Gerd Schönfelder

Ski Alpin

  • Name Gerd Schönfelder
  • Sportart Ski Alpin
  • Geboren am 2. September 1970 in Kulmain
  • Aufnahme Hall of Fame 2018
  • Rubrik 90er Jahre bis heute

Der Stier von Kulmain

Gerd Schönfelder ist der erfolgreichste deutsche Behindertensportler. Von 1992 bis 2010 gewann der in Kulmain in Bayern geborene Skifahrer bei sechs Paralympischen Winterspielen insgesamt 22 Medaillen - 16 Mal Gold, viermal Silber und zweimal Bronze – und ist damit bis zum heutigen Tag der weltweit erfolgreichste Athlet in der Geschichte der Winter-Paralympics. Dazu gewann Schönfelder, wegen seines aggressiven Fahrstils "Stier von Kulmain" tituliert, 14 Weltmeistertitel und achtmal den Gesamtweltcup.

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Seine beeindruckende sportliche Karriere hat ihren Ausgangspunkt in einem tragischen Unfall im Alter von 19 Jahren, Schönfelders ganz persönlichem 11. September. An jenem Tag im Jahr 1989 sprintete er auf dem Weg ins Fußballtraining zu einem anfahrenden Zug, öffnete die Tür, rutschte ab und kam unter die Räder. Er verlor seinen rechten Arm und vier Finger an der linken Hand. Diesen schweren Schicksalsschlag zum Trotz bildete sich der gelernte Elektroniker beruflich zum Elektrotechniker fort und startete 1990 seine Skikarriere, die 21 Jahre andauern sollte. 2011 beendete der Allrounder, der in allen fünf alpinen Skidisziplinen Medaillen gewann, nach über zwei Jahrzehnten Leistungssport seine Karriere.

Über seine zahlreichen Medaillen hinaus wurde Schönfelders Leistung vielfach auch neben der Piste gewürdigt: Er wurde viermal mit dem Silbernen Lorbeerblatt und 2010 als erster Deutscher mit dem IOC Disabled Athlete Award ausgezeichnet, sowie im Folgejahr vom Internationalen Paralympischen Komitee (IPC) als Weltbehindertensportler geehrt. 2012 wählten ihn die von der Deutschen Sporthilfe geförderten Athleten zum „Champion des Jahres“. Seit seinem Karriereende arbeitet der Vater zweier Kinder als Trainer im Paralympic Skiteam und in verschiedenen Bereichen im Marketing. Zudem hält er Vorträge, um andere Menschen zu motivieren und engagiert sich ehrenamtlich für verschiedene Zwecke.

Gerd Schönfelder

Ski Alpin

Größte Erfolge

  • 16-facher Paralympics-Sieger (zwischen 1992 und 2010)
  • 14-facher Weltmeister (zwischen 1996 und 2011)
  • sechs weitere Paralympics-Medaillen (viermal Silber, zweimal Bronze)
  • sechs weitere WM-Medaillen (fünfmal Silber, einmal Bronze)
  • achtfacher Gesamtweltcup-Sieger (1997, 1999, 2000, 2002, 2005, 2006, 2008 und 2010)

Auszeichnungen

  • „Champion des Jahres“ der Stiftung Deutsche Sporthilfe (2012)
  • IPC World Athlete of the Year (2011)
  • Behindertensportler des Jahres (2006, 2010 und 2011)
  • Silbernes Lorbeerblatt (1998, 2002, 2006, 2010)
  • Bayerischer Sportpreis (2004 und 2010)
  • Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Kulmain (2006)
  • Nominierung zum Laureus World Sport Award (2002)

Biografie

„Es liegt immer an der eigenen Einstellung was man aus seinem Leben macht, oder: was nützen zwei gesunde Hände, wenn man sie in den Schoss legt?" Gerd Schönfelder zum Ersten. „Ich bin nicht behindert – ich sehe nur so aus.“ Gerd Schönfelder zum Zweiten. Wie sehr diese beiden Zitate Gerd Schönfelder charakterisieren, wie gut sie ihn beschreiben, das wird in den nächsten Minuten der Lektüre deutlich werden. 16 Siege und 22 Medaillen bei Winter-Paralympics sowie vierzehnmaliger Weltmeister – auf diese sportlichen Erfolge kann Gerd Schönfelder, deutscher Skirennfahrer mit körperlicher Behinderung, zurückblicken. Er ist der erfolgreichste Wintersport-Athlet der Paralympics-Geschichte.

