Köpenicker wurde Sportdirektor von Alinghi Challenge, des ersten Herausforderers in mehr als 150 Jahren, der an einem Binnensee zu Hause war. „In den Wochen der Teamgründung haben wir nur in Konferenzräumen von Hotels gesessen“, erinnert sich Schümann, dem selbst die Präzision eines Schweizer Uhrwerks nachgesagt wird. Bertarelli wollte nichts dem Zufall überlassen und kaufte auch den Kopf des neuseeländischen Teams, Russell Coutts. Damit war klar, wer am Ruder des America’s Cuppers stehen würde, obwohl der Kiwi stets voll des Lobes für seinen Strategen im Cockpit war. „Jochen hat manchmal sogar das bessere Gefühl für das Boot als ich“, betonte der bereits zweimalige Cup-Gewinner Coutts, „und sein Organisationstalent ist legendär“.

Ein Ritterschlag auf Augenhöhe. Aber auf Vorschusslorbeeren ausruhen lag fern. Schümann arbeitete das Segeln wieder wie kein anderer, oft von Sonnenaufgang bis weit nach Mitternacht. Sein Landsmann, der geniale Chefdesigner und Konstrukteur bei Alinghi, Rolf Vrolijk, sagte damals über ihn: „Jochen setzt immer genau um, was gefordert ist. Er testet auch zehn Stunden am Stück, wenn es wichtig ist. Diese Hingabe und dieser Hang zum Perfektionismus machen ihn so gut.“

Die Segel- und Landmannschaft aus 15 Nationen und ihr deutsches „Rückgrat des Teams“ (Bertarelli) gewinnen 2003 sensationell den America’s Cup. Jochen Schümann genießt den Moment des Triumphs in Blitzlichtgewitter und Champagnerschaum. Danach formt der Denker und Lenker mit am 32. AC als neuer, publikumswirksamer Event in Europa, mit packenden Wettfahrtformaten in der Vorbereitung und noch mehr Entertainment für die ganze Familie an Land. Schümann bewegt den Segelsport, der ihn über Jahrzehnte begeistert. Er selbst zieht mit seiner Frau Cordula in den spanischen Austragungsort Valencia. Der Mann von Welt fühlt sich auch dort bald heimisch.

Vor der letztlich erfolgreichen Cupverteidigung 2007, die seine Handschrift trägt, fällt der Sportdirektor eine folgenrichtige, aber die wohl schwerste Entscheidung seiner Karriere. Er wird selbst diesmal nicht an Bord sein und nicht mitsegeln. „Meine Aufgabe ist, auf allen Positionen die bestmöglichste Mannschaft an die Startlinie zu bringen“, begründete Jochen Schümann sein eigenes AC-Aus nach außen hin souverän. Das konnte dem Vollblutsegler nicht leicht gefallen sein. Gleichzeitig muss er mit ansehen, wie sein Heimatland bei der AC-Premiere gnadenlos hinterhersegelt und nur Vorletzter wird.

Als die Speerspitze des deutschen Segelsports zum Team Germany wechselt, ist es schon zu spät. Verbittert muss auch Schümann mit ansehen, wie sich Ernesto Bertarelli und dessen Gegenspieler, der Softwaremogul Larry Ellison vom US-Team Oracle Racing, über Regelauslegungen und die Zukunft des America’s Cups vor Gericht zerfleischen und dem Image der ältesten Segeltrophäe der Welt schwer zusetzen. Er kommentiert das nur kopfschüttelnd, bewertet den entstandenen Schaden als unermesslich.

Den folgenden Wechsel der traditionsreichen Regatta auf Mehrrumpfboote geht der klassische Segler nicht mit. Die technisch zunächst scheinbar überreizten, pfeilschnellen Katamarane sind ihm nicht geheuer, das Geschwindigkeitspotenzial erscheint unbeherrschbar. Als bei einem Trainingsunfall mit diesen „Kraken“ der britische Olympiasieger Andrew Simpson ertrinkt, sieht sich der Skeptiker bestätigt und fordert die Abstinenz deutscher Nachwuchssegler, die beim Jugend-AC mitmachen wollen. „Die sollten sich lieber konzentriert auf Olympia vorbereiten.“ Dafür erntet Schümann viel Kritik, mit der er umgehen muss.

Obwohl er sich im Glanz seiner eigenen vier Medaillen sonnen könnte, will Jochen Schümann, dass „Deutschland endlich wieder an die Weltspitze anknüpfen kann“. An die Strukturen, Konzepte und das Fördersystem des Dachverbands glaubt er indes schon lange nicht mehr. Den Posten des Vizepräsidenten für Leistungssport und andere Aufgaben lehnte der begehrte Kandidat kategorisch ab. Stattdessen gründet er mit anderen ehemaligen Spitzenseglern das privatwirtschaftlich organisierte Sailing Team Germany, das die Segelnationalmannschaft bei Olympischen Spielenaufs Treppchen führen will.

Strategiemeetings für das Wohl der nächsten Generation sind aber bei weitem nicht alles für den Junggebliebenen vom Jahrgang 1954. Am allerliebsten segelt Jochen Schümann immer noch selbst, auch als Botschafter der Einheit Europas. Als Skipper der slowenischen 30-Meter-Maxiyacht „Esimit Europa 2“ trat er bis zum Frühjahr 2014 insgesamt 27 Mal an. 27 Mal gewann er, davon sechs Rennen mit beeindruckenden Streckenrekorden bei einschlägigen Hochseeklassikern. Im Ziel strahlte „Schümi“ auch nach rund 50 Stunden auf hoher See, nahezu unbeeindruckt von den Strapazen, mit der ihm eigenen Leichtigkeit des Seins.

Andreas Kling, Mai 2014

Literatur zu Jochen Schümann:

Tatjana Pokorny: Alinghis Gipfelsturm – Der America’s Cup. Bielefeld 2003.


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