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Der Sportjournalist und Autor Detlef Vetten hat sich in tagelangen Gesprächen mit Gerd Schönfelder über dessen Leben unterhalten – und anschließend zu Papier gebracht. „Sieger“ heißt das Buch. Für den Athleten war es ein Herzensprojekt, seine Geschichte aufschreiben zu lassen. Im Alter von 19 Jahren verlor der Skirennfahrer bei einem Zug-Unfall seinen rechten Arm und vier Finger an der linken Hand. Es war ein schwieriger Weg zurück ins Leben – dass er einmal erfolgreichster deutscher Behindertensportler sein würde, das war am 11. September 1989 ganz weit weg, wahnsinnig weit weg.

Gerd Schönfelder kam am 2. September 1970 in Kulmain in der nördlichen Oberpfalz in Bayern, als zweites von drei Kindern, zur Welt. Nach seiner Ausbildung zum Elektroniker bildetet er sich nach dem Unfall zum Elektrotechniker fort und startete 1990 seine Karriere im Deutschen Paralympic Skiteam alpin. Er ist im Sport zum Sieger geworden, aber für ihn steht dieses Wort noch mehr für all das, was er im Leben erreicht hat. „Ich habe mit 19 diesen schlimmen Unfall gehabt, als ich den Zug unbedingt noch erreichen wollte und am Ende unter die Räder gekommen bin. Und dann stehst du plötzlich da und hast nur einen Daumen an einem Arm und der andere ist ganz ab. Da denkst du dir schon, dass man nicht mehr tiefer fallen kann.“

Aber: „Schlimmer geht’s immer.“ Schönfelder zeichnet Schwarzer Humor aus, „das hilft“, sagt er. Letztlich habe er ja Glück gehabt, auch wenn man das in dem Moment nicht so sehen konnte. „Es hat ja nicht viel gefehlt, und ich wäre nimmer da gewesen. Von dem her ist das Leben, das ich jetzt habe und sehr glücklich damit bin, ein wunderbares Geschenk, eine Zugabe.“ Dieses geschenkte Leben dauert jetzt schon drei Jahrzehnte – und währt hoffentlich noch lange.

Was bedeutet es, aus diesem Loch herauszukommen, in das er durch den Unfall gefallen war? „Es bedeutet, sich irgendwann nicht mehr zu verstecken, sich zu zeigen, wie man ist, Selbstvertrauen aufzubauen, das heißt Sieger sein. Das ist eine Entwicklung, die dauert, die nicht leicht ist.“

Das alte Leben war von einem Tag auf den anderen zerstört. An einem Tag ist man topfit, macht Sport, trifft Freunde, ärgert sich über Nebensächlichkeiten. „Plötzlich bist du ein junger Mann, der erst einmal gar nichts mehr kann. Nicht essen, nicht trinken. Plötzlich brauchst du jemanden, der dir den Hintern abwischt. Wenn mir einer vor dem Unfall gesagt hätte, was auf mich zukommt, hätte ich gesagt: ‚Dann machen wir gleich den Deckel drauf.‘ Aber als es soweit war, wollte ich nur leben. Nicht eine Sekunde habe ich gedacht, ich wäre lieber tot. Ich bin sehr zufrieden. Das Leben ist geil.“ Man müsste jetzt den O-Ton hören können! Schönfelder ist ein begnadeter Erzähler, und sein Zungenschlag macht jeden Satz noch hörenswerter.

Den September-Tag 1989 nennt er nicht Schicksalstag, sondern „Glückstag“. „Jeder hat seine Einschränkungen. Beim einen sieht man’s, beim anderen ned. Meine ist sichtbar, aber letztlich doch nicht vorhanden.“ Eine Prothese zu tragen, um optisch etwas zu kaschieren, das kam ihm schräg vor, sie hatte für ihn keine Funktion. Sie störte. Ohne Prothese fühlte er sich freier. „Klar fluche ich manchmal und sage: Jetzt a zweiter Arm, das hätte was.“ Aber das ist eher als Spaß zu verstehen. „Der Zeh ist derjenige, der am meisten von dem Unfall profitiert hat“, sagt er oft und hält dabei seinen Zeigefinger hoch. Einst war das der zweite Zeh seines linken Fußes. Heute ermöglicht er, dass Schönfelder zupacken kann – und wie. Finger? Zeh? Schönfelder sagt: „Inzwischen Finger, ich habe ihn als Finger adoptiert."

Der 11. September – durch das, was an dem Tag im Jahr 2001 die Welt so einschneidend verändert hat, wird er immer wieder auch an sein eigenes Los erinnert. Ob er will oder nicht. Außerdem, so verrät er schmunzelnd, sei es auch noch der Geburtstag seiner Schwiegermutter. Er müsste eigentlich an Schicksal glauben, denn es gab viele Möglichkeiten, dass es nicht zu der Tragödie hätte kommen müssen. Er wollte mit dem Motorrad fahren, verzichtete dann darauf, weil es mit dem Zug sicherer ist. Ein Freund chauffierte ihn nach der Arbeit zum Bahnhof, ein Stau hielt sie auf – Schönfelder verlor Zeit auf dem Weg ins Fußballtraining, sprintete dem anfahrenden Zug hinterher…

„Letztlich war es nur mein Verschulden“, sagt er. „Keiner hat mich gezwungen, dem Zug hinterherzulaufen und die Tür aufzureißen. Nur ich habe das entschieden. Dafür muss ich die Konsequenzen tragen. Wir alle wissen ja gar nicht, wie oft wir dem Schicksal entkommen. Hätte ich es geschafft, wäre ich in den Zug gesprungen, hätte durchgeatmet und mir gedacht: ‚Gerd, a Hund bist scho.‘ So bin ich eben unter den Zug gekommen.“

Was Schönfelder deutlich macht: Man entkommt seinem persönlichen 11. September viel öfter, als einem bewusst ist. Der Athlet eben nicht. Sein Glauben half - und hilft ihm immer noch. „Ich denke, dass der Herrgott einen Plan hatte, warum es passiert ist. Warum ich überlebt habe. Ob man den Plan versteht, ist was anderes. Mein Cousin ist mit 18 bei einem Unfall verunglückt. Warum erwischt es den einen am ersten Tag, an dem er den Führerschein hat und andere fahren ihr Leben lang wie die Verrückten, überleben alles? Warum erwischt es Michael Schumacher, der in seiner Formel-1-Karriere hunderte gefährliche Situationen überstanden hat, beim Skifahren?“

Der Glaube an Gott gibt ihm Kraft. Er sei sich sicher, dass es etwas nach dem Tod gibt. „Denn es wäre wirklich traurig, wenn dieses Leben alles ist, dann müsste man in dauernder Angst vor dem Tod sein. Ich bin hunderttausendprozentig sicher, dass es eine übermenschliche, überirdische Kraft gibt. Ich für mich nenne sie Gott.“ Der Augenblick des Unfalls und seiner Folgen lässt sich für ihn nicht in Worte fassen, bis heute nicht. „Ich war ja nicht eine Sekunde weg, der Schmerz war gar nicht so schlimm, aber dann schaut man am Körper runter und dort, wo der Arm sein sollte, stehen nur Knochen raus und irgendjemand legt mir den Arm, der nur an Fetzen dranhing, auf den Körper. Ich habe nur geschrien ‚nicht amputieren‘, aber ich wusste irgendwie sofort, dass der Arm nicht mehr zu mir gehört.“

Sein schon erwähnter Humor hat zur Heilung nicht wenig beigetragen. Er machte es möglich, mit dem Unfassbaren umzugehen. Für ihn selber, aber auch für die anderen, die nicht wussten, wie sie mit ihm als Opfer umgehen sollen. „Als meine Leute ins Krankenhauszimmer kamen und ich deren traurige Blicke sah, sagte ich halt: ‚Geh weiter, die Füße sind noch dran.‘ Das half allen. Ich bin auch einer, der sich Dinge schönreden kann. Aber Jammern war verboten, weil es mich noch mehr runterzog.“

Es war Zufall – „oder die Fähigkeit Gottes, unerkannt zu bleiben“ -, dass er in seiner Rehabilitationszeit auf einen Zeitungsartikel über den Behindertenskisportler Alexander Spitz stieß. Spitz fuhr sehr erfolgreich Skirennen auf einem Bein, und Schönfelder dachte sich: Wow, dass musst du auch probieren.

Als er durch einen weiteren Zufall mit Hilfe einer befreundeten Physiotherapeutin zu den Behindertensportlern kam, war es erstmal total ungewohnt. „Du kommst da hin, und da sind nur ‚Kaputte‘. Beim ersten Training auf der Piste war ich total begeistert und von diesem Moment an süchtig! Behinderungen spielen dann gar keine große Rolle mehr. Wir erzählen uns Behindertenwitze: ‚Was ist, wenn zwei Einarmer Karten spielen? -  Mission impossible!“ . Oder wir bezeichnen ab und an Rollstuhlfahrer als Sitzplatzschweine. So gehen wir völlig normal und ohne Mitleid mit der Sache um. Schwarzer Humor hilft dabei, die persönlichen Tragödien zu verarbeiten.“

Alle wollten normal behandelt werden, da gehörten auch Witze dazu. „Ich sage auch gerne zu den Leuten: ‚Ich würde gerne Klavier spielen.‘ Dann schauen alle mitleidig. Und dann sage ich: ‚Aber leider kann ich keine Noten lesen.‘ Da traut sich nicht mal jeder zu lachen.“

Bis zu seinem Rücktritt im Jahr 2011 gewann er bei sechs Paralympics-Teilnahmen insgesamt 22 Medaillen: 16 Mal Gold, 4 Mal Silber und 2 Mal Bronze. Er erhielt 4 Mal das Silberne Lorbeerblatt, die höchste sportliche Auszeichnung der Bundesrepublik Deutschland, die traditionell der Bundespräsident verleiht. 2010 bekam er als erster Deutscher den „IOC Disabled Athlete Award“ und wurde 2011 als „Weltbehinderten-Sportler des Jahres“ geehrt. 2012 wählten ihn die deutschen Spitzenathleten zum „Champion des Jahres“ der Deutschen Sporthilfe. Seit 2006 schon ist er Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Kulmain. 2011 war Schluss mit der Leistungssportkarriere, denn bei der WM habe er gemerkt, dass er nicht mehr besser wird, dass der Ehrgeiz aufgebraucht war. Heute betreibt er viele Sportarten in der Freizeit: Tennis, Ski, Inlineskaten, Rad, Golf, Kajakfahren.

Privates und Berufliches: Er ist seit 2006 mit Christina verheiratet. Aus der Ehe ging 2007 eine Tochter, Emilia, und 2010 – exakt in dem Moment, als  er in Vancouver sein letztes paralytisches Rennen bestritt und seine 16-te Goldmedaille in der Superkombination gewann – wurde Sohn Leopold geboren. Schönfelder ist als Trainer im Paralympic Skiteam engagiert und arbeitet in verschiedenen Bereichen im Marketing. Zudem hält er Vorträge, um andere Menschen zu motivieren, zu begeistern, mitzureißen. Etwa vor Jugendspielern seines Lieblingsvereins FC Bayern. Die Liste seiner ehrenamtlichen Aufgaben ist zu lang, um alles aufzuzählen, ehrenamtlicher politischer Einsatz in der Kommune gehört dazu. Er kümmert sich, gibt viel von sich: Zeit, Kraft, Ideen.

Bei allem wirkt er bodenständig, geradezu bescheiden. Trotz häufiger Fernseh-Präsenz wirkt er nie wie ein Prominenter, ist stattdessen immer nahbar, zugewandt, herzlich, offen. Das spürt jeder, und zwar sofort. Es gibt keine Distanz, Schönfelder hebt auch hier, im Zwischenmenschlichen, Grenzen auf. Mit einem Lachen. „Ich habe so viele tolle Dinge erlebt und erlebe sie immer noch. Im Sport, im Leben. Sicher, es dauert, bis man sich an Wunder gewöhnt. Aber es ist ein Wunder, dass ich lebe, dass ich all das geschafft habe, was ich erreichen durfte. Ich genieße jede Sekunde – bin für jede dankbar. Das Leben ist einfach lebenswert.“

Gerd Schönfelder sagt, dass alles seinen Sinn habe.

Jörg Hahn, Juli 2018

Literatur zu Gerd Schönfelder
Detlef Vetten: Sieger – Das Leben des Gerd Schönfeder; Verlag Die Werkstatt, Göttingen, 2016


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